Μanólēs/Emmanuḗl Limenítēs, Tὸ Θανατικὸν τῆς Ῥόδου (1500)

June 13, 2017 | Autor: Günther Henrich | Categoria: Modern Greek literature, History of Rhodes, A.D. 1500, Plague of Rhodes, Limenites
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Μanólēs/Emmanuḗl Limenítēs, Tὸ Θανατικὸν τῆς Ῥόδου (1500)
Günther S. Henrich (Warburghaus HH, 11.7.2015)

In den letzten Jahren habe ich mich mehrmals mit einem Text beschäftigt,
der anno 1500 auf Rhodos entstanden ist, bald nach dem Abklingen der
fürchterlichen Pest-epidemie, die dort von Oktober 1498 bis Juni 1500
gewütet hatte. Meine Beschäftigung mündete schließlich in eine zwar
prinzipiell kritische, doch zugleich praktische Ausgabe, die in diesen
Wochen in einer Reihe Παλιότερα κείμενα της Νεοελληνικής Λογτεχνίας des
Instituts für Neugriechische Studien an der Universität von Saloniki
erscheint. Die Reihe ist in erster Linie für Studierende der
Neugriechischen Philologie und interessierte Schüler der gymnasialen
Oberstufe (Λύκειο) gedacht; deshalb ist die philologische Fachsprache
bewusst knapp gehalten. Ich möchte Ihnen heute eine deutsche
Zusammenfassung meiner griechischen Ein-leitung geben, wobei die folgenden
Punkte behandelt werden sollen:

Rhodos bis um 1500
Was ist ein θανατικόν?
Handschrift und Ausgaben unseres Thanatikón
Aufbau und Inhalt des Gedichts
Sein literarisches Genus
Zum Dichter Emm./Man. Limenítēs:
1. Sein Name, die Mitglieder seiner Familie, sein Alter z.Zt. der
Abfassung
2. Bildung bzw. Lektüre des Verfassers und ihr Einfluss auf das
Gedicht
3. Die beiden anderen erhaltenen Gedichte desselben Verfassers
Zur Sprachform des Thanatikón: Neurhodische Dialektelemente
Metrum und Reim


Rhodos bis um 1500
Zu Anfang des 4. Jh.s n.C. war die Insel zum Oströmischen Reich gekommen,
dessen spätere Phasen wir uns bekanntlich Byzantinisches Reich zu nennen
gewöhnt haben. Rhodos nahm intensiv am kulturellen Leben des Reiches teil,
woran die Orthodoxie wesentlichen Anteil hatte. 1308 besetzten die von den
Arabern aus Jerusalem vertriebenen Johanniter-Ritter oder Hospitaliter die
Insel und trennten sie endgültig von Byzanz ab. Die Ritter gründeten dort
und auf weiteren Dodekanes-Inseln einen eigenen kleinen Staat, zu dem
zeitweise auch Smyrna und Petrúni, das antike Halikarnass und türkische
Bodrum, auf dem Festland gehörten. Die ritter hatten weiterhin zwei
Aufgaben, Bekämpfung der Muslime und Pflege Kranker, insbesondere
Verwundeter. Ihre Beziehungen zur einheimischen Mehrheit der orthodoxen
Griechen waren gut: Als diese sich ihnen 1308 ergeben hatten, sicherten sie
den Griechen körperliche Unversehrtheit und ihr Eigentum zu; diese
Versprechen wurden gehalten. Nach der türkischen Eroberung Konstantinopels
(1453) wuchs der Druck der Osmanen auf den Johanniter-Staat beträchtlich.
Als Gegenmaßnahme erbaute dieser die noch heute so eindrucksvollen Mauern
und Gräben der Hauptstadt, z.T. unter dem bedeutendsten Großmeister des
Ordens, Pierre d'Aubusson, den Limenítēs übrigens mit tiefer Ehrfurcht
wegen seiner umsichtigen Maßnahmen gegen die Pest lobt. Dreimal belagerten
Muslime die Inselhauptstadt, 1444 die ägyptischen Mamelucken, 1480 und 1522
die Türken. Während die Ritter die beiden ersten Male siegreich blieben,
konnten sie der über halbjährigen Belagerung 1522 schließlich nicht
standhalten und waren gezwungen, ihren Staat Süleyman dem Prächtigen zu
übergeben und mit ihm ein Abkommen zu schließen, das ihnen den ehrenvollen
Abzug auf ihren Schiffen garantierte. So verließen sie am 1. Jan. 1523 die
Insel, die sie über zweihundert Jahre regiert hatten, zusammen mit 4.000
zivilen Einwohnern, die nicht unter muslimischer Herrschaft leben wollten.
1530 schenkte Karl V. den Rittern Malta, wo sie erneut ihren Staat
gründeten; daher ihre neuzeitliche Benennung als Malteser-Ritter. (Erst
Napoleon vertrieb sie von dort.)

