Das Problem des Handelns

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DZPhil, Akademie Verlag, 61 (2013) 3, 001–016

Das Problem des Handelns∗ Von DOUGLAS LAVIN (Cambridge/Mass.) Man wird zugeben, dass Thomas Pynchons dritter Sinnspruch für Paranoiker ebenso für Philosophen maßgeschneidert ist: „Wem es gelingt, dir falsche Fragen einzureden, dem braucht auch vor der Antwort nicht zu bangen.“1 Ich beginne, indem ich zwei Weisen der Formulierung des Grundproblems der Handlungstheorie kontrastiere: den herkömmlichen (dekompositio­ nalen) Ansatz, der von Wittgensteins Frage „Was bleibt übrig?“ ausgeht, und den neoaristo­ telischen Ansatz, der sich seinem Gegenstand durch die Bestimmung eines besonderen Sinns der Frage „Warum?“ nähert. Weder Philosophen noch Paranoiker werden überrascht sein, dass die Form einer Frage die Antwort, zu der man gelangt, bestimmen kann, dass Wege, die in die philosophische Reflektion hineinführen, mit Wegen korrelieren, die aus ihr herausführen. Die zwei handlungstheoretischen Ansätze korrelieren mit zwei wesentlich voneinander verschiedenen Konzeptionen der Natur absichtlichen leiblichen oder physischen Handelns: zum einen als Kompositum aus metaphysisch voneinander unabhängigen inner-psychischen und äußerlich-materiellen Elementen, die durch eine generische Form der Kausalität mitein­ ander verknüpft sind, zum anderen als eine wesentlich selbstbewusste und vernünftige Form materieller Prozesse.2 Zudem korrelieren diese Ansätze mit einer Reihe typischer, aber selten diskutierter Unterschiede in der Wahl und Gewichtung von Beispielen, Ausdrucksweisen und Argumentationsstrategien. Einige dieser Unterschiede möchte ich beschreiben. Gewöhnlich tauchen diese kontrastierenden Merkmale als harmlose Vorüberlegungen auf und gelten als Bestandteil des vortheoretischen Hintergrundwissens. Ich hoffe, dass solche Merkmale den Anschein ihrer Unschuld und Unvermeidlichkeit verlieren, wenn sie einer Alternative gegenübergestellt werden. Ich ende mit einigen Bemerkungen zu einem Punkt, an dem sich die Differenzen zwischen diesen beiden Ansätzen zuspitzen, nämlich in der Verfügbarkeit der Idee praktischen Wissens: Wo unser Verstehen des Handelns durch Wittgensteins Frage organisiert ist, ringen wir darum, Sinn aus dem spezifisch praktischen oder produktiven Charakter des Selbstbewusstseins im Handeln zu machen. Wo unser Verstehen des Handelns hingegen durch die Bestimmung eines Sinns der Warum-Frage organisiert ist, geraten die Bedeutung

Ich bedanke mich bei Matthew Boyle, Eric Marcus und Ram Neta für die hilfreiche Diskussion von Entwürfen dieses Aufsatzes. 1 Pynchon (1984), 397. 2 Zur Vermeidung von Missverständnissen merke ich an, dass sich die folgende Diskussion mit spezifisch absichtlichem Handeln beschäftigt, obwohl ich gewöhnlich bloß vom Handeln spreche. Dies ist eine terminologische Wahl. ∗

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und der Reiz der neoaristotelischen Konzeption des Willens in den Blick, der zufolge der Wille als ein Vermögens praktischer Erkenntnis zu verstehen ist.

I. Wittgensteinsche Arithmetik und der dekopositionale Ansatz Wittgensteinsche Arithmetik. „Aber vergessen wir eines nicht: wenn ‚ich meinen Arm hebe‘, hebt sich mein Arm. Und das Problem entsteht: was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, dass ich meinen Arm hebe, die abziehe, dass mein Arm sich hebt?“3 Dieses Stück Wittgensteinscher Arithmetik ist der übliche Ausgangspunkt der gegenwärtigen Handlungstheorie. Und das ist bedeutsam, da diese Frage der nachfolgenden Reflexion eine ganz bestimmte Form aufnötigt. Sie setzt voraus, dass man ausbuchstabiert, was es heißt, etwas absichtlich zu tun – zum Beispiel, dass ich meinen Arm gehoben habe –, indem man ein Kompositum aus metaphysisch eigenständigen explanatorischen Faktoren beschreibt.4 Wenn ich meinen Arm hebe, hebt sich mein Arm; wenn ich eine Streichholzschachtel bewege, bewegt sich die Streichholzschachtel. „Heben“, „bewegen“, wie auch „öffnen“, „schließen“, „abkühlen“, „zerbrechen“, „verbrennen“, „versinken“ und „schmelzen“ sind Elemente einer Klasse deutscher Verben mit transitiven und intransitiven Verwendungsweisen, für die Folgendes gilt: (Bewegung)

X Atransitiv-te Y nur dann, wenn Y Aintransitiv-te.5

Das Sich-Heben meines Arms und das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel sind physikalische Ereignisse, Elemente der beobachtbaren Welt bewegter Materie. Natürlich könnte sich jemandes Arm heben oder eine Streichholzschachtel sich bewegen, selbst wenn er nicht den Arm höbe oder die Streichholzschachtel bewegte – vielleicht ist es der Wind. Manchen wird es so wie John Searle scheinen, dass wir in einem solchen Fall „eine Körperbewegung [haben], die mit einer Körperbewegung in einer absichtlichen Handlung exakt gleich sein mag“.6 Eine Voraussetzung der Wittgensteinschen Arithmetik besteht darin, dass eine Theorie der Natur 3

Wittgenstein (1984), § 621. Wittgenstein zeigt die Natürlichkeit des durch diese Frage geleiteten Denkens über das Handeln auf. Ich möchte nicht nahelegen, dass er uns ermutigen will, diese Frage zu beantworten. 5 Der Unterschied zwischen der intransitiven und der transitiven Verbform wird im Deutschen bei manchen Verben oberflächengrammatisch durch ein die intransitive Form kennzeichnendes Reflexivpronomen markiert (zum Beispiel ich bewege den Arm / der Arm bewegt sich), andere Verben haben je eigene transitive und intransitive Formen (zum Beispiel versänken/versinken), und es gibt Verben, bei denen der Unterschied oberflächengrammatisch nicht markiert ist (zum Beispiel verbrennen). Das Schema (Bewegung) ist tiefengrammatisch zu verstehen und trifft für alle diese Verbklassen zu. (Anm. d. Übers.) 6 Searle (1991), 120. Aber enthält die Tatsache, dass das F-Sein von S das G-Sein von S impliziert und S G sein kann, ohne F zu sein, dass es möglich sein muss, das F-Sein von S in das G-Sein von S und das H-Sein von S zu zergliedern, sodass H eine weitere, nicht mit F identische Bedingung ist? Die Antwort ist: Nein. Zum Beispiel impliziert das Rot-Sein von S das Farbig-sein von S, und S kann farbig sein, ohne rot zu sein, aber es ist aussichtslos, das Rot-Sein von S in das Farbig-Sein von S plus einer nichttrivialen weiteren Bedingung zu analysieren. So ist es in vielen Fällen: ein Elternteil sein und ein Vorfahr sein; ein Pferd sein und ein Tier sein; etwas Wissen und von etwas überzeugt sein (vgl. Williamson 2000); etwas Wahrnehmen und eine Erfahrung von etwas haben (vgl. McDowell 1982). Der Schluss, dass es, wenn G-Sein eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für F-Sein ist, ein nichttriviales H geben muss, welches in Verbindung mit G eine notwendige und hin4

