Spanischer Naturalismus - Emilia Pardo Bazán (Los Pazos de Ulloa, La madre naturaleza)

June 24, 2017 | Autor: Fabian Daldrup | Categoria: French Literature, Spanish Literature, Naturalism, Emile Zola, Emilia Pardo Bazán, Naturalismus
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Eberhard Karls Universität Tübingen Philosophische Fakultät Deutsches Seminar Vorlesung: „Realismus“ Dozent: Prof. Dr. Dorothee Kimmich SoSe 2015

Prüfungsleistung zur Vorlesung „Realismus“ zum Erwerb von drei ECTS-Punkten im Ergänzungsmodul Literatur des Studienganges „Master in Romanischer Literaturwissenschaft“ für das Sommersemester 2015 bei Prof. Dr. Dorothee Kimmich:

Student: Fabian Daldrup Matrikelnummer: 3602544 *

Der Spanische Naturalismus bei Emilia Pardo Bazán Die Interpretation des französischen Vorbildes in der spanischen Literatur unter Verwendung der Werke „Los Pazos de Ulloa“ und „La madre naturaleza“ der Autorin. Das Werk Emilia Pardo Bazáns gehört zum traditionellen Kanon der spanischen Literatur des 19. Jahrhunderts und war schon vielfach Thema von Auseinandersetzungen mit den Strömungen des Realismus und des Naturalismus. Innerhalb ihrer Veröffentlichungen stechen „Los Pazos de Ulloa“ (zu Deutsch: das Landgut von Ulloa) und der Nachfolgeroman „La Madre Naturaleza“ (Mutter Natur) als zum Teil emblematische Exemplare ihrer besonderen Interpretation der naturalistischen Ansätze Émile Zolas, der von ihr mehrfach und präzise rezipiert wurde, hervor. Diese zwei Werke sind nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen Verfilmung1 aus dem Jahr 1985 über Spaniens Grenzen hinaus bekannt und ein wichtiger Teil des hispanischen Beitrags zur Weltliteratur. Der nachfolgende Roman „Insolación“2 wurde zu verschiedenen Zeiten unter unterschiedlichen Gesichtspunkten interpretiert und in ihm manifestiert sich neueren Auslegungen zufolge eine Art Überwindung der naturalistischen 1

Mehrteilige, vielfach ausgezeichnete Fernsehproduktion von Gonzalo Suárez, u.a. mit Charo López (Sabel), Omero Antonutti (Der Graf von Ulloa) und Victoria Abril (Nucha) zum 100. Jahrestag der Veröffentlichung des Romans 1886. 2 Zu Deutsch: Sonneneinstrahlung, bzw. Sonnenstich. Besonders im Hinblick auf diese Bedeutung mehrfach als Verwendung der Sonne im Sinne einer naturgegebenen Beeinflussung der Protagonisten interpretiert.

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Schaffungsphase Pardo Bazáns.3 In diesem kurzen Aufsatz soll ein Abgleich der naturalistischen Arbeit Émile Zolas und Emilia Pardo Bazáns zunächst auf theoretischer Basis dargestellt, und im Anschluss auf den Inhalt der Romane der spanischen Autorin angewendet werden. Ein besonders wertvolles Hintergrundwissen für diese Herangehensweise lieferte neben dem reinen Inhalt der Werke Sabine Schmitz‘ „Spanischer Naturalismus“ (Tübingen, 2000). Der französische Schriftsteller Émile Zola legte für das Verfassen von Erzählungen Ansprüche und Herangehensweisen fest, deren Grundlagen in naturwissenschaftlichen Paradigmen und in der positivistischen Philosophie liegen. Zolas Ziel war es, den „Roman auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen“, um die „gesellschaftliche Realität objektiv zu erfassen und darzustellen.“4 In die Grundlagen seines 1880 veröffentlichten Werkes „Le Roman expérimental“ nahmen u.a. Taines‘ Determinismus, sowie Darwins Selektionstheorie und Lucas‘ Vererbungslehre Einfluss. Zola war der Auffassung, der Autor müsse exakt wie ein experimentierender Naturwissenschaftler der Beobachter des Menschen mit seinen jeweiligen Konditionen, der Gesellschaft, und deren Rahmenbedingungen sein, und diese ‚Zutaten‘ ohne Intervention miteinander reagieren lassen. Im Verlauf sprächen dann die Fakten und Gegebenheiten, die er lediglich akkumuliert und geordnet hat, für sich selbst. In der Verwirklichung dieses Anspruchs sieht Zola die größtmögliche Nähe zur Realität.5 Die diese Idee begleitenden Konsequenzen, die Wandel vom Idealismus zum Materialismus und vom Seelischen zum Ökonomischen kommen z.B. in seinen Veröffentlichungen L’Assomoir (1877), Nana (1880) und Germinal (1885) zum Tragen. Das Konzept Zolas tritt insbesondere bei der Figurengestaltung hervor, die keine seelisch-moralischen Individuen mehr produziert, sondern praktisch willenlose Instrumente und Resultate der sie limitierenden Determinanten (bes. Milieu und Psychologie). In Zolas Werken herrscht häufig eine starke Kontrastierung evidenter Paradigmen vor (arm gegen reich, Hunger gegen Völlerei, Glück gegen Unglück). Seine Erzählweise wird zum Teil als durch eine sozialpolitische Ideologie gesteuerte interpretiert, was jeglichen Anspruch auf Objektivität logischerweise zunichtemachte.6 Zolas Auswahl von Figuren aus der Unterschicht (z.B. Nana, deren Gesellschaft ein Mikrokosmos der gesamten sozialen Dekadenz des Second Empire ist) sollen hohe Authentizität ermöglichen. Wiederholt wurde Zola eine Ästhetik des Hässlichen und Pessimismus