Was ist ein θανατικόν?
Dies ist eine ältere neugriech. Bezeichnung für Pestepidemie", speziell
die Bubonenpest. Es handelt sich primär um eine Krankheit der nager,
besonders der Ratten, aber ihr Bakterium wird von den Flöhen auch auf
andere Tiere und den menschen übertragen. Sie äußert sich zuerst in den
Lymphdrüsen der Bubonen, der Achseln und des Halses. Bei manchen Epidemien
entwickelt sie sich zur noch mörderischeren Lungenpest, die sogar vom
Menschen auf den Menschen übergeht.
Während man bei der Bubonenpest mit einer Sterblichkeit von ca. 15%
rechnet, soll diese bei der Lungenpest annähernd 100% betragen. Hier kann
natürlich keine Chronik der Pestepidemien gegeben werden; es sei nur
erwähnt, dass nach gewissen modernen Schätzungen sowohl die Epidemie unter
Justinian I. als auch der sog. Schwarze Tod in der Mitte des 14. Jh.s mehr
als die Hälfte der Bevölkerung ganz Europas dahingerafft haben soll!
Speziell wissen wir über die rhodische Pest unseres Gedichts nicht,
wieviele Opfer sie gefordert hat, da keine statistischen Daten überliefert
sind, auch nicht zur Einwohnerzahl der Insel kurz vor 1500. Sicher ist nur,
dass es sich um die Bubonenpest gehandelt hat.

Handschrift und Ausgaben des Thanatikón von Rhodos
Der Text ist nur in éiner Handschrift überliefert, dem Parisinus graecus
2909 aus der ersten Hälfte des 16. Jh.s. (Dieser Kodex enthält nicht nur
auch Limenítēs' beide anderen Gedichte, auf die ich kurz zurückkommen
werde, sondern ebenfalls eine Reihe weiterer volkssprachlicher Dichtungen.)
Unser Gedicht umfasst 644 paarweise gereimte sog. politische" Verse auf 22
Blättern, von derselben anonymen regelmäßigen Hand, mit 29-30 Zeilen pro
Seite, στιχηδόν geschrieben. Die Hs. enthält Fehler, die erweisen, dass es
sich nicht um ein Autographon handelt. Dass der Kopist auch kein Rhodier
war, ergibt sich aus einigen Fällen, in denen er rhodische Lexeme nicht
verstanden und versucht hat zu konjizieren, z.B. in V. 611, wo er das
idiomatische ρούτα kaputt, entzwei" (Lehnwort < ital. rótto) in unsinniges
ρούχα Kleider" verschlimmbesserte. Der handschriftliche Text ist
verhältnismäßig leicht lesbar. Es gibt einige Lacunae (nach V. 217 eine
solche von mindestens einem Vers, was aus der dort fehlenden
Reimentsprechung folgt, weitere Lücken wahrscheinlich nach 383 und 445).
Die Reihenfolge der Vv. 446-455 ist gestört. Die Verse sind voneinander
meist durch Hochpunkt getrennt, selten durch Komma, Punkt oder - am Ende
mancher Abschnitte - Doppelpunkt. Das Fragezeichen fehlt; dies erschwert in
einigen Fällen das Erkennen einer Frage. Innerhalb der Verse wird so gut
wie nie interpungiert. Majuskeln erscheinen fast ausschließlich am Anfang
mancher Verse. Die Orthographie ist weder gut noch besonders schlecht und
liegt somit auf dem Niveau vieler damaliger Manuskripte volkssprachlicher
Texte.
Die ersten beiden Ausgaben des Thanatikón stammen von Wilhelm Wagner,
Englischlehrer am Hamburger Johanneum: eine proecdosis" in seinen Medieval
Greek Texts, London 1870, und die endgültige in den bekannten Carmina
graeca medii aevi, Leipzig 1874. Verbesserungen brachte Émile Legrands
Ausgabe in Bd. 1 der Bibliothèque grecque vulgaire, Paris 1880, worauf sich
im Wesentlichen noch die so viel neuere von Geṓrgios Zṓras stützt, in
Βυζαντινὴ Ποίησις, Αthen 1956. Für die vorliegende Ausgabe wurde die
Handschrift noch einmal sorgfältig gelesen. Einzelprobleme sind im Apparat
unterhalb des Textes diskutiert. Nach den Vorgaben für die Reihe Παλιότερα
Κείμενα habe ich eine Paraphrase ins moderne Neugriechisch beigegeben,
musste aber zu meinem Bedauern auf einen Wortindex verzichten.