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des Handelns mit einer nicht-intrinsisch-absichtlichen Bewegung anfängt („mein Arm hebt sich“, „die Streichholzschachtel bewegt sich“) und dass wir erst durch die Addition weiterer eigenständiger Faktoren zu etwas gelangen, das sich als absichtliches Handeln beschreiben lässt („ich hob meinen Arm“, „ich bewegte die Streichholzschachtel“). Dieser Sichtweise zufolge besteht Handeln aus einem nicht-intrinsisch-absichtlichen physischen Ereignis, einem „bloßen Geschehen“, welches in einem Kontext vorkommt, in welchem bestimmte weitere Fakten bestehen. Die grundlegende Aufgabe der philosophischen Untersuchung des Handelns ist nun vorgegeben: Man muss zu einer Spezifikation dieser weiteren Fakten gelangen, das heißt zu einer Spezifikation dessen, was addiert werden muss. Die zentralen Fragen der Handlungstheorie stehen dann fest: Worin besteht dieser weitere Faktor? Besteht er in Überzeugungen, Begierden, Absichten, Grundsätzen, Willensakten, dem Handelnden selbst oder etwas ganz anderem? Und wie muss die Art der Relation charakterisiert werden (ereigniskausal, akteurkausal, veranlassend, strukturierend, erhaltend, anders), welche diesen weiteren Faktor mit dem, was „bloß geschieht“, verknüpft, wenn jemand etwas absichtlich tut? Ungeachtet der vielen Debatten darüber, wie diese Aufgabe angemessen erfüllt werden kann, teilen diejenigen, die sich dieser Aufgabe annehmen, zwei weitere miteinander verflochtene Annahmen, die zusammen den Rahmen des dekompositionalen Ansatzes in der Handlungstheorie ausmachen. Die erste betrifft die Kausalität, die zweite die Rolle des Geistes im Handeln. Kausalität als ein Faktor in der Gleichung. Wenn ich meinen Arm hebe, nicht jedoch, wenn sich mein Arm bloß hebt, und wenn ich die Streichholzschachtel bewege, nicht jedoch, wenn sich die Streichholzschachtel bloß bewegt, ist es natürlich, von mir als jemandem zu sprechen, der etwas generiert, erstellt, produziert oder herbeiführt, der veranlasst, dass etwas passiert. Das ist eine harmlose Weise, den kausalen Charakter von Begriffen hervorzuheben, die im gewöhnlichen Denken und Sprechen über das Handeln verwendet werden. Es ist ebenso harmlos, diesen kausalen Charakter dadurch hervorzuheben, dass man von „verursachen“ spricht: Wenn ich die Streichholzschachtel bewegt habe, habe ich das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel verursacht; wenn ich meinen Arm gehoben habe, habe ich das Sich-Heben meines Arms verursacht. Folgendes gilt offenbar für jedes Glied der Klasse von Verben mit transitiven und intransitiven Formen: (Kausalität)

X Atransitiv-te Y nur, wenn X verursachte, dass Y Aintransitiv-te.

Das Schema macht deutlich, dass Kausalität für das Vermögen zum Handeln und dessen Ausübung im Handeln zentral ist.7 Doch der dekompositionalen Konzeption zufolge zeigt es mehr: Es identifiziert einen weiteren eigenständigen Faktor, der in die Wittgensteinsche Gleichung eingesetzt werden kann. Gemäß dem dekompositionalen Theoretiker ist eine absichtliche Handlung (ich hob meinen Arm, ich bewegte die Streichholzschachtel) ein durch einen Faktor x verursachtes bloßes Geschehen (das Sich-Heben meines Arms, das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel), sodass die Auflösung dieses x der Aufdeckung der metaphysischen Struktur des Handelns gleichkommt.

reichende Bedingung für das F-Sein konstituiert, kann der analytische Fehlschluss genannt werden (zu seiner speziellen Anwendung in der Analyse des Handelns vgl. Ford 2011, Kap. 2). 7 Hier folge ich Jennifer Hornsbys Diskussion kausativer transitiver Verben in: dies. (1980), Kap. 1 u. Appendix A.

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Es ist wichtig, zu sehen, dass dieser Schritt keine bloße Reformulierung der harmlosen Verbalimplikation von (Kausalität) und somit nichttrivial ist. Das kann man sehen, wenn man zunächst eine parallele Verbalimplikation betrachtet: Ich habe die Tür nur rot bemalt, wenn ich die Tür rot gefärbt habe; ebenso habe ich die Tür nur rot lackiert (lasiert), wenn ich die Tür rot gefärbt habe. Offensichtlich artikulieren wir keinen eigenständigen Faktor in der Analyse des absichtlichen Handelns, indem wir dieses gemeinsame Element des Färbens aufzeigen. Das ist nicht nur deswegen so, weil die „Färbeverben“ eine limitierte Klasse bilden, sondern weil „ich habe die Tür rot gefärbt“ nur eine weitere gewöhnliche Handlungsbeschreibung ist. Sie wirft exakt dieselben Fragen auf wie die bestimmteren Handlungsberichte („ich habe … bemalt“, „ich habe … lackiert“). Zugegebenermaßen ist die Klasse transitiver kausativer Verben abstrakter und umfassender als die Klasse der Färbeverben. Doch warum sollte diese Tatsache die Hoffnung wecken, dass (Kausalität) ein bedeutsamer Schritt in der dekompositionalen Analyse des Handelns ist? Denn wenn „verursachen, dass Y Aintransitiv-t“ nur die Verbalphrase einer gewöhnlichen Handlungsbeschreibung ist, so offenbart die durch (Kausalität) erlaubte Implikation nicht, dass das kausale Element im gewöhnlichen praktischen Denken ein eigenständiger Faktor ist, der in einer nichttrivialen Analyse des Handelns vorkommen könnte. Warum sollte man denken, dass es sich anders verhält? Die Interpretation des dekompositionalen Theoretikers beruht auf einer weiteren Transformation. Wenn ich verursacht habe, dass die Streichholzschachtel sich bewegt, dann habe ich das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel verursacht; wenn ich verursacht habe, dass mein Arm sich hebt, dann habe ich das Sich-Heben meines Arms verursacht. Diesen Zusammenhang können wir allgemein darlegen als das Prinzip der (Ereignis-Nominalisierung) X hat nur dann verursacht, dass Y Aintransitiv-t, wenn X das Aintransitiv-en von Y verursacht hat. Das Prinzip der (Ereignis-Nominalisierung) erlaubt es, Behauptungen mit Subjekt-VerbStruktur (X verursachte, dass Y A-t) in eine grammatikalisch relationale Form (X verursachte das A-en von Y) umzuwandeln. Hier erscheint die Kausalität des Handelns als eine Relation zwischen zwei je eigenständigen Einzelnen und ist in dieser Hinsicht logisch und metaphysisch mit Relationen wie „ist größer als“, „ist auf“ und „geht voran“ vergleichbar. Charakteristischerweise nimmt der dekompositionale Ansatz diesen Anschein für bare Münze: Er setzt voraus, dass das kausale Element, welches durch die transitiven Verben eingeführt wird, die in der gewöhnlichen Handlungsrepräsentation verwendet werden, eine reale Relation zwischen eigenständigen, vollständig bestimmten Einzelnen ist – einem Faktor x und einem bloßen Geschehen.8 Des Weiteren ist diese Relation generisch. Die Prinzipien, die „ich habe die Streichholzschachtel bewegt“ in „ich habe das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel verursacht“ umwandeln, transformieren auch „die Sonne hat den Stein erwärmt“ in „die Sonne hat das Sich-Erwärmen des Steins verursacht“. Dies erweckt den Anschein, dass sich das in der Beschreibung absichtlicher Handlungen involvierte kausale Element nicht von dem kausalen Element unterscheidet, welches in der Beschreibung von Interaktionen involviert ist, die keine absichtlichen Handlungen sind. Und wieder nimmt der dekompositionale Theoretiker die 8

Aber müssen wir diesen Anschein ernst nehmen? Zumindest gibt es Raum für eine andere Sicht der Dinge. Immerhin drücken die Verben „tragen“ in „Jones trug ein Lächeln auf seinem Gesicht“, „nehmen“ in „Smith nahm ein Bad“ und „vollführen“ in „ich vollführte einen Akt des Bewegens der Streichholzschachtel“ keine realen Relationen aus, obwohl ihre Oberflächengrammatik relational ist. Zur weiteren Diskussion vgl. Hyman (2001), 298–317; und: Sellars (1999).

