BA Paradox der Ausnahme

August 15, 2017 | Autor: Finch Bug | Categoria: Literature, Hungarian Literature
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Carl Schmitt: Politische Theologie, 78
Parallele: Die Termini Ungeheuerlichkeit", Mord", Duell", Ehre" sind leicht in Verbindung mit der eingangs zitierten Feindschaft oder Gegensätzlichkeit zu bringen. Außerdem verweisen sie aber auch auf den Begriff der Souveränität, insofern man in der Verschleierung des vermeintlichen Mordes das Problem der Legitimität, d.h. den gesamten Komplex von Recht und Gesetz erkennt und damit nicht zuletzt auch das Verhältnis von Ausnahme und Regel, das eine der zentralen Fragen der Schmittschen Theorie ausmacht, die in ihm den Ursprung der Souveränität ansiedelt.
Gyula Krúdy: Utolsó szivar az Arabs szürkénél, http://epa.oszk.hu/00000/00022/00425/13282.htm (zuletzt am 17.11.2014 aufgerufen).
Carl Schmitt: Politische Theologie, Duncker & Humblot, Berlin, 1979. 11.
Ebda. 20.
Ebda. 44.
Ebda. 49-66
Ebda. 44.
Giorgio Agamben: Homo Sacer, Suhrkamp, Frankfurt/M., 2002. 92f.
Ebda. 119.
Ebda. 28.
In: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften II (Hrsg.: R. Tiedemann/ H. Schweppenhäuser), Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1999. 199.
Ebda. 200.
Ebda. 203.
Walter Benjamin: Gesammelte Schriften I (Hrsg.: R. Tiedemann/ H. Schweppenhäuser), Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1991, 250f.
siehe Fußnote 14
Homo Sacer. 97.
siehe Fußnote 8
Homo Sacer. 28.
Homo Sacer. 31.
Das Ritual des Zweikampfs', das ein Gottesurteil' in menschlichen Satzungen und Statuten zu evozieren hat, wird als Mittel der Wahrheitsfindung, als 'Verfahren der Evidenz' berufen." Vgl. Menke/Schmitt: Am Nullpunkt des Rituals. In: Arcadia, 2005, Vol.40(1). 198. (4.)
Am Nullpunkt des Rituals. 208.
Gleichzeitig scheint der Satz diese Gewalten auch in Beziehung zur Sprache zu setzen. Die politische oder vielleicht eher nackte Gewalt des Kasinos kommt als das Genannte indirekt über die Terminierung und Reglementierung des Duells zur Sprache. Die göttliche Gewalt wird dagegen durch ihren Ausschluss aus der Sprache, aus dem Wort Zweikampf" zu einer Art unmittelbaren Anwesenheit. In gewissem Sinne zeichnen sich hier die von Benjamin unterschiedenen Gewalten ab: die mythische" und die göttliche". Vgl. Zur Kritik der Gewalt. 203.
An anderer Stelle wiederholt der Text, wieder in den Worten des Oberst: […] den sie mir hinstellen, wie eine Zielscheibe beim Militär".
Und lässt die eigene Fremdheit erkennen, die der Oberst erlebt, da er als Mann die spezifischen Bedürfnisse Schwangerer (der Appetit auf Kalk oder Mineralien) nicht haben kann.
Die Gegenüberstellung der Unbeherrschbarkeit körperlicher Bedürfnisse und der Unbeherrschbarkeit der Sprache. Wiederum gibt es einen Bruch zwischen Deixis und Denomination.
Die Aussage des Oberst könnte auch als unwillkürliche Anspielung, als Sprachspiel der Erzählung, nicht der Figur auf das problematische Verhältnis der Figur zu ihrem Befehl gelesen werden. Sozusagen als Kommentar des Erzählers zur Blindheit des Oberst.
Als Rest korrespondiert dieses Mehr" – von der Aussageintention des Oberst aus gesehen – mit dem Bedeutungsüberschuss oder -mangel, den die (falsche) Bezeichnung der Tötung als Duell birgt.
Das aber Hunger", das also einen kreatürlichen Charakter hat.
Der hier scheinbar als Bedeutung an sich figuriert, da die Bedeutung des Oberst" ja offenbar gerade die Nicht-Bedeutung ist. Die Arbitrarität des Zeichens kommt in den Sinn, das an sich nichts bedeutet.
Vgl. Homo Sacer. 39.
Homo Sacer. 93.
Die Gleichsetzung von profanem Hunger und sprachlichem Verlangen" ist möglich aufgrund der paradoxen Struktur der Oberst Figur. Das Paradox enthält oder schafft ein Verlangen, das in zumindest einer seiner Wirkungen der des Hungers gleichkommt: die Unruhe. Die Unruhe (das Stillen) ist in der Entsetzung der Bezüge, der Ortlosigkeit der Bedeutungen angelegt.
Interessant an dieser Szene ist auch das angedeutete Geplänkel um die Masse der Fettgrieben. Das Fassungsvermögen des Magens findet gleichsam seine – vom Fachverstand der Fleischerin festgelegte – Entsprechung in Fettgrieben. Man könnte das als eine Art reine oder vollkommene Bedeutung sehen, die keinen Rest kennt. Vielleicht auch als die Ökonomie des Magens.
politisch liberaler, romantischer Dichter, der, symbolisch betrachtet, in Opposition zum Kasino steht
Vielleicht eine Art musische Triebhaftigkeit, die das Ladenschild mit dem Zigeuner und dem Schimmel andeutet.
Homo Sacer. 119.
In diesem Sinne kann auch der gegen Ende erscheinende (zweite) Fremde" gedeutet werden. Nicht als ein – in Bezug auf den Oberst – Anderer. Sondern als er selbst, als sein Alter Ego, das Ich des Zweikämpfers.
Wobei die zweite als indirekte Rede gelten muss.
Die eigenartige Zeitlichkeit des Satzes, die Zeit zur Hinrichtung", ist beabsichtigt. Sie entspricht dem Originaltext und deutet auf die Performativität der steten Behauptung der Souveränität des Oberst gegenüber seinem vermeintlichen Opfer, auf das Wort als Tat. Mit anderen Worten darauf, dass der Oberst den Journalisten noch im Arabischen Schimmel" hinzurichten" gedenkt oder glaubt.
Die Bedeutung der Kaufkraft birgt die Anekdote um die ehemaligen Offizierskollegen des Oberst, die ihr Abendessen auf Kredit mit einer Sektrechnung garnieren", um sich für den Kredit nicht schämen zu müssen.
Die Szene gibt zudem dem Bier den Status einer mehrfachen Ausnahme. In Bezug auf den Oberst: Einen schönen Krug Bier, - antwortete der Oberst, dabei hatte ihm ein Militärarzt Bier zu trinken wegen seiner Herzklappen untersagt.". Ferner macht János eine Ausnahme, indem er dem Oberst den letzten Rest schalen Biers überlässt, der eigentlich ein Fixposten seiner anekdotisch vorgestellten Rache an einem Widersacher ist. Diese Ausnahme macht er auf Weisung des Wirtes, dessen Autorität die Auseinandersetzung um das Bier entscheidet, indem er – im ungarischen Originaltext – auf Deutsch zwei mal: Gib im" sagt. Obendrein erhält auch die Person des Oberst einen Ausnahmestatus, da der Wirt, der normalerweise ein guter Menschenkenner ist, ihn nirgends zuordnen kann. Vielleicht kann man soweit gehen, zu sagen, dass die Szene als beinahe totale Ausnahmesituation insgesamt selbst auf das Göttliche oder das von der Norm verlassene" Singuläre deutet.
Das Wahnhafte liegt darin, dass der Andere gar nicht anwesend ist. Allein, der Verzehr des pörkölt"-s soll ihm anzeigen, dass er sterben wird. So wird der Verzehr der Speise aber zum Akt der Magie, der die Anwesenheit des Anderen herstellt. Diese Stelle ermöglicht die Deutung des Fremden, der in den Augen des Oberst als sein Gegner erscheint, als Wahnvorstellung und gleichzeitig als das im Befehl anwesende und durch die Behauptung des Henkers isolierte oder verlassene" Alter Ego des Oberst: des Zweikämpfers.
Vgl. den Eindruck János': Der Schankburshce stand sogleich vollständig im Dienste des Oberst, denn in den Worten des Fremden war ein Zauber, dem man tagelang lauschen konnte."
Freilich handelt es sich hierbei um den Prozess des Lesens, also des Deutens, das Unausgesprochene erscheint" im Leser.
Im Ungarischen: Gyerünk a laktanyába". Das Wort laktanya" trägt zwar dieselbe Bedeutung wie kaszarnya" (Kaserne), der lexikalische Unterschied ermöglicht aber gleichsam einen räumlichen Bruch: die Kaserne" des geplanten Duells und die Kaserne" des Fremden könnten – aufgrund ihrer unterschiedlichen Oberfläche (Klang, Wortbild) – verschiedenen Sphären angehören.
Vgl. auch die Identität des Kutschers, der den Fremden fährt: Tatsächlich, die späteren Diskussionen ergaben auch, dass diesen Kutscher hier in der Gegend niemand kennt, obwohl hier, beim Araber jeder Fiaker zu verkehren pflegte, der zu irgend etwas gut war. Selbst dann, wenn dazu ein Umweg gemacht werden musste."
Zugegebenermaßen ist der Übergang des Wortes zur Tat nicht nachvollziebar, sein Kennzeichen ist die Plötzlichkeit, die in der Begegnung der Blicke auch genannt wird: als sein Blick unerwartet dem […] Gesicht des Oberst begegnete…", aber auch die Stille, also die Bedeutungsleere (oder der Überschuss?): …als der Oberst […] mit einem stillen, finsteren Gesicht einwarf: Das Gläschen bezahle ich dann.", vielleicht eine Art bedeutsames Nichts. Trotzdem erscheint die Tat des Oberst nicht als zufällig, sondern als notwendig.
Interessant ist hier der Fokus auf den Beinen des Kutschers, der Zweigliedrigkeit" sowie die Notwendigkeit zweier Pálinkas zum Sprechen. Das Vereinende der Kutscher-Figur, das den Moment des sich begegnenden Blicks von Oberst und jungem Mann zu wiederholen scheint.
In der Budapester Szvetenay-utca (heute: Lenhossék utca) war früher das Leichenschauhaus. http://epa.oszk.hu/00000/00003/00026/fabri.html (letzter Aufruf 17.11.2014)
Alles, was der Oberst von dem Journalisten weiß, ist ihm gesagt worden. Darüber hinaus gibt es keine Verbindung zwischen den beiden Figuren. Die Worte des Oberst machen" den Gegner.
siehe Fußnote 1.
siehe Fußnote 20.


1


Das Paradox der Ausnahme – Theorien der Souveränität in Bezug auf Gyula Krúdys Utolsó szivar az Arabs szürkénél"

Exception and Paradox – Theories of sovereignty in Gyula Krúdys Utolsó szivar az Arabs szürkénél"








Bachelorarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Arts (B.A.)
im Fach Ungarische Literatur und Kultur










Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät II
Institut für Slawistik



eingereicht von Merten Both
geb. am 03.01.1975
in Räckelwitz



1. Gutachter/in: Professor Csongor Lőrincz
2. Gutachter/in Professor György Eisemann






Berlin, den 17.11.2014




Inhaltsverzeichnis



Erster Teil 4
Die Erzählung inhaltlich und formal 4
Die theoretischen Texte zum Ausnahmezustand 6

Zweiter Teil 11
Souveränität per Autorität: das Todesurteil 11
Leere, Mehrdeutigkeit – Effekt der souveränen Entscheidung: der Ausnahmezustand 12
Die Fiktionalität des Textes: das Sprachspiel 14
Der Befehl als Rätsel: die Paradoxie des Befehls 15
Der Oberst 19
Der Arabische Schimmel" – die Ökonomie des Paradox 27
Das Sich-Versprechen des Anderen 29
Zur Rhetorik der Souveränität" 31
Die Stillung 34

Zusammenfassung 41

Literaturverzeichnis 43


Einleitung

Das unlösliche Verschwimmen der feindlichen Elemente ineinander', das ist eben der wahre Charakter alles Lebendigen; jedes Daseiende birgt seinen Gegensatz; das pulsierende Leben besteht in der fortwährenden Durchdringung der entgegengesetzten Kräfte; und in der Tat sind sie erst wirklich entgegengesetzte, wenn man sie aus dem Leben herausschneidet'". Diese Sätze, die aus der Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von Lorenz von Stein stammen und die Carl Schmitt in seinem Buch Politische Theologie zitiert, könnten das (vielleicht ironische) Motto der 1927 in der Literaturzeitschrift A Nyugat erschienenen Erzählung Utolsó szivar az Arabs szürkénél (Letzte Zigarre im Arabischen Schimmel) von Gyula Krúdy bilden. Dabei ist es ebenso wenig ein Zufall, dass Schmitt Stein zitiert, wie Steins Sätze auf den literarischen Text bezogen werden können. Die Identität, die alle drei Texte – mehr oder weniger – miteinander teilen oder zumindest berühren, ist der Ausnahmezustand oder die Ausnahme. Unter Zuhilfenahme weiterer theoretischer Texte, dem Homo Sacer von Giorgio Agamben sowie Ursprung des deutschen Trauerspiels und Zur Kritik der Gewalt von Walter Benjamin soll der literarische Text Gyula Krúdys hinsichtlich dieser Identität gelesen werden, die er – und das ist zugleich die These dieser Arbeit – sozusagen umfassender beschreibt oder vielmehr: die seine Struktur in einer Weise prägt, dass die Punkte, die die einzelnen theoretischen Texte berühren gleichsam vom literarischen Text zusammengefasst, in ihm konzentriert werden, ja dass es sich bei Utolsó szivar az Arabs szürkénél um eine Art versprachlichten Ausnahmezustand, ein auf der Ebene der Sprache sich entfaltendes Paradox handelt. Die Theorie soll den literarischen Text beleuchteten, jedoch ohne eine Art interpretative Norm zur Anwendung zu bringen. Der Erzähltext soll in keiner Weise den Beweis antreten, dass die genannten theoretischen Texte wahr oder falsch wären. Umgekehrt soll der literarische Text aber auch nicht anhand der Theorien auf die Tragfähigkeit seiner von ihm beschriebenen Realität geprüft werden. Eher sollen die Gedanken der Theorie die Interpretation anregen.

Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil sollen die genannten theoretischen Texte auf das Wesentliche beschränkt vorgestellt werden, gleichsam als die Punkte, an denen der Interpretationshorizont des literarischen Textes aufgespannt wird. Eine kurze Charakterisierung der Thematik und der Sprachlichkeit der Krúdy-Erzählung soll das Verständnis des zweiten Teils dieser Arbeit erleichtern.
Der zweite Teil ist der Analyse der Erzählung im Horizont der vorgestellten Theorien gewidmet. Es ist der Hauptteil der Arbeit, und zugleich die Grundlage der Zusammenfassung, die die eingangs genannte These kritisch verhandelt.

Noch ein Wort zum Quellenmaterial. Der Erzähltext liegt auf Deutsch leider nur in einer fehlerhaften Übersetzung vor. Alle Zitate aus diesem Text sind daher Übersetzungen des Autors dieser Arbeit. Der ungarische Originaltext stammt aus der Magyar Elektronikus Könyvtár; leider fehlen bei dieser Quelle die Seitenzahlen. Ich habe mich dennoch für diese Quelle entschieden, um den Zugang zu dem relativ kurzen Text unkompliziert zu gestalten.


