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May 31, 2017 | Autor: Bernd Huppauf | Categoria: Cultural History of War
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Walter Burkert, Homo Necans. Interpretationen Altgriechischer Opferriten und Mythen. Berlin (de Gruyter) 1972, S. 3; vgl. auch René Girard, La violence et le sacré, Paris 1972.
René Girard, Gewalt und Religion. Berlin (Matthes und Seitz) 2010.
Hans Magnus Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg, Frankfurt (Suhrkamp) 2000, S. 9.
Hand Magnus Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg, S. 17, nimmt Hobbes Diktum vom bellum omnium contra omnes (Leviathan, 1651) zur Charakterisierung der Gegenwart und Zukunft auf.
Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Berlin (Verlag Volk und Welt) 1971, Akt V, Szene 49.
Sigmund Freud, Zeitgemässes über Krieg du Tod, in: Sigmund Freud, Werke. Studienausgabe Bd. 9: Fragen der Gesellschaft, Frankfurt (S. Fischer) 1974.
Tännsjö, Torbjörn, Zur Ethik des Tötens. Neue Anstöße zur Reflexion eines umstrittenen Problems. Münster etc. (Lit Verlag) 2006, S. 122
Michael Geyer, Eine Kriegsgeschichte, die vom Tod spricht, in: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Hg.v. Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke, Frankfurt (suhrkamp) 1955, S. 136.
Noch in der Bundesrepublik löste Rolf Hochhuts Komödie über Lysistrate und die Nato (1974) eine Debatte aus, und zuvor war Fritz Kortners Fassung scharf kritisiert und in Bayern wegen ihrer Unsittlichkeit boykottiert worden (1961). Sie störte die geplante atomare Aufrüstung der Bundeswehr.
Zitiert in Michael MacDonagh, The Irish on the Somme, London 1917, nach Joanna Bourke, An intimate history of killing, S. 355; das folgende Zitat: Sebastian Junger, War. Ein Jahr im Krieg. München (Karl Blessing) 2010, S. 209, zuerst War, New York (Twelve, Hachette) 2009.
Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Berlin (Verlag Volk und Welt) 1971, Akt V, Szene 49.
Joanna Bourke, An intimate history of killing. Face-to face killing in twentieth-Century warfare. Basis Books 1999 setzt sich das Ziel, das Töten in die Militärgeschichte einzuführen.
Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt (S. Fischer) 2011, S. 94.
Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten, S.16-20 ; vgl. Bernd Hüppauf, Der entleerte Blick hinter der Kamera, in: Hannes Heer et al. (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht, Hamburg 1995; englisch: Hannes Heer and Klaus Naumann (Hg.), Emptying the gaze – framing violence through the viewfinder. In: War of Extermination. The German Military in World War II, New York/Oxford 2000 (Berghahn), p. 345-380.
Sönke Neitzel und Harald Welzer, S. 95
Die Literatur zur Problem des Urteilens im Gefühl wächst gegenwärtig rasch. Vgl. u.a.: Achim Stephan und Henrik Walter (Hg.), Natur und Theorie der Emotionen, Paderborn (mentis) 2003, Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten. Hg. v. Klaus Herdings und Bernhard Stumpfhaus, Berlin, New York (de Gruyter) 2004, darin: Brigitte Scheer, Können Gefühle urteilen?, S. 260-273, Birgit Recki, Wie fühlt man sich als vernünftiges Wesen? Immanuel Kant über ästhetische und moralische Gefühle, S. 274-294. Für weitere Literatur und den Diskussionszusammenhang vgl. Kapitel 2.2.
Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten, S. 39.
Jeff McMahan, Kann töten gerecht sein? Krieg und Ethik. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2010, zuerst Oxford 2009.
Nach dem Ersten Weltkrieg machte Walter Benjamin die häufig zitierte Beobachtung, die Soldaten seien bei ihrer Rückkehr verstummt. In den Worten von Hollingshaw war es ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht möglich, to communicate their inner sense of accomplishment in the fine art of killing…" August B. Hollingshaw, Adjustment to military life, in: American Journal of Sociology 5, März 1946.
Bernd Hüppauf, Langemarck, Verdun and the Myth of a 'New Man' in Germany after the First World War. In: War and Society. Vol. 6, 2, 1988, S. 70-103; deutsch: Schlachtenmythen und die Konstruktion des "Neuen Menschen", in: Gerhard Hirschfeld und Gerd Krumeich (Hg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch..." Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen (Klartext) 1993, S. 43-84; auch in: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch..." Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1996, S.53-103.

Wilfred Owen, Out in the dark; das Gedicht wurde unter dem Titel Dulce et decorum est" aufgenommen in die Anthologie First Wold War Poetry, hg. v. Jon Silkin, 1979 (S 182f), die bis heute zahlreich Auflagen in mehreren Verlagen erlebt hat. (Cud: das von der Kuh wiedergekäute Gras.) Ezra Pound übernimmt das Motiv in Hugh Selwyn Mauberley (Teil IV).
Katja Battenfeld, Cornelia Bogen, Ingo Uhlig und Patrick Wulfleff (Hg.), Gefühllose Aufklärung.
Anaisthesis oder die Unempfindlichkeit im Zeitalter der Aufklärung. Bielefeld (Aisthesis) 2011.
Sebastian Junger, War, S. 172.
Sebastian Junger, S. 256
Sebastian Junger, S. 279, 285 u.ö.
George J. Stein, Information Warfare, in: Airpower Journal, Volume XIV, No. 1, Spring 1995; ein frühes Beispiel ist: Alvin und Heidi Toffler, War and Antiwar. Survival at the Dawn of the 21st Century. Boston (Little, Brown & Co) 1993.
Chris Hables Gray, Postmodern War. The new politics of conflict. (Guilford Press/Routledge) 1997.
Barry R. Schneider und Lawrence E. Grinter, Battlefield of the Future. 21st Century Warfare Issues. Maxwell Air Force Base, Alaska (Air University Press) 1995. Kapitel 6.



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Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie. Hg. von Christoph Wulf und Jörg Zierfas. Band 20, 2011 Heft 1: Töten. Affekte, Akte und Formen

Wovon nicht die Rede sein soll: Töten im Krieg, S. 230-247

Abstract
Krieg ist seit dem Beginn der Zivilisation die Zeit des Tötens. Seit Euripides wird er von einem kritischen Diskurs begleitet, der in der Moderne das Thema Töten vermeidet. Wie ist diese Scheu zu erklären? Gebote der Zivilisation und ein Wissen der Gefühle stigmatisieren das Töten. Eine bemerkenswerte Diskurstechnik ist die Verschiebung: die Rede vom Töten wird bis ins 20. Jahrhundert in die Sprache des Opferns transformiert und das Opfer heroisiert. Das industrielle Schlachtfeld macht dem Heroismus ein Ende, aber das Töten setzt sich fort, und die Gegenwart ist durch den Gegensatz von emotionslosem Töten im Cyberwar und die Wiederkehr endemischer Gewalt charakterisiert.

Begriffe: Kriegsdiskurs, Ritual, Opfer, Heroismus, Anaisthesis, Cyberwar.

1 Krieg heißt töten
Soldaten ziehen nicht in den Krieg, um zu sterben, sondern um zu töten, und zwar möglichst viele Feinde. Im Krieg wird getötet, und das sei seit je, wie Walter Burkert lakonisch bemerkt, so gut wie eine Definition des Krieges." Dieser Gleichung liegt eine Verbindung von Anthropologie und Töten zugrunde. Laut René Girard gibt es einen Kern der Gewalt im menschlichen Wesen", der seit dem Anfang der menschlichen Zivilisation die Geschichte determiniere und den archaische Religionen besser und das Christentum weniger gut verborgen hielten. Die Aufgabe dieser anthropologischen Konstruktion des Menschen als Wolf ist es, den Krieg zu verstehen. Aus dem Verstehen wird schnell eine Rechtfertigung und aus der emotionalen Motivation durch das Wesen des Menschen wird die Billigung des Kriegs als der Zeit des Tötens abgeleitet. Enzensberger fasst die zentrale Aussage dieser Theorien über das Töten in Übereinstimmung mit einer verbreiteten Meinung bündig zusammen: "Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt. Der Krieg gehört zu seinen wichtigsten Erfindungen."