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Erscheinungen für bare Münze: Er nimmt an, dass die im Handeln involvierte Kausalität nur eine Instanz von Kausalität ist, die sich auch andernorts findet, vielleicht sogar überall in der Natur. Damit sind wir beim Problem des Handelns angelangt, wie der dekompositionale Theo­ retiker es versteht: Was den spezifisch vernünftigen oder absichtlichen Fall unterscheidet, ist weder das, was passiert (Bewegung), noch wie es von etwas Anderem herrührt (Kausalität). Auf diesem Weg gelangt die Handlungstheorie zur Fokussierung auf die Frage nach der bestimmten kausalen Quelle dessen, was bloß geschieht. Der Geist im Handeln. Dies bringt uns zur zweiten charakteristischen Annahme des dekompositionalen Ansatzes, die die Rolle des Geistes im Handeln betrifft. Unser Ausgangspunkt ist wiederum ein Gemeinplatz. Wenn ich etwas absichtlich oder mit einem Grund tue, tue ich es nicht unwissend, sondern indem ich wissentlich ein Ziel ausführe. Wir markieren diese Tatsache durch bestimmte Betonungen (ich tat es, ich selbst). Wir sprechen explizit von der Person oder der rational Handelnden als der lenkenden Quelle dessen, was geschieht. Und wir sprechen von Bestimmungen des Geistes („dies ist mein Wille…“) als von etwas, was diese Rolle übernimmt: Im Handeln gebe ich der Welt ein Stück meines Geistes, erlege ich der Welt meinen Willen auf. Das ist ungebändigte Sprache. Wir können sie etwas zähmen, indem wir die Rede von Geist und Willen durch eine bestimmte Reihe psychologischer Urteile ersetzen: Wenn ich meinen Arm hebe, dann will (beabsichtige, versuche, erstrebe) ich ihn (zu) heben. Wo das A-en von X eine absichtliche Handlung ist, gilt allgemein: (Geist) X hat Y nur dann ge-A-t, wenn X Y A-en wollte (beabsichtigte, versuchte zu A-en). Wo (Kausalität) explizit ein kausales Element in der Alltagsrede über das Handeln zum Ausdruck bringt, registriert (Geist) ein psychologisches Element: Eine Handlung ist eine Art des Geschehens, welche in einer bestimmten Relation zu den Zielen des Subjekts steht. Man muss kein dekompositionaler Theoretiker sein, um anzuerkennen, dass etwas an dieser Beobachtung richtig ist: Jeder, der versteht, was Handeln ist, sollte es einräumen. Doch wiederum interpretiert der dekompositionale Theoretiker diesen Punkt auf eine nichttri­ viale Weise. Zunächst beobachtet er, dass Folgendes möglich ist: Jemand beabsichtigt (will, erstrebt), seinen Arm (zu) heben, obwohl sein Arm sich nicht hebt – vielleicht hat er es sich anders überlegt, vielleicht wird er gehindert, vielleicht ist sein Arm gelähmt, ohne dass er es bemerkt, weshalb in diesem Fall nichts geschieht. Diese Beobachtung scheint zu bestätigen, was seine Interpretation der anderen in der Konstitution des Handelns involvierten Elemente bereits impliziert: dass der im absichtlichen Handeln involvierte psychologische Faktor von den Elementen der Bewegung und der Kausalität analytisch unterscheidbar ist. Die letztgenannten Elemente  – das Sich-Heben eines Arms oder das Sich-Bewegen einer Streichholzschachtel sowie die Kausalrelation, kraft derer diese Ereignisse mit etwas Geistigem verknüpft sind – sind nicht intrinsisch geistig. Das Sich-Heben des Arms ist von einer Art, deren Vorkommen unabhängig von einer Verursachung durch eine Absicht ist. Und die Kausalrelation zum Sich-Heben des Arms ist ebenso keine spezielle Art des Kausalnexus, zum Beispiel ein teilweise durch Absichten konstituierter oder geleiteter Zusammenhang, sondern eine generische Form der Kausalität, die zum Beispiel auch die Sonne mit einem Stein, Feuer mit Rauch oder einen Hund mit seinem Knochen verknüpft. Aus demselben Grund impliziert die Existenz des im absichtlichen Handeln involvierten psychologischen Elements keinerlei äußere Bewegung oder Veränderung. Was ihm auch immer folgen mag, für sich genommen ist der im Handeln involvierte geistige Akt absolut vollständig, selbst wenn er

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völlig wirkungslos bleibt. In dieser Hinsicht ist er wie ein Wunsch oder ein Tagtraum, eine „rein innere“ Angelegenheit. Wir können also sagen, dass aus dekompositionaler Sicht die geistige Operation, durch die das, was geschieht (typischerweise eine Körperbewegung), ein Ausdruck von Intelligenz und Willen ist, selbst kein Akt des Hervorbringens eines Geschehens ist. Sie ist eher ein innerer Zustand oder ein inneres Ereignis, welches nur dann zur Konstitution eines Aktes des Hervorbringens eines Geschehens beiträgt, wenn es in einer nicht-intrinsisch-absichtsgeleiteten Kausalrelation zu einem nicht-intrinsisch-absichtsgeleiteten Geschehen steht. Diese Sichtweise scheint so gut wie unvermeidbar, wenn wir uns das Thema der Handlungstheorie durch Wittgensteins Frage vorgeben lassen. Denn was könnte ein Verständnis der Natur des Handelns sein, wenn nicht eine Erklärung dafür, wie eine Vielheit von Elementen, die jeweils nicht den Begriff des absichtlichen Handelns voraussetzen, zu einem Fall des absichtlichen Handelns zusammenkommen.

II. Untersuchungen der Warum-Frage und ein nicht-dekompositionaler Ansatz Ein bestimmter Sinn der Warum-Frage. Ich möchte vorschlagen, dass es einen ganz anderen, nicht-dekompositionalen Ansatz gibt, um Handeln zu verstehen. Dieser Ansatz gründet in einer anderen Art der Untersuchung und ist durch eine andere Fragestellung motiviert. Es könnte so scheinen, als käme die Zurückweisung des Unterfangens der Dekomposition schlicht der Aufgabe des Projekts gleich zu erklären, was Handeln ist. Doch der Ansatz, den ich „Neoaristotelismus“ nenne, betrachtet „absichtliches Handeln“ ebenso wenig als etwas begrifflich oder metaphysisch Primitives wie die Vertreter des dekompositionalen Ansatzes. Der Kerngedanken des Neoaristotelismus ist, dass absichtliches Handeln etwas ist, das in einer bestimmten Form der Erklärung vorkommt; etwas, das der Anwendung einer bestimmten Warum-Frage stattgibt. Doch worin besteht der relevante Sinn dieser Warum-Frage? Obwohl es richtig ist zu sagen, dass es der Sinn ist, der nach einem „Handlungsgrund“ fragt, ist diese Auskunft nicht informativ. Wir erhellen den Begriff des Handelns nicht, indem wir ihn in einem Zirkel sich gegenseitig definierender Begriffe verorten. Wenn wir die Idee des absichtlichen Handelns durch die Anwendbarkeit der Warum-Frage erklären wollen, so müssen wir den relevanten Sinn der Warum-Frage auf eine Weise isolieren, die kein Verständnis des Begriffs des absichtlichen Handelns voraussetzt. Der Neoaristoteliker nähert sich dem Thema des Handelns durch diese Warum-Frage. Und die Aufgabe, die er sich stellt, besteht darin, den relevanten Sinn der Frage zu isolieren, ohne diese methodologische Vorgabe zu verletzen. Indem er sich an dieser Vorgabe orientiert und zugleich das Projekt der Dekomposition vermeidet, offenbart der Neoaristoteliker das Ziel, eine Form des Denkens zu erfassen, welcher der gesamte Begriffszirkel entspringt. Der Ausdruck „absichtlich“ beträfe tatsächlich eine bestimmte Form der Beschreibung von Ereignissen. Die Idee scheint zu sein, dass der Begriff „absichtlich“ eine formale Kategorie ist, vielleicht so wie die Fregeschen Begriffe „Gegenstand“ und „Begriff“. Dies sind Begriffe, die das, was unter sie fällt, dadurch charakterisieren, dass es einer bestimmten Form des Denkens entspricht: Was durch den Subjektausdruck eines Fregeschen Elementarsatzes der Form „a ist F“ bezeichnet werden kann, ist ein „Gegenstand“; was durch das Prädikat eines solchen Satzes bezeichnet werden kann, ist ein „Begriff“. In gleicher Weise muss „absichtlich“ dem neoaristotelischen Ansatz zufolge durch eine Reflexion auf eine bestimmte Form des Etwas-Unter-Einen-Begriff-Bringens verstanden