Aufbau und Inhalt des Gedichts
Die Komposition des Thanatikón ist recht locker, es begegnen sogar kleinere
Widersprüche. Vergleicht man es mit Lim.' etwa zehn Jahre älterer
Belisariade-Version, die gut durchstrukturiert ist, regt sich der Verdacht,
es könne sich um ein halbfertiges Gedicht handeln, ja, dass der Verf. evtl.
während der Arbeit daran verstorben sein könnte. Ideologisch betrachtet
bemerkt man an mehreren Stellen eine den Johannitern gegenüber positive
Einstellung des Verf.s; es ist nicht auszuschließen, dass er ein Anhänger
der Kirchenunion war.
Im Einzelnen zu Inhalt und Aufbau:

Prolog (Vv. 1-17)
1. Hauptteil: Geschichte der rhodischen Pest und Threnos (18-383):
Ansprache an den Leser bzw. Hörer (18-37)
Μοιρολόγι (Klage) über die Opfer der Pest (38-77)
Anrufung Gottes und Christi (78-89)
Bitte an die Natur, sich am Threnos über die bedauernswerten
Rhodierinnen
zu beteiligen (90-93)
Die schönen Damen von Rhodos (94-181; Einleitung, 94-101; ihr Körper,
102-
19; ihre Kleidung, 120-55; Spaziergänge und Vergnügungen, 156-
69; ihre Handarbeiten, 170-81)
Der Dichter und seine Familie: ebenfalls Opfer der Pest (182-203)
Ansprache an Charos mit Beschreibung einer bildlichen Darstellung von
ihm
( Ekphrasis", 204-39)
Vergleichbarkeit Gottes mit mit einem Töpfer: beide zugleich Schöpfer
und
Zerstörer (240-63)
Beginn der Epidemie und Maßnahmen der Johanniter dagegen (264-337)
Vergleich mit der nur dreitägigen Pest zur Zeit Davids (338-65)
Ende der Epidemie auf Rhodos (366-83)
2. Hauptteil: Moralisierend-belehrende und mahnende Reden (384-629):
Moralisierende Rede gegen die Wiederverheiratung (384-445)
Zwiegespräch des Dichters mit seinem Verstand" (446-75)
Neuer Anlauf des Verfassers: Wie der Mensch leben soll (476-81)
Allgemein christliche Ratschläge (482-87)
Der Witwer soll enthaltsam sein und wann der Verheiratete den
Geschlechts-
verkehr zu meiden hat (488-503)
Lehren von Philosophen und Ärzten über Ausschweifung u. Fressgier
(504-59)
Diese Sünden sind leider auch auf Rhodos verbreitet (560-74)
Die Rhodier sollten sich besser in den Waffen üben (575-81)
Aber manche von ihnen lieben luxuriöse Kleidung (582-5)
Die Heutigen besitzen nicht die Liebe und Ehrfurcht der Alten (586-
605)
Beim Jüngsten Gericht werden die Guten das Himmelreich erlangen,
während die Schlechten in die Hölle kommen (606-29)
Epilog: Bitte des Dichters an die Heilige Dreifaltigkeit um Vergebung
seiner Sünden
(630-44)


Die beiden Hauptteile sind recht verschieden: Während etwa der erste mit
seinem Enkomion auf die Vorzüge der jungen Frauen von Rhodos Renaissance-
Charakter trägt, bringt der zweite in für uns etwas penetranter Weise noch
mittelalterliche Moralvorstellungen aufs Tapet. Im ersten Hauptteil spricht
Lim. seine Rezipienten im kollektiven Plural an, im zweiten dagegen im
Singular. (Man kann wohl nicht ausschließen, dass der Verf. ursprünglich
zwei Gedichte geplant hatte, die er dann vereinigt hat.)