Was sagt dieser Gemeinplatz aus der pessimistischen Anthropologie über das Töten und die Kultur des Menschen? Ein solcher Satz ist apodiktisch, und die Abkehr von der Einschätzung des Menschen als einem friedfertigen und lediglich durch die Lebensumstände zum Töten gedrängten Wesen muss folgenlos bleiben, mehr als das: sie bestätigt nachträglich das Töten im Krieg als anthropologisches Erbe einer natürlichen Gewaltgeschichte. Den Krieg aller gegen alle" versteht diese Anthropologie als den natürlichen Zustand der Menschen, der als Bürgerkrieg" die globale Zukunft bestimmen werde. Wenn die Natur den Menschen zu einem tötenden Wesen macht, ein homo necans zu allen Zeiten - können seine kulturellen Praktiken dann mehr als eine nachträgliche und folgenlose Geste sein?

1914 begann ein Krieg, der zunächst den Anschein erweckte, die europäischen Kriege des 19. Jahrhunderts fortzusetzen. Aber nach der Anfangsphase wurde bald deutlich, dass mit diesem Krieg etwas Neues in die Kriegsgeschichte eingetreten war. Die Schlachtfelder wurden Teil der Zivilisationsgeschichte, indem sie Erfahrungen erzwangen, die zum Ende einer großen geschichtlichen Hoffnung führten. Seitdem im 17. Jahrhundert die Hegung des Kriegs durch internationales Recht und das Projekt der vernünftigen Gesellschaft der Aufklärung in Gang gekommen waren, hatte das Zeitalter des optimistischen Fortschrittsdenkens zu dem Glauben verleitet, dass die Ächtung des Kriegs, die zum Ende des organisierten Tötens von Menschen durch Menschen führen werde, in der vorhersehbaren Zukunft zu erreichen sei. Vormoderne Kulturen haben kein Bild von sich selbst, das sie zu der Illusion verführen könnte, das Töten von Menschen durch Menschen zu beenden oder doch grundlegend zu beschränken. Von diesen Kulturen wollte Europa sich mit der Aufklärung verabschieden und entwickelte eine Geschichtskonzeption mit der Erwartung, aus der Vergangenheit zu lernen. Die Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft nährte die Hoffnung, den Krieg und mit dem Krieg das Töten abzuschaffen.

Das 20. Jahrhundert entlarvte die Hoffnung als einen Irrglauben. Der Erste Weltkrieg und die folgenden Kriege führten zu so viel Gelegenheit zum Töten wie keine frühere Epoche. Die Klage der Frauen in Euripides' Tragödie Die Troerinnen (415 a.Chr.) dem Beginn des kritischen Kriegsdiskurses in Europa, verblasst vor dem Leid der Frauen des letzten Jahrhunderts. Auf das Versagen dieser Geschichte aus der Grundidee eines friedfertigen Menschen folgte in Opposition zur Sicht auf den Menschen, die sich aus dem Optimismus der Aufklärungsphilosophie abgeleitet hatte, eine pessimistische Anthropologie. Diese desillusionierte Theorie, deren Gegensatz zu dem über mehr als zwei Jahrhunderte gepflegten stolzen Eigenbild sich durch das folgende Jahrhundert zog, begleitete das exzessive Töten der Epoche.

Der Pessimismus, der aus dem Zusammenbruch des Fortschrittsglaubens entstand, war etwas anderes als die ältere Skepsis, die Thomas Hobbes zu seinen viel zitierten Sätzen über die wilde und kriegerische Natur des Menschen (Leviathan und De cive) geführt hatte. Nach 250 Jahren wurde offensichtlich, dass gesellschaftliche Institutionen den Kampf gegen den Drang zu töten, die Aufgabe, die Hobbes ihnen zugesprochen hatte, nicht gewinnen konnten. Die Versuchung der Gewalt gegenüber anderen Menschen war offensichtlich durch kein Zivilisierungsprogramm heilbar. Das Töten verlernte sich nicht. Vielmehr hielten die Europäer weiterhin an der Institution Krieg fest und setzten das Töten fort, und zwar nun heuchlerisch. Ohne das schmeichelhafte Eigenbild aufzugeben, töteten sie weiter, mit der Bibel in der Hand", wie der Pessimist Karl Kraus seinen Nörgler bemerken lässt, der einen Schritt weiter geht und das Töten im Krieg der Epoche der Desillusion Mord" nennt. Denn wir haben den Mord mit der Bibel und den Raub mit der Fibel in der Hand betrieben."

Auch Sigmund Freuds gleichzeitige psychologische Reflexion über den Krieg verstand ihn als Gelegenheit zu töten, die von der überwältigenden Mehrheit der Europäer begrüßt wurde, ohne dass die Beziehung zum Mord, die Freuds anthropologische Spekulation ausdrücklich herstellt, hemmend gewirkt hätte. Er sah in diesem Krieg nicht einen weiteren Krieg in der Kette der europäischen Kriege, sondern interpretierte ihn bereits ein Jahr nach dem Kriegsausbruch in einem anderen und sehr viel weiteren Sinn, nämlich als zivilisatorische Krise und das Ende der schmeichelhaften Hoffnung, den Krieg durch Zivilisierung abzuschaffen und damit dem staatlich organisierten Töten seine geschichtlichen Zeiten endgültig zu nehmen. Er bewertete diese Einsicht als eine tiefe Enttäuschung. In anspruchsvollen Theorien wie der Dialektik der Aufklärung oder in der Aggressionstheorie im Umkreis von Konrad Lorenz (die Burkerts homo necans beeinflusste) setzte die Enttäuschung sich fort und gewann eine ungeahnte Popularität in Philosophie und Öffentlichkeit.

Die These, das Töten im Krieg könne nicht als eine anthropologische Universalie verstanden werden, sondern dürfe von den gesellschaftlichen Umständen, unter denen es geschieht, nicht getrennt werden, wird in der jüngeren Kriegsgeschichte jedoch auch vertreten. Das folgende Zitat nimmt das anthropologische Pauschalurteil auf aber ergänzt es um eine Einschränkung: Kulturen sind zu allen Zeiten bereit gewesen, fremde Menschen im Krieg willkürlich zu töten. Die Behauptung, diese Art von Töten sei legitim und richtig, ist indessen seit jeher umstritten. Sie ist beispielsweise schon in Euripides klassischem Drama Die Troerinnen infragegestellt worden." Der Praxis des Tötens im Krieg werden in dieser These ein Streit und eine Bewertung, die alt und ebenso universal wie der Krieg selbst seien, gegenübergestellt. Diese Verbindung wirft die Frage auf, wie das Verhältnis zwischen Tun und Urteilen zu denken sei. Sollte es nicht nur ein zeitliches Nacheinander, einen Streit post festum, eine Klage nach der vollendeten Zerstörung, sondern einen Zusammenhang geben, wäre damit der Zeitlosigkeit der These über das Töten als Universalie widersprochen. Sobald das Töten in einen kulturellen Streit gezogen wird und, wie bei Euripides, klagende Frauen einbezogen werden, gewinnt es eine Geschichte, eine Kultur-Geschichte, die weit über die der Waffen, des Politischen oder der Kampftechniken hinausgeht. Was für Homer und wohl auch noch für Aischylos fraglos war, wird zu einem Problem: Krieg zu führen, um Menschen zu töten. Der Zusammenhang von töten und Kriegsdiskurs, den Euripides bildet, stellt eine Aufgabe. Er überstieg bald die nachträgliche Klage über den Krieg, und ein wechselseitiges Verhältnis entstand, in dem die Beziehung von Krieg und Diskurs Komplexität gewann.