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werden, ausdrücklich durch die Artikulation einer bestimmten Art der Ereignis-Prädikation oder, wie ich weiter unten sage, der kinēsis (Bewegungs-)Zuschreibung. Dass das Verständnis des Begriffs „absichtlich“ in einer bestimmten „Form der Beschreibung von Ereignissen“ gründet, ist eine Hinsicht, in welcher sich der neoaristotelische Ansatz vom dekompositionalen Ansatz abhebt. Diese Charakterisierung impliziert, dass Ereignisbeschreibungen  – die Beschreibungen zeitlich erstreckter innerweltlicher Geschehnisse  – verschiedene Formen annehmen und dass wir im philosophischen Verstehen vorankommen, indem wir sie unterscheiden. Im Gegensatz dazu ist der dekompositionale Theoretiker darauf festgelegt zu zeigen, dass die scheinbar verschiedenen Formen der Ereignisbeschreibung – transitive Beschreibungen absichtlicher Handlungen und intransitive Beschreibungen von Ereignissen, die kein Handeln implizieren – dieselbe grundlegende Form teilen. Seiner Meinung nach impliziert die einzige Form der Beschreibung weltlichen Geschehens, die wir in der Analyse des Handelns anerkennen müssen, kein absichtliches Handeln: intransitive, nicht-intrinsisch-absichtliche Beschreibungen bloßer (Körper-)Bewegungen. Um absichtliches Handeln zu verstehen, muss man nicht eine andere, irreduzibel verschiedene Form der Ereignisbeschreibung anerkennen. Ereignisse, die als absichtliche Handlungen beschreibbar sind, bestehen letzten Endes aus intransitiven, nicht-intrinsisch-absichtlichen (Körper) Bewegungen mit bestimmten Ursachen. Folglich besteht das Projekt des dekompositionalen Theoretikers genau darin, Handeln nicht durch die Spezifikation einer ausgezeichneten Form der Ereignisbeschreibung zu verstehen; sein Projekt besteht im Gegenteil darin, eine einzige homogene Klasse der Ereignisbeschreibung, die sowohl absichtlichen Handlungen als auch nicht-absichtlichen Geschehnissen gemeinsamen ist, zu identifizieren und dann weitere Merkmale zu spezifizieren, die auf diese Weise beschreibbare Ereignisse aufweisen müssen, wenn jemand etwas absichtlich getan hat.9 Ein weiterer Kontrast zwischen beiden Ansätzen zeigt sich, wenn man die „Handlungsszenarien“ betrachtet, mit denen die jeweiligen Untersuchungen beginnen. Man erinnere sich, dass der dekompositionale Ansatz damit anfängt, dass jemand etwas getan hat („Ich habe die Streichholzschachtel bewegt“, „Ich habe meinen Arm gehoben“). Der entscheidende erste Schritt in der Erörterung des Begriffs des Handelns besteht darin, die Perspektive des Handelnden aus der Beschreibung dessen, was geschieht, zu eliminieren („Die Streichholzschachtel hat sich bewegt“, „Mein Arm hat sich gehoben“), wobei das, was geschieht, hier als vollständig bestimmtes Einzelnes verstanden wird („das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel“, „das Sich-Heben meines Arms“). So wird unsere Aufmerksamkeit von vornherein auf das gelenkt, was schon da ist, und nicht auf jemandes Tätig-Sein. Die darauffolgende 9

Hier ist nicht der Ort, um auf die Details einzugehen, wie eine einzige, nicht weiter differenzierte Konzeption der Rede über Ereignisse ausgearbeitet werden könnte. Ich habe Formulierungen verwendet, die den Kontrast zwischen transitiven und intransitiven Verben hervorheben, um den Bezug zu unserer obigen Diskussion der dekompositionalen Theorie zu wahren. Dennoch scheint mir die von Donald Davidson in Davidson (1990) penibel ausgearbeitete Form der Ereignisrepräsentation (von der wir alle wissen, dass sie nicht speziell aufs Handeln bezogen ist) der mächtigste Rahmen zu sein, innerhalb dessen man die dekompositionale Handlungstheorie entwickeln kann. Die zentrale Idee ist, dass die gewöhnliche Rede über Ereignisse – ob transitiv oder intransitiv („Die Sonne schmolz das Wachs“, „Das Wachs schmolz“), ob von etwas absichtlich oder nicht absichtlich Getanem („Jones schaltete das Licht an“, „Jones alarmierte den Dieb“) – eine spezielle Klasse konkreter Einzeldinge zum Gegenstand hat, die Davidson „Ereignisse“ nennt. Gemäß dieser Analyse haben die Sätze die Struktur einer Existenzquantifikation über folgenden Bereich: „Für ein Ereignis e gilt, e ist so, dass …“. In diesem Rahmen zeigt sich die Festlegung auf die Homogenität von Ereignisbeschreibungen am direktesten hierin: Das Individuationsprinzip von Ereignissen ist der Wahrheit der Beschreibung von etwas als absichtlich vollzogene Handlung vorgängig und von dieser unabhängig.