Erster Teil

Die Erzählung inhaltlich und formal

Will man Gyula Krúdys Erzählung thematisch fassen, müsste man von der Geschichte eines Ehrenhandels zwischen der elitär-aristokratischen Institution des Kasinos" und einem Journalisten reden, wenn man so will, einem Vertreter demokratischer Öffentlichkeit, der einen aus der Sicht des Kasinos beleidigenden Artikel hat drucken lassen hat. Interessanterweise begnügt sich das Kasino aber nicht damit, Satisfaktion von dem Journalisten zu verlangen. Der Repräsentant und Zweikämpfer, den das Kasino einsetzt – ein Oberst a.D." –, gilt nämlich als der beste Schütze des Landes. Der Ausgang des Duells soll beschlossene Sache sein: der Journalist muss sterben. Das so bedingte Duell gleicht viel eher einer Hinrichtung als einem Zweikampf. Der Text scheint die Ungeheuerlichkeit eines Auftragsmordes zu erzählen, der als Duell, d.h. als zwar gewaltsame, jedoch mehr oder weniger faire und gleichsam dem Wirken Gottes, den Unwägbarkeiten des Zweikampfes unterworfene Auseinandersetzung verschleiert werden soll. Doch das Duell – und auch die Erzählung – endet nicht mit dem Tod des Journalisten. Der Oberst stirbt. Eine Art Bericht seines Todes bildet den Schluss der Erzählung. Das Wirken Gottes, das durch die besondere und – von Seiten des Kasinos – intentionale Konstellation des Zweikampfes ausgeschlossen werden sollte, scheint am Ende zu seinem Recht" zu kommen. Die Hybris der Herren" des Kasinos scheint bestraft, die Souveränität, die das Kasino sich selbst zuspricht, von der sie gleichsam ausgeht, erweist sich als illusionär.

Doch es gibt im Krúdy-Text ein Element, das auf einer weiteren Ebene in Verbindung mit den genannten Texten steht. Man könnte vielleicht sagen, dass die Sprachlichkeit der Erzählung von einer starken Poetizität geprägt ist. Ihre Sätze oder sprachlichen Einheiten bilden in ihrer besonderen Bezüglichkeit einen metaphorischen Sinn. Ja, die sprachliche Oberfläche des Textes, seine Textur, das besondere Verwobensein der Wörter bildet neben dem Wortsinn oder Inhalt einen weiteren, geschehnishaften Sinn.

Der erste Satz der Erzählung soll diese Behauptung illustrieren: Der Oberst hatte heute einen Menschen zu erschießen, er war dazu vom Kasino berufen worden, nachdem die Herren ihre Entscheidung im Englischen Zimmer gefällt hatten, das seinen Namen dem Besuch des Herzogs von Wales verdankte." Der angesprochene Komplex von Recht und Gesetz bzw. die juristische Ausnahme, die das autoritär und unter Abwesenheit des Verurteilten gefällte Todesurteil schafft, sind zusammen mit der durch das Urteil (Entscheidung) geschaffenen Souveränität des Kasinos in Bezug auf den Verurteilten relativ evident. Im Verborgenen oder zwischen" den Sätzen entfaltet der Satz aber genau jenes Geschehen, das seine eigentliche oder wörtliche Bedeutung erweitert oder beeinträchtigt. Das Verhältnis von Bezeichnung und historischem Index des Ortes oder Zimmers", in dem die Entscheidung fällt, birgt eine Differenz, Bezeichnung und Bezeichnetes decken sich nicht. Denn der historische Fakt des Besuches des Herzogs von Wales soll dadurch eine Würdigung erfahren, dass er mit einem Namen bezeichnet wird, der ihn gar nicht nennt: das Englische Zimmer". Dieser Inkongruenz entspringt die eigentümliche Dynamik des Satzes: die Bezeichnung Englisches Zimmer" verliert in der Konfrontation mit dem Index des von ihr Gemeinten (des Zimmers), der historischen Tatsache des Besuchs des Herzogs von Wales, ihren würdigenden Charakter. Die Absicht der Würdigung wird als Spott, der der Effekt der geographischen Unstimmigkeit ist, sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Bezeichnung und Bezeichnetes fallen über das Moment des Ortes (des Zimmers), der als das Gemeinte der Bezeichnung einerseits, andererseits als eine Art Spur der historischen Tatsache oder als Objekt seines historischen Index ihren gemeinsamen Bezug bildet einer Spaltung anheim. Denn gerade als gemeinsamer Bezug bindet der Ort auch die Widersprüchlichkeit oder Inkongruenz, die der Satz birgt aneinander. Der Effekt dieses integrierenden Ausgeschlossenseins – der gespaltenen Einheit – ist eine Art Verlangen: das Verlangen der Bezeichnung nach dem Bezeichneten (nach einer Referenz) und umgekehrt das Verlangen des Bezeichneten nach der Bezeichnung. Die ursprüngliche Widersprüchlichkeit dieses Verlangens bedeutet in Bezug auf jedes einzelne seiner Glieder aber immer auch die Schaffung einer Art sprachlichen Rests. Denn das Verlangen der einzelnen Glieder muss das jeweils andere – gerade oder wieder aufgrund der Widersprüchlichkeit, die ihre Gemeinsamkeit bildet – gleichsam vernichtend in eine Art absolute Bedeutungslosigkeit drängen, um als Geltung gestillt werden zu können. Das heißt aber, dass dieses Verlangen nie gestillt werden kann. Denn die Widersprüchlichkeit des Satzes kann nicht aufgehoben werden und blockiert die Stillung immer in dem Moment, da Bezeichnung und Bezeichnetes (oder: Rest und Rest) einander gleichsam begegnen. Dieses blockierte Verlangen entspricht als Bewegung einem Oszillieren, das auf den sprachlichen Sinn übertragen nichts anders als die Unentscheidbarkeit von Bedeutung oder: Mehrdeutigkeit ist. – Diese paradoxe Dynamik bildet das sprachliche Geschehen des Satzes und letztendlich die besondere Poetizität der Erzählung. Anders ausgedrückt: die Poetizität stellt eine Art Ausnahmezustand der Sprache dar, in dem sie gleichsam entkleidet oder gereinigt" wird, wo – als Zustand – eine Art bloße Sprache geschaffen wird.


Die theoretischen Texte zum Ausnahmezustand

Die Politische Theologie Carl Schmitts problematisiert die politische Souveränität. Sie beginnt mit dem berühmten Satz: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Dieser Satz impliziert nicht nur eine gewisse Machtbefugnis oder ein gewisses Gewaltmonopol; die souveräne Entscheidung scheint Ausnahme und Regel (oder Norm) ebenso voneinander zu trennen wie sie sie vereint. Ein besonderes aufeinander Angewiesensein deutet sich an, das die Ausnahme erst zur Ausnahme, die Regel erst zur Regel macht: In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muß, in der Rechtssätze gelten können. […] Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muß hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muß eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zustand wirklich herrscht. […] Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. […] Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht." Norm und Ausnahme werden in der Entscheidung darüber, was die Norm ist bzw. was nicht Norm ist, auf den Souverän übertragen. Er vereint als der Ursprung dieser Entscheidung Ausnahme und Norm (oder Recht) in sich. Der Souverän" bildet mit seiner Entscheidung das Moment, das die Widersprüche von Ausnahme und Regel aneinander bindet, er ist ihr Gemeinsames.
Interessanterweise entwickelt Schmitt das Problem der Souveränität aber nicht aus der Perspektive dieser Dynamik, sozusagen nicht von seinem Ursprung her. Seine Arbeit interessiert freilich auch vor allem die rechtliche Begründbarkeit oder Nicht-Begründbarkeit politischer Souveränität. Ihre Perspektive geht zwar vom Subjekt der souveränen Entscheidung aus, betrachtet das Problem aber gleichsam von außen.
Ausnahmezustand meint die Außerkraftsetzung geltenden Rechts. Bei der Frage, wer derjenige sei, der diese Entscheidung treffen darf, d.h. die Frage nach der Legitimität der Entscheidung taucht bei Schmitt der Begriff der Kompetenz" auf. Darüber, wie diese Kompetenz sich kenntlich machen und sozusagen an die Stelle des Entscheidenden setzen kann schweigt er sich aber weitesgehend aus. Er unternimmt vielmehr den Versuch, die souveräne Entscheidung historisch zu legitimieren, indem er die Frage der Kompetenz davon abhängig macht, ob eine Entscheidung im Weltbild einer Zeit genügend Evidenz hat, ob sie eine metaphysische Geltung hat (d.h. ob sie geglaubt werden kann?). Das heißt aber, dass letztlich eine gewisse Notwendigkeit der Geschichte eine Autorität einsetzen würde, die nun automatisch befugt oder berechtigt ist, bzw. die einfach, Kraft ihrer kompetenten Autorität, über den Ausnahmezustand entscheiden kann, wobei sie im Moment dieser Dezision" wiederum als Souverän bestätigt wird. Er zitiert Hobbes: Autoritas non veritas facit legem." Die Souveränität ergibt sich – durch den Glauben – als historische Notwendigkeit. Strukturell hat sie aber keine Begründung, sie ist nicht mehr als eine – performative – Behauptung aus dem Nichts heraus, die – laut Schmitt – den Souverän gleichsam macht.

Girorgio Agamben hat mit seinem Homo Sacer auf die PT Carl Schmitts Bezug genommen. Die Performativität der Dezision bleibt auch bei Agamben bestehen, die Entscheidung über den Ausnahmezustand fällt auch bei ihm unbegründet (autoritär und nicht legitim), in einem rechtlichen Nichts sozusagen, das durch sie aber erst geschaffen wird. Agamben sieht aber die Wirkung dieses rechtlichen Nichts. Er erkennt darin die Schaffung eines nackten" Lebens, das tötbar" aber nicht opferbar" ist. Dieses von ihm auch heiliges" Leben genannte Leben ist aber laut Agamben der eigentliche Bezugspunkt des (politischen) Rechts. Aus ihm schöpft es seine Kraft. Er entdeckt im Ausnahmezustand ein Beziehungsverhältnis, eine Relation, die er Bann" nennt. Sie verbindet die Souveränität mit dem nackten Leben" des Homo Sacer, indem die Souveränität ihn im Ausnahmezustand vom Recht ausschließt. Das Recht verlässt" ihn. Diese Verlassenheit ist aber – als Verbindung von Souveränität und nacktem Leben – ein paradoxes einschließendes Ausschließen: Es ist nicht die Ausnahme, die sich der Regel entzieht, es ist die Regel, die, indem sie sich aufhebt, der Ausnahme stattgibt [Ort gibt]; und die Regel setzt sich als Regel, indem sie mit der Ausnahme in Beziehung bleibt. Die besondere Kraft des Gesetzes rührt von dieser Fähigkeit her, mit einem Außen in Beziehung zu bleiben." Interessant an dieser Formulierung ist, dass sie von einer Fähigkeit" der Regel (des Rechts) spricht. Hier wird nämlich die Frage aufgeworfen, ob nicht der Effekt des Paradoxons auf eines seiner Glieder übertragen wird? Denn muss es nicht als die Fähigkeit" des Paradoxons gelten, eine unmögliche – ausschließend einschließende – Beziehung zu schaffen und aufrechtzuerhalten? Ist diese Fähigkeit" nicht das Paradox per se? Dann müsste es aber auch die Fähigkeit" des nackten Lebens" sein, in Beziehung mit etwas, dass außerhalb von ihm ist, zu bleiben. Dann bannt" auch das nackte Leben" die Regel", verlässt" sie und weist ihr sozusagen ihren eigentlichen" Ort zu. – Der Bann scheint weniger von der sich abwendenden, das Andere verlassenden Regel auszugehen, als dass vielmehr die Performativität (die Gewalt) der souveränen – autoritären – Entscheidung, die im Nichts und aus dem Nichts sozusagen gewaltsam gefällt wird – die Paradoxie beinhaltet, die sich in den Zustand, den sie – die performative souveräne Entscheidung – schafft, einschreibt, und der vielleicht gerade aufgrund seiner Paradoxie Ausnahmezustand genannt werden muss. Oder besser: ist es nicht die entsetzende, weil Recht und Leben (also die Bedeutung des Rechts zerstörende) voneinander trennende performative Gewalt der souveränen Entscheidung (was als Vermischung das Gegenteil einer trennenden Entsetzung wäre), die sich im Ausnahmezustand als die Kraft manifestiert, die, als potentieller Tod, das Getrennte wieder vereint ( entscheidet")?
In diesem Sinn würde der Ausnahmezustand die Befreiung des Todes als Potenz und damit als Leben bedeuten; der Ausnahmezustand wäre nun die gegenseitige Bannung von Leben und Tod durch die Befreiung von Gewalt. In der Entblößung dieser Instanzen (Leben, Tod, Gewalt) offenbart sich aber auch ihre Unbeherrschbarkeit. Mit anderen Worten vielleicht ihre Göttlichkeit. Der Ausnahmezustand wäre ein Zustand des an Gott ausgeliefert Seins, in dem sowohl der sogenannte Souverän als auch die von seiner Entscheidung betroffenen nackt" sind.

Walter Benjamin hat in seinem Aufsatz Zur Kritik der Gewalt und seiner Habilitationsschrift Ursprung des deutschen Trauerspiels das Thema des Ausnahmezustandes und der Souveränität von einer Seite oder einem Standpunkt aus betrachtet, der – aus Sicht dieser Arbeit – sozusagen ergänzende Wahrnehmungen erlaubt. In Kritik der Gewalt unterscheidet er zwei Sphären der Gewalt: die mythische Gewalt" (die Sphäre des – grob gesagt – durch die Organe Exekutive, Legislative, Judikative politisch organisierten – und organisierbaren – Lebens), die er mit der Rechtsgewalt identifiziert: Weit entfernt, eine reinere Sphäre zu eröffnen, zeigt die mythische Manifestation der unmittelbaren Gewalt sich im tiefsten mit aller Rechtsgewalt identisch…" und die göttliche Gewalt (die unbeherrschbare, sich entziehende, undurchschaubare Sphäre, die im Bezug zur Seele" steht). Diese Unterscheidung ermöglicht evtl. die Betrachtung des Ausnahmezustandes als eine Art – politisch – nicht mehr beherrschbare Freisetzung des Lebens, als das uneingeschränkte Walten" Gottes. Von diesem geschehnishaften Zustand (?) bleibt aber auch jede politische Souveränität nicht unbeeinträchtigt. Entsprechend äußert sich Benjamin auch über die Figur des Fürsten in Ursprung des deutschen Trauerspiels. Der Souverän ist bei ihm im Gegensatz zu Schmitt weniger der autoritäre Entscheider über den Ausnahmezustand als vielmehr die tragische Figur, deren souveräne Entscheidung gleichzeitig ihr Ende bedeuten kann, und die aus diesem Grund den Ausnahmezustand vor allem zu vermeiden bestrebt ist. Das Kennzeichen des Souveräns ist seine Entscheidungsunfähigkeit: Der Fürst, bei dem die Entscheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, daß ein Entschluß ihm fast unmöglich ist. [Er ist der] jähe[n] Willkür eines jederzeit umschlagenden [Oszillieren] Affektsturms [ausgeliefert] Denn nicht Gedanken, sondern schwankende physische Impulse bestimmen [ihn]". Der Fürst vereint den Gegensatz von mythischer und göttlicher Gewalt in sich. In dieser Vereinigung tritt aber – neben seiner absoluten Macht – sowohl sein kreatürlicher Charakter zu Tage ( schwankende physische Impulse" – Appetit) als auch die Möglichkeit göttlichen Waltens. Die Entscheidung, die ihm obliegt, bleibt also nicht ohne Wirkung auf ihn selbst; seine Souveränität geht in dem Moment verloren, in dem er sie – im Schmittschen Sinne – ausübt. Die Texte Benjamins erschließen das Wirken oder Geschehen des Ausnahmezustandes im Vergleich zu den Texten Schmitts und Agambens umfänglicher, da sie den Souverän als innerhalb des Ausnahmezustandes, den er per Entscheidung entweder schafft oder verhindert, betrachten. In ihnen kommt das Paradox als Zentrum des Ausnahmezustandes vielleicht am deutlichsten oder: am konkretesten zum Vorschein: als das Oszillieren schwankender physischer Impulse", die als letzte Instanz die souveräne" Entscheidung bestimmen.

