Abbellimento Strategico

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Abbellimento Strategico Christoph Schäfer 2012

Die Traumstadt lag, wie es sich für eine Traumstadt gehört, auf einer Insel; durch einen Bahnhof abgeschnitten vom Zentrum, im Schatten eines, lang vor seiner Fertigstellung bereits veralteten, postmodernen Hochhauses, wie es - mit seinem bogenverzierten Giebeln und antikisierenden Säulen als warnendes Monument ästhetischer Korruptheit in Ayn Rands Film Fountainhead hätte auftreten können. Ästhetische, künstlerische, ökologische, soziale und politische Korruptheit tritt heutzutage in einem anderen Gewand auf, mit einem runderneuerten Arsenal von Waffen, Tricks und Täuschungen, die zu analysieren das eigentliche Thema dieser Zeilen ist, doch das muss noch etwas warten. Noch war nämlich der Grund und Boden der Insel verseucht von Chemikalien der Firma Brown-Boveri, jahrzehntelang vergessen und vernachlässigt und dennoch (oder gerade deshalb) war ein urbanes Paradies entstanden, das man sich nicht schöner hätte erträumen können: es hatte eine Passage wie aus Walter Benjamins Passagen Werk; es war der Ort der Multitude, wie Negri & Hardt höchstselbst ihn sich nicht hätten schöner ausmalen können; es behauste Unterschiedlichkeiten, ja Widersprüche, in einer Dichte, dass Georg Simmel, Henri Lefebvre und die Situationistische Internationale einen Wiedervereinigungsringelreihen der Freude hätten tanzen müssen; und zu den Längsseiten dieses schmuddeligen Palastes der Träume und abgewerteten Praktiken erstreckten sich zu allem Überfluß auch noch zwei Parks, die aus der aufgegebenen und neubelebten Fabrik Stecca degli Artigiani ein prächtiges Schloss machten. Ein Schloss allerdings ohne Schlossherren und Fürsten, stattdessen belebt und verwendet von Motorradschraubern, Künstlern, Handwerkern und einem Sans Papier aus Afrika; von selbstorganisierten Initiativen, Behindertenorganisationen, marxistischen und hedonistischen Jugendlichen; von einem selbstorganisierten Biomarkt, einem Kino, Ausstellungen, heimlichen Genüssen und öffentlichen Festen; von Diskussionen, Tauschhandel, grauem Markt, Sonnebaden auf dem Dach und von der drumrum wohnenden Bevölkerung. So hätte es weitergehen können und Mailand hätte einen solchen Ort verdient und gebraucht. Doch die Aussichten waren von vornherein nicht rosig, denn die den Abriss der Situation betreibenden Herrschenden drückten mit ihrem versammelten Gewicht die Waage erbarmungslos auf eine Seite: sie hatten das Geld, sie besaßen die Grundstücke, sie kontrollierten einen Großteil der Medien, das Recht war wie immer auf ihrer Seite und die administrative und politische Macht lag in den reaktionären Händen von Forza Italia und Lega Nord. Das strategische Pfund, das die Benutzer der Stecca in ihre Waagschale werfen konnten, war die breite und tiefe Vernetzung in den Stadtteil, und ihr von der Kunst beflügelter Erfindungsreichtum. Das Kunstargument wog besonders schwer - denn das in der Stecca geplante und über Jahre provisorisch betriebene Isola Art Center machte

