Das KZ-System Mauthausen 1938 – 1945

May 27, 2017 | Autor: Christian Dürr | Categoria: National Socialism, Holocaust, Concentration Camps
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Das KZ-System Mauthausen 1938 – 1945 Christian Dürr

Die Gründung des Konzentrationslagers Mauthausen im August 1938 fällt in eine Phase des Ausbaus der ökonomischen Macht der SS und der Strategie der zunehmenden Ökonomisierung

des

politischen

Terrors.

Angesichts

der

Konsolidierung

des

Nationalsozialismus in Deutschland und der Vorbereitungen für den bevorstehenden Krieg suchte die SS zu jener Zeit, die Zugriffsmöglichkeiten auf die Arbeitskraft von Konzentrationslagerhäftlingen auszubauen. Ab dem Jahr 1936 wurde der Kreis potenzieller KZ-Häftlinge von politischen Gegnern auf solche Personen erweitert, die in den KZ zur Arbeitsdisziplin angehalten werden sollten, darunter insbesondere „Kriminelle“ und „Asoziale“. Gleichzeitig wurden neue Konzentrationslager eingerichtet, in denen die Häftlinge überwiegend in SS-Betrieben Baustoffe für die Monumentalbauten des Dritten Reichs herstellen mussten.1 Mit der Gründung der SS-eigenen „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH.“ (DESt) im April 1938 verfolgte die SS die Systematisierung der Ausbeutung der Häftlingsarbeitskraft.2

Im März 1938, nur wenige Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, verkündete der Gauleiter August Eigruber bei einer Ansprache in Gmunden, dass im Gau Oberdonau ein KZ für "die Volksverräter von ganz Österreich" eingerichtet werden sollte.3 Damit machte Eigruber zugleich die Grundintention für die Errichtung des Lagers deutlich: Mauthausen sollte ursprünglich ein Ort zur Verfolgung politischer Gegner vor allem aus dem Raum der „Ostmark“ sein. Neben dem sprunghaften Anstieg der Zahl an KZ-Häftlingen nach dem „Anschluss“ war ein weiteres Kriterium für die Errichtung des Lagers der erhöhte Bedarf an Baustoffen für die geplanten Bauprojekte Albert Speers in Linz. Die Wahl des Standortes Mauthausen war daher auch wesentlich von den umliegenden Granitsteinbrüchen und deren Nähe zur „Führerstadt“ abhängig. Bereits im Frühjahr wurden zu diesem Zweck die Steinbrüche in Mauthausen und Gusen durch den Verwaltungschef im SS-Hauptamt Oswald Pohl und den Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Eicke in Hinblick auf eine

1

Vgl. Klaus Drobisch, Günter Wieland: Das System der NS-Konzentrationslager 1933-1939. Berlin 1993, S.251-

289. 2

Vgl. Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (AMM) A/5/2: Aktenvermerk vom 15. Juni 1938 der

Finanzabteilung der Deutschen Arbeitsfront betreffend Verhandlungen zwischen Stabsleiter Saupert, Reichskassenverwalter SS-Gruppenführer Pohl und Reichsamtsleiter Schieder. Unter anderem heißt es darin: „Ferner sollen die Häftlinge beschäftigt werden in 3 großen Granitsteinbrüchen (Ostmark und Bayrischer Wald) um auch hier Baumaterial für die Bauten des Reiches zu produzieren.“ 3

Vgl. „Völkischer Beobachter“, Wiener Ausgabe, 29. 3. 1938.

1

zukünftige Verwertung inspiziert.4 Die DESt sollte als Betreiberin der Steinbrüche fungieren, als Sitz der Leitung des Betriebes „Granitwerke Mauthausen“ wählte man den wenige Kilometer von Mauthausen entfernten Ort St. Georgen.