Literarisches Genus
Es handelt sich beim Than. um eine Verbindung verschiedener literarischer
Genera: Im 1. Hauptteil (bis V. 383) sehen wir hauptsächlich einen
historischen" Threnos. Lyrischer wird dieser durch die Verwendung vieler
sozialer und volkskundlicher Elemente im Zusammenhang mit dem Enkomion auf
die schönen Rhodierinnen. Einen besonderen Abschnitt bildet die Ekphrasis"
über Charos, eine Beschreibung des Todes, wahrscheinlich nach einem
westlichen (katholischen) Gemälde. Solche ἐκφράσεις setzen eine
byzantinische Tradition fort, und man findet eine Reihe davon auch in
anderen dichterischen Hervorbringungen des 15. und 16. Jh.s. (Zwei
Beispiele sind im Anhang beigegeben.) Im Gegensatz hierzu gehört der 2.
Hauptteil zur moralisch-lehrhaften Poesie und setzt somit ein im gesamten
Mittelalter sehr verbreitetes Genus fort, insbesondere die sog.
Weiberspiegel" mit ihrer misogynen Tendenz. Der Dialog des Verf.s mit dem
Verstand" erregt insofern Interesse, als er eine gewisse Annäherung an
dramatische Formen bedeutet. Von den verwendeten literarischen Motiven sei
nur der übliche Topos erwähnt, dass die früheren Zeiten besser gewesen
seien als die Gegenwart.

Zur Person des Dichters Emm./Man. Limenítēs
1. Sein Name, die Mitglieder seiner Familie und sein Alter zur Zeit
der Abfas-sung des Thanatikón
Μανόλης ist die volkssprachlich-neugriech. Form des kirchensprachlichen
Ἐμμανουήλ. Zu seinem Familiennamen: Früher wurde angenommen, dieser sei
Γεωργηλλᾶς gewesen. Eine sorgfältige Zusammenschau der Stellen im Than. und
in seiner Belisa-riade, an denen er von sich selbst spricht, ergibt jedoch
mit hoher Wahrschein-lichkeit, dass Γεωργηλλᾶς ( Groß-Georg") der Rufname
seines Vaters war und Λιμενίτης der FN. Der Sohn des Verf.s, der nach
seinem Großvater Γεώργ(ι)ος hieß, überlebte die Epidemie ebenso wie die
sehr betagten Eltern des Dichters. Drei verheiratete Schwestern von ihm und
seinen Zwillingsbruder hat dagegen die Pest hingerafft, und der Dichter
muss für deren etwa zehn Kinder aufkommen. (Es wird nicht ganz klar, ob
auch seine Frau damals verstorben ist.) Dass er um 1500 schon alt war, sagt
er selbst in den Vv. 465-7 unseres Gedichts. Da er als junger Mann schon
die Ἅλωσις Κωνσταντινουπόλεως geschrieben hat (1454 oder '55), dürfte er
während der Abfassung des Pestgedichts 65 bis 70 Jahre alt gewesen sein. Es
ist also zu vermuten, dass er um 1430-1435 geboren wurde.