nicht nur tolle Arbeit - es füllte eine Lücke aus für ganz Mailand, nämlich das Bedürfnis nach einem Ausstellungsort für aktuelle Kunst ausserhalb des kommerziellen Galeriebetriebs und der etablierten Museen und Stiftungen. In Deutschland zum Beispiel - und das wissen die italienischen Künstler - gibt's fast in jeder Kleinstadt einen Kunstverein, einen im Prinzip unabhängigen Ausstellungsort, in der Kunstmetropole Mailand gibt 's das nicht. Doch die Praxis des Isola Art Centers ging über die bestehenden Beispiel von Ausstellungsräumen weit hinaus: es war auch ein Ort, an dem die anderswo entwickelten Ideen einer uneingeladen in städtische Gefüge eingreifenden, kollektiven und selbstorganisierten Kunst Widerhall fanden und weiterentwickelt wurden. Den mit den Anwohnern kooperierenden Künstlern war es gelungen, den Ort stadtweit ins Gespräch zu bringen, sie organisierten Gegenplanungen zu den Abrissplänen der Investoren, organisierten Bespielungen des Geländes und machten das umliegende Brachland zu skulpturengeschmückten Parks (kein Hippiescheiss, wenn Sie das denken sollten, die Sache hatte Schliff). Gemeinsam schuf das Viertel eine soziale und ökologische Ressource für den Stadtteil, pflanzte illegal eingewanderte Palmen, organisierte Wunschproduktionen und Planungsworkshops mit Kindern und Erwachsenen, gründete OUT (das Office for Urban Transformation), sang den stadtverordneten Entscheidungsträgerinnen Songs von Adriano Celentano vor (im Chor, im Sitzungssaal), als diese nicht verstanden - und verschob so das Gewicht und die öffentliche Meinung immer mehr zu seinen Gunsten. Die Strategie der Säcke Doch die Herrschenden waren nicht dumm, und wenn sie die Inselbewohner schon nicht vom Nutzen ihrer schnöden Pläne überzeugen konnten, vielleicht ließen die sich dann wenigstens spalten: divide et impera, war ja schon vor über 2000 jJahren in dieser Weltgegend ein Begriff. Der Angriff wurde ausgerechnet auf dem Feld lanciert, das die Inselbewohner bis dahin souverän allein bespielt hatten: das Feld der kritischen, sozial engagierten, politisch intervenierenden Kunst. Eine Schlüsselrolle in diesem plot spielt der Architekt Stefano Boeri, der sich durch seine Arbeit mit der Gruppe Multiplicity (deren Videoinstallation "Solid Sea", im Rückblick wirkt, wie ein geschickt auf das politisch korrekte Kunstfeld zugeschnittenes Zielgruppenprodukt, ohne Anbindung an die sozialen Bewegungen, deren Inhalte es verwertet) im Kunstsystem einen Namen als kritischer Künstler gemacht hat. Zunächst diente Boeri sich als Unterstützer der "Stecca degli Artigiani" an, sprach auf einem Aktivistenpodium davon, dass die Situation in der Stecca „unbedingt erhaltenswert“ sei und er dafür „kämpfen“ werde. Doch Boeris Bekenntnis war keinen Jota wert. Nur wenige Monate später erstellte er im Auftrag der Mailänder Stadtverwaltung einen gegenläufigen Masterplan für den internationalen Investor Hines, verkaufte das Ergebnis der