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Untersuchung ist dann vornehmlich ein Versuch, den Weg zurückzufinden. Der neoaristotelische Ansatz hat einen anderen Ausgangspunkt: Jemand beobachtet eine Person, die dabei ist, etwas zu tun (ich sehe, dass sie die Treppe hochgeht). Im nächsten, handlungstheoretisch entscheidenden Schritt richtet der Beobachter dann die explanatorische Frage direkt an die Handelnde selbst (ich frage sie: „Warum gehst du die Treppe hoch?“). Auf diese Weise nimmt er die Perspektive des selbstbewussten Subjekts ein. Von vornherein richtet sich unsere Aufmerksamkeit also auf das, was wir den Standpunkt der in die Zukunft blickenden Handelnden nennen könnten – die Vollzugsperspektive auf das, was noch nicht getan ist („Du fragst, weshalb ich die Treppe hoch gehe? Ich gehe die Treppe hoch, weil …“). Und die darauffolgende Untersuchung ist im Wesentlichen eine Befragung dieses praktischen Selbstbewusstseins. Dieser Ansatz setzt voraus, dass dem praktischen Selbstbewusstsein ein Wissen um die Natur des Handelns und um die Wirksamkeit des Willens intern ist. Hier ist es nicht die Aufgabe der Handlungsphilosophie, Unwissenheit durch Wissen zu ersetzen, sondern das, was bereits im Handeln gewusst wird, explizit zu machen. Für den neoaristotelischen Ansatz ist es also offenbar entscheidend, dass wir weder die Perspektive des selbstbewussten Subjekts noch die Perspektive der Beschreibung materieller Ereignisse jemals verlassen. Ich denke, es kann schwierig sein zu sehen, was ein solches Vorgehen beinhalten oder wohin es führen soll. Um dieses Vorgehen besser verstehen zu können, müssen wir einige Merkmale der gewöhnlichen Rede und des Denkens über Ereignisse betrachten. Und zwar nicht diejenigen Merkmale, die im Zentrum von Davidsons Die logische Form der Handlungssätze10 stehen (zum Beispiel adverbiale Modifikation und nominalisierende Umformulierung), sondern vielmehr bestimmte zeitliche Merkmale. Ereignisbeschreibungen handeln charakteristischerweise von etwas, was „Zeit braucht“ und „zur Vollendung gelangt“ – einem zeitlich begrenzten Ganzen mit verschiedenen Phasen. Vor diesem Hintergrund beginnen wir zu sehen, was es für die Handlungstheorie bedeuten könnte, die Klärung einer bestimmten Form der Ereignisbeschreibung, oder, wie ich mich oft etwas einfacher ausdrücken werde, einer bestimmten Ereignisform, zur Aufgabe zu haben. Es wird sich zeigen, dass diese Aufgabe darin besteht, eine Einheit zwischen Teil und Ganzem zu artikulieren  – genauer, eine eigenständige Form der Einheit eines sich entfaltenden Prozesses und seiner Phasen, die die Aspekte der „Kausalität“ und des „Geistes“, die Teil jeder erhellenden Behandlung des Handlungsverlaufs sein müssen, erfasst. Die Zeitlichkeit der Bewegung. Um die zeitliche Struktur angemessen aufzuzeigen, dürfen wir unsere Diskussion nicht so führen, dass wir nur abstrakte Substantive (zum Beispiel „Ereignis“, „Prozess“, „Geschehen“, „Verhalten“, „Handlung“) und Nominalphrasen, die Ereignisse bezeichnen (zum Beispiel „Jones’ Heben seines Arms“, „das Sich-Bewegen der Streichholzschachtel“, „die Bewegung der Streichholzschachtel“) gebrauchen, die das Handwerkszeug der Handlungstheorie sind. Wir müssen die Bewegungsrepräsentation in vollständigen Gedanken betrachten. Man beachte Folgendes: (1) Jones ging gerade über die Straße. (2) Jones ist über die Straße gegangen. Das Subjekt (Jones), das Prädikat (über die Straße gehen) und das Tempus (Vergangenheit) sind gemeinsame Merkmale dieser Gedanken. Dennoch sind es nicht dieselben Gedanken: Dass 10

Vgl. Davidson (1990).

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Jones gerade über die Straße ging, enthält nicht, dass Jones über die Straße gegangen ist. Die Aussagen unterscheiden sich im Aspekt. Was die Aussage im imperfektiven Aspekt (1) als sich entwickelnd und im Gange befindend vorstellt, stellt die entsprechende Aussage im perfektiven Aspekt (2) als abgeschlossen und getan vor. Der Aspektkontrast ist ein Unterschied zwischen Weisen, in denen sich Subjekt und Prädikat zu einem vollständigen Gedanken verbinden. Natürlich kann „über die Straße gehen“ auch in Gedanken eingehen, die die Gegenwart betreffen: (3) Jones geht gerade über die Straße. Das Subjekt (Jones), das Prädikat (über die Straße gehen) und der Aspekt (imperfektiv) sind (3) und (1) gemeinsam. Doch sie sind nicht gleich: Dass Jones gerade über die Straße ging, enthält nicht, dass Jones gerade über die Straße geht. Sie unterscheiden sich nur im Tempus: Was (3) als gegenwärtig vorstellt, stellt (1) in der Vergangenheit vor. Und wie steht es nun um den anderen Vergangenheitsgedanken, den in der vollendeten Vergangenheit (2)? Was kontrastiert mit ihm dadurch, dass es im Präsens ist? Die Antwort lautet: Nichts. Der perfektive Aspekt ist logisch mit einer Bedeutung im Präsens inkompatibel.11 Es gibt also zwei Möglichkeiten, „über die Straße gehen“ in der Vergangenheitsform auszusagen, aber nur eine Möglichkeit im Präsens. Metaphysisch gesprochen besagt der Punkt: „Über die Straße gehen“ hat zwei Weisen des „Vergangen-Seins“ („Im-Gange-Sein“ und „Vollendet-Sein“), aber nur eine Weise des „Gegenwärtig-Seins“ („Im-Gange-Sein“). Natürlich findet der Aspektkontrast (wie auch der korrespondierende metaphysische Kontrast zwischen Im-Gange-Sein und Vollendet-Sein) nicht nur auf Handlungsbegriffe wie „über die Straße gehen“ Anwendung. Das prädikative Material in „Die Sonne geht gerade unter“, „Der Kirschbaum erblüht“, „Das Rotkehlchen fliegt zu seinem Nest“ und „Jones bäckt gerade einen Kuchen“ lässt den Aspektkontrast ebenfalls zu. Wir können diesen Kontrast in der folgenden Urteilstafel darstellen: (Kinēsis 1) Vergangenheit

Präsens

imperfektiv

S tat gerade φ

S tut gerade φ

perfektiv

S hat φ getan

Ich beziehe mich auf eine Tradition, die bis zu Aristoteles zurückreicht, dessen abstrakte Kategorie der kinēsis durch diese Aspektbestimmungen spezifiziert wird. Ein Prädikat drückt eine kinēsis aus, wenn es den Aspektkontrast generiert, das heißt, wenn es in Aussagen der verschiedenen in unserer Tabelle (Kinēsis 1) vorgestellten Formen eingehen kann.12 „Jones ist über die Straße gegangen“ und „Jones geht gerade über die Straße“ sind nun keine schlechthin voneinander unabhängigen Aussagen. Vielmehr haben sie dasselbe Subjekt 11

Die Behauptung ist, dass perfektives Denken („Jones ist über die Straße gegangen“) nicht mittels der Vergangenheitsform eines Gedankens im Präsens analysiert werden kann (Es war der Fall, dass p), da es keinen Gedanken im Präsens gibt, der die relevante Aufgabe verrichten kann. Ich werde nicht versuchen, hier dafür zu argumentieren. Zur Diskussion vgl. Galton (1984), 1–23; Rödl (2005), 155–160; Thompson (2011), 155–163. 12 Aristoteles, Metaphysik, Theta 6, 1048b 18–35. Ich wurde in die philosophische Wichtigkeit des Themas des Aspekts durch Thompsons Diskussion in Thompson (2011), 109–185, eingeführt. Besonders hilfreich sind auch Galton (1984); Rödl (2005); Waterlow (1982).