2. Bildung bzw. Lektüre des Verfassers und ihr Einluss auf das Gedicht
Die Vv. 536/7 des Than. bezeugen, dass Lim. die gelehrte griech.
Übersetzung der Dicta/Disticha Catonis, d.h. des Pseudo-Cato, kannte, die
der byz. Gelehrte Máximos Planúdēs im 13. Jh. angefertigt hatte. Diese
wurde zuerst 1495 in Venedig von dem berühmten Aldus Manutius gedruckt,
also fünf Jahre vor der Abfassung des Pestgedichts, und es ist
wahrscheinlicher, dass Lim. diese Erstausgabe gelesen hat, als irgendeine
Handschrift. (Wenn dem so ist, ergibt sich daraus, wie schnell sich venez.
Bücher in westlich beherrschten Gebieten Griechenlands verbreiteten.)
Manche Fehler im Umgang mit altgriech. Formeln zeigen, dass die Altgr.-
Kenntnisse unseres Dichters beschränkt waren, während die vielen von ihm
verwandten Italianismen nahelegen, dass er über gewisse
Italienischkenntnisse verfügt haben wird. In V. 538 beruft er sich
angeblich auf Oreibasios, Julians Leibarzt, doch konnte ich das nicht
verifizieren. Auch seine Behauptung (V. 513 f.), er habe Aristoteles und
Platon gelesen, überzeugt nicht. Glaubwürdiger erscheint, dass
entsprechende volkstümliche Ratschläge entweder unter dem Namen der großen
Philosophen mündlich zirkulierten, die er gehört, oder bestenfalls, dass er
kurze paraphrasierte Spruchsammlungen gelesen hätte. Dagegen ist gesichert,
dass er volkssprachliche Gedichte des 14. und 14. Jh.s kannte, u.a. den
Ritter- und Liebesroman Βέλθανδρος καὶ Χρυσάντζα, die Λόγοι διδακτικοί des
Marínos Faliéros (1. Hälfte des 15. Jh.s) und den Ἀπόκοπος von Μπεργαδῆς
(um 1480), weil er diesen Dichtwerken eine Reihe von Versen entlehnt.
Einzelne ungewöhnliche Lexeme scheinen auf Kenntnis des Hesych-Lexikons (6.
bzw. 10. Jh.), der juristischen Ἑξάβιβλος von Konst. Armenópulos (14. Jh.),
des Liebesromans in Versen Λίβιστρος καὶ Ῥοδάμνη (wohl ebenfalls 14. Jh.)
oder religiöser Gedichte des Ἀνδρέας Σκλέντζας (Ende des 15. Jh.s) zu
deuten. Natürlich fehlen auch Zitate aus der Bibel und anderen kirchlichen
Prosatexten nicht. Von mündlichen Quellen lassen sich einige Volkslieder
erkennen. Schließlich begegnen Selbstzitate aus seiner Ἅλωσις
Κωνσταντινουπόλεως.

1. Seine beiden anderen Gedichte

a) Ἅλωσις Κωνσταντινουπόλεως
Dies Gedicht über die Einnahme K/pels durch die Türken (1453) ist das erste
– und das einzige anonyme – der drei mit rhodischer Dialektfärbung, die am
Anfang der Hs. P stehen. Es handelt sich um den längsten volkssprachlich-
griechischen poetischen Threnos über jenes weltgeschichtliche Ereignis, mit
1045 zumeist noch ungereimten (nach moderner Terminologie iambischen") 15-
Silbern oder politischen" Versen. Sein literarisches Genus ist eine
Kombination von quasi-historischer Beschreibung der Eroberung der
byzantinischen Hauptstadt, einem Threnos mit wiederholter Aufforderung an
alle christlichen mächte zu einem Kreuzzuggegen das Osmanenreich und einem
Spionagebericht des Dichters selbst. Dieser musste natürlich, da er als
Kundschafter im Dienste der Johanniter zu Fuß und beritten" den größten
Teil der von den Türken besetzten griechischen Länder bald nach der Ἅλωσις
besucht und überall die Zahlenstärke der dort stationierten türkischen
Truppen in Erfahrung gebracht hatte, zum Zweck der Geheimhaltung, aber auch
aus Furcht vor Rache des Sultans seine Anonymität wahren, was ihm jedoch
deutlich schwerfiel. So gibt er gegen Ende (in den Vv. 1019-26) doch
einiges von sich preis, sogar in zwei Kryptosphragiden" – also geschickt
versteckt - seinen Namen: deszendierend Ο ΜΑΝΟΛΙΣ ΛΙΜΕΝΙΤΗΣ ΣΟΥ und
aszendierend Ο ΜΑΝΟΛΙΣ ΣΟΥ. (Diese Kryptosphra-giden ähneln denen, die sich
an Anfang und Ende des Thanatikón sowie am Ende seiner Belisariade finden.)
Sein Aufruf, dies Gedicht durch Abschreiben zu verbreiten, scheint
allerdings keinen Erfolg gehabt zu haben, denn wir kennen wieder nur diese
eine Hs. davon. Neurhodische Dialektelemente sind ähnlich zahlreich wie in
der Belisariade und im späten Thanatikón.
b) Ἱστορικὴ Ἐξήγησις περὶ Βελισαρίου («Belisariade»)
In derselben Hs. P befindet sich zwischen Hál. und Than. die eine der vier
bekannten griechischen Versionen des Belisar-Gedichts, einer metrischen
episch-romanartigen und zugleich moralisierend-lehrhaften Erzählung über
Justinians bedeutenden Heerführer Belisar. Diese Version mit 840 z.T. schon
gereimten Versen stammt von Lim., wie aus V. 838 hervorgeht, und dürfte
spätestens um 1490 verfasst worden sein. Ihre wichtigste Quelle ist die nur
wenig ältere anonyme Ῥιμάδα περὶ Βελισαρίου, es lassen sich aber auch
byzantinische Quellen nachweisen, dagegen keine westlichen. Natürlich
begegnen auch in diesem Gedicht viele neurhodische sprachliche
Besonderheiten. Phantiastische und legendenhafte Details spielen eine
größere Rolle als in den beiden anderen Werken. Daneben bemerkt man
sozialkritische und patriotische Töne.
Gemeinsam ist Lim.' drei Gedichten das Element des Threnos, eingebettet
aber in eine sozusagen korrigierende und weiterführende Perspektive.