Den Zusammenhang fasst Michael Geyer in dem unterkomplexen, lapidaren Satz zusammen: Kriegsgeschichte ist Geschichte organisierter Tötungsgewalt." Das ist" des Satzes darf allerdings nicht als Beschreibung verstanden werden. Ganz im Gegenteil: der Satz richtet sich gegen die herkömmliche Geschichte vom Krieg, die diesen Zusammenhang gerade verschweige und von vielem handle, aber nicht vom Tod. Aus der grundsätzlichen Kritik an diesem Forschungsprogramm der Kriegsgeschichte (die eher als Militärgeschichte bezeichnet werden sollte) entwickelt der Aufsatz eine programmatische Forderung. Die Formen der Organisation der Gewalt, also die Macht zu töten, seien geschichtlichem Wandel unterworfen. Ihn zu erforschen, sei die Aufgabe der Kriegsgeschichte. Zu diesen Formen gehört der öffentliche Kriegsdiskurs in Schrift, mündlicher Rede, Ritual und Bild.

In Aristophanes' pazifistischen Komödien reden Frauen über den Krieg und sprechen sich ab, um einzugreifen. Dieser Eingriff geht über die nachträgliche Klage hinaus und stellt nicht nur in Frage, dass das Töten legitim und richtig sei, sondern entzieht ihm die Grundlage. Lysistrata ist die Auflöserin des Heers (411 a.Chr.) und bewirkt das Ende der männlichen Macht, eine Zeit der Gewalt zu schaffen, um das Töten zu organisieren. Dieser Widerstand definiert das Töten im Krieg als eine Zeit maskuliner Ordnung, die unterbrochen werden kann. Das Stillstellen dieser Zeit ist nicht der Beginn des Pazifismus (obwohl die Komödie oft so interpretiert wird), denn es zielt auf den spezifischen, zwanzigjährigen Peloponnesischen Krieg und lässt die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen Krieg entsteht, unberührt. Die Konfrontation der Geschlechter ist kurzfristig und zielt nicht auf Zukunft. Aber die Beziehung von Krieg und Kultur wird zum erstenmal komplex, und das Töten ist nicht mehr ein beklagenswerter aber unvermeidbarer Ausbruch, sondern wird in ein Rückkoppelungsverhältnis eingebunden.

Die Gleichung von Krieg und Töten ist Soldaten nach ihrer Ausbildung und durch die Erfahrung des Schlachtfelds nicht verborgen. Über das Töten an der Westfront des Ersten Weltkriegs sagt ein Soldat 1917: Ja, man tut da draußen solche Sachen und wird dafür belobigt, man schlägt einem Menschen den Schädel ein oder jagt ihm eine Kugel rein, was dich, würdest du das zu Hause tun, schnell auf die Flucht schicken würde, mit der ganzen Polizei hinter dir her." Und am Ende des kriegerischen Jahrhunderts fragt sich ein Soldat im jüngsten Afghanistankrieg: Was mache ich eigentlich hier in Afghanistan? … Ich versuche, Menschen umzubringen, und die versuchen mich umzubringen. Ist doch verrückt…"

Aus allen Kriegen des 20. Jahrhunderts lassen sich solche Eingeständnisse zitieren. Sie sprechen von einer paradoxen Situation. Sie ist scheinbar einfach. Das Freund-Feind-Verhältnis im Krieg reduziert die Komplexität des Lebens auf das Elementare: Leben und Tod, Befehl und Gehorsam, den Trieb, selbst am Leben zu bleiben, und das Ziel, Feinde zu töten. Aber sie ist zugleich hoch komplex. Es gibt einen Widerstand gegen das Ziel und die Befehlsausführung. Etwas im Soldaten empfindet einen unlösbaren Widerspruch und wehrt sich. Die Situation ist nur scheinbar verständlich, in Wahrheit geht sie über den Verstand, ist antinomisch und unfassbar: verrückt, wie schon Kassandra in Euripides Troerinnen im Rückblick auf den eben zu Ende gehenden Krieg feststellt. Das Antinomische wurde nicht zu allen Zeiten und nicht von allen Beteiligten gleichermaßen empfunden. Es ist bezeichnend, dass am Anfang die Frauen stehen. Aber das Empfinden des Irrsins ist nicht geschlechtsspezifisch. In seiner monumentalen Tragödie Die letzten Tage der Menschheit stellt Karl Kraus die beiden Positionen durch Dialoge einander gegenüber, etwa durch einen Optimisten und einen Nörgler, und konfrontiert das Einfache als Naivität einer klagenden aber oberflächlichen Betrachtung mit dem Komplexen einer pessimistischen Einsicht in den Krieg als Irrsinn, der mit dem Kriegsende nicht vergeht, sondern das Bild vom Menschen dauerhaft und elementar verändert. Denn: Er hat sich nicht an der Oberfläche des Lebens abgespielt, sondern im Leben selbst gewütet." Das Ergebnis, mehr als 2 000 Jahre nach Euripides: der größte Bankrott, den je der Planet erlebt hat…" Lysistratas Kampfmittel stehen dem Nörgler von 1919 nicht zur Verfügung. Aber mit der Klage gibt er sich nicht zufrieden. Er hält trotz des unvermeidlich gewordenen Pessimismus am komplexen Wechselverhältnis von Krieg und Kultur fest.

Ich will den Spannungen im Verhältnis von töten im Krieg und Kriegsdiskurs nachgehen und die These einer Rückkoppelung verfolgen. Wenn die Zeichen nicht trügen, werden wir in der Gegenwart zu Zeugen eines tiefgreifenden Wandels. Mit den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine Epoche, die jüngst mit den beiden Gerichtshöfen in Den Haag zur Verfolgung der weltweiten Kriegsverbrechen und der spezifischen Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien weitergeführt wurde und in der das ius in bello international durchgesetzt und das Töten im Krieg vom Morden mit strafrechtlichen Konsequenzen unterschieden wird. Nie zuvor ist das Töten im Krieg einer internationalen Gerichtsbarkeit mit der Macht zu strafen unterworfen worden. Und nie zuvor hat eine internationale Öffentlichkeit über das Problem des Tötens so gestritten wie in der Gegenwart aus verschiedenen Anlässen: der 11. September 2001, die Kriege im Irak und in Afghanistan, die Tötung Osama bin Ladens und die arabischen Revolutionen. Erleben wir eine Phase des Umbruchs, in der das Töten seinen Charakter ändert und im Diskurs eine neue Bewertung entsteht? Hat der Nörgler der Gegenwart Anlass, einen Funken Hoffnung zu verspüren?