Im Mai 1938 pachtete die DESt die Steinbrüche „Wiener Graben“ und „Marbacher Bruch“ in Mauthausen zunächst von ihrer Besitzerin, der Stadt Wien, an und begann sofort mit dem Abbau durch zivile Arbeitskräfte.5 Im selben Monat erwarb die DESt auch Grundstücke und die Verwertungsrechte eines Steinbruchs in Gusen, dem Standort des später errichteten Zweiglagers von Mauthausen. Ein weiterer Steinbruch in Gusen wurde noch im gleichen Jahr angepachtet. 6 Alle Steinbrüche gingen später in das Eigentum des Reichs über. Als Standort für das Häftlingslager Mauthausen wählten Pohl und Eicke im Beisein eines technischen Stabes das Gelände östlich des Steinbruchs Wiener Graben unweit der Ortschaft Mauthausen aus.7 Am 8. August 1938 wurden die ersten 304 Gefangenen, vorwiegend österreichische „kriminelle“ Häftlinge, aus dem KZ Dachau, zum Lageraufbau nach Mauthausen überstellt. Das ursprünglich vier Häftlingsbaracken umfassende Lager wurde noch im Jahr 1939 um weitere 16 Baracken auf insgesamt 20 erweitert.8

Aus dem Verlauf dieser frühen Planungsphase ist bereits deutlich herauszulesen, dass das Konzentrationslager Mauthausen seitens der SS von Beginn an als größerer politischökonomischer Komplex konzipiert und realisiert wurde, welcher das später errichtete Lager Gusen ebenso einschloss wie die dortigen Steinbruchbetriebe und die Zentrale der „Granitwerke Mauthausen“ in St. Georgen. Während der Steinbruchbetrieb im „Wiener Graben“ unter Einsatz von KZ-Häftlingen ab Anfang 1939 anlief9, schickte die SS zur selben Zeit bereits auch Häftlingskommandos aus dem Konzentrationslager Mauthausen zur Arbeit in die Steinbrüche von Gusen. Im Dezember 1939 begannen Häftlinge aus Mauthausen mit der Errichtung eines Häftlingslagers in Gusen, wo ab April 1940 schließlich die ersten Gefangenen untergebracht wurden. Die Beziehung der beiden Lager Mauthausen und Gusen lässt sich zumindest bis in das Jahr 1944 nicht mit jener eines Stammlagers zu seinem Außenlager gleichsetzen. Das Lager Gusen verfügte über eine eigenständige 4

Hermann Kaienburg: Die Wirtschaft der SS. Berlin 2003, S.622f.

5

Schriftsätze des Magistratsdirektors v. 13.5.38 und 11.2.30, Archiv der Stadt Wien, MD 1849/38 u. MD 921/39;

vgl. Kaienburg, S.623. 6

Kaienburg, S.624.

7

AMM A/6/8 Aktenvermerk bezüglich einer eidesstattlichen Erklärung von Hubert Karl über eine Inspektion von

Mauthausen und Gusen im Mai 1945 (Institut für Zeitgeschichte München, Nürnberger Protokolle, Nr. N 0 – 4007). 8

Instytut Pamięci Narodowej (IPN), KL Mauthausen, Sign. 3: Liste der Häftlinge der Blocks 11 – 20, 1939 / 1940.

9

Vgl. AMM A/3/3: Erinnerungsbericht von Franz Jany.

2

Häftlingsregistratur, und besonders in der Anfangsphase wurden Häftlingstransporte aus anderen Lagern häufig ohne vorherige Registrierung im Stammlager Mauthausen direkt nach Gusen geleitet. Andererseits unterstand die Gusener Lagerführung und -verwaltung aber der Kommandantur des KZ Mauthausen. In der Forschung hat sich für diese Beziehung zweier Lager der Begriff des „bipolaren Systems“ durchgesetzt.10 Erst ab Anfang 1944, mit der Etablierung

des

Lagers

Mauthausen

als

organisatorisches

Verteilungszentrum

für

Häftlingsarbeitskräfte innerhalb des erweiterten Mauthausener Lagersystems, nahm auch Gusen faktisch die Stellung eines Außenlagers ein.11

Für

die

Bewachung

der

ersten

Häftlinge

in

Mauthausen

wurden

aus

dem

Konzentrationslager Dachau 80 Mitglieder des dortigen SS-Totenkopfverbandes mit überstellt.