Zur Sprachform des Thanatikón: Neurhodische Dialektelemente
Da Sie ja keine neogräzistischen Spezialisten sind, greife ich hier nur die
Hälfte der von mir in der Ausgabe behandelten Punkte heraus. Der
mittelalterliche und moderne Dialekt von Rhodos gehört zur relativ
konservativen Südostgruppe der neugr. Dialekte, die nach ihren
hauptgliedern kyprododekanesisch genannt wird. Im Einzelnen:
a) Generalisierung der Dissimilation von π > φ auch vor den Akk.-
Formen des bestimmten Artikels: Während z.B. von der Erde" im
neugr. Standard από τη γη oder απ΄ τη γη heißt, dissimiliert das
rhodische Idiom letzteres zu αφ΄ τη γη. Dieser Lautwandel begegnet
im Than. ohne Ausnahme.
b) Erhaltung der altgr. Geminaten: Im neugr. Standard (und den meisten
Dialekten) sind die antiken Doppelkonsonanten vereinfacht und
werden nur noch orthographisch beibehalten, z.B. θάλασσα [θálasa].
Nicht so in den Südostdialekten: [θálas:a] mit langem" [s].
Doppelkonsonanz ist hier sogar noch zahlreicher als im Altgr., da
Assimilation und Analogie eine große Rolle gespielt haben, z.B.
[níf-fi] < νύμφη und [to θ-θeón] < τὸν θεόν bzw. [pol-lís] mit
langem" [l] < πολύς nach den obliquen Kasūs.
c) Starkes Schwanken zwischen Bewahrung und Schwund des End-Ny:
Im Than. z.B. häufiger κακό (wie stadardsprachlich) als κακόν,
κεφάλι (so auch im Standard) neben κεφάλιν < κεφάλιον, aber in den
Verben -ουσιν öfter als -ουσι. Andererseits wird häufig -ν analog
hinzugefügt, so regelmäßig bei den -ύς-Adjektiven im Neutrum Sing.:
γλυκύν, βαρύν für γλυκύ, βαρύ nach den Adjektiven der antiken o-
Deklination auf -oν.
d) Wandel ρθ > ρτ, auch in anderen östlichen Dialekten verbreitet: im
Than.
z.B. ξερτωμένον < ἐξαρθρωμένον.
e) Ein Archaismus aus der Zeit der antiken Koiné ist die Erhaltung
des ur-
sprünglich hiatvermeidenden eingeschobenen -γ- bei den Verben auf