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Sabine Schmitz, Spanischer Naturalismus, Tübingen 2000, S. 278. Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 71. 5 Die einzige „vérité de la vie“, zitiert aus : Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 71. 6 Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 73/74. 4

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vorgeworfen.7 Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Zolas Naturalismus in Frankreich unter besonderen Bedingungen seiner Zeit entstand, die nicht auch für Spanien als gegeben angesehen werden dürfen. Im Jahr 1868 war dort die bourbonische Königin Isabel II. gestürzt worden, ihr folgte für sehr kurze Zeit Amadeus von Savoyen, ihm wiederum die Erste Spanische Republik, die wiederum mit der Rückkehr zur Monarchie unter Alfonso II (Isabels Sohn) beendet war. Die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren für das im Vergleich zum Rest Europas rückständige Spanien eine Epoche sozialpolitischer Umwälzung. Mit dem Sturz der Bourbonen ging auch eine kulturelle Öffnung zum Rest Europas einher, eine interessante Beobachtung ist, dass so der Realismus in Spanien eine Blüte hatte, als in Frankreich schon der Naturalismus heranreifte.8 Laut Sabine Schmitz sind die spanischen Autoren, die Ende der siebziger Jahre vollständig auf die Linie Zolas einschwenkten9, wenig erforscht und eben weil sie keine Neuinterpretation des Naturalismus versuchten, weniger wichtig. Es sind Autoren wie Benito Pérez Galdós und Emilia Pardo Bazán, die sich intensiv mit Zolas Ansatz beschäftigten, ihn aber durch Modifikation in eine eigene Art des Spanischen Naturalismus umwandelten. Pardo Bazán veröffentlichte 1882/83 „la cuestión palpitante“ (zu Deutsch: die brennende Frage), einen Aufsatz, mit dem sie sich explizit mit Zola befasst. Sie begrüßt darin den Anspruch der Schilderung der Realität mit all ihren Seiten, lehnt aber den Determinismus in den Anlagen des Individuums ab. Die Autorin war gläubige Katholikin und hält diese Komponenten korrekterweise für unvereinbar mit der fundamentalen christlichen Idee des freien Willens jedes Menschen. Die Prägung der Figuren durch Herkunft und Milieu bestätigt sie, weshalb sie mehrfach als deterministisch interpretiert wurde, sie wendet sich aber gegen die Idee der Ausschließlichkeit dieser Faktoren. In Zolas Naturalismus sieht Pardo Bazán didaktische Funktionen, ihrer Auffassung nach ist aber die Schaffung von Schönheit erste Aufgabe des Künstlers, und über jene erführe der Leser indirekt Erziehung.10 Den Anspruch der objektiven Schilderung an den Autor fasst Pardo Bazán wiederum positiv auf, stellt aber die Phantasie auf dieselbe Stufe wie die Unpersönlichkeit. Emilia Pardo Bazán antwortete auf Émile Zola, war aber in keinem Fall eine Naturalistin im zolaischen Sinn.11 Donald Fowler

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Hinterhäuser nennt den Naturalismus eine „gewollte Herausforderung an eine moral-sittlich verwöhnte Gesellschaft.“ – zit. Aus: Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 73. 8 Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 76. 9 In Spanien diskutierte man ab 1876 über den Naturalismus, populär wurde er mit den Übersetzungen Zolas ab 1880 und blieb es für ca. ein Jahrzehnt. 10 Henn weist darauf hin, dass Pardo Bazán stärker durch die Idee von „l’art pour l’art“ von Flaubert/Gautier beeinflusst war. 11 Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 166 – 175.