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und dasselbe Prädikat. Des Weiteren sollte niemand leugnen, dass der Unterschied in einem Sinne zeitlich ist, denn schließlich ist (2) Vergangenheit, während (3) Gegenwart ist. Es stellt sich die Frage, wie wir diese Differenz verstehen sollen, wenn nicht als Summe aus einer dem Aspektkontrast vorgängigen und von diesem unabhängigen Differenz im Tempus plus einer zusätzlichen Differenz im Aspekt? Unsere drei Aussagen kommen im Paket, und wir verstehen die besondere Zeitlichkeit der Bewegung, indem wir auf die Relationen reflektieren, in denen sie zueinander stehen. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Punkte machen. Erstens, über die Straße gehen, zu einem Nest fliegen und Bewegung im Allgemeinen brau­ chen Zeit. Der Aspektkontrast spezifiziert eine der Bewegung interne Dauer: S hat nur φ getan, wenn S gerade φ tat, aber noch nicht getan hat. Im Zentrum des Perfektiven liegt die Idee eines vollendeten Progresses. Zweitens können über die Straße gehen, zu einem Nest fliegen und Bewegung im Allgemeinen unterbrochen werden. Der Aspektkontrast spezifiziert ein der Bewegung internes Ziel oder eine der Bewegung interne Grenze: S tut gerade φ nur dann, wenn S noch nicht φ getan hat, aber darauf bezogen ist, φ getan zu haben. Im Zentrum des Imperfektiven liegt die Idee der noch nicht erreichten Vollendung. Aber in welchem Sinne involviert „Jones geht gerade über die Straße“ eine Beschreibung des Hier und Jetzt im Licht seiner Vollendung? Nicht so, dass es die tatsächliche Zukunft in die Beschreibung gegenwärtiger Ereignisse mit einbezieht. Dass etwas im Gange ist, ist damit kompatibel, dass es nie zum Abschluss kommt: S tut gerade φ enthält nicht S wird φ getan haben. Dennoch spezifiziert der im imperfektiven Urteil angewendete Begriff („über die Straße gehen“) einen Endpunkt oder eine Grenze („auf der anderen Straßenseite sein“), einen Punkt, jenseits dessen die progressive Wahrheit nicht weiter bestehen kann. Nur dieser Endpunkt ist der Beschreibung der Geschehnisse intern: Er spezifiziert, was sein soll, jedoch nicht, was tatsächlich sein wird. Wenn sich die Dinge nicht fügen (Busunfall auf halber Strecke), dann sagen wir, dass sie unterbrochen wurden, dass etwas dazwischen gekommen ist. Und diese Ausdrücke setzen, wie auch die progressive Wahrheit, die Gegenwart einer realen Tendenz zur (und nicht bloß einer müßigen Hoffnung auf) Vollendung voraus.13 Ich habe gesagt, dass Handeln, ja sogar kinēsis (Bewegung) im Allgemeinen, Zeit braucht und zur Vollendung tendiert. Des Weiteren gilt, dass eine Bewegung, die im Gange und also noch nicht vollendet ist, graduell unvollendet ist (X fängt gerade an, hat die halbe Strecke schon hinter sich, ist schon fast da). Das ist die Voraussetzung für den Gedanken, dass eine kinēsis schnell oder langsam ist oder irgendeine Geschwindigkeit hat: Wenn etwas im Gange ist, so gibt es ein Verhältnis, in dem es sich der Vollendung nähert.14 Im typischen Fall muss X immer weniger tun, während es durch einen Intervall hindurch A tut. Die Dinge schreiten voran. Aber worin genau besteht ein solcher Progress? Er besteht aus einer Verknüpfung zu anderen Bewegungen, die sich selbst wieder in verschiedenen Vollendungsstadien befinden. Wenn etwas angefangen hat, sich entfaltet und noch nicht vollendet ist (X tut gerade A), ist etwas anderes schon getan worden, und wieder anderes ist im Gange: – Die Sonne geht unter: Die Sonne hat teilweise den Horizont überschritten, nun sinkt sie weiter herunter. – Die Katze lauert einem Vogel auf: Die Katze ist in die Hocke gegangen, nun schleicht sie sich heran. 13

Dieser Gedanke wird in Abschnitt 4 von Boyle u. Lavin (2011) entwickelt. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1173a32–1173b5.

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– Ich gehe von Athen nach Delphi: Ich bin von Athen nach Theben gegangen, nun gehe ich gerade von Theben nach Delphi. Des Weiteren wird es möglich sein, die Prozesszuschreibung „X tut gerade A“ mit den anderen dadurch zu verbinden, dass man „indem“ sagt und dann andere Dinge, die schon geschehen sind (vor einer Minute hat es A** getan) und weitere Dinge, die gerade geschehen (im Moment tut es A*), nennt: (Kinēsis 2) S tut gerade φ, indem S ψ getan hat und gerade ω tut.15 Wie schon zuvor ist dies ein Teil der Beschreibung der abstrakten Kategorie der Bewegung und folglich eine Struktur, die wir in jeder bestimmten Form von Bewegung (oder Prozess oder Ereignis) finden. Die hier als Phasen, Stadien oder Teile eines Ereignisses vorgestellten Geschehnisse könnten unter anderen Umständen ein bloßer Haufen sein: Es reicht nicht aus, dass die Sonne teilweise hinter dem Horizont verschwunden ist und gerade weiter nach unter sinkt  – wir könnten auf Sommerurlaub im Polarkreis sein; von Athen nach Theben und dann von Theben nach Delphi zu gehen, würde sich nicht zu einem einzelnen Ereignis des Von-Athen-nachDelphi-Gehens summieren, wenn ich erst in Theben auf den Gedanken käme, nach Delphi zu gehen. Nicht jede Ansammlung (A, B) oder Abfolge (A und dann B) von Ereignissen ist eine Einheit (C). Aber wenn solche Geschehnisse (A, B) das Voranschreiten eines umfassenderen Prozesses (C) konstituieren, wenn sie untergeordnete Phasen eines umfassenderen Vorgangs sind, dann ist das Ganze in den Teilen. Genau das ist durch die Tatsache gekennzeichnet, dass sich in einer bestimmten Auflösung das, was geschehen ist, gleicht (die Sonne ist teilweise hinterm Horizont verschwunden und bewegt sich nun nach oben), wobei es im einen Fall eine Unterbrechung (ein durch einen Riesen gestörter Sonnenuntergang; ein mit der Erde kollidierender unberechenbarer Asteroid), im anderen Fall jedoch keine Unterbrechung ist (nur die „Mitternachtssonne“ des Polarsommers). Eine kinēsis (Bewegung, Prozess, Ereignis) ist ein Prinzip der Einheit zeitlicher Phasen. Verlaufsformen. Nachdem wir diese strukturellen Merkmale der Beschreibung von Ereignissen und Prozessen hervorgehoben haben, können wir nun zu unserem Vorhaben zurückkehren und klären, welche Art von Handlungsverständnis in der Behauptung enthalten ist, „absichtlich“ beziehe sich auf eine Form von Ereignis. Dies wiederum wird unseren Sinn für den Kontrast zwischen der neoaristotelischen und der dekompositionalen Auffassung der Handlungstheorie schärfen. Ein wesentliches Resultat unserer Betrachtung der Zeitlichkeit von Ereignissen und Prozessen war Folgendes: Wo sich ein Prozess in der Zeit entfaltet, da gibt es ein Prinzip, kraft dessen die Phasen des Prozesses eine Einheit bilden. Es wird also Gründe dafür geben, verschiedene Ereignisformen zu unterscheiden, wo es unterscheidbare Formen des Einheitsprin­ zips von Teilen in einem Ganzen gibt. Insbesondere hätten wir Gründe, absichtliches Handeln als eine eigenständige Ereignisform zu betrachten, wenn wir Gründe dafür hätten, eine eigenständige Form der Einheit anzuerkennen, die spezifisch zu absichtlichen Handlungen gehört. Nach dieser Art der Einheit würden wir suchen, wenn wir erwägen, was für Geschehnisse im 15

Ebd., 1174a22–24. Die Idee stammt wieder von Aristoteles: „Aber die Bewegungen in den einzelnen Zeitteilen sind alle unvollendet und von der ganzen Bewegung und voneinander der Art nach verschieden.“