-εύγω, im Than. z.B. γυρεύγει für normales" neugr. γυρεύει.
f) Ein auf die klassische Zeit zurückgehender Archaismus des
Dialekts ist die
Bewahrung (bei betonter Anfangssilbe) des temporalen" Augments ἤ-
in mit ἀ- beginnenden Verben: im Than. ἤργησε, ἤρχιζεν/ἤρχισες,
ἤκουσα.
g) Starkes Schwanken zwischen direrktem und indirektem Objekt: Akk.
und Gen./Dativ gehen auch im Than. oft durcheinander, z.B. το θαύμα
σφάζει μου das Wunder bringt mich um" statt …με, andrerseits aber
να σε πει dass er dir sagt" für …σου.
Man beobachtet eine Neigung des Verf.s zum Bilden neuer Komposita,
auch von Mehrfachzusammensetzungen: ταργουνο-σπαθο-κόνταρον Schild +
Schwert + Lanze" oder σατανο-διαβολ-άρχης satanischer Teufelsfürst".




Metrum und Reim
Wie Lim.' beiden andere Gedichte und überhaupt die meisten frühneugr.
Dichtwerke ist auch das Than. in dem sog. politischen" Vers gehalten,
d.h. in einem 15-Silber, den man in der Terminologie der
mittelalterlich-neuzeitlichen Metriken als iambisch" bezeichnet
(Senkung, Hebung usw., abwechselnd). Ein Beispiel aus unserem Gedcht,
V. 5: Και ήρχισεν από μηνός αυτού του Οκτωβρίου. Er bestehr aus 2
Hemistichien, einem ersten mit 8 und einem zweiten mit 7 Silben. Es
gibt aber zwei Lizenzen, die den etwas monotonen Rhythmus auflockern:
1), sehr häufig, kann der eine Halbvers trochäisch" anfangen, d.h.
mit betonter 1. Silbe (Hebung, Senkung), z.B. V. 3, 1. Hemistich
θνήσις και μόρος εκ Θεού και παίδευσις η εκ τούτου, oder V. 24, 2.
Hemistich κι εθέρισε τον ΄πίσκοπον κι έκοψε τους παπάδες. 2) die
weniger häufige Lizenz besteht darin, dass der eine Halbvers,
gewöhnlich der zweite, anapästisch" beginnt (Senkung, Senkung,
Hebung), z.B. V. 2 συν άλλοις ενενήκοντα και οκτώ πληρεστάτοις. Von
den möglichen 7 Hebungen des 15-Silbers sind nur zwei verbindlich, je
1 gegen Ende jedes Halbverses: die 1. in der 6. oder 8. Silbe, die 2.
in der vorletzten (14.) Silbe. Nach der 8. Silbe muss immer Wortende
sein, da dort die Zäsur des Verses liegt (im Than. fehlt die Zäsur nur
einmal, in V. 625). Somit können lange komposita ein volles hemistich
bilden, z.B. ταργουνοσπαθοκόνταρον (8 Silben: 1. Halbvers) oder
σατανοδιαβολάρχης (7 Silben: 2. Halbvers). In die 15-Silber sind sehr
wenige, jedenfalls 4, 17-Silber eingestreut, ein Archaismus.
Zum Reim: Seit etwa 1370 ist der wohl auf italienischen Einfluss
zurückgehen-de Reim im Griechischen bekannt. Es dauerte aber lange,
bis er sich durchsetzte, wie man auch aus Lim.' Gedichten ersieht
(Hálōsis mit sporadi-schem, Belisariade mit häufigem, Than. mit
durchgehendem Reim). Nur im Prolog des Than. verzichtet Lim. auf den
Reim; dies ist, ebenso wie die gelehrtere Sprachform des Prologs, ein
Archaismus; beides begegnet auch in anderen sonst volkssprachlichen
Gedichten. Während in den beiden Haupt-teilen und dem Epilog der
Paarreim absolut herrscht (aa – bb…), hat das Than. an neun Stellen
Reime mit je 4 Versen – dies ebenso ein Archaismus. Auch Wortpaare mit
und ohne End-Ny gelten übrigens als reimbildend. Lim.' sämtliche Reime
in unserem Gedicht sind vollkommen.
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