Zusammenfassend und sehr grob könnte man vielleicht sagen, dass Schmitt die Wirkung der Entscheidung über den Ausnahmezustand als eine Art Voraussetzung der Schaffung politischer Autorität bzw. Souveränität versteht. Er sieht den Souverän als denjenigen, der Gebrauch von dieser Entscheidung macht. Er vernachlässigt aber ihre Effekte. Giorgio Agamben greift diese Effekte auf und projiziert sie auf eine Art Subjekt-Objekt-Beziehung. Er stellt damit vor allem den Recht setzenden bzw. das Recht entziehenden Effekt der souveränen Entscheidung dar, wobei er Subjekt und Objekt aber als eine Art Täter und Opfer darstellt, die über den Ausnahmezustand quasi verfügen bzw. unter ihm leiden. Benjamin zeigt, dass der Ausnahmezustand auch den Souverän betrifft, dass sein Schalten" ihn gleichsam – über den Körper – dem Walten" Gottes ausliefert.

In welchem Zusammenhang stehen diese Aspekte des Ausnahmezustandes, der Souvernität mit dem Erzähltext? Welche Strukturen manifestiert der Text, und inwiefern können sie in Verbindung zu den genannten theoretischen Texten gebracht werden? Darauf zu antworten soll im Folgenden versucht werden.


Zweiter Teil

Souveränität per Autorität: das Todesurteil

Bevor näher auf den Erzähltext eingegangen wird, noch ein paar Worte zu der Situation, die der erzählten Gegenwart zugrunde liegt, und über die der Text nach und nach und fast über seine ganze Länge informiert. Wie schon im ersten Teil gesagt, bildet ein Ehrenhandel den Ausgangspunkt der erzählten Geschichte. Ein über seine Essgewohnheiten und seine finanzielle Situation hinaus nicht näher beschriebener Journalist hat einen Artikel veröffentlicht, den das Kasino" als beleidigend wahrnimmt. Dieses Kasino ist eine Art elitär-aristokratischer Klub, dem anzugehören dem Adel vorbehalten ist. Sein Herrschaftsanspruch ganz im Sinne von Michel Focaults Feststellung, wonach [e]ines der charakteristischen Privilegien der souveränen Macht […] lange Zeit das Recht über Leben und Tod [war]" manifestiert sich in der Reaktion auf die öffentlich beleidigenden Worte des Journalisten: sein Leben muss ausgelöscht werden. Interessanterweise soll dieser Forderung Geltung verschafft werden, indem der Journalist zum Duell gefordert wird. Das Kasino beruft" für diese schwierige Aufgabe den besten Schützen des Landes", den Oberst P.E.G. a. D.", der der Berufung im autoritär-hierarchisch organisierten Kasino ohne weiteres Gehorsam leistet. Diese Ausgangssituation bildet mit ihrer speziellen Dramatik die motivische Klammer, in der die Erzählung steht: einerseits stehen Wort und Tod, Sprache und ultimativer Fakt gegeneinander, andererseits bildet der Gehorsam des Oberst eine Art direkte Verbindung gerade von Sprache und Faktizität.

Der erste Satz der Erzählung lautet: Der Oberst hatte heute einen Menschen zu erschießen, er war dazu vom Kasino berufen worden, nachdem die Herren ihre Entscheidung im Englischen Zimmer gefällt hatten, das seinen Namen dem Besuch des Herzogs von Wales verdankte." Die Ungeheuerlichkeit der Tötung eines Menschen stellt also nicht mehr dar, als eine Entscheidung und einen Vollstrecker. Dabei tut es der Ungeheuerlichkeit keinen Abbruch, dass die Auftraggeber der Tötung die Mitglieder des elitär-aristokratischen Kasinos sind, das zudem in einem international Zusammenhang steht. Das Todesurteil beruht allein auf der expliziten Entscheidung des Kasinos (auch der weitere Text liefert keinen Hinweis auf irgendeine Art juristischen Verfahrens), deren Konsequenz ein Mord wäre: die Tötung wäre gerade als Gesetzesübertretung oder als Ausnahme vom Gesetz ungeheuerlich. Interessant ist die Opposition, die die Ungeheuerlichkeit des Tatbestandes und der die Kausalität simplifizierende Modus des Saloppen (Entscheidung-Vollstreckung-Tod) bilden. Als Index des Subjekts der Entscheidung vereint sich die Leichtigkeit des Saloppen nämlich mit der ihr – aus dem Blickwinkel der Moral gesehen – widersprechenden Ungeheuerlichkeit und verleiht" so dem Subjekt (dem Kasino) den Status der Unantatsbarkeit. Diese Metaphorik deutet die o.g. Züge der Souveränität an, die Carl Schmitt dargestellt hat, insbesondere der Souveränität, die Schmitt bei Hobbes findet: Autoritas facit legem non veritas". Betrachtet man nur das Verhältnis von Kasino und Journalist könnte man also aufgrund des Todesurteils und wie es gefällt wurde von einer – zumindest angestrebten – Souveränität des Kasinos in Bezug auf den Journalisten sprechen. Die Tötung des Journalisten wäre der Ausnahmefall, in dem sich das Kasino zum Souverän erhebt.

Leere, Mehrdeutigkeit – Effekt der souveränen Entscheidung: der Ausnahmezustand

Die Überlegenheit des Kasinos in Bezug auf den Journalisten ist aber zunächst nichts als eine Behauptung. D.h. sie ist sprachlicher Natur. Einerseits ergibt sich aus dieser Behauptung die Dynamik der Text-Handlung, der Text strebt nun gleichsam selbst nach dem Tod bzw. macht sie auch Hoffnung auf das Über-Leben des Journalisten. Andererseits birgt dieselbe Behauptung aber in Bezug auf das Kasino eine gewisse Mehrdeutigkeit, denn die Potentialität oder Unentschiedenheit des Verhältnisses Kasino-Journalist, aus dem sie hervorgeht, kontaminiert gleichsam den Status des Kasinos: es ist gleichzeitig überlegen und nicht überlegen, souverän und nicht souverän.
Der letzte Satzteil, der auch die Besonderheit des Satzes ausmacht, die bereits angesprochene falsche Bezeichnung eines historischen Faktes, scheint diese Potentialität aufzugreifen. Die Deckungsungleichheit der Bezeichnung Englisches Zimmer" und der historischen Tatsache des Besuchs des Herzogs von Wales", dem Index des Zimmers" entfaltet die oben beschriebene Mehrdeutigkeit.
Betrachtet man den Ort selbst, wird deutlich, dass auch er der beschriebenen Spaltung anheim fällt bzw. dass er gleichsam dem ambivalenten Verlangen des Englischen Zimmers" und des Besuchs des Herzogs von Wales" ausgesetzt ist. Einerseits drängt" ihn dieses Verlangen sozusagen in die Dimension der erzählten Geschichte; andererseits in die Dimension des Fiktiven (der Fiktion in der Fiktion) oder sogar der Sprache selbst, gleichsam der reinen Sprache. Da diese Mehrdimensionalität nicht entscheidbar ist, wird der Ort selbst gleichsam auch verdoppelt. Das Urteil wird gleichzeitig im Englischen Zimmer" und an dem Ort gefällt, den der Herzog von Wales besucht hat. Und freilich bleibt diese Verdoppelung oder Spaltung auch für das Kasino selbst nicht ohne Folgen; man muss nun sagen, dass das Urteil zwiefach aus den zwei Mündern eines ebenso verdoppelten Kasinos erklingt (oder als Echo des jeweils anderen widerhallt). Damit wird aber auch die eingangs erläuterte Opposition salopp-ungeheuerlich verunsichert. Die drohende oder behauptete Tötung, die die souverän-autoritäre Entscheidung – das Todesurteil – gebracht hat, ist nicht mehr verortbar. Sie ist zugleich historisch (innerhalb der Erzählung), also echt", wie sie auch rein sprachlich, ja sprachspielerisch, sozusagen doppelt fiktiv oder, in Bezug auf die Echtheit", in gewisser Weise zeitlos-unwirklich, ja nichtig ist. Ihr fehlt das Gewicht, während sie ungeheuerlich ist. Auf diese beiden Glieder des Geschehens muss sich aber auch ihre Präsentation, der Modus beziehen. Im Bezug auf das Sprachspiel könnte man die simple Kausalität des Saloppen durchaus als treffend, sogar als redundant bezeichnen, in Bezug auf eine faktische Tötung ist sie weiterhin spannungsvoll-unpassend oder eine Opposition zur Ungeheuerlichkeit. Da beide Bezüge aber gleichzeitig bestehen (müssen), wird nun auch der Status des Kasinos verdoppelt. Es ist zugleich unantastbar oder souverän und – eine Spielfigur im Spiel der Sprache: ausgeliefert.
Es ist diese paradoxe – weil unentscheidbare – Gegensätzlichkeit, die letzlich die Metaphorik des Satzes ausmacht, die eigentlich seine Poetizität bildet. Der Satz schafft einen absolut ausgelieferten Souverän und eine Art freies" Opfer. Er bindet die Sphären des zeitlich-endlichen und des zeitlos-unendlichen aneinander, indem er zugleich von einer Geschichte" und von der Sprache selbst kündet. Anders ausgedrückt, befinden sich sowohl das Kasino (als fiktiv-historisches Subjekt) wie auch der Satz selbst (und der gesamte Text, wie sich zeigen wird) in einer Art Ausnahmezustand. (Die Erzählung ist denn auch voll von Ausnahmen, sie scheinen diesem doppelten Ausnahmezustand zu entspringen – einige Beispiele: Der Oberst trinkt ein Bier, obwohl sein Arzt ihm das Biertrinken untersagt hat. Dieses Bier bildet sodann aus der Sicht des Schankburschen János, der es dem Oberst nur auf Weisung des Wirtes serviert, eine weitere Ausnahme. Es ist der Bodensatz des Fasses, den er tagtäglich, regelmäßig für einen Kontrahenten reserviert. Eine weitere Ausnahme, sogar eine Art Ausnahmezustand selbst scheint die spezielle Verfasstheit des Augenblicks, in dem die erzählte Geschichte ihren Lauf nimmt, der Nachmittag im Arabischen Schimmel" darzustellen, wo beim Kartenspiel der Stammgäste das Warten auf die reguläre Kundschaft eine Art Unterbrechung des Alltags und der Arbeit bedeutet, gleichsam eine universelle Ausnahme. Nicht zuletzt kann der Oberst selbst als Gast im Arabischen Schimmel" aufgrund seiner seltsamen Gelüste und seines sonderbaren Verhaltens auch als Ausnahme bezeichnet werden.)
Der erste Satz der Erzählung birgt also eine Art Dekonstruktivität, die als Effekt die Unentscheidbarkeit der Bedeutung hat. Damit bildet er die von Agamben Schwelle" genannte Sphäre, in der der Ausnahmezustand sich entbirgt: Das Besondere der Situation, die im Ausnahmezustand geschaffen wird, besteht nun darin, dass sie weder als faktische noch als rechtliche Situation bestimmt werden kann, sondern dazwischen eine paradoxe Schwelle der Ununterschiedenheit errichtet".

Anders ausgedrückt, etabliert sich die Sprache selbst oder eine Art reine (mehrfach referenzierbare) Sprache als mögliche Daseinsform des Satzes, d.h. der Satz bezieht sich nur auf sich selbst, auf die Sprache oder das Sprachliche. Da die Sprache aber, wie Agamben festgestellt hat, sich als reine Potenz der Bezeichnung" in einem permanenten Ausnahmezustand befindet", kann man sagen, das letztlich der Ausnahmezustand die Norm oder das Gesetz des Satzes ist. Der Ausnahmezustand, die Entsetzung der Regeln, ist sein – paradoxer – Sinn. Er schafft als Geschehen eine Art Verlangen, das aber auch für die Handlung relevant wird.

Die Fiktionalität des Textes: das Sprachspiel

Sucht man nach dem Ursprung des Ausnahmezustandes als gleichsam universeller Ausnahmezustand, als Zustand, der den gesamten Text betrifft, fällt auf, dass die Entscheidung über die Tötung des Menschen", des Journalisten nur zum Teil als Ursache in Betracht kommt. Das Todesurteil kann nicht als der Akt geltend gemacht werden, der den sprachlichen Ausnahmezustand setzt, der der Text letztlich ist. Der Fakt der Entscheidung schafft – als Fakt –, wie man gesehen hat, zwar hinsichtlich des Kasinos eine Art Souveränität in Bezug auf den potentiell toten Journalisten. Der sprachliche Effekt der souveränen Entscheidung, der konsequenterweise auch den – potentiellen – Souverän sozusagen im universellen Ausnahmezustand verortet, wird aber erst durch einen weiteren Akt, der performativen Setzung des historisch walisisch" indizierten Zimmers als englisches Zimmer", einer rein sprachlichen Handlung (mutmaßlich des Kasinos), im Satz wirksam. Betrachtet man diese Kausalität von der Geschichte des Erzählten her, offenbart sich die problematische Vorgängigkeit dieses Bezeichnungsaktes. Das Zimmer heißt schon Englisches Zimmer", als die Entscheidung fällt. Muss das Kasino zum Zeitpunkt der Entscheidung als bereits im Ausnahmezustand befindlich betrachtet werden? Als eine Art historisch etablierter Souverän durch autonom-autoritäres sprachliches Handeln? An diesem Punkt laufen zwei zeitliche Perspektiven zusammen: die Zeit des Erzählten (die bezeichnete Zeit) und die Zeit des Textes (die Zeit des Lesens). Diese problematische Verknüpfung deutet auf ein Problem der Kausalität: wo liegt die Ursache des autonom-performativen sprachlichen Handelns des Kasinos? Es scheint nicht ganz falsch zu sein, den Grund für dieses Problem in der spezifischen Sprachlichkeit der Erzählung zu suchen. Die Hinrichtungsszene des ersten Satzteils mit dem Oberst als Figur des Vollstreckers und das Wort des Tötungsauftrags aus dem Mund" des Kasinos bilden die bereits beschriebene (politisch-juristische) Ausnahmesituation. Deren Implikationen (grob: die Potenzialität) exekutiert die Erzählung durch die Bezeichnung des Entscheidungsortes dann gleichsam sprachlich. Die Ursache würde also nicht in der Figur des Kasinos liegen, sondern im Satz selbst, eine kausale Beziehung existiert demnach nur auf der reinen Textebene, sozusagen in der Textur des Satzes. Der Text offenbart im ersten Satz seinen Status als Sprachspiel. Der Satz hebt die Potenzialität des Ausnahmezustandes per Autorität des Erzählers – der seine Worte dem Kasino quasi in den Mund legt" – gleichsam auf die Textebene. Der Text will kein Bericht einer Art politischen Ausnahmezustandes sein, den eine souveräne Entscheidung geschaffen hat. Er selbst ist dieser Ausnahmezustand