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Leben einer Person absichtliche Handlungen sind; diese Art der Einheit wäre impliziert, wenn wir Ereignis- oder Prozessbeschreibungen zu Recht als „absichtlich“ charakterisieren. Ich möchte nahelegen, dass die neoaristotelische Untersuchung des Handelns uns Gründe gibt, solch eine besondere Form der Einheit anzuerkennen, und dass die klare Darstellung dieser Form den Kern der neoaristotelischen Auffassung des Handelns ausmacht. Ein solcher Ansatz beginnt mit der Identifikation einer bestimmten Warum-Frage und fährt fort, indem er eine eigenständige Art der Ordnung identifiziert, die charakteristischerweise die Antworten auf diese Frage strukturiert. Wir haben schon erwähnt, dass die relevante Warum-Frage die Perspektive der Handelnden privilegiert. Denn sie richtet sich an die Han­ delnde selbst, und zwar während sie handelt, und sie erweist sich als anwendungslos, wenn die Handelnde von einer Aktivität A, über die sie befragt wird, sagt: „Ich wusste nicht, dass ich A tue“. Aber diese Charakterisierung des Adressaten der Warum-Frage muss durch eine positive Charakterisierung der Art von Antwort, die sie verlangt, ergänzt werden – der Art von Antwort, die sie als eine Erklärung des absichtlichen Handelns einer Person ausweist. Die Frage „Warum tust du A?“ scheint verschiedenartige Antworten zuzulassen: zum Beispiel solche, die ich gebe, wenn ich sage, dass ich „ohne besonderen Grund“ auf einen Punkt an der Wand einschlage; dass ich Jones gerade „aus Wut“ getreten habe oder „weil er meinen Bruder getötet hat“; dass ich Smith fünf Dollar zurückgebe, „weil ich es versprochen habe“; dass ich meinen Fuß massiere, „weil ich das mag“; oder dass ich danach strebe, einem Bedürftigen „aus Pflicht“ oder „um seiner selbst willen“ zu helfen. Doch es ist die Charakterisierung einer ganz bestimmten Art von Antwort, die im Herzen des neoaristotelischen Ansatzes liegt. Diese Antwort hat eine teleologische Form: Sie nennt ein weiteres Ziel, das ich verfolge, indem ich A tue; ein Ziel, dass ich kundtue, indem ich sage um B zu tun oder ich tue B. Es ist diese bestimmte Art der Antwort auf die Frage „Warum?“, die das Vermögen zum absichtlichen Handeln als Vermögen der Realisierung oder Aktualisierung von Begriffen ausweist. Erklärungen dieses Typs können in Ketten oder geschachtelten Reihen auftreten, und charakteristischerweise tun sie das auch. Folglich kann die Art der hier einschlägigen explanatorischen Struktur eine Ordnung genannt werden. Es gilt also, wie man am bekannten Beispiel eines Mannes sehen kann, der vergiftetes Wasser in den Wassertank eines Hauses pumpt, Folgendes16: Er bewegt seinen Arm auf und ab (A), bedient die Pumpe (B), füllt den Wasserspeicher des Hauses auf (C) und vergiftet die Bewohner (D). Wir sollen uns die Elemente dieser Liste so denken, dass sie weder ein bloßes Aggregat (A, B, C, D) noch eine bloße Abfolge von Handlungen (A und dann B, B und dann …), sondern Elemente einer explanatorischen Ordnung von Mitteln und Zwecken sind. Der Zweck erklärt die Mittel: Er ist der Grund, aus dem die Mittel ergriffen werden. („Warum bewegst du deinen Arm auf und ab?“ „Ich bediene die Pumpe.“) Die wiederholte Anwendung der Warum-Frage, die derartige Erklärungen hervorbringt, stellt unsere Handlungen als eine Ordnung der Zwecke dar:

16

Vgl. Anscombe (2011), 62 ff.

13

DZPhil 61 (2013) 3 Ich tue D Warum? Ich tue C Warum? Ich tue B Warum? Ich tue A

Doch die Mittel erklären gleichfalls den Zweck. Denn die Mittel sind die Weise, in der der Zweck realisiert wird. („Wie vergiftest du die Bewohner?“ „Ich fülle … auf.“) Hier gibt es eine Wie-Frage, die nicht bloß fragt „Wie geschieht es?“, sondern „Wie tust du das?“. Und die Antwort nennt ein weiteres Unterfangen, welches zur Verwirklichung eines Zwecks beiträgt. Man macht dieses Mittel explizit, indem man sagt indem ich C tue oder ich tue C. Erklärungen dieses Typs treten auch in Ketten oder geschachtelten Reihen auf, sodass die hier einschlägige Art der Struktur ebenfalls eine Ordnung genannt werden kann. Und die wiederholte Anwendung der Wie-Frage, die derartige Erklärungen hervorbringt, stellt unsere Handlungen als eine Ordnung der Mittel dar: Ich tue D Wie? Ich tue C Wie? Ich tue B Wie? Ich tue A

Es gibt eine gewisse Symmetrie zwischen Ziel und Verwirklichung: Wenn ich A tue, weil ich B tue, dann tue ich B, indem ich A tue; wenn ich B tue, indem ich A tue, dann tue ich A, weil ich B tue. Die durch „Wie?“ angezeigte Ordnung der Mittel ist ein Spiegelbild der durch „Warum?“ angezeigten Ordnung der Zwecke: Warum …? Weil … Indem

Ich tue D Warum?

Ich tue C Warum? Ich tue B Warum? Ich tue A

Ich tue D Wie? Wie …? Ich tue C Wie? Ich tue B Wie? Ich tue A

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Und die Mittel-Zweck-Ordnung ist eine explanatorische Ordnung, da sie das erfasst, worum willen Dinge getan werden, und da sie auch, und genauso, das erfasst, wodurch Dinge getan werden. Der entscheidende Punkt dieser Überlegungen ist nun, dass sie zusammengenommen offenbar genau das leisten, was das Verständnis absichtlichen Handelns als einer bestimmten Form von Ereignis leisten muss: Sie charakterisieren eine bestimmte Art der Einheit von Teilen oder Phasen in einem Ganzen, die das Prinzip ist, welches unser Verstehen von Prozessen als Handlungen leitet. Erstens identifizieren sie eine bestimmte Art von explanatorischer Struktur, welche die unterscheidbaren Teile oder Phasen einer absichtlichen Handlung vereint. Denn diese sind charakteristischerweise teleologisch so verknüpft, dass ein sich entfaltendes übergreifendes Ereignis die ihm untergeordneten Teile erklärt. Wir können die relevante Einheit in Erklärungen der Form (Telische Erklärung)

S tut ω, weil S φ tut

darstellen. Dabei ist zu beachten, dass ω-Tun von der Handelnden als ein dem φ-Tun zuträgliches Mittel oder als eine für das φ-Tun konstitutive spezifischere Aktivität angesehen wird und dies, wenn alles gut, auch tatsächlich ist. Zweitens ist diese Ordnung von Mitteln und Zwecken charakteristischerweise im folgenden Sinne selbstbewusst: Die Handelnde selbst kennt sowohl die geordneten Elemente (denn würde sie sie nicht kennen, hätte die relevante Warum-Frage keine Anwendung) als auch die Ordnung, in der sie stehen (denn man erwartet von ihr als Antwort auf die Warum-Frage die Artikulation genau dieser Ordnung). Des Weiteren ist ihr Bewusstsein keine bloß passive Kenntnis der Mittel-Zweck-Struktur ihrer eigenen Aktivität. Wenn eine Instanz von (Telische Erklärung) wahr ist, dann tut sie ω genau deswegen, weil sie sich zum φ-Tun bestimmt hat und ω-Tun für ein Mittel zum φ-Tun hält – und so weiter bis zu irgendeinem übergreifenden Ziel, das ihre gegenwärtige Aktivität leitet. In diesem Sinne könnten wir sagen, dass das Bewusstsein des Subjekts von seiner eigenen Aktivität ein Handlungsbewusstsein ist, ein Bewusstsein, welches die durch es begriffene Ordnung und folglich den Handlungsverlauf selbst nicht bloß zur Kenntnis nimmt, sondern bestimmt. Deshalb nennt zum Beispiel Anscombe das Bewusstsein, das sich in der Antwort auf die Warum-Frage artikulierte, „praktisches Wissen“ – Wissen, „das die Ursache dessen ist, was es versteht“.17 Und da dieses Wissen untrennbar von der Ordnung des fortlaufenden Prozesses ist, den es bestimmt, kann das handelnde Subjekt dieses Wissen durch explanatorische Aussagen in der Ersten Person zum Ausdruck bringen, wie in (Handlungsbewusstein)

Ich tue A, weil ich B tue.