Die

Wachmannschaften

in

Mauthausen

waren

zunächst

der

SS-

Totenkopfstandarte „Ostmark“, die in Linz angesiedelt war, unterstellt. Im Sommer 1939 wurde in Mauthausen ein eigener Totenkopf-Sturmbann zusammengestellt.12 In einem Schreiben vom 12. Februar 1940 an den Lagerkommandanten des KZ Mauthausen wurde seitens des Inspekteurs der Konzentrationslager die Truppenstärke für Mauthausen und Gusen festgelegt. Für den Wachtrupp Mauthausen wurden demnach 460 Mann, für den Wachblock Gusen noch vor Eröffnung des Lagers 600 Mann vorgesehen.13 In etwa sollte auf zehn Häftlinge je ein Bewachungsorgan kommen, ein Verhältnis, das nur bis Frühjahr 1944 in etwa eingehalten werden konnte. Erst mit der Versetzung von SS-Personal aus den östlich gelegenen Lagern gegen Kriegsende stieg die Zahl der Bewachungsorgane wieder an, so dass dieses Verhältnis annähernd wieder erreicht wurde.14 Der erste Kommandant des Konzentrationslagers Mauthausen war Albert Sauer. Er übernahm im August 1938 das Kommando und blieb bis Anfang 1939 in dieser Funktion.15 Am 17. Februar 1939 wurde er von Franz Ziereis abgelöst, der das Kommando bis zur

10

Vgl. das Kapitel L’ouverture du camp de Gusen et la constitution d’un système bipolaire (mai 1940 – 1941/42)

in: Michel Fabréguet: Mauthausen. Camp de concentracion national-socialiste en Autriche rattachée (1938 – 1945). Paris 1999, S.74f. 11

Am 23. Jänner 1944 wurden die bis dahin separat vom Hauptlager geführte eigenständige Gusener

Nummernserie aufgegeben und sämtliche Häftlinge in den Stand des KZ Mauthausen überführt. Die Gusener Häftlinge erhielten die Mauthausener Nummern 43.001 bis 50.312. (vgl. AMM B/12/50: Standliste des Lagers Gusen vom 23. Jänner 1944). 12

Vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.183.

13

AMM P/6/9: Schreiben des Inspekteurs der KL an den Kommandanten des KLM vom 12.2.1940.

14

Vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.184.

15

Sauer war neben Mauthausen auch in dem frühen Konzentrationslager Bad Sulza sowie den KZ Ravensbrück

und Riga tätig (vgl.: French L. MacLean, The Camp Men. The SS Officers who Ran the Nazi Concentration Camp System. Atglen, 1999, S.197).

3

Befreiung des Lagers im Mai 1939 inne hatte, womit er einer der längstgedienten Lagerkommandanten war. Erster Schutzhaftlagerführer in Mauthausen war von März 1940 bis zur Befreiung des Lagers Georg Bachmayer. Lagerführer im Lager Gusen war zunächst Karl Chmielewski.16 Nach dessen Versetzung ins Konzentrationslager Herzogenbusch wurde Fritz Seidler sein Nachfolger in dieser Funktion, die er bis Mai 1945 inne hatte. Die allmähliche Gründung neuer Außenlager des KZ Mauthausens hatte zur Folge, dass die Mitglieder des Mauthausener Kommandanturstabs zunehmend innerhalb des Lagersystems die Funktionen und Dienststellen wechselten.