2 Der Kriegsdiskurs stigmatisiert das Thema töten
Der Kriegsdiskurs handelt vom Tod. Aber seine sprachlichen und bildlichen Repräsentationen zeigen eine bemerkenswerte Zurückhaltung beim Thema Töten. Unterscheidet man zwischen dem Sterben als erduldetem Tod und dem aktiven Handeln, dem Töten, so ergibt sich eine unerwartete Asymmetrie: vom Töten wird selten gesprochen. Die Kriegsliteratur scheint einen idealen Ort für die Darstellung des Tötens anzubieten. Das ist ein Irrtum. Einige spektakuläre Texte und Bilder geben einen unzutreffenden Eindruck. Texte, in denen nicht distanziert und analysierend über das Töten gesprochen, sondern das Töten zum Gegenstand wird, sind erstaunlich selten. Kriegsliteratur handelt vom Sterben, von Qualen und der Angst vor dem Tod, auch vom Rausch oder dem Glück des Sterbens. Die offene Behandlung des Themas Töten auf dem Kriegsschauplatz ist jedoch nicht nur, aus naheliegenden Gründen, in Briefen von der Front, sondern auch in der Literatur und Öffentlichkeit moderner europäischer Gesellschaften weitaus seltener als man vermutet.
Die Scheu vor dem Thema Töten unterscheidet den modernen Kriegsdiskurs von der Kriegsliteratur früher Epochen, konstitutionell vom europäischen Urtext, der Ilias, und ebenso vom Nibelungenlied oder den Arthuslegenden. Sie stellen das Töten und oft regelrechte Orgien des Tötens offen und ohne moralische Vorbehalte dar. In der neueren Kriegsliteratur ist das Thema Töten nicht tabuisiert aber doch stigmatisiert. Für die Militärgeschichte hat man festgestellt, dass sie vom Töten gar nicht spricht.

Die Scheu gilt nicht nur für den öffentlichen Diskurs. Im Kommentar zu einer Sammlung von Gesprächsprotokollen deutscher Kriegsgefangener, der die Herausgeber den Untertitel Kämpfen, Töten und Sterben" geben, findet sich eine unerwartete Beobachtung: Die Begriffe Tod' und töten' kommen in den Gesprächen der Soldaten kaum vor." Diese Zurückhaltung ist bemerkenswert und für eine Sammlung von Texten, die zu recht wegen ihrer offenen Verherrlichung von Gewalt und Mord große Aufmerksamkeit erregt haben, überraschend und erklärungsbedürftig.

Die Herausgeber stellen eine anthropologische Frage an die Gesprächsprotokolle. Sie wollen herausfinden, was die Täter wahrgenommen haben, wie sie die abzuknallenden", umzulegenden", absaufenden", die fliehende, um ihr Leben flehenden, rennenden oder schicksalsergebenen und schweigenden Menschen vor dem Visier, unter dem Flugzeug oder einfach in der fremden Umgebung eines osteuropäischen Dorfes sehen, bevor sie schießen. Sie lösen die Frage nach dem Töten, wie aus liebenden Familienvätern und Gatten mordende Ungeheuer werden, die sich nach getanem Werk wieder in normale Bürger zurückverwandeln, aus dem Korsett der moralischen Verurteilung und fragen nach dem Wie?". Was und wie sahen diese Menschen in Uniform? Damit nähern sie sich dem Geheimnis des Tötens, zu dem viele Publikationen über den Weltkrieg methodisch den Zugang versperren und die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht" allein schon durch den Titel die Antwort vorwegnahm.

Die erschreckenden Reden in den Protokollen kreisen um lustvoll ausgeübte Gewalt, ohne je vom Tod und vom Töten ausdrücklich zu sprechen," nicht, weil das Töten zu den selbstverständlichen Produkten der Kriegsarbeit gehörte und daher keinen Sensationswert gehabt hätte, sondern weil selbst dieser Krieg das Empfinden von richtig und falsch und einen emotionalen Standard nicht außer Kraft gesetzt hatte. Die Scheu ist die Folge der Irrsinnserfahrung. Der Krieg forderte eine Spaltung im Ich der Soldaten. Die vorbewusste sprachliche Selektion, das Vermeiden eines semantischen Felds, ist das Symptom der Anomie. Die Sprache vermeidet die Semantik des Tötens, um es zu verbergen und eine Verletzung des Selbst zu umgehen. Mit der Waffe in der Hand und unter den Befehlen der Vorgesetzten morden sie hemmungslos. Diese Hemmungslosigkeit können sie begründen und setzen sie in ihre Briefe und mündlichen Erinnerungen fort, sobald die Vermutung besteht, aber nur dann, dass die Adressaten übereinstimmen und die Lust an der Gewalt teilten. Die eigene Gewalt bleibt in der Rede weiterhin wirksam und wehrt sich gegen ein Gefühl, das es verbietet, Gewalt einzusetzen. Denn das Gefühl des Unrechts und der moralischen Verwerflichkeit des Tötens erhielt sich. Diese Soldaten hatten nicht vergessen, wie der Mensch den Menschen behandeln soll und was der moralische Imperativ im Gegensatz zur mörderischen Ideologie berechtigterweise fordert. Diese innere Anomie, die eine Integration des Ichs verhindert, findet sich in der Sprache wieder: sie spaltet das Ereignis in zugelassenes Handeln und ein verstecktes Gefühl von Unrecht.

Vom Töten nicht zu sprechen und das Töten nicht im Bild zu zeigen, folgt dem Bedürfnis, eine narzisstische Verletzung durch Bilder der Erinnerung zu vermeiden. Der Krieg und die eigenen Taten werden lustvoll erinnert, als Abenteuer, Selbstverwirklichung oder Jux, und zugleich wirkt die Erinnerung an das Verbot und weiß das Ich im Innersten, dass das Töten falsch ist und gegen den moralischen Imperativ verstößt. Aber dieses Wissen soll nicht in Sprache gehoben werden. Für dieses Zurückweichen sorgt ein emotionales Wissen. Das Gefühl für das Unrechte wird durch mehrfache Gründe genährt, von denen ich drei benennen möchte.

Für die Moral und das Selbstverständnis Europas hat kein Gebot des Dekalogs eine so fundamentale Bedeutung wie "Du sollst nicht töten." (2. Mose 20,13) Die christlich-jüdische Kultur opponiert gegen das Opfern, das das Opfer einer Gewalt unterwirft, die in archaischen Religionen heilig ist. Beruhen archaische Gesellschaften auf Religionen, die das Opfer des Sündenbocks, also die Opferung Unschuldiger, fordern, so beendet die monotheistische Religion diese Opferpraxis. Das Tötungsverbot ist seither tief verinnerlicht.

Die säkularisierte, aufgeklärte Gesellschaft hat den biblischen Imperativ übernommen und sein Gewicht durch philosophische Begründung vergrößert. Sie machte das Töten eines Menschen zur extremsten Grenzverletzung der Zivilisation durch die menschliche Aggression. Gewiss, es gab stets Ausnahmen des Verbots. Aber das Töten bildete den fundamentalen Widerspruch zur Ethik der sich selbst als friedfertig oder sich auf dem Weg zum ewigen Frieden" verstehenden Gesellschaft.

Auch ein ästhetisches Motiv dürfte zur Zurückhaltung bei der Darstellung des Tötens geführt haben: die böse Tat ist zugleich die hässliche Tat. In einer heroischen Zeit erweckt der Held durchaus Furcht. Er tötet. Die Tat des Helden ist erhaben. Wenn der Held ein Ungeheuer oder böse Riesen erschlägt, wenn Achill Hektor tötet, liegt der Glanz des Heroischen auf der Tat und macht sie erhaben und ästhetisch schön. Im Bild des klassischen Helden wird das Töten zu einem schönen Akt. Das gilt nicht für das Töten unter den mentalen und technischen Bedingungen der Moderne. Das Töten auf dem modernen Schlachtfeld oder hinter der Front lässt sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur als eine Handlung des Hässlichen zeigen. Die Ermordung der Juden hinter der Ostfront nach 1941liefert das extreme Beispiel für die Verbindung des Bösen mit dem Hässlichen, die auch aus den offiziellen und den heimlich gemachten Amateurfotos spricht. Das Hässliche und Verbrecherische des Tötens wird, wenn es nicht ausgeblendet wird, nicht selten mit einem sprachlichen Mantel verkleidet, um damit eine pseudo-moralische Rechtfertigung zu erfinden. So schreibt ein Polizeisekretär und SS-Verwaltungsbeamter 1941 von der Ostfront an seine Frau über eine Massenerschießung von Frauen, Kindern und Säuglingen, ihm habe zunächst die Hand gezittert. Aber beim zehnten Wagen habe er schon sicher gezielt. Der Tod, den wir ihnen gaben, war ein schöner kurzer Tod gemessen an den höllischen Qualen von Tausenden, Abertausenden in den Kerkern der GPU." Das Schöne dient in diesem perversen Satz zur Verteidigung des Tötens. Diese Verteidigung hat der willkürliche Gewaltakt aus der Sicht des Täters nötig, um das widersprechende Gewissen zu beruhigen.