Der Befehl als Rätsel: die Paradoxie des Befehls

Wie überträgt sich diese Potentialität – die Sprachlichkeit der behaupteten Souveränität – auf den gesamten Text, oder besser: wie wird diese Potentialität nun handlungsrelevant? Der Oberst soll das Todesurteil vollstrecken. Wie bereits angedeutet, wird es aber keine Hinrichtung geben. Der Oberst ist berufen, die Vollstreckung des Todesurteils – die Hinrichtung – in einem Zweikampf zu vollziehen: Das Duell wird am Nachmittag in einer Kaserne stattfinden, der Beleidiger des Kasinos darf den Schauplatz nicht lebend verlassen." Und einige Zeilen weiter: […] der Zeitungsschreiber, dessen Todesurteil man im Englischen Zimmer des Kasinos gefällt hatte, und das der beste Schützen des Landes vollstrecken sollte […]". Der Auftrag des Oberst lautet ab dem zweiten Satz also – unvermittelt oder plötzlich –, den Anderen in einer Zweikampfsituation zu töten. Man könnte nun vom Zynismus des Kasinos reden, das den bevorstehenden Mord im Gefühl der absoluten Überlegenheit damit zu rechtfertigen oder vielmehr zu kaschieren gedenkt, dass der Tod des Gegners letztendlich ja aufgrund einer Art Gottesurteil eingetreten ist. In Bezug auf die angestrebte Souveränität ergeben sich aber einige Probleme. Denn diese Vertuschung würde die durch den Tod des Gegners erlangte Souveränität gleichsam zurücknehmen, da der Tod nun im Bereich göttlicher Verantwortung läge. Der Tod wäre als das Resultat eines parajuristischen Verfahrens der Wahrheitsfindung in gewissem Maß zwar gesellschaftlich gerechtfertigt, er würde aber seiner autoritären – und gleichzeitig seiner außerrechtlichen, vielleicht: illegalen" – Grundlage entbehren, die – laut Schmitt – ja erst die Souveränität schafft. Ferner oder gleichzeitig bekundet das Kasino im religiösen Sinne mit der vorgängigen Feststellung des Resultates – dem Tod des Gegners – aber auch seinen Unglauben (wobei die Voraus-Setzung des Urteils auch einen quasi-materiellen Glauben an die Unbesiegbarkeit auf der Basis technisch-rationaler Überlegenheit verrät: dem Wissen und Geschick des Oberst in Bezug auf den Gebrauch von Feuerwaffen). Denn das Ergebnis – die Wahrheit – des Zweikampfes gilt als beschlossen. Um das gewünschte Ergebnis erzielen zu können, muss das Wirken Gottes aber ausgeschlossen werden. Es darf ihn sozusagen gar nicht geben. Das Duell wird als parajuristisches Instrument der Wahrheitsfindung also als eine Art Staffage missbraucht, die den Anschein einer gewissen Rechtmäßigkeit herstellen soll. Die Entleerung der Begriffe, die dieses Vorgehen bewirkt, ist genau der Effekt der Potenzialität, die allein die Bezeichnung der Tötung als Duell birgt. Der Zweikampf ist keine Hinrichtung. Umgekehrt gilt dasselbe. Die Identifikation der beiden Bezeichnungen in einer Art Erwartung – der gewünschten Ausführung des Befehls – schafft nun aber eine zumindest teilweise inhaltslose Form bzw. einen Inhalt, den die Form nicht gänzlich zu umfassen vermag. Anders ausgedrückt: die Tötung" oder Hinrichtung" geht als Begriff über das Duell" hinaus und umgekehrt. Dass diese paradoxe Synthese möglich ist, verdankt" der Text der Oberst-Figur – doch dazu später.
Man muss die Begriffe hier relativ strikt betrachten. Die Hinrichtung ist ein reiner Tötungsakt, ein Akt schierer Gewalt, der eine Art Täter (den Henker) und eine Art Opfer (der Verurteilte) voraussetzt. Gleichzeitig liegt ihm ein Urteil, das Todesurteil zugrunde. Die juristische Legitimität dieses Urteils spielt für die Hinrichtung selbst keine Rolle, ebenso wenig irgendein Einverständnis des Opfers, vielmehr kennzeichnet das Opfer sein absolutes Ausgeliefertsein gegenüber der das Urteil vollstreckenden Gewalt. Die Hinrichtung ist sozusagen das Medium zwischen dem Wort des Todesurteils und dem Fakt des Todes, ihr Sinn ist die Vollstreckung, die endgültige oder verewigte Vermählung" von Wort und Fakt durch die Tat des Henkers und den Tod des Verurteilten. Das Duell oder der Zweikampf kennt jedoch entweder nur Opfer (die der Gewalt des jeweils Anderen ausgesetzt sind, sich ihr aussetzen) oder nur Täter (die Gewalt gegen den jeweils Anderen anwenden), man könnte vielleicht auch sagen: beide gleichzeitig. Es kommt im Einverständnis beider Parteien, sich ihm zu stellen (der Forderung der sogenannten Genugtuung zu entsprechen) zustande. Sein Prinzip ist zudem die Unschuld, denn der Ausgang des Zweikampfes gibt – ein deutbares Ergebnis vorausgesetzt – erst Aufschluss darüber, welcher der Teilnehmer im Recht" bzw. welcher schuldig" ist. Zudem basiert die Wirksamkeit dieser Wahrheit auf einer gewissen Kontingenz: Die Kontingenzen des Kampfes, sonderbares Glück und Unfall, sind Medium und Modus der unmittelbaren' göttlichen rechtsentscheidung', für die der Zweikampf der Schauplatz ist." Das heißt, der Ausgang des Duells wird als für beide Seiten offen und als allen möglichen Unwägbarkeiten (Gott) unterworfen vorgestellt. Damit wäre die einzige Gemeinsamkeit zwischen Hinrichtung und Duell der Tod (insofern er im Duell eine notwendige Bedingung darstellt: wenn der Ausgang des Duells nur dann als aussagekräftig erachtet wird, wenn einer der beiden Zweikämpfer nicht mehr lebt), der im Duell aber allen" droht, während in der Hinrichtung schon im Voraus Rollen" in Bezug auf ihn feststehen. Das Duell stellt eine Alternative dar, die der Tod entscheiden soll. Die Hin-Richtung" stellt als gewaltsame Verlängerung des Wortes (des Urteils) eher ein lineares Verfahren dar. Man könnte auch sagen, dass der Tod im Duell den Index des Göttlichen trägt, er könnte als das Zeichen göttlicher Gewalt gelten, in der Hinrichtung ist sein Index jedoch die Gewalt an sich, die nackte, auf den Körper gerichtete, vielleicht: mechanisch-technische Gewalt. Der Tod als solcher wäre aber als das primäre Ziel beider Verfahren ihre fixierbare Gemeinsamkeit.

Der Tod bildet bei der Überlagerung der Begriffe durch ihren gleichzeitigen Gebrauch in der Berufung" des Oberst als Ziel also die eine Gemeinsamkeit, wobei hier der Tod des Journalisten gemeint ist. Die Immanenzen der beiden Begriffe schließen sich an allen anderen Stellen aber aus. Die Berufung" verfügt also über ein Ziel, der Weg zu diesem Ziel scheint aber unklar: der Tod soll mit der Sicherheit der Hinrichtung den Richtigen" treffen, während gleichzeitig die Ebenbürtigkeit (die Wehrhaftigkeit) des gesetzten Opfers in der Kontingenz des Duells gewährleistet werden soll, was die geforderte Sicherheit – und damit den Hinrichtungscharakter der Tötung – aber zunichte machen würde. Diese Mehrdeutigkeit scheint jedes Handeln unmöglich zu machen. Es scheint, als müsste der Handelnde, der Oberst, eine Entscheidung treffen: Hinrichtung oder Duell, Henker oder Zweikämpfer.

Im Sinne des Textes muss diese Alternative als sprachliches Geschehen, also in ihrer Unentschiedenheit, als Metapher betrachtet werden. Die weiter oben zitierten Textstellen vollziehen diese Unentschiedenheit als Sätze, die je beide Möglichkeiten vereinen. Der erste zitierte Satz spricht erstmals – und unvermittelt – von einem Zweikampf" und gibt neben Ort und Zeit ( am Nachmittag in einer Kaserne") desselben auch eine Regel ( darf nicht") an, die seinen Ausgang betrifft. Auf den ersten Blick wittert man das bereits angedeutete Komplott oder Betrug, die kalkulierte Inszenierung einer Hinrichtung als Duell. Doch damit verfällt man im Grunde dem Überlegenheitsgefühl, das die Meisterschaft des Schützen des Kasinos suggeriert. Noch ist (im Text) aber nichts entschieden. Das Kasino will die Hinrichtung in den Zweikampf verlegen, indem es diesen reglementiert (wobei man davon ausgehen muss, dass diese Regel nur dem Oberst bekannt ist). Der Satz kündet, so scheint es, vor allem von der gebieterischen Macht des Kasinos. Der Klang der Worte des ersten Satzteils bzw. die Schlichtheit der Verknüpfung von Zweikampf", Zeit und Ort gibt der Sache, die nun schon die Begriffe Hinrichtung (die der erste Satz zwar nur suggeriert, die später aber explizit genannt wird) und Zweikampf konstituieren, den Anschein einer Art absoluten Verfügbarkeit, einen instrumentellen Charakter. Im Prinzip trifft diese Instrumentalität auch zu. Doch noch kann dieses Instrument gleichzeitig ein Tötungsinstrument (die Hinrichtung) und ein Instrument der Wahrheitsfindung (das Duell) sein. Die Beziehung von Absicht und Mittel wäre problematisch, es scheint, als würde man einen Hammer – ohne den Hammer als solchen wahrzunehmen – in die Hand nehmen, um ein Stück Musik niederzuschreiben (oder umgekehrt"). Der Satz reagiert auf dieses Problem, indem der zweite Teil die o.g. Regel nennt. Das Instrument der Wahrheitsfindung wäre nun der Tötungs-Absicht angepasst, es wäre – zumindest intentional – nur noch ein Tötungsinstrument. Genau diese absichtsvolle Einschränkung entfaltet aber das sprachliche Potential des Zweikampfes". Denn durch die Ausschließung der Kontingenz, die der Zweikampf beinhaltet, gleichsam der Immanenz Gottes, kommt dieselbe erst zur Geltung. Sie ist nun im Satz als eine Art Drohung anwesend. Neben der gebieterischen Macht des Kasinos erhebt sich also gleichsam eine Art drohender Gott, der sein Recht fordert, weil es ihm genommen wurde. Der Satz kündet also von zwei Gewalten. Diese zwei Gewalten konkurrieren aber um den Tod", sozusagen um dessen Herstellung", um das Recht, ihn zu bringen. Oder besser gesagt: um dessen Status als Fakt (Hinrichtung) oder als Potenz (der Kontingenz des Duells). Diese Konkurrenzsituation, die vielleicht selbst als eine Art Zweikampf bezeichnet werden kann, nimmt der zweite zitierte Satz auf, indem er die für eine Hinrichtung nötige Figur des Henkers (den Oberst) mit dem Index physisch-technischer Überlegenheit, ja der Unbesiegbarkeit versieht: den besten Schützen des Landes". Ironischerweise unterstellt diese – in Bezug auf eine Henkerfigur – Übersteigerung der Fähigkeiten dem Opfer aber eine gewisse Wehrhaftigkeit, ja es tritt aus der Opferrolle heraus und erscheint dem Henker als Gegner, dessen Gegen-Gewalt er nun ausgesetzt wäre. Und selbst in einer als perfides Spiel inszenierten Hinrichtung, wo dem Opfer ein kalkulierter Spielraum eingeräumt würde, sich der Hinrichtung zu entziehen, müsste man von seiner, wenn auch minimierten, Wehrhaftigkeit sprechen. Sie wäre soweit verkleinert, dass die Hinrichtung eine gewisse Dauer hätte, um irgendein perverses Bedürfnis befriedigen zu können. Aber auch über diese Dauer gesehen wäre das Opfer ein Gegner. – Im zweiten zitierten Satz erscheint die Gottesgewalt also schon in der Figur des vermeintlichen Opfers: als Gegner im Zweikampf. Diese Anwesenheit irdischer und göttlicher Gewalt im Auftrag an den Oberst , diese Zweikampfsituation, letztlich die Frage nach einer Entscheidung überträgt sich aber auf den Auftrag oder Befehl an den Oberst: als Unlesbarkeit des Befehls als Befehl – und wird so in gewisser Weise sogar zu seinem Inhalt.

Der Oberst

Die Figur des Oberst steht mit ihrer Berufung gleichsam vor einem Rätsel. Dieses ist aber kein Spiel, sondern ein existentieller Ernst. Denn im autoritär-hierarchischen System des Kasinos ergeht die verrätselte Berufung ja gleichsam als Befehl, und der Oberst als Kasinomitglied wäre also in die Pflicht genommen. Andererseits droht ihm schlicht der Tod. Im Prinzip setzt der Befehl als Rätsel die Figur des Oberst als Befehlsempfänger außer Stande zu handeln. Ja sein Eigenschaft als Befehlsvollstrecker könnte ihn sogar in Opposition zur Rätselhaftigkeit des Befehls bringen. Denn der Befehlscharakter des Rätsels bedeutet ihm ja zugleich eine Anweisung zu handeln. Insofern wäre seine primäre Aufgabe tatsächlich die Enträtselung des Befehls, die Herstellung von Eindeutigkeit. Vielleicht sollte man aber zuerst fragen, inwiefern die Mehrdeutigkeit des Auftrags die Oberst-Figur beeinträchtigt.