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Brown nannte ihre individuelle Interpretation der Strömung „Catholic Naturalism“12, Sabine Schmitz nennt ihre Art von Determinismus „heterogen“.13 Im Kontext von „la cuestión palpitante“ wurde die Autorin allerdings immer im Kontext des Naturalismus rezipiert.14 Emilia Pardo Bazán hat dem Leser und Interpreter ihrer Werke mit „la cuestión palpitante“ ihre eigene theoretische Auffassung zum Naturalismus als Hilfsmittel an die Hand gegeben. Im Folgenden sollen die dargestellten Punkte an einigen Inhaltskomponenten der erwähnten Werke herausgearbeitet werden: Die Handlung von „Los Pazos de Ulloa“ spielt in Galizien im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Der junge Geistliche Don Julián wird auf das ländliche Gut von Ulloa bestellt, um dem dortigen Herrn Don Pedro zur Seite zu stehen. Er findet den Besitz, die Wirtschaft und die Bewohner in dekadentem Zustand vor. Der Graf, Don Pedro, verbringt den Tag auf der Jagd mit schlecht beleumundeten Freunden, die Geschäfte liegen in den Händen des Verwalters Primitivo, der seine Kontrolle mit Gewalt behält. Mit dessen Tochter Sabel, die als Köchin arbeitet, hat der Graf ein Verhältnis und den unehelichen, verwahrlost aufwachsenden Sohn Perucho. Des Abends widmet man sich nicht der Bibliothek, sondern dem Wein und die Gebäude verfallen zusehends, während die Kapelle völlig verlassen ist. Nach einiger Zeit entschließt sich Don Julián, das Gut zu verlassen. Nachdem ihm Don Pedro seine Furcht vor Primitivo gestanden hat, nimmt er ihn mit nach Santiago, wo er unter seinen Cousinen eine Frau erwählen soll. Don Julián verspricht sich davon eine Rückkehr in moralische, geordnete Verhältnisse, und hofft, Sabel und ihren Vater loszuwerden. Auf erneutes Anraten Don Juliáns heiratet Don Pedro aber im Folgenden nicht die lebensfrohe Rita, sondern die fromme, zurückhaltende Nucha, die Don Juliáns Interessen eher entspricht. Dieser kehrt vor dem Ehepaar auf das Gut zurück, um Sabel und Primitivo zu entlassen. Jene verhalten sich aber vorbildlich und so bleiben sie auch nach der Rückkehr Don Pedros. Als Nucha ein Mädchen (Manolita) zur Welt bringt und darüber hinaus entdeckt, dass Perucho der uneheliche Sohn ihres Mannes ist, verzweifelt sie. Don Pedro nimmt sein Verhältnis mit Sabel wieder auf und Primitivo übernimmt wieder die Kontrolle. Der Ausbruch aus der ruralen Dekadenz scheint möglich, als Don Pedro Regionalkandidat der konservativen Partei wird, allerdings verhindert Primitivo durch Drohungen seinen Sieg, und wird deshalb erschossen. Nucha, deren

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Donald Fowler Brown, The Catholic Naturalism of Pardo Bazán, Chapel Hill, University of North Carolina 1957. Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 274. 14 Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 265. 13