Pragmatische Gründe sind nicht weniger wichtig als ethische Gebote und ästhetische Hemmungen. Wäre das Töten nicht die seltene Ausnahme und streng reglementiert, wäre Vergesellschaftung nicht möglich. Kulturen bändigen negative Emotionen wie Zorn, Wut, Hass und die Lust am Töten, die als subjektive Motive für das Töten wirken, und sie unterwerfen die Rache einem Regelsystem, wenn sie sie nicht prinzipiell verbieten. Die moderne Gesellschaft unterscheidet strikt zwischen legitimem und illegitimem Töten und beschränkt das legitime Töten auf seltene Ausnahmesituationen, die juristischen Definitionen unterworfen sind wie der Rechtsakt der Todesstrafe. Sie schaffen einen gesellschaftlichen Raum, in dem Sozialtechniken praktiziert werden, die wiederum Formen des friedlichen Zusammenlebens stabilisieren und generieren.

Der Krieg ist eine Ausnahmesituation, in der das Töten geboten ist, ohne dass er jedoch ein regelgerechter Rechtsakt des Tötens wäre. Er erlaubt nicht nur das Töten von Menschen, sondern gebietet es für eine ungewisse Zeitspanne, ohne aber Formen des Zusammenlebens generieren zu können. Die Legitimation des Tötens im Krieg durch staatliche Macht muss eine grundsätzliche Umkehr leisten: Sie muss sowohl die Tötungshemmung, die wir aus der Ethologie kennen, abbauen als auch ein verinnerlichtes kulturelles Gebot zeitweise und für viele Menschen außer Kraft setzen.

Es ist seit dem 19. Jahrhundert zunehmend schwerer geworden, ein ius ad bellum zu formulieren. Der Krieg ist seit Samuel Pufendorf und den frühneuzeitlichen Anfängen des Völkerrechts kein rechtloser Zustand mehr. Aber die Rechtsbestimmungen des ius in bello, hatten bisher wenig Chancen, durchgesetzt zu werden. Diese beiden Probleme machen es schwer, dem Töten im Krieg die Nähe zum Mord zu nehmen, und so wirken sie als Hemmung in der sprachlichen Selektion.

3 Verschiebung vom Töten ins Sterben und Sterben als heroisches Opfer
Wenn die Moral und das Eigenbild der Gesellschaft das Töten verbieten, muss auch der Diskurs über das Töten geächtet werden. Mit dem Gedanken, in einer nach Vernunftprinzipien geordneten Gesellschaft das Verrückte zu tun, lässt sich jedoch nicht sprachlos leben. Wie sehen die Reaktionen auf das Verrückte der Ausnahmesituation aus?

Das Antagonistische, Böse, wie immer es definiert sein mag, wird im Krieg nach draußen, an das Fremde auf der anderen Seite, jenseits der Frontlinie delegiert, um dort zerstört zu werden. Dieses Ziel erfordert das Töten vieler Menschen. Aber im ersten wahrhaft modernen Krieg erfüllte diese Projektion nur für eine kurze Zeit ihre Wirkung. Die kämpfenden Soldaten erkannten auf der anderen Seite der Front bald sich selbst. Wie konnte dem Töten trotzdem ein Platz im öffentlichen Diskurs eingeräumt werden?

Der Ausweg war, das Töten umzudeuten. Literatur und andere Medien sprachen nicht, sie schwiegen nicht, sondern wählten eine dritte Option: die Verschiebung. Die Verletzung des Tötungsverbots auf dem Schlachtfeld wurde im Diskurs vermieden, indem sie von dem anderen Problem, dass der Soldat der Gefahr ausgesetzt ist, getötet zu werden, überdeckt wurde. Das gesellschaftliche Ziel, viele Feinde zu töten, wurde verschleiert und das Tun der Soldaten, das Töten, in Bilder vom Sterben verschoben. Sie brachten ihr Leben dar, gaben es freiwillig für ein höheres Gut als das eigene Leben: das Vaterland oder ein religiöser oder profaner Glaube, zum Beispiel der Glaube an den Nationalstaat oder das Gleichheitsideal, und anstatt vom Töten zu sprechen, wurde ein Diskurs über das Sterben begründet. Er sprach nicht von Soldaten, die den Tod erlitten, sondern in der kollektiven Erinnerung wurde ihr Sterben in ein willentliches Handeln überführt. Er zelebrierte den Tod auf dem Schlachtfeld als aktive Gabe, als das gewollte Opfer des Lebens, und das Töten der Feinde wurde in diesen Diskurs vom Sterben einbezogen.

In dem Maß, wie das Eigenbild der Gesellschaften sich am Ideal der Vernunft ausrichtete, die die endgültige Abschaffung des Kriegs als einem Atavismus forderte, wurde das Verschieben des Tötens ins Sterben von einer Strategie der Heroisierung unter anderen Strategien zum kulturellen Imperativ. Diese Verschiebung taucht in der europäischen Literatur über den Krieg nicht erst in der Moderne auf, sondern hat einen christlichen Ursprung: in der Nachfolge des Todes am Kreuz als höchstem Triumph kann auch der Tod des Soldaten als das Opfer für ein höheres Gut als das Leben stilisiert und damit das Opfer in einen Sieg transformiert werden. Aber diese Überhöhung des Sterbens als Opfer ist älter. Bereits der antike Heldendiskurs verkehrte die einfache Opposition, etwa in der Vaterlandsrhetorik Roms. Horaz prägte in einer Ode (III.2.13) die wirksame Formel: Dulce et decorum est pro patria mori." Nicht dem Töten, sondern dem Sterben im Krieg spricht die Formel den heiligen Dienst am Vaterland zu. Von der Sakralisierung machte der Kriegsdiskurs seit je intensiven Gebrauch. Der Krieg beruhte nicht auf der Erfindung von Göttern, deren Launen und Gewaltlust die Menschen der frühen Zivilisationen unterworfen waren, vielmehr divinisierten Menschen die Opfer der eigenen Gewalt und schufen eine Kriegsreligion.

Die Verwandlung des stigmatisierten Tötens in die Sprache eines geheiligten Opferns ermöglicht es, nicht vom Töten zu sprechen, aber dennoch vom Tod nicht zu schweigen. Die Verschiebung schafft eine Kodierung, in der die Lücke, das Töten, durch die Opfermetaphorik eine öffentliche Sprache gewinnt. Sie baut eine Brücke und macht es möglich, über die extremste Grenzverletzung der Zivilisation, einem Menschen das Leben zu nehmen, in Zeiten, als die vom Staat gewährte Lizenz zu töten, nicht mehr gilt, öffentlich zu sprechen, ohne sich in einen moralischen Widerspruch zu verwickeln. Der Tod auf dem Schlachtfeld verkehrt sich in eine wertrationale Tat, und sobald der Tod im Krieg sich in das Sterben für Werte verwandelt, wird es den Lebenden, für die getötet wurde, möglich, den Tod als Gabe für das Leben zu zelebrieren.