Die – mutmaßlich – erste Reaktion des Oberst auf den Befehl ist ein Schulterzucken, das – neben der später explizit genannten Gleichgültigkeit – auch eine gewisse Ratlosigkeit – der man vielleicht eine Ahnung von der Uneindeutigkeit des Befehls unterstellen darf – birgt. Auf sein Schulterzucken folgt das gleichgültige: Gut, dann mach' ich halt ein Loch in den Zeitungsschreiber ". Die Illusion eines unbeweglichen, objekthaften Ziels, ähnlich einer Zielscheibe scheint für die Ausführbarkeit des Auftrags zu bürgen. Seine Reaktion stützt in gewisser Weise den Aspekt der Souveränität, der mit dem geforderten Tod des Journalisten im Befehl eingeschrieben ist. Er vollzieht die souveräne Entscheidung des Todesurteils, das im Befehl anwesend ist, erneut und dauerhaft nach. Er setzt sich selbst als souverän. Und gleichzeitig und notwendigerweise scheint er die Zweikampfsituation auszuschließen bzw. zu ignorieren, die der Befehl beinhaltet. Dass diese Ignoranz oder Blindheit gegenüber der Immanenz des Zweikampfes oder besser: der im Zweikampf immanenten Kontingenz gleichsam einen Schatten über den Oberst breitet, weil gerade die Leugnung dieser Kontingenz sie sozusagen – ganz im Sinne der bereits beschriebenen drohenden Gottheit – aktiviert, sei zunächst dahingestellt. Auf die Figur, gleichsam ihren Charakter" bezogen, verdeutlicht ihr Ausspruch in dieser Situation zunächst einfach die Bereitschaft zur Subordination. Sie legt keinen Einspruch ein, weder gegen die Unklarheit des Befehls, noch gegen ihre Rolle als Henker. Sie selbst vollzieht sogar die Vereinfachung des Befehls zu töte den Zeitungsschreiber". Er erkennt das Rätsel nicht (an), er hebt – ohne es zu sehen – aus ihm vielmehr heraus, was als Befehl brauchbar" ist. Die Figur stützt den Aspekt der Souveränität, der zum Befehl gehört, und dessen Vollstreckung umgekehrt ihre Souveränität in Bezug auf den Gegner bedeuten würde. Die extreme Ausprägung dieses Gehorsams wird im folgenden Satz dargestellt: Der Oberst, der sich über Leben und Tod nicht mehr Gedanken zu machen pflegte als ein Turm im Schachspiel […]". Der treu-gehorsame Befehlsvollstrecker wird im Vergleich mit einer Spielfigur in seiner Treue" zu einem Instrument einer ihm übergeordneten Macht gesteigert". Als solches lässt er den Befehl – als seine Möglichkeit – gleichsam geschehen (er verwandelt das Wort zur Tat). Ja, man könnte sogar sagen, dass er identisch mit dem Befehl ist: er selbst ist die Kugel, die er auf den Anderen abfeuert. Als Instrument wäre die Oberst-Figur aber zu einer Art systematischen Blindheit verdammt: er muss vollkommen blind sein, um den Befehl, so wie er ist", ausführen zu können, um die Reinheit des Befehls wahren zu können, um das blinde Werkzeug der Macht" sein zu können.
Der folgende Ausspruch des Oberst deutet nicht nur diese Blindheit an, er verortet die Figur auch in einem zweiten Horizont bzw. stellt dem Horizont der Figur einen weiteren entgegen. Er schafft so den Effekt der Blindheit, durch den die Figur des Oberst in ihrer Beschränktheit in einer Welt" verortet wird, die sie selbst nicht sieht, ja die eher auf die Figur zurückblickt": Am Ende esse ich noch Kalk!" erscheint zunächst als lakonische Antwort auf die kulinarischen Gelüste des Oberst. Gleichzeitig ist Kalk essen" – meszet enni" – im Ungarischen aber ein Synonym für Dummheit oder dumm sein. Die Figur meint ihren Hunger, das physische Bedürfnis, der Satz deutet aber, autonom sozusagen, auch auf die Dummheit, das geistige Verhältnis zu einer Sache. In ihrem intentionalen Sprechen umfängt die Figur nur den Bereich der eigenen Physis, die Sprache selbst aber entzieht sich dieser intentionalen Einschränkung und erweitert den Bereich des Gesagten, indem sie die Figur in ein Verhältnis zu einer Sache – zur Welt – setzt, das – wenig schmeichlerisch – den Index der Blindheit, eben der Dummheit trägt. Die Figur verspricht sich" gleichsam zwangsläufig (aufgrund des Hungers). Dieses den Sprecher in einem Außen – das er nicht kennt – neu verortende Wort hallt aus einem anderen Mund, aus dem Mund eines Anderen. In der doppelten Perspektive, die sich nun ergibt (von innen/ von außen), erscheint die Sicht von außen in Bezug auf die Figur als ein bedrohliches, weil ihr unbekanntes, sozusagen über die Figur hinausgehendes Mehr". Das Kennzeichen ihres Daseins" ist jetzt das Ausgeliefertsein, das in seiner Nicht-Wahrnehmung zur Unheimlichkeit gesteigert wird. Man könnte vielleicht so weit gehen, zu sagen, dass die Oberst-Figur ihr Schicksal" gleichsam nicht mehr in der Hand hat. Es gehört dem Anderen, dem Mehr, das aber nichts anderes als die Sprache zu sein scheint. Die Figur wird ihres Wollens beraubt, ihr Wille spaltet sich von ihr ab, sie hat ihn nicht mehr". Und – bleibt tatsächlich als reines Instrument zurück.
Der folgende, vielleicht eigentümlichste Satz der Erzählung greift nicht nur dieses Ausgeliefertsein, diese Art isoliertes Geworfen-Sein als Blinder in die, von der Figur aus gesehene Leere auf. Er kündet auch davon, dass dieses Blindsein sozusagen absichtsvoll ist: Er war in Zivil, ein weiter Regenmantel lag auf seinen Schultern, die kanariengelben Schuhe knarrten, er hatte einen Stockschirm in der Hand, ein ums andere Mal schaute er in einen geschlossenen Fiaker, denn er glaubte, dass ihn in seinem Kostüm niemand erkennt, während er vor dem Duell ein wenig in der regnerischen Stadt umherwanderte." Die schier absolute und totale Bezugslosigkeit der Figur (ihre Absolutheit vielleicht) wird hier neben ihrer äußerlichen oder allgemeinen Einsamkeit in einem entvölkerten und gesichtslosen, unwirtlichen Stadtraum und der die Figur selbst von ihrem Äußeren isolierenden (oder sie sogar verdoppelnden) Kostümierung – der Verdeckung eines tatsächlichen Bezugs – durch den suchenden Blick der Figur in einen gleichsam blinden Spiegel: die geschlossenen Fiaker" erreicht. Einerseits spricht der wiederholte Blick davon, dass die Figur geradezu danach verlangt, unerkannt, nicht identifizierbar, anonym, ja bedeutungslos – niemand, oder: nicht er selbst – zu sein. Andererseits wirkt die stete Erneuerung des Blicks in den blinden Spiegel mit der Absicht, dort genau diese Leere oder eben nichts zu finden wie eine Suche nach Bestätigung genau dieser Leere. Würde man dieses Verlangen umkehren, könnte man vielleicht von der Angst des Blinden zu sehen sprechen. Am interessantesten ist aber vielleicht die bannende Qualität des Blicks. Als Medium der Beziehung der Figur zum Anderen oder der Beziehung von Innen (die geschlossenen Fiaker) und Außen (die Figur) trennt er genau das, was er verbindet. Der Blick erneuert somit in seiner Richtung auf das Nichts stets die Isoliertheit der Figur. Nimmt man das Wort Absicht" buchstäblich, erkennt man eine ähnliche isolierende Wirkung, bzw. die Ab-Gewandtheit der Sicht" von einer Art undefinierten, undefinierbaren Rest. Die Ab-Sicht" des Oberst will also nicht nur seine Blindheit, das Nicht-Vorhandensein der Welt bestätigen, sondern sie behauptet auch diesen dunklen Rest, der sich, man könnte sagen, dräuend an die Kontur der Oberst-Figur legt, diese vielleicht sogar bildet. Diesen drohenden Rest darf man vielleicht als das – verdrängte – Alter Ego des Zweikämpfers deuten. – Die Oberst-Figur hat kein Gegenüber, sie will es nicht, darf es nicht haben, um ihren Status als totbringender Souverän erhalten zu können.

Aber zurück zum Verhältnis des Oberst zu seinem Auftrag. Wie man sieht, würde die Oberst-Figur auch einer Deutung als eine Art Medium zwischen Wort (Befehl) und Fakt (Tod des Anderen) gerecht werden. Damit bekommt sie aber gleichzeitig den Charakter eines Symbols gerade für die absolute Entsprechung, das Restlose. Sprachlich gesehen sogar für die gleichsam vollkommene Denomination. Man könnte sagen, der Oberst" ist Bedeutung oder er bedeutet", er ist das Geschehen der Bedeutung. Er bewahrt den Inhalt des Auftrags oder Befehls als der Hüter des Paktes zwischen Recht und Leben: des Gesetzes – denn er unterstellt sich, sein eigenes Leben" dem Gesetz des Kasinos in blindem Gehorsam". Gerade dank" seiner Blindheit bewahrt er diesen Inhalt aber so wie er ist, in seiner Mehrdeutigkeit. Die Mehrdeutigkeit des Befehls müsste sich also auf die Figur übertragen. Die Blindheit der Figur ermöglicht die paradoxe Gleichzeitigkeit von Zweikampf und Hinrichtung. Man könnte vielleicht auch sagen, dass sich die Mehrdeutigkeit des Befehls als Rollen- oder Bedeutungsmöglichkeit der Oberst-Figur als tatsächliche" Möglichkeiten über ihre Funktion als Exekutivorgan des Kasinos einschreibt: als der Duellant und als der Henker. Die Bedeutungsüberlagerung (und damit einhergehend die Widersprüchlichkeit), die dem autoritären Handeln des Kasinos entspringt, die Gleichzeitigkeit einer Duell- und einer Hinrichtungssituation, überträgt sich auf die Figur, die – gekennzeichnet durch ihre Blindheit gegenüber diesem Umstand – nun beide Rollen gleichzeitig bewältigen, gleichsam in zwei Richtungen gehen muss und so permanent der Gefahr der Spaltung ausgesetzt ist oder zumindest permanent auch als das Andere, also zweifach erscheint oder sogar immer gleichzeitig als sein eigenes (widersprüchliches) Alter Ego existiert – d.h. als eine Art Zwitterwesen des Ich und des Anderen (Ich), dessen Daseinsphäre genau die Unentscheidbarkeit zwischen Ich und dem Anderen ist. (Der Text vollzieht oder illustriert diese Verdoppelung dementsprechend auch im gesamten Textverlauf immer wieder neu. Einige Beispiele: neben den bereits genannten Beispielen erhält die Figur z.B. den militärischen Rang eines Oberst, wird aber sogleich als a.D." in den Stand des Zivilisten gesetzt. An anderer Stelle gibt sich der Oberst gegenüber der Fleischerin als Literaturkenner aus und nimmt dann beschämt von seinem tatsächlichen Unwissen Zuflucht zur sozialen Inadäquatheit, also zu seinem eigentlichen – durch die Kostümierung verdeckten – sozialen Rang. Eine Art Schizophrenie kennzeichnet sein Verhalten bei Tisch, wo er über die Luxusspeisen referiert, die er für gewöhnlich verzehrt, im selben Atemzug aber nach möglichst erbärmlichen Essensresten verlangt. Letztlich ist auch die Identifikation der Oberst-Figur mit seinem – fiktiven – Gegner nichts als eine Verdoppelung.) Die Oberst-Figur wird durch ihre Blindheit, als der vollkommene Empfänger und Vollstrecker von Befehlen aufgrund der Paradoxie des Befehls selbst zu einer paradoxen Figur. Er ist gleichzeitig Henker und Zweikämpfer. Diese Gleichzeitigkeit bedeutet aber in Bezug auf Ausgeliefertsein und Überlegenheit (Souveränität), den Indizes der Rollen, den steten Ausschluss des jeweils – und ständig wechselnden – Anderen, ein stetes oder oszillierendes Mehr" oder Weniger" oder die Permanenz eines seinen bedeutsamen Bezug wechselnden Rests: als Henker wird der Zweikämpfer (und alles, was der Zweikampf impliziert) – sprachlich – zum Rest, als Zweikämpfer ist es umgekehrt. Als Überschuss an Bedeutung verlangt dieser Rest – in der Figur des Oberst – nach seiner Bedeutung (weil er ihrer im Ausschluss durch das Andere der Figur entbehrt). Er – der Rest" – will im Handeln des Oberst zur Geltung (zu seinem Recht") kommen. Es ist dieser paradoxe Anspruch, der als spaltendes Moment in der Figur wirkt, ja als Gespaltensein, gleichsam als der Abgrund, der zugleich trennt und verbindet. Die Paradoxie der Figur hat als Effekt das Wirken der bereits vorgestellten Kräfte des Ausnahmezustandes. Den Bann, der Bezüge in ihrer entblößenden Entsetzung zugleich isoliert und bestehen lässt und so eine Art Schwellzustand oder Schwelle (das oszillierende Verlangen) schafft, die seine Sphäre bildet. Vielleicht geht man nicht zu weit, wenn man behauptet, dass das Wirken dieses Banns die Handlung der Erzählung birgt, dass sie gleichsam aus dem Abgrund der Figur entsteht. Dass das sich entfaltende" Paradox, das der Berufung des Oberst eingeschrieben ist, die Handlung ausmacht.

In welcher Weise entfaltet" sich dieses Paradox? Wie bereits festgestellt wurde, ist es gerade die Ignoranz oder eben die sogenannte Blindheit der Oberst-Figur gegenüber der in ihrer Berufung enthaltenen Zweikampf-Immanenz bzw. der Ebenbürtigkeit oder sogar drohenden Unterlegenheit gegenüber einem freien" Gegner, die den drohenden Gott", den sie verdängen oder sogar vernichten will, herausfordert. Da nun der Fokus der Erzählung auf der Oberst-Figur liegt, ja sie sogar die einzige handelnde" Figur ist, ergibt sich aus ihr, also auch aus ihrer Blindheit das Muster, in dem sich das Paradox entfaltet. Möchte man es einfach oder die Figur vermenschlichend sagen, ist der Ausgangspunkt dieser Entfaltung oder ihre Perspektive der Glaube" des Oberst, dass er seinen Auftrag wie gewünscht ausführen wird: der Journalist wird sterben. Strukturell gesehen, entspricht dieser Glaube" aber genau der Behauptung der Souveränität durch das Todesurteil, er wird sozusagen entlang der hierarchisch-autoritären Struktur des Kasinos in die Oberst-Figur hinein verlängert. Diesem Glauben" entspricht eine ganze Reihe von Äußerungen des Oberst in Bezug auf sein vermeintliches Opfer über die gesamte Textlänge: Es ist nämlich so, János, mein Junge, dass ich noch heute jemanden erschieße, den ich noch nie gesehen habe, den ich nicht kenne, den man mir hinstellt, wie eine Zielscheibe beim Militär.", Bestimmt trinkt dieser Taugenichts, den ich heute ins Jenseits befördere, auch so was, weil er sich nichts Besseres leisten kann! ", Eigentlich muss er heute Nachmittag jemanden hinrichten, der das Kasino in seiner Zeitung beleidigt hatte…", Ja, ich will wie der elende Taugenichts sein, der jetzt irgendwo seinen letzten Willen aufschreibt, wenn er schlau ist.", Ich mache den Herrn im Voraus darauf aufmerksam, dass seine Sache ein schlimmes Ende nimmt.", Bestimmt ißt dieser zum Tode verurteilte Halunke auch immer so etwas […]", Er soll nicht sagen können, dass ihn ein Herr von seinem Logenplatz im Leben aus abgeknallt hat […]", Mancher mag vom Rippenstück die schönen, schieren, mageren Stücken, aber der Oberst wollte seinem erbärmlichen Gegner in allem ähnlich sein […]", Der Oberst war ein guter Mensch, und er hätte diesen armen Schlucker, den er per Entschluß des Kasinos heute Nachmittag um sechs ins Jenseits befördern muss, gerne an seinen Tisch eingeladen […]", Wenn ich diesen armen Teufel mit vollem Magen und in Sektlaune abknalle, hätte ich mir im Nachhinein noch den Vorwurf zu machen, dass der Kampf mit ungleichen Waffen gefochten wurde." (Hervorh. M.B.) Der Text bietet derer Beispiele noch mehr. Die zitierten Sätze mache aber deutlich, das sich das Paradox von Hinrichtung und Zweikampf oder Überlegenheit und Ebenbürtigkeit/ drohender Tod von diesem Winkel her entfaltet: dem Oberst als in Bezug auf den Anderen – im Zeichen des Todes – souverän Überlegenen, als sein Henker.
An dieser Stelle kommt derselbe Mechanismus zum Tragen, der schon im Zusammenhang mit dem ersten Satz erläutert wurde. Konkret gesagt, würde der Oberst als Henker seiner ihm vom Befehl diktierten Bedeutung als Zweikämpfer nicht gerecht werden. Der Zweikampf selbst und alles, was ihm immanent ist, würden als von Bedeutung (dem handelnden Oberst) verlassen, von dieser Verlassenheit gebannt, um mit Agamben zu sprechen, als bloße", nackte" Bedeutungen nach ihrem Bezug (ihrem Recht), nach dem entsprechenden Handeln des Oberst verlangen. Als Aspekt der Figur selbst gehört dieses Verlangen also auch ihr, ist ihr – per Befehl – als Innerliches (Verschwiegenes, Unausgesprochenes) eingeschrieben. So wird dieses Verlangen zum eigentlichen Handlungsmotiv der Figur. Der Hunger, von dem der Text immer wieder spricht, scheint aber genau diesem Verlangen zu entsprechen.
Folgende Sequenz, die einen direkten Bezug auf die bereits zitierte Antwort des Oberst ( Dann wird halt ein Loch in den Zeitungsscheiber gemacht.") auf die Entscheidung des Kasinos darstellt, nennt den Hunger zum ersten Mal: Währenddessen bekam er aber großen Hunger. Größer war die Unruhe nicht, die sich seiner am Tag des tödlichen Duells bemächtigt hatte. Ein abscheulicher, nie gekannter Hunger überkam ihn. Sein Magen hatte Hunger, sein Mund hatte Hunger, im Halbschlaf lagen ihm Geschmäcke nie gekannter, nie angerührter Speisen auf der Zunge." Einen Hinweis auf die Metaphorizität dieses Hungers" und damit die Möglichkeit der Übertragbarkeit auf das sprachliche Verlangen einer verlassenen" Bedeutung versinnbildlicht die Fleischereiszene, in der die Fettgrieben, in denen der Oberst das Mittel zur Stillung seines Verlangens erblickt, von der Fleischerin in einer Papiertüte verpackt werden, die sie aus den Seiten eines Gedichtbandes (von János Vajda) gemacht hat. Diese Einhüllung durch Literatur erlaubt es, mit einiger Sicherheit zu behaupten, dass die Speise, sobald sie verzehrt wird, in ihrer Mehrdeutigkeit also nicht nur den profanen physischen Hunger, sondern auch einen anderen, den angezeigten Bedeutungshunger der paradoxen Figur stillt.
Die Abscheulichkeit des Hungers, die Fremdheit der Gelüste ( Am Ende esse ich noch Kalk!"), die Unwillkürlichkeit dieses Verlangens ( sein Magen hatte Hunger, sein Mund hatte Hunger") deutet, aus der Perspektive des Oberst, des elitären Kasinomitglieds genau auf das ihm Entgegengesetzte, das ihm nicht Zugehörige, ja das Feindliche oder Gegnerische: auf den Journalisten. Sein Appetit schafft eine oppositionelle Position, die eine Parallele auf der sozialen Ebene hat. Wie die eingangs zitierten Sätze zeigen, erhält diese Opposition auch eine Parallele in den die Speisen würdigenden Äußerungen des Oberst. Die Gelüste deuten also in Bezug auf das Ausschließende des Paradoxes auf den Rest (an Bedeutung), den die Behauptung der Position des Henkers in der Oberst-Figur generiert. Das Essen des Henkers mutiert so zu einer steten Allusion des Anderen (des hinzurichtenden Zweikämpfers). Das Stillen des Hungers stillt das Verlangen des – im Paradox des Befehls immanenten – Zweikämpfers oder Gegners nach seiner Bedeutung.
Die zitierten Sätze können – im Kontext gesehen – als Stationen oder mindestens als einige der Wegmarken dieses Stillens betrachtet werden; manche der Sätze beziehen die vom Oberst verzehrten Speisen sogar explizit auf seinen" Hinzurichtenden (Gegner). Um zwei Beispiele zu nennen: Der Oberst hob noch beim Essen den Bierkrug in die Höhe und drehte ihn argwöhnisch zum Fenster: Bestimmt trinkt dieser Taugenichts, den ich heute ins Jenseits befördere, auch solches Bier, weil er sich nichts Besseres leisten kann!', dachte der Oberst und kippte den Krug mit geschlossenen Augen an, als tränke er auf das Seelenheil dieses Taugenichts." Sowie: Mancher mag vom Rippenstück die schönen, schieren, glatten Stücken, aber der Oberst wollte seinem erbärmlichen Gegner in allem ähnlich sein, denn er glaubte, dass dieser spezielle Zeitungsschreiber sich ohnehin keinen besseren Bissen leisten kann." (Hervorh. M.B.) Das Essen, das durch immer neue Gelüste seine Dauer erlangt, scheint einem Weg zu ähneln, auf dem nicht nur der profane Hunger, sondern metaphorisch auch ein sprachliches Verlangen gestillt wird. Den Verzehr der Speisen begleiten die Worte des Oberst. In diesen Worten verspricht sich sozusagen das Verlangen des vom Oberst verlassenen" Zweikämpfers. Dadurch kommt der Zweikämpfer" als Bedeutung samt seiner Immanenz zu seinen – sprachlichen – Bezügen.