Die ersten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen waren, wie bereits erwähnt, aus Dachau für den Lageraufbau überstellt worden. Das Eintreffen dieser 304 vorwiegend österreichischen „Vorbeugungshäftlinge“ in Mauthausen am 8. August 193817 wird gemeinhin als das Gründungsdatum des KZ Mauthausen angesetzt. Bis November 1938 kamen auch alle weiteren Neuzugänge mit Transporten aus Dachau. Viele von Ihnen wurden in den Jahren 1939 und 1940 wieder dorthin rücküberstellt. Bis 18. Oktober 1938 gab es in Mauthausen keine eigene Häftlingsregistratur – die neu eintreffenden Häftlinge behielten ihre jeweiligen Dachauer Nummern bei, was in der Forschung Anlass zur These gab, Mauthausen sei zunächst als Außenlager des KZ Dachau gegründet worden – eine These, für die es darüber hinaus jedoch keine weiteren Belege gibt.18 Die Belegstärke des Lagers erreichte im Jahr 1938 einen Höchststand von 1.010 Häftlingen19, bis Ende 1939 wuchs der Häftlingsstand auf 2.666 an.20 Bis Mitte 1939 wurden praktisch ausschließlich deutsche „kriminelle“ Häftlinge eingeliefert, politische Häftlinge aus dem Deutschen Reich oder den besetzten Gebeten kamen erst gegen Mitte 1939 nach Mauthausen. Die ersten weder aus Deutschland noch aus Österreich nach Mauthausen deportierten Häftlinge waren sudentendeutsche und böhmische politische Gefangene. Sie wurden nach dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Mai 1939 nach Mauthausen eingeliefert, letztere überstellte man später weiter nach Dachau.21 16

Zur außergewöhnlichen Biographie Chmielewskis siehe: Karin Orth: "Kriminelle" und politische Häftlinge im

Konzentrationslager. In: Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Studien zur NS Lagerpolitik [Hg.: N. Frei, S. Steinbacher, B.C. Wagner], München 2000, S.109-133. 17

IPN: KL Mauthausen Sign. 4 k.1-5: Liste des Transports aus dem KL Dachau nach KL Mauthausen.

18

Vgl. Fabréguet, Mauthausen. S.71-75.

19

Laut Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.109, war die höchste im Jahr 1938

vergebene Häftlingsnummer 1.010. Da es bis Februar 1942 in Mauthausen die Praxis der Mehrfachvergabe „frei“ gewordener Häftlingsnummern gab, ist die höchste vergebene Nummer gleichbedeutend mit dem jährlichen Höchststand. 20

AMM A/6/5: Abschrift des Rapportbuchs aus dem ISD Arolsen.

21

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.110.

4

Eine nachhaltige Veränderung der nationalen Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft ergab sich aber erst nach Ausbruch des Krieges mit der Besetzung Polens durch die Deutsche Wehrmacht. Ab Frühjahr 1940 sollten die deutschen und österreichischen Häftlinge in Mauthausen eine kleine Minderheit bleiben. Am 9. März 1940 traf ein Transport von 1.000 Häftlingen aus dem Konzentrationslager Buchenwald in Mauthausen ein. Darunter befanden sich die ersten 448 Polen, die allesamt dem Aufbaukommando für das Lager Gusen zugeteilt wurden.22 In den Monaten April bis August folgten mehrere große Transporte mit polnischen Häftlingen aus den Konzentrationslagern Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald sowie aus polnischen Gefängnissen. Insgesamt wurden im Jahr 1940 mehr als 8.000 polnische Deportierte nach Mauthausen eingeliefert, die überwiegende Mehrheit wurde nach Gusen weiter überstellt. Das Zweiglager Gusen war somit von Anfang an ein Lager mit polnischer Häftlingsmehrheit. Bei den ersten großen Transporten polnischer Häftlinge handelte es sich, wie erwähnt, hauptsächlich um politische Gefangene, die aus anderen Konzentrationslagern nach Mauthausen überstellt wurden. Daneben gab es auch vereinzelte Deportationen politischer Häftlinge direkt aus Polen, während ab Ende 1942 ein Großteil der polnischen Häftlinge aus Justizanstalten nach Mauthausen deportiert wurde. Die Überstellung dieser sogenannten „Sicherheitsverwahrungshäftlinge“ (SV) basierte auf einer Weisung Hitlers an Justizminister Thierack, durch welche der Zugriff auf deren Arbeitskraft für die Rüstungsindustrie gesichert werden sollte. Die Sterblichkeit unter den SV-Häftlingen war eine der höchsten überhaupt. Bis Anfang 1944 wurden mehr als 10.000 deutsche und polnische SV-Häftlinge nach Mauthausen / Gusen überstellt, mehr als 6.700 wurden im selben Zeitraum als verstorben gemeldet.23 Mit dem Eintreffen spanischer Häftlinge ab August 1940 kam es zu einer weiteren gravierenden

Veränderung

Häftlingszwangsgesellschaft.