Die Verschiebung des Tötens in Rituale und eine profanisierte Sakralsprache nahm eine Befürchtung auf, die nach beiden Weltkriegen von Psychologen geäußert wurde: es werde den heimkehrenden Soldaten unmöglich sein, war die Vermutung, den Zivilisten einen Sinn von ihrer innersten Leistung, der hohen Kunst des Tötens, zu vermitteln. Aber nach 1918 bestätigen und vertiefen öffentliche Rituale die Identifikation des Tötens im Krieg mit dem willentlichen Opfer. Für die Mehrheit verliehen sie dem Tod eine sozial integrative Funktion, wenn sie ihn zelebrierten und mit politischen und ideellen Kriegszielen verbanden. Der Konflikt von dort und hier, draußen und drinnen, den der zitierte Weltkriegssoldat als verrückt erlebte, konnte auf der Ebene des öffentlichen Diskurses durch Kodierung in Zeremonien versöhnt und erträglich gemacht werden. Der Langemarck-Diskurs bietet reiches Anschauungsmaterial. Bereits während des Kriegs wurde die Legende gesponnen, dass enthusiastische Studenten 1914 über den flandrischen Rübenacker stürmten, das Deutschlandlied auf den Lippen, und von erfahrenen englischen Kolonialtruppen niedergemäht wurden. Dieses Freiwilligenkorps wurde zur Generation von Langemarck stilisiert und ihr Tod als Selbstopferung verklärt, als ob auf diesem Schlachtfeld das Blutritual einer archaischen Gesellschaft vollzogen worden wäre. Die Nachkriegsgesellschaft entwickelte Rituale, in denen ihr Opfer symbolisch wiederholt und als kathartische Tat gefeiert wurde. An die Stelle der sinnlosen Destruktion dieses ersten Kriegs des Massentötens setzten sie symbolisch den Heldentod fürs Vaterland. Sie weckten in den Jahren nach Kriegsende große öffentliche Teilnahme und wurden bis in die ersten Jahre des Nationalsozialismus zelebriert.

Eine Minderheit, aber nicht nur Pazifisten, schloss sich von dieser Integration des Tötens in den öffentlichen Diskurs aus, und nach 1945 war diese Integrationsleisung in beiden deutschen Staaten undenkbar, und selbst in Amerika, das für die richtigen Ziele getötet hatte, wurde es schwerer, ein Verständnis für die hohe Kunst des Tötens zu wecken. Hatte die Gesellschaft nach 1918 jede Möglichkeit ergriffen, das Trauma des Massentötens abzuwehren und den Opfermythos zu erhalten, so versagten diese Strategien nach 1945, und eine allmähliche Verweigerung des Opferdenkens setzte ein. Der Krieg und die industrielle Vernichtung von Leben sorgten für eine negative Verbindung von Töten mit Technik und Moderne. Das Töten wurde als Paroxysmus der Industriezivilisation erinnert. Der öffentliche Diskurs über die Vernichtung der europäischen Juden vermied nicht länger Tod und Töten und blockierte die Transformaton vom Tun ins Opfern. Die Einsicht in die Unschuld der Opfer entstand und begründete einen neuen Gewaltdiskurs, der die Rechtfertigung von Bluttaten ausschloss. In diesen Wandel im Verhältnis zum Töten und Morden wurde die Wehrmacht mit Verspätung einbezogen. Zeichen der Gegenwart deuten darauf hin, dass sich die Einstellung zum Töten im Krieg wiederum im Wandel befindet.

4 Das Ende des Heroismus
Mit den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs und der Entlarvung seiner Opferrhetorik als kalkulierter Propaganda verloren die großen Ideen die Kraft, das Töten zu begründen, und die Transformation vom Töten ins Sterben war, wie die gesellschaftliche Praxis und das kollektive Imaginäre im 20. Jahrhundert zeigen, nur gegen Widerstand zu erreichen, hielt selten über einen längeren Zeitraum und konnte den Eindruck des kollektiven Irrsinns nur eingeschränkt abwehren. Sie musste mit positiven und negativen Sanktionen durchgesetzt werden. In der Zeit des Ersten Weltkriegs handelte sich der Augsburger Gymnasiast Bertolt Brecht einen Schulverweis ein, als er in einem Aufsatz den Satz des Horaz als Propaganda für Hohlköpfe entlarvte.

Nach seinen Erfahrungen mit dem Gaskrieg an der Westfront schrieb Wilfred Owen (Frühjahr 1918) eine bittere Satire, Dulce et Decorum, die das endgültige Ende dieses Leitsatzes bezeichnet und mit den Zeilen endet: The old Lie: Dulce et Decorum est Pro patria mori. Der Tod blieb in der Literatur weiterhin das bewegende Thema, aber er konnte nur zum Preis der Ideologisierung oder Verkitschung zum freiwillig gemachten Opfer stilisiert werden. Opfer und Heldentod sanken zum Lieblingsbild der Propaganda ab.

Berichte schildern das Schlachtfeld als eine riesige Industrieanlage mit den Soldaten als Arbeitern, die an der Herstellung des Endprodukts mitwirken, und das Produkt ist Tod (und Zerstörung von Material). Das Töten ist kein individueller Akt mit einer persönlichen Verantwortung, sondern wird von der Fabrik Schachtfeld ausgeführt unter der Mitarbeit von Soldaten-Proletariern, wie Barbusse oder Arnold Zweig schreiben, von deren Begriff des Proletariers sich Ernst Jüngers Arbeiter unterscheidet, denn er ist zwar ebenso das Produkt einer sinnentleerten Moderne, aber nicht das Opfer kapitalistischer Inhumanität, sondern das Modell des kommenden Menschen unter den Bedingungen der technologischen Existenz.

Zur Mechanisierung des Tötens trug die Entwicklung der Waffen und der Waffenindustrie wesentlich bei. Von der Erfindung des Langbogens an war die Entfernung des Schützen von seinem Gegner und dessen Sterben zu einem bedeutenden Merkmal in der Erfahrung des Tötens im Krieg geworden. Diese Entwicklung erreichte mit den gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Waffen einen ersten Höhepunkt. Den ersten Schritt machte das Maschinengewehr, erstmals im Amerikanischen Bürgerkrieg eingesetzt und zu seiner vollen Entfaltung im Ersten Weltkrieg verbessert. Diese waffentechnische Neuerung würde die Lust am Töten nehmen, lautete ein Argument seit dem späten 19. Jahrhundert, so dass Kriege selten und andere Formen der Konfliktlösung entwickelt werden würden. Richard Gatling sah eine positive Seite der Industrialisierung durch die effiziente Schusswaffe und argumentierte, ganz ohne Zynismus, dass nun ein Gewehr die Tötungsarbeit von 100 Schützen erledigte, so dass 99 zu Hause bleiben könnten. Die Erfindungen Richard Gatlings (Gatlings gun) und Hiram Maxims gehörten zu den wichtigsten Innovationen, die zum Massenmord des Ersten Weltkriegs führten. Denn sie schufen eine räumliche Distanz zum Opfer und emotionale Distanz zum Töten. Die Wirkung der modernen Tötungsinstrumente mit Fernwirkung ist in der Militärgeschichte beschrieben worden, und in der Literatur wird sie mit einer Veränderung in der Einstellung zu Tod und Leben verbunden. Das Töten wird von der einzelnen Tat gelöst und verschwindet in einem unübersichtlichen Netzwerk aus Techniken, Taktiken und isolierten Handlungen am Material. Der Feind bleibt unsichtbar und fern, auch wenn der Soldat weiß, dass er nur wenige Meter entfernt ist, wenn er schießt.