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Gesundheit sich zusehends verschlechtert hat, stirbt, nachdem Don Julián nach Santiago zurückgeschickt wurde.15 Viele der Inhaltspunkte, die als charakteristisch für den naturalistischen Stil Pardo Bazáns herausgearbeitet wurden, finden sich in diesem Werk wieder. Ein deutliches Merkmal des Naturalismus auftauchenden neuen Selbsterkennens ist die Schilderung eines dekadenten Adels, dessen Noblesse auf Namen und nicht auf Tugenden, nicht einmal mehr auf Geld beruht. Auch der trotz verschiedener Wege unmöglich gewordene Ausbruch aus der moralischen und sozialen Dekadenz ist ein deutliches Merkmal des Naturalismus. Es ist in dem Roman tatsächlich das Gut, ein von wilder Natur eingeschlossener Ort, der den Bewohnern die Flucht nicht gewährt, die verteilten Rollen sind nicht aufzubrechen, den dekadenten Figuren von Don Pedro, Sabel und Primitivo ist Nucha als positives Bild entgegengestellt, doch auch sie vermag es nicht, die Zustände zu verbessern und wird von ihnen praktisch vernichtet. Peruchos gesamte Existenz ist ein Ergebnis naturalistisch anmutender Stammbaumentwicklung: der Bastard wächst ohne besondere elterliche Zuwendung auf, erhält keine Bildung, verwildert und nährt sich seinem brutalen Großvater an. Als auf dem Gut die Situation nach der verlorenen Wahl zu eskalieren droht, versteckt er voller Sorge seine Halbschwester Manolita, ohne um diesen Umstand zu wissen, und leitet so in einen der zentraleren, noch zolaischer wirkenden Konflikt des Folgebandes „La madre naturaleza“ ein: Der Ort der Handlung und ein gewisser Teil der Figuren ist derselbe geblieben. Der wichtigste neue Umstand ist eine Zeitverschiebung um knapp zwanzig Jahre. Der Graf Don Pedro ist alt geworden, ebenso Sabel, Don Julián kehrt zurück auf das Gut von Ulloa und findet Manolita, die Tochter Nuchas und Don Pedros als lebensfrohes junges Mädchen vor, das viel Zeit mit dem erwachsenen Perucho verbringt. Als vierte Hauptfigur tritt der Bruder der verstorbenen Mutter Manolitas, ihr Onkel Gabriel de Pardo auf, der mit der Absicht nach Ulloa kommt, seine herangereifte Nichte als seine Frau mit nach Santiago zu nehmen. Diese fühlt sich jedoch mehr zu Perucho hingezogen und das zuvor eher kindlich-spielerische Verhältnis ändert sich abrupt, als es zum Geschlechtsverkehr kommt. Als aufgedeckt wird, dass sie Halbgeschwister sind, nimmt Don de Pardo von seinen Plänen Abstand, Don Julián ist zutiefst erschüttert und Manolita so verzweifelt, dass sie beschließt, ins Kloster zu gehen. Der

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Emilia Pardo Bazán, Obras Completas II (novelas). Los Pazos de Ulloa. La Madre Naturaleza. Insolación. Morriña. Biblioteca Castro, Fundación José Antonio de Castro, Madrid 1999.

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alte Don Pedro und Sabel hatten ihre Kinder zuvor nie über deren tatsächliches Verhältnis aufgeklärt und die sich abzeichnende inzestuöse Beziehung geduldet.16 Die Aufdeckung der Geschwisterlichkeit von Manolita und Perucho ist in gewisser Weise der klimaktische Moment, auf den wesentliche Entwicklungsstränge beider Romane zulaufen. Der moralische Abgrund, der sich hierin auftut, hat einen Hintergrund, der eine starke Assoziation mit den Konzepten Zolas nahelegt. Zu jenen gehörte die deterministische Idee, dass