Dabei impliziert das relevante „weil“, dass sich das Subjekt selbst dazu bestimmt hat, A zu tun, um sein umfassenderes Ziel des B Tuns zu erreichen. Kurzum, ich denke, dass die „A-D-Ordnung“ eine Anordnung von Elementen ist, die so vereint sind, dass sie (Telische Erklärung) und (Handlungsbewusstsein) erfüllen. Weiter möchte ich behaupten, dass, wenn der Neoaristotelismus Recht hat, diese Form der Einheit für die Art von Ereignis oder Prozess, die absichtliches Handeln ausmacht, wesentlich und spezifisch ist. Sie ist in dem Maße wesentlich, in dem die Anwendbarkeit der relevanten Warum-Frage tatsächlich die Klasse von Ereignissen charakterisiert, die Handlungen sind; und sie ist spezifisch, insofern diese Frage eine Form der Ordnung oder Einheit aufdeckt, die 17

Vgl. ebd., 135.

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allein diese Ereignisse aufweisen. Ich werde nicht versuchen, diese Behauptungen hier zu verteidigen. Dies zu tun hieße, für die Angemessenheit der neoaristotelischen Auffassung des Handelns zu argumentieren. Mein Anliegen im vorliegenden Aufsatz ist lediglich, deutlich zu machen, welche Art von Verständnis absichtlichen Handelns der Neoaristotelismus anzubieten hat.18 Der in diesem Zusammenhang wesentliche Punkt ist, dass wir in der vorgeschlagenen Charakterisierung der Form der Einheit von Teilen oder Phasen weder die Perspektive des Handelnden noch die Ebene der Beschreibung eines materiellen Prozesses verlassen. Während der dekompositionale Ansatz die Elemente der Kausalität und des Geistes als etwas betrachtet, das der Charakterisierung des materiellen Prozesses – der die eigentliche Handlung ausmacht – als solchem äußerlich ist, begreift der Neoaristoteliker sie als strukturierende Merkmale der relevanten Art von materiellem Prozess selbst. Das Einheitsprinzip dieser Art von Prozess oder Ereignis besteht eben darin, dass die Teile zu Stande kommen, weil das Subjekt sie als Beitrag zu einem bestimmten Ganzen versteht. Wenn sich diese Charakterisierung als richtig erweisen lässt, dann wird der Neoaristoteliker eine wesentlich selbstbewusste und selbstkonstituierende Form von materiellem Prozess bestimmt haben. Auf diese Weise versetzt uns der neoaristotelische Ansatz mithin in Lagen, das, was jemand absichtlich tut, als etwas zu verstehen, das wesentlich praktisch gewusst wird. Und dies zeigt uns zugleich die Struktur auf, innerhalb derer wir die neoaristotelische Idee begreifen müssen, dass wir von der Wirksamkeit unseres Willens primär durch seine selbstbewusste Ausübung wissen. Der Wille, so der Neoaristotelismus, ist ein Vermögen, von einem fortschreitenden Prozess nicht durch Beobachtung, sondern durch eine bestimmte Form von Selbstbewusstsein zu wissen – eben die Form von Selbstbewusstsein, das diese Tradition „praktisches Wissen“ nennt und das die Ursache, nicht die Wirkung dessen ist, was es versteht. Aus dem Englischen von Johann Gudmundsson Dr. Douglas Lavin, Harvard University, Department of Philosophy, Emerson Hall, 25 Quincy Street, Cambridge MA 02138, USA.

Literatur Anscombe, G. E. M. (2011), Absicht, Frankfurt/M.; Original: dies. (1957), Intention, Oxford (neu aufgelegt, Cambridge/Mass. 2000). Aristoteles (1995a), Metaphysik, Hamburg. Ders. (1995b), Nikomachische Ethik, Hamburg. 18

Ein erster Schritt in der Verteidigung dieses Ansatzes zum Verstehen des Handelns bestünde in der Feststellung, (1) wie der allgemeine Begriff eines einer Grenze zulaufenden Prozesses die Unterscheidung zwischen nicht-telischen Prozessen, in denen sich Teile oder Phasen zu dieser Grenze hin akkumulieren, dies aber nicht tun, weil sie zu dieser Grenze tendieren, und telischen Prozessen, in denen die Akkumulation geschieht, weil sie zur relevanten Grenze tendiert, erklärt und (2) wie eine weitere Unterscheidung innerhalb des Genus der telischen Prozesse zwischen nicht-selbstbewussten telischen Prozessen, in denen die telische Akkumulation von Teilen oder Phasen auf ein Ziel hin von keinem Erfassen der Relation zwischen den Teilen und dem Ganzen durch das Subjekt abhängt, und selbstbewussten telischen Prozessen, bei denen die Akkumulation ein leitendes Erfassen dieser Relation durch das Subjekt impliziert, zu denken ist. Zur weiteren Ausarbeitung und Verteidigung dieser Weise, die Spezifik des absichtlichen Handelns innerhalb des Genus der Ereignisse und Prozesse zu charakterisieren, vgl. Boyle u. Lavin (2011).

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Douglas Lavin, Das Problem des Handelns

Boyle, M. u. Lavin, D. (2011), Goodness and Desire, in: Essays on Anscombe’s Intention, hg. v. A. Ford u. a., Cambridge/Mass. Davidson, D. (1990), Die logische Form der Handlungssätze, in: ders., Handlung und Ereignis, übers. v. J. Schulte, Frankfurt/M., 155–177. Ford, A. (2011), Action and Generality, in: Essays on Anscombe’s Intention, hg. v. A. Ford u. a., Cambridge/Mass. Galton, A. (1984), The Logic of Aspect, Oxford. Hornsby, J. (1980), Actions, London. Hyman, J. (2001), -ings and -ers, in: Ratio, 14, 298–317. Lavin, D. u. Boyle, M. (2011), Goodness and Desire, in: Essays on Anscombe’s Intention, hg. v. A. Ford u. a., Cambridge/Mass. McDowell, J. (1982), Criteria, Defeasibility and Knowledge, in: Proceedings of the British Academy, 68, 455–479. Parsons, T. (1990), Events in the Semantics of English, Cambridge. Pynchon, T. (1984), Die Enden der Parabel, übers. v. E. Jelinek u. T. Piltz, Reinbek bei Hamburg. Rödl, S. (2005), Kategorien des Zeitlichen: Eine Untersuchung der Formen des endlichen Verstandes, Frankfurt/M. Searle, J. (1991), Intentionalität: Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes, übers. v. H. P. Gavagai, Frankfurt/M. Sellars, W. (1999), Der Empirismus und die Philosophie des Geistes, übers. v. Th. Blume, Paderborn. Thompson, M. (2011), Leben und Handeln: Grundstrukturen der Praxis und des praktischen Denkens, übers. v. M. Haase, Frankfurt/M. Waterlow, S. (1982), Nature, Change and Agency in Aristotle’s Physics, Oxford. Williamson, T. (2000), Knowledge and its Limits, Oxford. Wittgenstein, L. (1984), Philosophische Untersuchungen, in: ders., Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt/M., 225–580.

Abstract

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