Öffentlichkeit als Kompromiß - und bekam zur Belohnung ein ordentliches Tortenstück serviert: Der Architekt wurde mit der Planung von zwei Hochhäusern auf dem Gelände der ehemaligen Parks beauftragt. Selbstverständlich sah auch Boeris Plan den kompletten Abriss der Stecca, die Bebauung der beiden Parks, und, als Konzessions-Bonbon an die Besetzer (damit die fette Kröte leichter runterrutscht), ein spektakuläres Artcenter in einer Boeri-Architektur vor. Das Ergebnis ist leider bekannt: Teile der Initiativen ließen sich von den Investoren um den Finger wickeln, die Polizei drückte Dealer ins Viertel und lancierte eine Saubermannkampagne gegen die Stecca, und der verbliebene Widerstand reichte nicht aus, um den Abriß des Ensembles zu verhindern. Partizipation als Tarnung des Ausschlusses Nun schwebt die Gentrifizierung über der Isola, das alleinige verbliebene stadtentwicklungspolitische Leitbild in den prosperierenden Städten auf dem Globus. Doch auch das Isola Art Center hat nicht aufgegeben, sondern seine Aktivitäten ins Viertel verlegt, neu verankert - und vervielfältigt. 2009 hatte ich das Glück, von Bert Theis zu einer dieser Ausstellungen des Centers eingeladen zu werden, und konnte eine Malerei auf den Rolladen des zentralen Kiosks anbringen. Die beschäftigt sich mit der "gebauten Ideologie"1 der neuen Investorenarchitektur, und liest im Kaffeesatz dieser urbanen Alltagslandschaften. Deren Sprache, so bin ich überzeugt, verrät einiges über den Zustand Italiens - und noch mehr über die veränderten Frontverläufe der zukünftigen neoliberalen Stadtentwicklung. Als ich durch die Strassen gehe, fallen mir zwei neue Arten des Grüns auf: zum einen sind die Müllkörbe neuerdings mit hübschen Naturfotos versehen, womit, so nehme ich an, gesagt werden soll, dass in den Abfalleimer gesteckter Müll irgendwie recycelt wird, also auf zauberhafte Weise aus der Umweltbelastung in einen Rohstoff verwandelt wird. Verblüffenderweise ähneln die neuen Bezüge der Müllcontainer den Werbetapeten des "Green Island" Projekts von der ökointeressierten Kuratoren-Ini amazelab, die auch schon mal gemeinsam mit Immobilieninvestor Catella am "Kommerzdistrikt Isola" bastelt. Das andere Grün, auf das ich stoße, hat einen bedrohlicheren Charakter es ist die Tarnfarbe der Jeeps und Militäruniformen von Soldaten, die neuerdings gemeinsam mit der Polizei auf Streife gehen. Militär auf Patrouille in den Städten - das ist eine Maßnahme, die in demokratischen Ländern eigentlich nur dann vorkommen kann, wenn aufgrund eines Bert Theis führte den Begriff der "gebauten Ideologie" auf der Konferenz Die Kunst des urbanen Handelns, (Rotor Graz, März 2011) oder bei einer Frühstücksunterhaltung auf seinem Balkon in Mailand zu einem anderen Zeitpunkt ein, um die Architektur Bosco Verticale von Stefano Boeri zu kennzeichnen. 1

akuten Notstands die demokratischen Recht suspendiert werden. Oder bei Putschversuchen. Die dauernde Militärpräsenz setzt einen Hintergrundton, der das Ganze in einem noch bedrohlicheren Licht erscheinen lässt. An den Bauzäunen um Investor Hines bzw. Catellas Großbaustelle, findet sich eine andere Art der Tarnung: Die Investoren haben in einem pädagogischen Mitmachprojekt Kinder Entwürfe für einen Spielplatz basteln lassen. Nun schmücken auf Billboardgröße aufgeblasene Fotos der Bastelarbeiten 500 Meter Zaun. Durch die rührende Kinderkunst vor den Blicken der Passanten geschützt, entstehen die üblichen Stahl-Glas-Investorenarchitekturen. Solche, wie der von Boeri entwickelte „Bosco Verticale“, zwei mit Bäumen dekorierte Wohntürme im Stil niederländischer Architektur der Mittneunzigerjahre. Der Architekt hat sich zu der Behauptung verstiegen, dass sein in einem vertikalen Wald verstecktes Hochhaus sogar mehr Grün schaffe, als auf den verschwundenen Freiflächen je vorhanden gewesen sei. Selten hat sich der verblendete Glaube an die eigene architketonische Omnipotenz deutlicher gezeigt, als in diesem Projekt, dessen Bepflanzung nur durch eine erhebliche Zufuhr von Trinkwasser wird funktionieren können - falls es je funktioniert. Möglicherweise waren die Computergenerierten Bilder der grünen Häuser ja ohnehin nur ein Propagandatrick, um das Ökologie-Argument eine Weile auf Abstand zu halten. Wie in kaum einem Gebäude, zeichnet sich im Bosco Verticale der von Greenwashing begleitete Beginn der "grünen" Gentrifizierung ab. Durchgängig funktioniert in all diesen Fällen Partizipation als Camouflage, Kunst als Mittel der Täuschung und Natur als trojanisches Pferd. Die Bevölkerung von Paris hat bereits im Neunzehnten Jahrhundert für diese Art kapitalistischer Stadtverschönerung eine treffende Phrase gefunden: sie erkannten die schicken Baumaßnahmen, die prächtigen Boulevards des Baron Haussman als das, was sie wirklich sind, als embellissement stratégique - als strategische Verschönerungsmaßnahmen. Doch wo an einem Bild gebastelt wird, da kann auch ein Bild zerstört werden. Hören wir auf damit, nett zu sein. Beginnen wir mit der Arbeit.

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