aus

einem

moralisch

verkommenen

Familienstammbaum

nur

entsprechende

Nachkommen folgen können, deren vorbestimmtes Unglück ungehindert seinen Lauf nehmen muss. Jene moralische und soziale Verdorbenheit wird in „Los Pazos de Ulloa“ im außerehelichen Verhältnis Don Pedros und Sabels, Peruchos Stand als Bastard und seine Verwilderung, die Gewalt, die Abkehr von der Religion und den Verfall des Besitzes deutlich. Um eine Figur, deren Abstammung in Zolas Sinn moralisch verdorben ist, ins Unglück zu stürzen, genügt wie im Roman „Nana“ auch die Reaktion der Gesellschaft mit dieser Figur. Die Absolutheit des Absturzes ist in „La madre naturaleza“ noch klarer, da Inzest zwei Einzelschicksale auf einmal trifft, aber die Schlechtigkeit derselben Familie umso bemerkenswerter herausstellt. Wie schon in „Los Pazos de Ulloa“ stellt eine Figur aus geordneten Familienverhältnissen, aus dem urbanen Santiago die Möglichkeit da, aus der Dekadenz von Ulloa auszubrechen. In diesem Fall hätte dies sogar präventiv gewirkt und es wäre nicht zum Absturz gekommen. Aber es ist eine Charakteristik des Naturalismus, dass eine schlechte Saat trotz positiver Intervention schlechte Früchte tragen muss. Nochmals soll auf das generative Merkmal hingewiesen werden: beide Romane schildern einen sich steigernden Verfall, der am Ende von „la madre naturaleza“ gipfelt. Dieses evolutive Merkmal spricht mit den weiteren aufgeführten Faktoren für ein Romankonzept, dass sich mit vielen der naturalistischen Ideen Zolas deckt. Dennoch gibt es Elemente, die auch an diesen eher deterministischen Werken belegen können, an welchen Schnittstellen sich der Unterschied von Pardo Bazáns Naturalismusinterpretation erkennen lässt. Der eindeutigste Faktor hierfür ist die Figur Don Juliáns, der Kleriker symbolisiert en Katholizismus, die moralischen Tugenden und auch deren Möglichkeit, sich gegenüber der deterministischen Schlechtigkeit der Figuren als nicht machtlos zu erweisen. Zumindest zeitweise gelingt es seiner ordnenden Hand, die Verhältnisse in Ulloa zu verbessern, den Grafen in den Ehestand zu bringen und auch den katholischen Glauben wieder auf dem Gut zu verankern. Er ist insofern eine Unglücksfigur, als dass er zur Ehe mit Nucha rät, die am Ende nicht glücklich

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Emilia Pardo Bazán, Obras Completas II (novelas). Los Pazos de Ulloa. La Madre Naturaleza. Insolación. Morriña. Biblioteca Castro, Fundación José Antonio de Castro, Madrid 1999.

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verläuft und zum Teil die noch kommenden Katastrophen sowie ihren Tod bedingt. Zudem kann er den Inzest zwischen Manolita und Perucho nicht verhindern. Wieso gehört also diese Figur ob ihres konsequenten Scheiterns nicht zwingend in die Linie der naturalistischen Argumentation? Zunächst einmal deshalb, weil es durch keine der Figuren zu einer Infragestellung seiner Rolle und der christlichen Werte kommt. Im Gegenteil erfährt er weitgehend Respekt und Zuspruch. Am wichtigsten ist jedoch, dass durch sein Eingreifen die Katastrophe, die sich in „la madre naturaleza“ entwickelt, nicht vollkommen ist. Denn Manolitas Entscheidung, ins Kloster zu gehen, versöhnt die Schicksale in gewisser Weise wieder und durchbricht überdies die Entwicklung des moralischen Verfalls. In ähnlicher Funktion wirken auch Nucha und Gabriel de Pardo, allerdings sind ihre Figuren eher Kontrastpunkte und verdeutlichen die Schlechtigkeit von Ulloa, und anders als Don Julián gelingt keinem von ihnen eine endgültige Ordnung der Verhältnisse. Im Sinne der Überzeugung Pardo Bazáns, dass der Mensch als Gottesgeschöpf seinen freien Willen habe, und demnach nicht in Zolas Vollkommenheit Opfer seines Milieus sei, muss noch einmal auf Manolitas Entscheidung hingewiesen werden. Emilia Pardo Bazán lässt damit einen großen Teil des vorher auftretenden generativen Determinismus im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen entkräftet werden. Die beiden Romane „Los Pazos de Ulloa“ und „La madre naturaleza“ eignen sich gut, um die Derivation eines spanischen Naturalismus bei Emilia Pardo Bazán vor dem Hintergrund des literarischen Schaffens Zolas zu analysieren. Viele der diese Werke kennzeichnenden Eigenschaften scheinen dem von Zola ausgegebenen Erzählideal und ihrer Annährung an die soziale Realität zu entsprechen. Die oben aufgeführten Ergebnisse weiterer Inhaltspunkte der Erzählungen relativieren jedoch diesen Umstand beträchtlich. So lässt sich nach dieser kurzen Analyse nur Sabine Schmitz beipflichten, die konstatiert, ein Naturalismus im französischen Sinn war in Spanien aufgrund dessen Konstitution nicht möglich und die Interpretation des Naturalismus von Pardo Bazán sei ohnehin der Entschiedenheit der Verfolgung eigener Ideale im Falle dieser Autorin geschuldet!17

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Schmitz, Spanischer Naturalismus, S. 75 – 77, S. 173/174, S. 271-273.

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