24

in

der

nationalen

Zusammensetzung

der

Zum Großteil handelte es sich dabei um Angehörige der

Republikanischen Armee, die vor den vorrückenden Franco-Truppen über die Grenze nach Frankreich geflohen waren.25 Insgesamt fast 7.000 republikanische Spanier wurden in den 22

IPN: KL Mauthausen Sign. 5, k. 48-75; vgl. auch: Hans Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers

Mauthausen. Wien, Linz 1995, S.110; sowie AMM V/3/8: Transkript eines Interviews mit Frantisek Poprawka. 23

AMM O/2/1: Aufstellung der Lagerschreibstube über Zu- und Abgänge von SV-Häftlingen.

24

Eine umfassende Darstellung der Deportationen spanischer Republikaner in die Lager im Reich sowie eine

Auflistung der Deportierten finden sich in: Benito Bermejo / Sandra Checa: Libro Memorial. Españoles deportados a los campos nazis (1940-1945). Madrid, 2006. 25

Nicht alle spanischen Deportierten waren Kriegsgefangene. Eine Ausnahme bilden die im August 1940 aus

dem französischen Lager für Zivilinternierte Angoulême überstellten Personen (vgl. ebd. S.18f.). Ab 1942 wurden Angehörige spanischer Nationalität auch im Zusammenhang mit Repressionsmaßnahmen gegen die französische Résistance verhaftet und deportiert (vgl. ebd. S. 20f.).

5

Jahren

1940/41

überwiegend

aus

deutschen

Kriegsgefangenenlagern

in

die

Konzentrationslager Mauthausen und Gusen überstellt, darunter auch viele Jugendliche. Die spanischen Häftlinge standen als „ideologische Feinde“ in den ersten Jahren auf der untersten Stufe der Häftlingshierarchie. Dementsprechend kurz war ihre Lebenserwartung im Lager – an die 5.000 wurden bis zum Jahr 1942 in Mauthausen / Gusen ermordet. Erst mit dem Eintreffen weiterer Häftlingsgruppen wie etwa sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilarbeiter oder jüdischer Häftlinge verbesserte sich die Stellung der Spanier. Im Oktober 1941 wurde in Mauthausen südlich des Häftlingslagers mit dem Bau eines Lagers für sowjetische Kriegsgefangene begonnen.26 Etwa zur gleichen Zeit zäunte man im Lager Gusen mehrere Baracken mit Stacheldraht ein und widmete diesen Bereich ebenfalls der Unterbringung sowjetischer Kriegsgefangener. Zwischen 20. und 24. Oktober 1941 trafen die ersten 4.000 Kriegsgefangenen in Mauthausen ein, die Hälfte davon wurde direkt nach Gusen weiter überstellt.27 Um den Anschein der Legitimität vor den Genfer Konventionen zu wahren, funktionierten beide Kriegsgefangenenlager in Mauthausen und in Gusen bis 1943 als eigene organisatorische Einheiten. Sie waren administrativ vom restlichen Lager getrennt und mit einer jeweils eigenen Personalstruktur ausgestattet – sowohl innerhalb des Bewachungsapparats als auch innerhalb des Apparats der Funktionshäftlinge. Die Häftlinge behielten zunächst ihre Kriegsgefangennummern bei. Erst ab Sommer 1943, als beide Kriegsgefangenenlager aufgelöst wurden, übernahm man die verbliebenen und neu dazukommenden sowjetischen Kriegsgefangenen in den regulären Häftlingsstand der beiden Lager. Bei den nach Mauthausen und Gusen überstellten sowjetischen Kriegsgefangenen handelte es sich in der Mehrzahl um (tatsächliche oder vermeintliche) Politkommissare, die vom SD aus den Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht ausgesiebt worden waren. Neben der Isolierung der politischen Funktionäre unter den Kriegsgefangenen ging es der SS angesichts des ins Stocken geratenen Krieges nicht zuletzt aber auch um den Zugriff auf deren Arbeitskraft.28 Zwischen Oktober 1941 und