Der Arabische Schimmel" – die Ökonomie des Paradox

Bevor dieser Prozess erläutert wird, aber noch ein Wort zum Arabischen Schimmel", der Lokalität, die der Erzählung ihren Namen gibt. Neben der bereits genannten Qualität, eine Art Spielraum zu sein, für den eine gewisse suspendierte Zeitlichkeit zu gelten scheint, die wiederum das Alltägliche aufhebt und das Spielerische, das Fiktive hervorhebt, der gewissermaßen ein Ausnahme darstellt, ist ein weiterer Zug von Bedeutung. Die Figur des mehr oder weniger stummen János illustriert diese andere Qualität am Besten: ihr ist eine Art extremes oder totales ökonomisches Denken zu eigen, das alles, was kein Verhältnis von Wert und Gegenwert aufweisen kann, jedes Mehr oder Weniger, auszuschließen scheint, was im konkreten Fall – aus der Perspektive János' – die Funktion eines Filters hat, der allein das Zweckmäßige erkennt und anerkennt. Seine im Text immer wieder deutlich gemachte Stummheit ist eine notwendige Folge der Reden des Oberst, seines Gegenübers, die – durch diesen Filter gehört – kaum oder gar keinen Sinn ergeben. So antwortet János z.B. auf das widerspruchsreiche Bekenntnis des Oberst, dass er Austern mag, die von ihm verzehrten Knochenreste aber eine Art Signal der Bußfertigkeit seien, das einem unbekannten Anderen den Tod ankündigt, den der Oberst selbst herbeiführen wird: Sich hier zu prügeln ist nicht ratsam. Der Wirt ist sehr stark." Genau in dieser Taubheit gegenüber Widersprüchen oder in diesem offenen Ohr nur für das Eindeutige, der Gültigkeit nur einer Wahrheit, manifestiert sich jener andere Zug des Arabischen Schimmel". (Der auch z.B. dem Geplänkel zwischen Wirtin und Oberst um die Phonetik des Wortes pörkölt/perkelt", der Auseinandersetzung um die Gültigkeit einer Wahrheit, zugrunde liegt. Und nicht zuletzt dem eigentümlichen Verhältnis von Wirt und Wirtin, in dem gleichsam zwei sich widersprechende Wahrheiten (die rationale und die irrationale) nebeneinander existieren, da sie nie in Berührung miteinander kommen, weil die einzige Verbindung – der Halbschlaf – der zwei sich gegenseitig ausschließenden Sphären (Schlaf und Wachen oder Traum und Ratio/Logik) gewaltsam, durch einen Knall (der Spielkarten!), geradezu routinemäßig zunichte gemacht wird). Der Rest", jedes irgendwie undefinierbare, dunkle, irgendwie energisch-energetische Mehr oder Weniger scheint an diesem Ort geradezu undenkbar. Es gibt, einfach gesagt, in ihm nur Eindeutigkeit. Gerade diese Eigenschaft ermöglicht – paradoxerweise – aber die freie Entfaltung von widersprüchlichen Sätzen oder Setzungen. Denn sie macht das Nebeneinander dieser Widersprüchlichkeiten möglich. Ihre Ignoranz entzweit gleichsam die Glieder des Widerspruchs. So wie die Blindheit der Figur des Oberst den Zugang des paradoxen Befehls zur Figur und damit zu einer Einheit gewährleistet, scheint die Blindheit" des Arabischen Schimmel" sozusagen die Bühne zu errichten, auf der die im Paradox eingeschlossenen Eindeutigkeiten ihre angestammten" Plätze einnehmen können, ohne auf die das Paradox bildende Widersprüchlichkeit Rücksicht" nehmen zu müssen. Das Paradox kann sich quasi – mit der Einschränkung des Verlangens, das es erzeugt – frei entfalten. Die Wirksamkeit des Spielraums des Arabischen Schimmel" basiert also auf dieser – vom Lesen aus gesehenen – zweiten Blindheit. Fragt man nun nach der Ursache für diese Blindheit, wird ihr Zusammenhang mit dem besonderen Status des Arabischen Schimmel" als Ausnahmesituation klar. Denn wenn das konstitutive Merkmal der Ausnahme die Suspendierung aller Bezüge in einer Art Bann (dem Verlangen) ist, wie Agamben feststellt, dann gibt sich diese Blindheit genau als die konkrete Analogie dieser Bezugslosigkeit zu erkennen, als die sprachliche Verwirklichung" der Aufhebung oder Suspendierung von Bezügen. Aus der Sicht der Sprache bedeutet diese Bezugslosigkeit aber nichts anderes als die absolute Performativität der Sprache. Der Arabische Schimmel" bildet die Sphäre einer absolut performativen Situation. Anders ausgedrückt, herrscht im Arabischen Schimmel" der oben beschriebene Ausnahmezustand, die Absolutheit aller Werte vor dem Hintergrund des Nichts (das dem (rechtlichen) Nichts entspringt, aus dem die Entscheidung über diesen Ausnahmezustand hervorgeht – oder konkret: aus dem das Todesurteil über den Journalisten hervorgegangen ist). Man könnte vielleicht auch sagen: Das Spiel ist nicht nur Illustration oder Anstrich, sondern es findet tatsächlich statt.
Für die paradoxe Figur des Oberst bedeutet das aber: die Befreiung (Erlösung?) des in ihr anwesenden Zweikämpfers/ Zweikampfes. Die Befreiung des Anderen und damit der Möglichkeit der Ebenbürtigkeit, des Scheiterns, des Todes. Die Oberst-Figur wird im Arabischen Schimmel" durch die Freisetzung des in ihr eingeschriebenen Paradoxons gleichsam entzweit. Er verdoppelt sich als der Henker und der Zweikämpfer.

Das Sich-Versprechen des Anderen

Die gleichsam systematische Parallele zwischen der Oberst-Figur und den speziellen Bedingungen des Arabischen Schimmel" prägt sich konkret im besonderen Verhalten des Oberst aus. Sein spezieller Appetit und das Verschwinden" der Speisen gleichsam in der Oberst-Figur selbst deuten beide in gewisser Weise auf den Rest" bzw. das Restlose: Der Oberst" nimmt sich mit großer Lust vor allem der Essens-Reste an. Er verzehrt alles, was übrig ist, denn sein Appetit verlangt danach. Ihn gelüstet nach allem, was nicht nur er, sondern was auch allgemein vernachlässigt wird. Er stopft sich den Magen mit Fettgrieben voll. Er trinkt mit großer Befriedigung abgestandenes Bier. Er bestellt geradezu zitternd vor Verlangen angebrannten Gulasch (pörkölt). Er will den Anschnitt" von einem Schweinebraten (abgesnitez). Er nagt rußverschmierte Knochen ab. Und so weiter. Alles Speisen, auf die üblicherweise die Vernichtung wartet: sie sind – für den Magen – bedeutungslos geworden. Dieser Zug oder dieses Verlangen korrespondiert mit dem blinden Gehorsam des Oberst, seiner absoluten Treue zum Befehl, ja seiner Instrumentalität; und im übertragenen Sinn – gleichsam im Sinne der Metaphorik der Speisen – mit der reinen, ungetrübten Denomination. Er strebt als Gast des Arabischen Schimmel" dieselbe Restlosigkeit" (den Mangel oder die Vernichtung eines Mehr" oder Weniger" an Bedeutung) an, die auch der Index einer reinen Denomination wäre. So wie die Ausführbarkeit des Befehls von seiner Eindeutigkeit abhängt, also davon, dass kein irgendwie gearteter Bedeutungsrest den Befehl als solchen unlesbar macht, so ist die Oberst-Figur bestrebt, diesen Rest zu tilgen (konkret: sich als Vollstrecker des Todeurteils zu behaupten). Im selben Masse, wie der Oberst aber den Rest (den der Befehl als die Immanenz des Zweikampfes beinhaltet) vernichtet bzw. seine Rolle als Vollstrecker behauptet, verlangt dieser im Befehl anwesende vernichtete Rest, der nichts als eine immer noch anwesende Bedeutung ohne Bezug ist (ein Zweikampf ohne Zweikämpfer oder ein Zweikämpfer ohne Zweikampf) aber genau nach diesem Bezug, seinem angestammten" Platz, gleichsam nach dem Oberst als tatsächlichem Zweikämpfer. Die Vernichtung des Bedeutungs-Restes im Wort des Befehls generiert also in diesem Rest selbst ein Verlangen. Die Identität von Oberst und Befehl verlagert dieses Verlangen aber in die Figur des Oberst, den gleichzeitigen Tilger des Rests. Es scheint, als könnte das Verlangen gar nicht gestillt werden, da es ein zweifaches Verlangen ist, das sich in seiner paradoxen Abhängigkeit voneinander mehrt. Betrachtet man aber die Effekte dieser Tilgung bzw. Stillung wird deutlich, dass sie denselben Ursprung haben, ja dass sie ein und dasselbe sind, und dass ihre unterschiedliche Bezeichnung nur aufgrund des jeweils anderen Blickwinkels auf sie zustande kommt. Das tilgende Behaupten des Oberst seiner Rolle als Henker stillt nämlich zugleich das Verlangen des nun geschaffenen Rests (des Zweikämpfers) nach seinem Recht oder seinem Bezug, gerade weil er – der Rest – erst durch die Tilgung als Unausgesprochenes eine Bedeutung sozusagen zugesprochen (gelesen) bekommt. Das in Abrede-Stellen der Bedeutung des Rests bzw. des Rests an sich (die Behauptung absoluter Überlegenheit/Souveränität, der Henkerrolle) spricht ihm genau diese, seine Bedeutung (des Zweikämpfers) – als Unausgesprochenes – zu. Dieses Zusprechen erscheint in der performativen Sphäre des Arabischen Schimmel" als Bedeutungs-Potenz (als Kraft). Die Potenz der Bedeutung des Rests wächst gleichsam mit seiner Tilgung aus dem Wort des Befehls.
Es ist genau dieses Bedeutung-Zusprechen, das den Verzehr der genannten (und ungenannten) Speisen, diesen sozusagen ergänzend und wortwörtlich als Äußerungen und erzählte Gedanken des Oberst – als Worte – begleitet – oder, wie gesagt: das aus dem Verzehr hervorgeht, das der Verzehr birgt. – Das bedeutsame" Essen bzw. die Metaphorizität der Physis sowie das oppositionelle, ja autonome oder subjektive Wirken dieses metaphorischen Hungers macht der Text an Stellen wie der folgenden sehr deutlich: Der Gast des Arabischen Schimmel hatte ein unleugbares Glück in allem, was sich sein nicht zu bremsender Magen an diesem Tag vorstellte. Der Magen des Oberst, der die Gestalt eines Weinhebers hatte, wie die meisten menschlichen Mägen, fühlte sich an diesem Tag irgendwie nicht wohl, er wurde von nervösen Erscheinungen heimgesucht, die sogar das strenge Denken des Oberst beeinträchtigten." (Hervorh M.B.) Das heißt: während er sich – ein ambivalentes oder oszillierendes sich", das aber intentional immer auf die Rolle des Vollstreckers/ Henkers zu deuten scheint – sättigt, erschaffen seine Worte – unwillkürlich – die Immanenz des Duells, füllen sozusagen auch die von ihm verlassene Rolle des Zweikämpfers aus. Die zitierten Textstellen am Anfang des Abschnitts deuten diese Sättigung zum Teil an. Die Immanenz des Duells kommt mehr und mehr sprachlich zur Geltung. Die Behauptung der Souveränität des Kasinos im Tod seines Gegners wird durch die Worte des Oberst, die nichts anderes anstreben, als diese Souveränität zu unterstreichen, verunsichert, ja zunichte gemacht. Im Hintergrund wird aber die Leere, das rechtliche Nichts, der autoritär-setzende Charakter, der Ursprung des Todesurteils, sichtbar: die Kehrseite seiner Performativität.