Die aus der Distanz folgende Teilnahmslosigkeit gegenüber dem Töten im Krieg hatte ihre Entsprechung in der Gefühllosigkeit, die seit dem 19. Jahrhundert zur Grundhaltung der Wissenschaftler im Experimentierbetrieb wurde. Anaisthesis lässt sich als eine grundlegende Einstellung im Umgang mit dem Leben des wissenschaftlich-technischen Zeitalters bestimmen. Im Labor entstand eine Haltung der Gefühlskälte, die das Experimentieren mit Tieren und deren massenhaften Verbrauch charakterisierte. Sie brachte das Töten zum Verschwinden. Ein mechanischer Reflex trat an die Stelle der sinnlichen Erfahrung. Diese Substitution bezeichnete ein Ideal des wissenschaftlich-technischen Zeitalters. Die Empfindungslosigkeit gegenüber dem Tier im Experiment darf nicht mit der Distanz zum Feind, die zum Töten auf dem Schlachtfeld beitrug, gleichgesetzt werden. Aber beide Haltungen stammen aus derselben Wurzel und gehören zur Mentalität einer Epoche.

5 Das Töten auf den Schlachtfeldern nach der Sinnkrise
Nach dem Ende der heroischen Bilder und der klassischen Begründung des Tötens im Kriegsdiskurs setzte sich das Töten auf den Schlachtfeldern unvermindert fort. Kann das Gigantische des Tötens im industrialisierten Krieg dargestellt werden, und ist es möglich oder wünschenswert, nach einem Sinn für dieses Töten zu suchen? Unter den Bedingungen des modernen Massenkriegs sowie des Zerfalls der großen universalen Ideen konnte sich die Verschiebung vom Töten ins Sterben nicht einfach fortsetzen. Die Transformation produzierte, soweit sie im Diskurs des technologischen Kriegs aufgenommen wurde, etwas anderes als zuvor. Das Ende der traditionellen Narration vom Töten als aktives Opfer machte eine neue Philosophie des Tötens nötig.

Entzug der Legitimation: Pazifismus nach 1918
Das industrialisierte Schlachtfeld und der Kollaps der klassischen Begründung des Tötens im Krieg barg das spezifische Dilemma für den öffentlichen Diskurs vom Ersten Weltkrieg an: ließ sich auf die unvermeidliche Frage nach dem Sinn des gegen alle Vernunft und gegen alle wohl-verstandenen Interessen fortgesetzten Tötens eine Antwort finden?

Es war ohne Zweifel unzureichend, das massenhafte Töten aus Subjektpsychologie abzuleiten. Die Kombination aus Psychologie und Anthropologie führt in die zu Anfang beschriebene Sackgasse. War das Töten, das in keinem umfassenden Begründungs- und Sinnkontext aufgehoben war, prinzipiell illegitim, so dass jeder Soldat als Mörder bezeichnet werden konnte?

Eine radikale Antwort bot der literarische Pazifismus, der dem Verrückten recht gab, indem er das Auflösen des Anomischen durch Rationalisierung ablehnte. Er konfrontierte den Irrsinn erlebter Antinomien mit der Politik und der Institution der bürgerlichen Kultur. Dada und Surrealismus entwickelten eine Sprache, in der Tod und Töten nicht vorkamen, aber der Gesellschaft die Todesbotschaft mitgeteilt wurde. Ihre Diagnose war, dass die Gesellschaft, die nicht aufhören konnte, massenhaft Menschen auszusondern, um sie zu Opfern zu machen, sich ad absurdum führte und sich selbst das Ende bereitete. Nicht ohne einen Hauch von Zynismus übergingen sie die Fragen der Ethik und benutzten das pragmatische Argument, dass eine Gesellschaft, die das Töten nicht streng reglementiert und zu einer seltenen Ausnahme macht, sich die eigene Existenzgrundlage entzieht. Anstatt Menschenopfer zu beklagen, nahm der Anti-Diskurs der Sinnverweigerung diese Gesellschaft, die ohne Sinn zu kommunizieren, nicht leben kann, beim Wort und präsentierte den Totenschein. Das Maschinengewehr als dadaistisches Lautgedicht leistete die Arbeit von hundert kritischen Analysen des Kapitalismus. Aber wie das Maschinengewehr den Feind zwar empfindlich schwächte und in die Verteidigungsposition zwang aber nicht ausschaltete, so hatte auch die dadaistische Attacke nur eine beschränkte Wirkung. Der Gegner erwies sich als unerwartet widerstandsfähig.

So ergab sich die überraschende Lage, dass nicht die affirmative Kriegsliteratur, sondern der Pazifismus offen vom Töten sprach. Er verwandelte den Diskurs über heldenhaftes Sterben in einen über Soldaten als Mörder, der die Nähe zu einer Herrschaftstheorie des Kapitalismus nicht verleugnete, sich aber von der banalen Gegenüberstellung von Zwang und Unterwerfung zu unterscheiden suchte.

Ernst Friedrichs Fotosammlung Krieg dem Kriege (1924) setzte die Verschiebung vom Töten ins Sterben und vom Sterben in den Heldentod einem Ikonoklasmus aus. Das Opfer entlarvte er als sinnlosen Verlust des Lebens. Die Erzählung" der Fotosammlung spricht vom Töten und verbindet es mit dem Glauben an falsche Werte. Seine Auswahl und Komposition der Fotos von grausam verstümmelten und noch lebenden Soldaten visualisiert die Destruktion der Werte wie die Idee des heldischen Opfers, an die diese Opfer selbst glaubten, wie die Fotos von stolzen Uniformträgern mit der Waffe in der Hand demonstrieren.

Kurt Tucholsky machte in einem Beitrag unter dem Titel Der bewachte Kriegsschauplatz" in der Zeitschrift Die Weltbühne (1931) die Verkehrung vom Opfer in den Mord in der knappsten Formel populär. Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder." Der provozierende Satz des Artikels setzte keine öffentliche Diskussion, sondern eine juristische Aktion in Gang. An der Stelle des Gerichtsurteils wäre eine Debatte über die Ethik des Tötens im Krieg nötig gewesen. Die aber blieb aus. Eine nicht bestimmte Gesamtheit könne nicht beleidigt werden, lautete die Begründung für den Freispruch. Das war eine juristische Ausflucht. Macht der moderne Krieg aus dem Töten zwangsläufig ein Morden? Diese Frage lässt sich nicht vor den Schranken der Gerichte beantworten. Sie kann nur als ein Problem der Ethik behandelt werden und musste, da sie philosophisch nicht geklärt wurde, stets aufs Neue juristisch beantwortet werden. Für die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist sie zentral, und nach 1945 flammte sie wieder auf. Erneut führte sie unter dem ideologischen Kampfruf: Soldaten sind Mörder!" in polarisierte politische Grabenkämpfe und juristische Urteile.

Denkt man an die lange Tradition dieses ethischen Konflikts, der in die griechische Antike zurückreicht und im 17., 18. und 19. Jahrhundert zu deutlichen Kommentaren geführt hat (Gryphius, Voltaire, Heine, Büchner: gesetzliche Mörder"), gibt es womöglich keine Antwort auf diese Frage, und das Urteil ist nicht anders als in Emotion begründet.

Eine letzte Motivation
Verweigerung, Verzweiflung und Pazifismus waren nicht die einzigen Reaktionen auf das anhaltende Töten nach dem Ende der tradierten Legitimationsstrategien. Linke, kapitalismuskritische und humanistische Autoren, die sich mit dem Pazifismus nicht befreunden konnten, entdeckten die Solidarität mit dem Mit-Menschen als verbleibende Minimalbegründung für das Kämpen und Töten. Die Gefühllosigkeit nahmen sie als ein Produkt des kapitalistischen Systems wahr, als die Enteignung des einzelnen Menschen zu Gunsten der industriellen Produktion von Tod und verfochten gegen diesen Raub die Empathie und Verantwortung für den Nächsten. In der Sprache des Sozialismus propagierten sie den Wert der Solidarität. Damit übertrugen sie die Idee eines sozialistischen Humanismus auf das Schlachtfeld und machten aus Soldaten Proletarier, allerdings mit der unerwünschten aber unvermeidbaren Konsequenz einer Fortsetzung des Kriegs und des Tötens. Auch im erfolgreichsten Kriegsbuch der Zeit, in Remarques Im Westen nichts Neues, entdeckte die Kritik die Solidarität mit den Kameraden als den einzigen verbleibenden Wert. Diese Minimalmotivation für das Töten erhielt sich im Kriegsdiskurs bis in die Gegenwart.