26

Bis zum Bezug dieses Lagers wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen in Mauthausen zunächst in den

Baracken 16 bis 19 im Hauptlager untergebracht. (vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.65) 27

AMM: Tätigkeitsbericht Nr. 2 des Verwaltungsführers Mauthausen: Für den Zeitraum von 22.-24. 10 1941 findet

sich dort folgender Eintrag: „In Mauthausen und Gusen treffen je 2000 sowjet-russische Kriegsgefangene ein, sie werden zum Arbeitseinsatz herangezogen 1.200 davon als Schwerarbeiter.“ Die Todesfallsmeldungen sowjetischer Kriegsgefangener weisen dagegen darauf hin, dass bereits ab 20. Oktober die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen in Mauthausen waren. (vgl. AMM E/1c/3: Todesfallsmeldungen sowjetischer Kriegsgefangener in den Kriegsgefangenenlagern Mauthausen und Mauthausen / Gusen) 28

Zur Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener siehe: Reinhard Otto: Wehrmacht, Gestapo und sowjetische

Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42. München, 1998. (=Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 77)

6

Sommer 1943 wurden an die 6.000 sowjetischen Kriegsgefangenen überstellt, etwa 5.000 wurden im selben Zeitraum dort ermordet – mehr als 4.300 allein im Jahr 1942.29 Nach Auflösung der beiden Kriegsgefangenenlager in Mauthausen30 und Gusen wurden weiterhin sowjetische Kriegsgefangene eingeliefert. Dabei handelte es sich zum Großteil um Angehörige sogenannter „Landeseigener Verbände“, also von Armeen, die auf deutscher Seite kämpften, sowie um etwa 4.700 sogenannte K-Häftlinge, die man allein zur Exekution nach Mauthausen brachte.31

So wie in allen Konzentrationslagern hatte der Herrschaftsapparat der SS auch in Mauthausen und Gusen sein Pendant in einem von ihr abhängigen Apparat von Funktionshäftlingen. Die Abhängigkeit von der SS war für die Betroffenen dabei zweischneidig: Einerseits waren ihnen Überleben und gewisse Privilegien gesichert, solange sie in der Gunst der SS standen. Andererseits dienten sie dieser als ein Instrument zur Spaltung der Häftlingsgesellschaft, was zur Entfremdung von den Mithäftlingen führte. Diese labile Position innerhalb des Gefüges der Häftlingszwangsgesellschaft konnte von den Funktionshäftlingen oft nur durch den Einsatz brutalster Gewalt abgesichert werden. Die SS rekrutierte in Mauthausen und später auch in Gusen die Funktionshäftlinge zunächst aus den mit den ersten Transporten angekommenen deutschen und österreichischen Häftlingen. Wie erwähnt handelte es sich dabei fast ausschließlich um als „kriminell“ oder „asozial“ kategorisierte Personen. Lange Zeit waren alle wichtigen Positionen und der Großteil der untergeordneten Häftlingsfunktionen durch deutsche und österreichische BV- bzw. AZR-

29

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.141 die dort angeführte Statistik basiert auf

der Auswertung von Material aus dem Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (AMM E/1c/1 bis E/1c/21). 30

Das Lager für sowjetische Kriegsgefangene wurde im Jahr 1943 zu einem Sterbelager für kranke und

arbeitsunfähige Häftlinge, dem sogenannten Sanitätslager umfunktioniert. 31

Auf Basis des sogenannten Keitel-Erlasses (AMM S/1/3) wurden von März 1944 bis Februar 1945 laut Hans