Zur Rhetorik der Souveränität"

Einige Beispiele sollen nun Aufschluss darüber geben, wie die Immanenz des Duells oder mit anderen Worten: die Ebenbürtigkeit des vermeintlichen Opfers sich verspricht".
Der erste Satz, den der Oberst im Arabischen Schimmel" zu seinem Auftrag äußert, spricht offensichtlich von einer Hinrichtung, macht diese mehr oder weniger explizit: Es ist nämlich so, mein lieber János, dass ich heute noch jemanden erschieße, den ich noch nie gesehen habe, den ich nicht kenne, den man mir hinstellt, wie eine Zielscheibe beim Militär." Das gleichzeitige Bekenntnis der Unbekanntheit des Opfers spricht diesem selbst aber eine Art subjektive Kontingenz zu, die das Verhältnis von Henker und Opfer mit einer Dimension versieht, die den Index des Opfer-Täter-Verhältnisses, die absolute Überlegenheit bzw. das absolute Ausgeliefertsein beeinträchtigt und die Möglichkeit der Ebenbürtigkeit andeutet. Die Möglichkeit eines Gesichtes (bzw. unendlich vieler Gesichter: dem Bild der sogenannten subjektiven Kontingenz), die die ausgesprochene Unbekanntheit des Opfers eröffnet, lässt das Opfer nämlich aus seiner Rolle heraustreten und buchstäblich in aller Unschuld als Individuum erscheinen, dessen Index die Freiheit ist. Die Möglichkeit eines Gesichts macht die Hinrichtungstat zum Mord; der Mord liefert den Henker aber an die Schuld aus. Die – zugesprochene – Individualität des vermeintlichen Opfers macht es dem ebenso vermeintlichen Henker insofern ebenbürtig, als sie in ihrer Vernichtung als Schuld auf den Henker übergeht: er hat sie auf dem Gewissen". Im Ausspruch des Oberst konkurriert die absolute Überlegenheit des Henkers gegenüber dem Hinzurichtenden gleichsam mit der Unsterblichkeit des Individuums. Dabei ergibt sich die Unsterblichkeit (als Schuld) aber erst aus der – vermeintlichen – Überlegenheit (als Mord). Einfach gesagt, bildet der Satz folgendes Paradox: Je überlegener der Oberst – je sicherer der Tod seines Opfers –, desto unsterblicher der Journalist. Je mehr die Kontingenz einer Duellsituation aus dem Handeln des Oberst verbannt wird, desto größer die Schuld des Oberst. Dem sicheren Tod des Journalisten durch die Hand des Oberst steht gleichsam dessen Unbesiegbarkeit entgegen. Täter" und Opfer" sind einander absolut ebenbürtig. Im Satz verspricht sich sozusagen unausgesprochen eine Situation, die der Hinrichtungssituation diametral entgegengesetzt scheint, und die die Souveränität, die durch den Tod des Journalisten behauptet werden soll, unmöglich macht, weil sie das Opfer nicht vernichtet sondern im Gegenteil – im Tod –verewigt. Gerade die Verdrängung der Ebenbürtigkeit – die Behauptung der Souveränität – drängt den vermeintlichen Souverän in die Ebenbürtigkeit: das Ausgeliefertsein an die Gewalt des Anderen. Oberst und Journalist sind im Satz sowohl als Täter und Opfer als auch als Gegner anwesend.
Die Bier-Szene, die nun folgt, verunsichert den Gegensatz Überlegenheit-Unterlegenheit, indem es Unterlegenheit" mit minderer Kaufkraft identifiziert und gleichzeitig das minderwertige Gut als ebenso zufriedenstellend qualifiziert wie das vermeintlich höherwertige. Die beiden Äußerungen des Oberst in Bezug auf den Journalisten verorten in ihrer Verächtlichkeit die Überlegenheit bei der Oberst-Figur, die Unterlegenheit bei dem todgeweihten Journalisten: Bestimmt trinkt dieser Nichtsnutz, den ich heute ins Jenseits befördere, auch solches Bier, weil er sich nichts Besseres leisten kann!', dachte der Oberst und kippte den Krug mit geschlossenen Augen an, als tränke er auf das Seelenheil dieses Nichtsnutz." Ferner: Jetzt sah er schon wohlwollender auf die kleine Kneipe am Üllöer-Weg, nachdem gerade noch genug Zeit zur Hinrichtung dieses Schmierfinken war." (Hervorh. M.B.) Das erste Zitat enthält auch den Zusammenhang von Unterlegenheit der Person und Minderwertigkeit der Speise/ des Konsumgutes, der im Übrigen schon am Anfang der Erzählung mit der Beschreibung der Essgewohnheiten des Journalisten angedeutet wird. Minderwertige Kost und Unterlegenheit der Person sind quasi eins. Der Genuss, den der Oberst aber mit diesen minderwertigen Speisen verbindet (unter anderem: Und das Bier schmeckte dem Oberst."), bringt ihn – paradoxerweise – selbst in die Position des Unterlegenen. Der Gegensatz von Überlegenheit und Unterlegenheit, der über die Kaufkraft und die Qualität der Speisen aufgebaut wird, kollabiert im genussvollen Verzehr der – vermeintlich – minderwertigen Kost. Diese verunsicherte Opposition öffnet die Figur des Oberst (und damit auch die des Journalisten) aber einer Kontingenz, die sowohl ihre Über- als ihre Unterlegenheit beinhaltet. Die bereits genannte Instanz des Göttlichen tritt in die Beziehung zwischen Oberst und Journalist. Beide Figuren können als ihr ausgeliefert gelten: der Tod droht beiden, beide haben Hoffnung auf Leben. Sie erscheinen wiederum als einander ebenbürtig – und, in Bezug auf das Göttliche, als in gewisser Weise verwandt, wobei das Menschliche" der Index dieser Verwandtschaft wäre. Ja, in diesem Ausgeliefertsein können sie also sogar als identisch gelten.
Als Muster wiederholen sich – analog zum immer neu entfachten Appetit bzw. dem immer neuen Verzehr ungewöhnlicher Speisen – diese besonderen Reden des Oberst, ja man könnte vielleicht von einer besonderen Rhetorik des Oberst reden. Etwas ironisch vielleicht: die Rhetorik der Souveränität. Dabei bildet der Genuss minderwertig genannter Speisen, der Opfer und Henker gleichsam identifiziert, eine Art Umwertungsmechanismus, der als Prozess nicht nur im Text anwesend ist, sondern den Text sogar hervorbringt. Der Text antwortet gleichsam immer wieder auf die Implikationen der eigentümlichen Konstellation von Überlegenheit und Unterlegenheit, die er behauptet. Die Paradoxie dieser Konstellation schreibt diesem Prozess aber eine Art Wechselbewegung vor, die dem eingangs erläuterten Oszillieren gleichkommt: die Äußerungen springen sozusagen zwischen den Positionen Souveränität/ Ausgeliefertsein hin und her, wobei sowohl die Oberst-Figur als auch sein vermeintliches Opfer stets ihren Status ändern: Ich esse dieses perkelt' zur Busse. Ich bitte im Voraus um Entschuldigung, ich mache meine Absicht im Voraus deutlich, weil ich nicht will, dass etwas plötzlich eintritt. Einem Herrn geziemt es, bevor er jemandem eine Ohrfeige gibt, denjenigen, der die Ohrfeige früher oder später erhält, im Voraus darauf aufmerksam zu machen. Nur Banditen schlagen rücklings, von hinten. Ich mache den Herrn im Voraus darauf aufmerksam, dass seine Sache ein schlimmes Ende nimmt. Jetzt aber, auf der Schwelle zu seinem Tod, lasse ich mich zu ihm herab, ich söhne mich mit ihm aus, ich büsse gemeinsam mit ihm, auch wenn ich wahrlich unschuldig bin….". Diese an Wahnsinn grenzende Rede unternimmt den Versuch, den Implikationen jener expliziten Ebenbürtigkeit zu entkommen. Die bevorstehende Tötung wird euphemistisch zu einer Ohrfeige" umgedeutet – die gewiss nicht tödlich ist. Die Verpflichtung, die sich aus der Identität des Titels ( Herr") ergibt, dem Anderen dasselbe Recht einzuräumen, das er für sich selbst in Anspruch nehmen kann, wird auf eine Art förmliche Sittlichkeit einschränkt, die ihm gleichsam nicht mehr abzuverlangen scheint als sich vor dem anderen Herrn zu verneigen, bevor er ihn erschießt. Gerade der Versuch, die Duellsituation (samt dem drohenden Tod), die die Identität des Titels impliziert, wegzureden", bringt sie ans Licht. Dem Oberst droht gleichsam in der Begegnung mit dem Anderen von Angesicht zu Angesicht (auf Augenhöhe) der eigene Tod ( Nur Banditen schlagen rücklings, von hinten"). Die Bezeichnung des Verzehrs als Busse" soll den sicheren Todes des Anderen jedoch gewährleisten. Zum einen setzt gerade dieses Eingeständnis der Illegitimität der vermeintlichen Hinrichtung aber eine Art Rechtsordnung voraus, der sowohl der Oberst als auch der Andere (Herr) gleichermaßen angehören, und die sich – im Gegensatz zur o.g. Sittlichkeit – nicht nur auf die Form, sondern auch auf den Inhalt einer Tat erstreckt: denn der Tod fordert die Busse, nicht die nicht eingehaltene Form. Zum anderen verortet das sprachliche Geschehen sowohl den Oberst als auch den Journalisten als Herr" in Bezug auf die bevorstehende Begegnung aber nicht nur im selben Rechts-Horizont. Das Eingeständnis der Schuld, dass die Bußfertigkeit des Oberst enthält, unterstellt dem vermeintlichen Opfer auch die Unschuld, die – im Sinne der Möglichkeit einer Alternative – eine Grundvoraussetzung oder überhaupt erst der Anlass für ein Duell ist. Das Wort des Oberst: auch wenn ich wahrlich unschuldig bin", soll intentional die Schuld verdecken (die paradoxerweise der Grund der Busse ist), die die Hinrichtung des Unschuldigen bedeuten würde. Unwillkürlich kündet sie aber buchstäblich von der Wahrheit der wahren Unschuld" der Figur. Denn der Tod des Anderen durch die Hand des Oberst ist – immer noch – nichts als reine Potenz. Der Text – die Rede des Oberst – trennt metaphorische Bedeutung und eigentliche Bedeutung, er schafft eine Art reine Denomination bzw. ist seine Sprache zutiefst ambivalent, dabei aber rein denominativ, sie ist eine gespaltene Sprache. In der performativ-magischen Sphäre des Arabischen Schimmel" bleibt diese Rhetorik des Oberst nicht ohne Konsequenzen. Denn Sein Wort scheint einer Tat gleichzukommen.