In einem Bericht aus dem Afghanistankrieg gibt Sebastian Junger diesem Gedanken eine zeitgenössische Wendung. Der Text ist härter als die meiste Prosa nach 1918, aber es finden sich viele der typischen Textelemente der realistischen Kriegsliteratur dieser Zeit. Ein Vergleich mit Ernst Jüngers Kriegstagebuch bietet sich an. Jungers War ist, was die Darstellung des Tötens betrifft, eine Fortsetzung der älteren Kriegsliteratur. Unter den Wahrheiten des Kriegs steht das Töten noch immer am Rand.

Der Reporter berichtet auch von Albträumen, die davon handeln, selbst hilflos zu sein: Gewehre hatten Ladehemmung, der Feind war überall, und niemand wusste, was überhaupt los war, militärisch gesehen, der perfekte Hinterhalt." Er sieht, wie ein Kampfhubschrauber einen Talibankämpfer auf einem offenen Berghang stellt und tötet. Er konnte nirgends mehr hinlaufen, und beim zweiten Feuerstoß wurde er von einem 30-mm Geschoss getroffen und explodierte. Daran war nichts Faires. Aber der Taliban war der Anführer einer Zelle, die im Tal an den Straßenrändern Bomben legte, und man konnte dem entgegen halten, dass auch in der von ihm ausgeübten Tätigkeit nichts Faires war." Nach der wiederholten Begründung, dass nur aus einer Verpflichtung gegenüber den eigenen Männern getötet werde, bricht die kurze Betrachtung über das Töten ab. Das Töten von Feinden wird durchgehend nicht als Töten, sondern als Beschützen eingeführt. Für die Verteidigung zu sterben! schreibt der Reporter, und nicht: zu töten. Der bewaffnete Kampf ist nicht die Zeit zum Töten, sondern dazu, zum Schutz der anderen Person das eigene Leben einzusetzen."
Die generellen Überlegungen stellen das Töten in eine utilitaristische Kalkulation: wer verliert mehr Männer, man selbst oder der Feind? Diese Offiziersperspektive nimmt den Tod nach dem Prinzip der Anaisthesis wahr und entfernt ihn aus der Imagination.

6 Blutloser Krieg der Elektronik und die Rückkehr des gläubigen Tötens
Neue Formen des Kriegs sind gegenwärtig im Entstehen begriffen und haben den Kriegsdiskurs erfasst. Er hat das Begriffsfeld vom postmodernen Krieg eingeführt, zu dem Information war, Cyberwar und Netwar gehören. In diesen neuen Formen und Formeln des Kriegs ist die Beherrschung von Informationen wichtiger als das Töten von Feinden.

Im Cyberwar lassen sich zwei aus dem Ersten Weltkrieg folgende Grundpositionen weiterhin erkennen: Distanzierung und Anaisthesis. Sie gewinnen eine neue Bedeutung und haben Anlass gegeben, über ein Schlachtfeld ohne Blutvergießen zu spekulieren. Der Netzkrieg richte sich auf das menschliche Bewusstsein: The target of netwar is the human mind." lautete die gewagte These George J. Steins vom US-Verteidigungsministerium bereits 1995. Das Schlachtfeld kann mit Hilfe eines satellitengestützten Kommunikationssystems, dessen Informationstransfer im Hin und Her zwischen Kontinenten nur Sekunden benötigt, umfassend gesteuert und kontrolliert werden.

Durch diesen Krieg wären die durch Technologie ausgelösten Tendenzen in der Einstellung zum Töten auf ihren Höhepunkt gebracht und würden zugleich ihre Bedeutung für Leben und Tod verlieren, weil es auf den Menschen nicht ankäme. Er hätte sich mit seinen künstlichen Kriegswelten selbst abgeschafft. Es ist aber fraglich, ob das Ziel der Informationsüberlegenheit erreicht, über einen längeren Zeitraum hinweg erhalten und damit ein Sieg ohne die Beteiligung menschlicher Körper in einem kommenden Krieg errungen werden kann.

In letzter Zeit ist es um die Theorien vom Krieg ohne Tod still geworden. Die radikale Frage ist berechtigt, ob es überhaupt einen Cyberwar gibt. Den Kosowokrieg von 1999 und den ersten Irakkrieg kann man als die ersten Kriege bezeichnen, in denen Staaten elektronische Kampfmittel systematisch einsetzten und damit ein virtuelles Schlachtfeld begründeten. Aber das Töten in gewohnter Weise setzte sich in diesen Kriegen fort. Grausame Bilder und schonungslose Berichte von diesem Töten gingen um die Welt und widerlegten die Theorien des Cyberwar.

Innerhalb kürzester Zeit und vollkommen überraschend ist im Zeitalter der hoch entwickelten Elektronik das Töten für Ideale und religiöse Glaubenssysteme, das lange Zeit endgültig überwunden zu sein schien, zurückgekommen. Durch diese Herausforderung ist der aufgeklärte Westen überfordert. Die Kriegserklärung gegen den Terror ist eine hilfloser Versuch, die Theorien des jus ad bellum zu reaktivieren und damit die Rechtfertigung des Tötens in einem gerechten Krieg zu beschwören. Es gibt aber einen solchen Krieg nicht. Der juristische und rationalistische Diskurs ist nicht in der Lage, die Konflikte zu erklären, noch führt er zu ihrer Lösung. Terroristen und militante Fundamentalisten sind erfolgreich bemüht, dieses Denken zu sabotieren. Sie schaffen stets wechselnde und dezentralisierte Orte des Kampfes, auf die keine herkömmliche Definition von Krieg passt und benutzen Instabilität und Verwirrung des Gegners in ihrer Strategie.

Das emotionale Verhältnis zu Tod und Leben der Gegenseite bleibt den Angegriffenen fremd. Die urtümliche Emotion der Rache kann bei seltenen Gelegenheiten wie zum Beispiel der Tötung des Massenmörders Osama Bin Laden aufblitzen und im öffentlichen Diskurs die Forderungen der aufgeklärten Zivilisation sprengen. Das Töten steht auf juristisch wackligen Füssen der vorbeugenden Notwehr und ist Rache. Aber selbst die seltenen Momente der Genugtuung werden umgehend von Reflexion und Zweifel eingeholt und die Stellung eines Rechtsaktes verweigert, so dass der Akt des Tötens im Diskurs den Makel der Illegitimität nicht los wird.

Der affektiven und kognitiven Distanz zum Töten im Cyberwar widerspricht die sich ausbreitende Bereitschaft zur Gewalt mit Billigung der Todesfolge im Alltagsleben. In einer Diagnose der gegenwärtigen Einstellung zum Töten lässt sich dieser Widerspruch nicht ausräumen. Die Gewöhnung an Bilder und an den Gedanken des Tötens im virtuellen Raum schafft eine neue Bereitschaft, das stigmatisierte Thema des Tötens zu entstigmatisieren. Über Kriegsspiele, die bereits Jugendlichen zur täglichen Unterhaltung dienen, wird das Töten in die Normalität des Alltags eingeführt. Und wieder dient die Distanz, die das Töten auf dem Bildschirm vom Tötenden trennt, zur Verharmlosung.

Wie das letzte Wort über das Töten in der Zukunft der elektronischen Gesellschaft lauten wird, Cyberwar ohne Leichen oder die Wiederkehr archaischer Gewalt mit einer Endemie des Tötens, ist offen.

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