Die Stillung

Die Rhetorik des Oberst, die intentional seine absolute Souveränität in Bezug auf den Journalisten verkündet, erweist sich bei genauerem Hinhören also als von derselben Paradoxie beeinträchtigt, die auch den Befehl (und letztlich die Oberst-Figur selbst) kennzeichnet. Seine Äußerungen bewegen sich entlang der bekannten Logik, dass die Überlegenheit – im Sinne der Behauptung der Souveränität des Oberst – immer bei ihm selbst, dem Mitglied des Kasinos gesetzt sein muss. Aufgrund der paradoxen Bezüglichkeit zueinander – die nichts anderem entspringt als der paradoxen Verknüpfung von Souveränität (Überlegenheit) und Zweikampf (Ebenbürtigkeit) im Befehl an den Oberst – oszillieren diese Äußerungen aber genau zwischen den bekannten Positionen von Überlegenheit (Leben) und Unterlegenheit (Identität mit dem potentiellen Esser derselben Speisen, die der Oberst verzehrt) oder Ebenbürtigkeit (die sich aus der Identität des Oberst mit seinem potentiellen Gegner ergibt). Dieses Oszillieren bzw. die Paradoxie der Bezüglichkeit der Äußerungen hat als Effekt aber wiederum das gegenseitige einschließende Ausschließen, das seine Glieder entblößt. Diese Entblößung bedeutet in Bezug auf die Äußerungen des Oberst aber, dass sie sich – als von irgendeiner Referenz befreite Sprache – in ihrer vollen Potentialität entfalten. Sie werden gleichsam von der – unausgesprochenen, oder vielleicht: unaussprechbaren – Kontingenz, die sie selbst schaffen oder sind, gleichsam von ihrem Unausgesprochenen selbst gestillt. Die performative Situation – der Ausnahmezustand – ermöglicht also eine Art reine Sprache, die ihren – geteilten, aber ungleichzeitigen, weil isolierten – Sinn aus einer Art künstlichen Gegensätzlichkeit bezieht, die der paradoxe Bann gewährleistet. Die Paradoxie, die ihnen per Befehl eingeschrieben ist, reinigt gleichsam – entlang der Ökonomie des Paradox, die auf der Symmetrie gründet, die jedes Paradox voraussetzt – die Glieder, die es konstituieren. Der Sinn, der dieser Gegensätzlichkeit entspringt, ist aber gerade die – sprachliche – Sättigung ihrer Glieder: das Geschehen ihrer Entstehung. Diese Zweigliedrigkeit überträgt sich aber auf ihren Sprecher, die Stillung bedeutet auch das Geschehen der Entstehung des Oberst" als eine Art Zwitterwesen, das einen Gegensatz in sich vereint, mit anderen Worten: der Entstehung der Spaltung der Oberst-Figur.
Denn der Text vollzieht die Verbindung von Unausgesprochenem (der unausgesprochenen Gegensätzlichkeit) und Ausgesprochenem (der behaupteten Souveränität) auf der Handlungsebene nach und transferiert so diese Verbindung in die erzählte Zeit. Eine Art Schlüsselszene des Textes gibt Aufschluss über diese Bewegung, die Begegnung des Oberst mit dem zweiten – aus der Sicht des Arabischen Schimmel" – Fremden: Der junge Mann führte das Glas zum Mund und wollte es gerade ankippen, als sein Blick unerwartet dem spöttischen, verächtlichen, dünkelhaften Gesicht des Oberst begegnete. Obwohl der Oberst das mit Sicherheit nicht wollte, war sein Gesichtsausdruck so wie er ordinärerweise war: durchaus verletzend. Tja, das mondäne Leben verlangt auch nach Gesichtsausdrücken, die nichts anderes als Masken sind. Bei manchen Menschen kann man das wahre Gesicht erst sehen, wenn der Tod es macht". Diese Szene scheint gleichsam die Inkarnation des Unausgesprochenen auszuführen. Das Unausgesprochene nimmt, könnte man meinen, die Gestalt des Fremden an. Die Verbindung von Ausgesprochenem und Unausgesprochenem scheint tatsächlich auf einer Art Magie zu basieren. (Die Erschaffung der phänomenalen Gestalt des Gegners/Opfers bzw. des Journalisten durch die Worte des Oberst.) Bei genauerem Hinsehen offenbart sich aber zunächst die reine Sprachlichkeit dieses Verbundenseins. Denn nichts in der erzählten Zeit bürgt für die Identität der Figur des Fremden mit der Figur des Journalisten. Diese wird höchstens angedeutet, als der Fremde, nachdem er das bestellte Glas Pálinka entsetzt vom Anblick des Oberst fallen lässt, ruft: Los in die Kaserne". Der Oberst allein behauptet die Identität von Fremdem und Journalist. Zunächst – und sozusagen unschuldig – geht er eine – für die übrigen Anwesenden – unerklärliche Verbindung mit dem Fremden ein, indem er die Bezahlung des nicht getrunkenen und zerbrochenen Glases Pálinka übernimmt: Und was ist mit der Bezahlung? – brüllte János, auch der Wirt sprang vom stillen Kartenspiel auf, denn es war schon lange her, dass so etwas in seinem Haus vorgekommen war, das darf man nicht dulden, auch wenn es nur um ein paar Filler geht. Der Wirt wollte János soeben den Befehl erteilen, der Mietkutsche nachzulaufen, wenn es ein muss, auch bis in die Kaserne, als der Oberst, der andere Fremde, jetzt mit einem stillen, finsteren Gesicht einwarf: Das Gläschen bezahle ich dann". Die Oberst-Figur wiederholt in gewisser Weise die Begegnung oder Berührung der Blicke, sie macht sich gleichsam gemein mit dem anderen Fremden, tritt, im Rahmen der Ökonomie von Verzehr und Bezahlung, an die Stelle des Anderen und stellt so die Identität zwischen ihr selbst und dem Anderen in der erzählten Zeit – zumindest auf dieser ökonomischen Ebene – her. Der Oberst tritt als Gläubiger des Fremden auf. Mit der Bezahlung bürgt er für den Anderen. Seine Tat bringt den Fremden, dessen Erscheinen etwas gespenstisches hat, gleichsam zur Existenz. Das die Tat inspirierende Moment der sich berührenden Blicke wird nachträglich durch den Oberst selbst gedeutet: Der Oberst wurde jetzt ganz still auf seinem Platz, als hätte seit dem Erscheinen des jungen Mannes im Wirtshaus eine düstere Ahnung von ihm Besitz ergriffen. Er war zwar kein Mann, den man einen abenteuerlichen Denker nennen konnte, er hatte aber sogar den besonderen Einfall, dass dieser junge Mann der Zeitungsschreiber sei, mit dem er im Laufe des heutigen Tages ein tödliches Duell bestreiten muss." Die Identität des Fremden ist also eine Zuschreibung durch die Oberst-Figur. Genau diese Zuschreibung bestätigt aber gleichsam die Existenz nicht nur des Anderen. Die Identität der beiden, die aus ihrer – durch die Rede des Oberst behaupteten – Gegensätzlichkeit hervorgeht, bringt nun auch die Oberst-Figur gleichsam zum Leben (im Sinne der o.g. Existenz). Die Oberst-Figur gebiert (weil sie es glaubt) gleichsam sich selbst als gespaltene Figur. In gewisser Weise scheint das oben beschriebene Verlangen, der metaphorische Hunger, hier seine Stillung zu finden. Nicht nur wird das Wort (des Oberst) mit der Bezahlung des Pálinkas gleichsam zur Tat, dringt in die erzählte Zeit ein, die virtuelle Inkarnation sowohl des Unausgesprochenen (in der Figur des jungen Fremden) und – als Effekt – des Ausgesprochenen (des vermeintlich souveränen Oberst) bedeutet auch eine Zuordnung, einen Verortung der beiden Bedeutungen auf einer Art Oberfläche (den Erscheinungen der beiden Figuren). Es lohnt vielleicht, hier auf eine Stelle zu blicken, die der Inkarnation" vorausgeht. Die Beschreibung der Rettiche, die der Oberst verzehrt, kurz bevor der junge Fremde erscheint: […] als er den Rettich, der ihm in die Hände gefallen war, aufschnitt und sein Fleisch aufmerksam in Augenschein nahm. Die Rettiche machten klar, dass die Besucher des Arabischen Schimmel Kenner waren, denn jeder Rettich, den er aufschnitt, erwies sich als makellos. Ihr schneeweißes Fleisch schwitzte leicht, aber da war keine Spur von zum Beispiel dem braunen Wurm, der heimtückisch an das Rettichherz herankriecht, keine Spur von den holzigen, fauligen Stellen, deren Anblick den Rettichkenner so traurig stimmt, als würde er denken, dass es auf der Welt keine ehrbaren Menschen noch Rettiche mehr gibt, dass das Äußere trügt, und dass selbst die ehrlichste Frucht im Innern schlecht sein mag. Die Rettiche des Oberst täuschten nicht. Ihr Äußeres versprach wirklich nicht mehr als ihr Inneres hergab. Sie waren gesund." Die Gesundheit (im Ungarischen Ganzheit") erscheint hier als Identität von innen und außen, von Oberfläche und Substanz – eine substanzielle Erscheinung oder scheinbare Substanz, das Bild einer Einheit, die keine Zweideutigkeit duldet, sozusagen einer reinen Eindeutigkeit, einer Art referenzlosen Bedeutung oder einer absoluten (unbezüglichen) Referenz, einer Art Absolutum. Die Inkarnation" würde in diesem Sinne (im Sinne der eigenen Absolutheit bzw. der Absolutheit der Souveränität) dem Versuch der Oberst-Figur gleichkommen, das Eigene, das ihm zugehörige Unausgesprochene oder die Ebenbürtigkeit, ja die Unterlegenheit, kurz: die Kehrseite der intentional bei ihr selbst gesetzten Souveränität an einer anderen Stelle als bei sich selbst zu verorten, sich ihrer sozusagen zu entledigen (sie von sich zu isolieren). Doch gerade, weil diese sogenannte Unterlegenheit den Worten des Oberst (seiner Deutung des Fremden) entspringt, wird die Figur des jungen Fremden als sein Feind (oder Opfer) zum Teil seiner selbst: der Feind" entspringt der Oberst-Figur, er macht gleichsam ihr Inneres" aus. Die Oberst-Figur kann nun als zweigeteilte Figur bzw. als Figur gelten, die eine Oberfläche (die maskenhafte Überlegenheit oder Souveränität des Oberst) und ein Inneres, eine Substanz (das romantisch-theatralische Erscheinung des jungen Fremden) hat. Gerade diese Zweiteilung bzw. die Anwesenheit des Anderen in der Oberst-Figur lässt die bevorstehende Hinrichtung (bzw. das Duell) aber zu einer Bedrohung des Oberst (des Henkers) selbst (Benjamin) werden. Denn als Teil der Oberst-Figur wird ihr Opfer (der junge Fremde, oder: der Journalist") zu einem (zumindest teilweisen) Selbstopfer. Die Gewalt des Henkers richtet sich gegen ihn selbst. Der Oberst-Figur wird eine ähnliche Erkenntnis zuteil, die sie als unangenehm" erfährt: Wenn er wirklich diesen närrisch aussehenden jungen Mann dort vorfinden würde […] wenn wirklich dieser elende, unzurechnungsfähige junge Mann sein Gegner wäre, die Sache wäre durchaus unangenehm, an der Situation würde das aber nichts ändern." Das unangenehm" macht die Verbindung zwischen dem Oberst" und dem zweiten Fremden" unleugbar, der Tod, der die Forderung des Duells oder der Hinrichtung ist, weist nun in die Figur des Oberst. Man könnte vielleicht sogar sagen, der Tod ist in der Figur. Der eigene Tod ist der Oberst-Figur gleichsam per Gehorsam eingeschrieben (denn: gegen die Entscheidung des Kasinos [das Todesurteil] gibt es keine Appellation").
Dieser unangenehmen" Erkenntnis begegnet der Oberst mit der – unwillkürlichen – Bestellung desselben Pálinkas, den der Andere nicht trinken konnte. Der behauptete Tod des Anderen, der sein eigener ist, wird, im Zeichen der Scham ( denn es beschämte ihn jetzt schon einigermaßen, sich so mit seinem Gegner identifiziert zu haben"), von diesem Pálinka, den er trinkt, gleichsam verdeckt. Diese Verdeckung ähnelt aber der oben beschriebenen Blindheit. Der Pálinka macht die Oberst-Figur gleichsam blind für das bzw. den Anderen (und den Tod). Doch kann die Verdeckung des Anderen diesen nicht vernichten, die Erfahrung der Innerlichkeit nicht rückgängig machen. Der Akt des Pálinka-Trinkens schafft den Oberst als eine Art leere Hülle, deren Merkmal die vielzitierte Souveränität ist. Der Andere", den der Oberst quasi geschaffen hat, erscheint nun aber als aus der Oberst-Figur herausgedrängt". Die Ortlosigkeit des Anderen" wird hier aber sozusagen zur großen Frage des Textes.
Es ist kein Zufall, dass die Handlung an dieser Stelle gleichsam abbricht. Die Zigarre, die der Oberst noch raucht, stellt, als ritueller und gewohnheitsmäßiger Abschluss des Essens bei den Mitgliedern der sozialen Schicht, der der Oberst angehört (und nicht der Journalist), gleichsam die Ordnung" wieder her. Der Oberst demonstriert seine soziale Zugehörigkeit und damit – vermeintlich – seine Überlegenheit. Er vollzieht die Abkehr von dem Anderen" äußerlich oder sichtbar nach. Das Gespenst" des Anderen verlangt nun – aufgrund dieser Widersprüchlichkeit – aber umso nachdrücklicher nach seinem Platz in der erzählten Zeit. Er" will kein Gespenst sein.
Was folgt, ist ein perspektivischer Bruch, der Erzähler tritt gleichsam aus Zeit der Erzählung aus und blickt aus einer Art universellen Perspektive, einer Art Zeitlosigkeit, auf das Geschehen, seine Rede ist an den Leser adressiert: Mit dieser Raucherszene kommen wir nun auch in Ungefähr zum Ende mit dem Arabischen Schimmel und all den Herren, deren Ankunft aus verschiedenen Stadtteilen hier zu erwarten war, weil sie in dieser Hinsicht einen inneren Instinkt hatten. Dass die Klinikgehilfen schlussendlich eintrafen, war sicher, weil selbst in der Klinik nicht Tag und Nacht seziert wird. Die Leichenkutscher kamen aus den verschiedenen Stadtteilen an, denn auch beim Leichentransport gibt es irgendwann eine gewisse Pause. Und gegen Abend zogen die Fiakerbesitzer vor dem Haus auf, weil ihre Ställe irgendwo in der Gegend waren. Es gab zu tun am Schanktisch, und durch die offene Küchentür strömte der Geruch von neuem perkelt'. János, die Wirtin und auch noch Andere hatten gerade genug Zeit gehabt, den Oberst zu vergessen, der hier am Nachmittag beängstigend die runden Augen verdreht hatte, der aber eigentlich ein Gemütsmensch war, der sich auch gerne mit dem Schankburschen auf ein Gespräch einließ. Als gegen Abend ein verspäteter Leichenkutscher vor dem Schanktisch erschien und dort mürrisch stehenblieb, wie einer, der unzufrieden mit seinem Beruf ist. Im Stand rieb er sich mit dem Fuß des einen Beins die Wade des anderen und sagte solange nichts, bis er zwei Gläser von dem starken Pálinka getrunken hatte."
Der Leichenkutscher berichtet János nun vom Tod des Oberst. Er liefert keinen Beweis dafür, dass das Duell stattgefunden hat. Nur die Aussage zum Tod des Oberst: Man hat gesagt, dass er in einem Duell in der Kaserne erschossen worden ist". Das allgemeine Subjekt ist als Zeuge wenig verlässlich, bzw. nicht identifizierbar, die Aussage nicht überprüfbar. Der Andere, der Gegner im Duell wird nicht erwähnt. János seinerseits kann den Toten jedoch nicht in Verbindung mit dem Oberst vom Nachmittag bringen, den der Leichenkutscher als Soldat a.D., der in Zivil aufgefunden wurde, beschreibt. Der Umstand der Zivilkleidung überantwortet die Leiche des Oberst aber an die zivile Institution des Leichenhauses.
Am Ende der Erzählung erscheinen zwei Oberst-Figuren: die des nachmittäglichen Gastes, der beängstigend die runden Augen verdreht hatte" und der tote Zivilist. In der Erzählung des Leichenwagenfahrers und dem Vergessen János' erscheinen die Figuren als voneinander getrennt, und natürlich vereint seine Erzählung die beiden, jedoch nur für den Leser, außerhalb der erzählten Zeit. Die beiden Figuren scheinen erlöst von ihrem paradoxen Verbundensein ihre jeweiligen heimatlichen" Plätze gefunden zu haben: die Ebene des Leser bildet aus der Sicht der handelnden Figur eine Art unzugängliche, unbeeinflussbare, ja göttliche Sphäre, zu der die Sphäre der erzählten Zeit im Gegensatz steht. Es scheint, dass das Gespenst" des Anderen" hier, in dieser göttlichen" Sphäre, der Sphäre der Sprache seinen Platz findet: als das wahre" Gesicht des Oberst, das erst der Tod macht".



Zusammenfassung

Utolsó szivar az Arabs szürkénél ist ein reines Sprachspiel das eine Art pseudo-Handlung entlang des Motivs des Duells" bzw. des Ehrenhandels inszeniert. Das Duell" ist nicht nur der beschriebene Vorwand für die Legalität der Hinrichtung, es ist auch sozusagen ein Handlungsvorwand. Der Text spielt oder nutzt den Anschein, von einem Ehrenhandel zu berichten. Tatsächlich generiert diese Referenz aber nur eine Erwartung: die Erwartung der Gegnerschaft und der Entscheidung. Der Autor überträgt diese Erwartungen als (sprachliches) Verlangen in den Text bzw. in die Textur des Textes, indem er durch eine gewisse Gewalt, die er gegenüber der Referenzialität der Sprache ausübt, durch autoritäre sprachliche Setzungen, die die Referenzialität der Sprache stören oder zerstören eine Art sprachlichen Ausnahmezustand, eine referenzlose oder in ihrer Referenz unbestimmbare, mehrdeutige, zwischen den Referenzen oszillierende, isoliert betrachtet reine" Sprache schafft. Der Text selbst baut auf Gegensätzlichkeit und einem gewissen Entscheidungsnotstand auf, er lebt" vom Verlangen nach der Entscheidung.
Im Zentrum dieser Performativität steht – in Bezug auf den Text als Sprachspiel – die Einheit eines paradoxen (unmöglichen) Befehls und des Gehorsams der Oberst-Figur gegenüber diesem Befehl. Die Handlungsunfähigkeit, die dem unmöglichen" Befehl entspringt, wird zur (quasi-)Handlung, indem sich der Befehl per Gehorsam als die Paradoxie, die er ist, in die Oberst-Figur einschreibt. Die Handlung" geht im von den Reden des Oberst begleiteten Verzehr bestimmter Speisen gleichsam auf. Diese Einheit von Sprechen und Essen bildet eine Art Referenzialisierungsmechanismus, dessen Funktion – vor dem Hintergrund des bevorstehenden Duells – die Setzung von Souveränität oder Überlegenheit bei der Oberst-Figur in Bezug auf das bzw. die bei einem virtuellen (weil allein sprachlich determinierten) Gegner gesetzte Ausgeliefertsein oder Unterlegenheit sein soll. Über die künstliche oder konstatierte Einheit von Essgewohnheiten (der Verzehr ausschließlich von als Armeleuteessen gewerteten Speisen) entfaltet sich dabei entlang der in jedem Paradox wirkenden Symmetrie oder Ökonomie (der absoluten, d.h. das jeweils andere in seiner Totalität vernichtenden Gegensätzlichkeit der einzelnen Glieder des Paradox), der negativen Äquivalenz seiner Glieder das paradoxe Verbundensein des o.g. Gegensatzes von Souveränität und Ausgeliefertsein. Der Gegensatz verspricht sich" durch den Oberst als Medium, der gleichzeitig die Identität der widersprüchlichen Glieder gewährleistet, indem er mit seinem vermeintlichen Gegner vermeintlich den Appetit teilt. In dieser paradoxen Mechanik scheint die Ebenbürtigkeit, die die Identität des Oberst und seines Gegners" voraussetzt, die jeweils behauptete Souveränität bzw. das Ausgeliefertsein auszuschließen (zu isolieren), sie gleicht einer Unruhe, die nie zum Stillstand kommt, die in einem ewigen Hin und Her, einem vernichtenden Behaupten ein immer neues Verlangen, ein neues Moment der Unruhe generiert. In diesem pulsierenden sich-Versprechen offenbart sich letztlich nicht nur die Struktur des Paradox an sich: das (gebannte) Verbundensein zweier sich absolut ausschließender Werte durch eine gemeinsame Identität, mit dem Effekt der Schaffung einer Art virtuell-absoluter Werte (einer absoluten Souveränität zw. eines absoluten Ausgeliefertseins). Sondern die Totalität der Vernichtung des jeweilig entgegengesetzten Gliedes des Paradoxons setzt auch eine gewisse Symmetrie, eine Art Ökonomie des Paradox, die o.g. negative Äquivalenz seiner Glieder voraus. Diese Künstlichkeit (in Bezug auf irgendeine Art Leben) des Paradox, seine totale Sprachlichkeit macht der Text deutlich, der die Gegensätzlichkeit der Figur des Oberst uns seines Gegners" nur als Applikation der vorgängig in der Rede der Oberst-Figur generierten Gegensätzlichkeit auf die erzählte Wirklichkeit übertragen kann. Damit schafft der Text aber eine Differenz zwischen Sprache und Leben". Das Leben" oder die Wirklichkeit" ist nichts als eine Projektionsfläche für eine sprachliche Wirklichkeit und selbst undurchdringlich. Zum einen wird hier deutlich, das die Ausnahme als Paradox zur großen Gemeinsamkeit der genanten theoretischen Texte und des Erzähltextes wird. Andererseits offenbart sich an dieser Stelle auch die leise Ironie des der Erzählung in der Einleitung dieser Arbeit unterstellten Mottos. Denn die Gegensätze sind zwar in der Tat […] erst wirklich entgegengesetzte, wenn man sie aus dem Leben herausschneidet". Doch scheint der Text die Frage aufzuwerfen, ob die Sprache, deren Domäne diese Gegensätze sind, überhaupt etwas aus dem Leben schneiden" kann. Es scheint viel eher so zu sein, dass die Sprache – wie Agamben festgestellt hat – einem ewigen Ausnahmezustand gleicht, der hier an einem Nachmittag im Arabischen Schimmel" – neben einem undurchdringlichen Leben – die Welt" bedeutet hat.


Literaturverzeichnis

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