Maršálek (Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.142) ca. 5.000 „K-Häftlinge“, davon 4.700 Sowjetbürger, in das KZ Mauthausen eingewiesen. Es handelte sich dem Erlass gemäß um nicht arbeitende, nach einem Fluchtversuch wiederergriffene kriegsgefangene Offiziere und Unteroffiziere, welche zur Tötung nach Mauthausen gebracht wurden. Im Regelfall starben diese Gefangenen nach nur wenigen Wochen Unterbringung im vom Rest des Lagers isolierten Block 20 an Unterernährung, Kälte und Krankheit. Etwa 500 „K-Häftlinge“ unternahmen in der Nacht zum 2. Februar 1945 eine Massenflucht aus dem KZ Mauthausen. Im Zuge einer unter dem Namen „Mühlviertler Hasenjagd“ bekannt gewordenen Hetzjagd von SS, lokalen Polizeieinheiten, Hitlerjugend und Volkssturm wurden fast alle Flüchtigen wiederergriffen und ermordet. Lediglich 17 bis 19 Häftlingen konnten sich zum Teil mit Unterstützung der lokalen Bevölkerung in Sicherheit bringen. Zu den „KHäftlingen“ siehe: Andreas Maurer: Aktion "K" und "Mühlviertler Hasenjagd" im Spannungsfeld des Konzentrationslagers Mauthausen. Wien (Diplomarbeit), 1998.

7

Häftlinge besetzt.32 Mit der zunehmenden Überzahl ausländischer Häftlinge wurden mit der Zeit auch viele Gefangene anderer Nationalitäten sowie politische Häftlinge mit zumeist untergeordneten Funktionen betraut. Zwischen den politischen und den „kriminellen“ Häftlingen kam es in Mauthausen zu einem zähen Ringen um die Besetzung der Schlüsselpositionen, welches erst im März 1944 von den Politischen für sich entschieden wurde: Der tschechische politische Häftling Kurt Pany übernahm zu dieser Zeit die Funktion des Ersten Lagerschreibers in Mauthausen von dem österreichischen BV-Häftling Josef Leitzinger, bereits im Dezember 1943 hatte Josef Schöps, politischer Häftling aus dem Sudetenland, den deutschen BV-Häftling Magnus Keller als Ersten Lagerältesten abgelöst.33 Im Unterschied zu Mauthausen konnte sich im Lager Gusen die Gruppe der politischen Häftlinge nie wirklich gegen die „Kriminellen“ durchsetzen, die dort bis zum Schluss die Schlüsselpositionen besetzten. Die

Häftlinge

des

KZ

Mauthausen

/

Gusen

waren

im

Vergleich

zu

anderen

Konzentrationslagern einem erhöhten Vernichtungsdruck ausgesetzt. Aufgrund eines Erlasses des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD von August 1940 wurden sämtliche Konzentrationslager in Bezug auf die jeweiligen Haftbedingungen in verschiede Stufen eingeteilt. Der Lagerkomplex Mauthausen / Gusen wurde auf dieser Basis zunächst als einziges der Stufe III zugeteilt (später kam noch Groß Rosen hinzu) und war im Wortlaut des Erlasses damit „für schwerbelastete, insbesondere auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte, ausgesprochen asoziale und daher kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge“ vorgesehen.34 Auf Basis dieses Erlasses wurden – besonders in den ersten Jahren – auch Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern temporär oder auf Dauer strafweise nach Mauthausen versetzt, um dort ihre Haft unter verschärften Bedingungen zu fristen. Zumindest bis Mitte 1942 zielte die Intention der KZ-Haft in Mauthausen vornehmlich auf die hinausgezögerte Ermordung politischer Gegner und anderer unliebsamer Personen. Dementsprechend hoch war in dieser Phase des Bestehens des Lagers auch die Sterblichkeit unter den Häftlingen. Bis Mitte 1942 stieg die Zahl der Todesfälle in Mauthausen und Gusen kontinuierlich an. 1942 kamen mindestens 14.000 Menschen in Mauthausen und Gusen um – in etwa genau so viele, wie im selben Zeitraum neu in das Lager eingeliefert wurden.35 Der Fokus der 32

vgl. AMM L/7: verschieden Aufstellungen von Häftlingsfunktionären in Mauthausen; AMM L/1/1: eine

Aufstellung aller Lagerschreiber und Lagerältesten in Mauthausen, verfasst von Hans Maršálek. 33

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.55.

34

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW), Ns 4 Bu 31, Bl. 1r.: Rundschreiben des Inspekteurs der

Konzentrationslager an alle Lagerkommandanten betreffend Einteilung der Konzentrationslager in Lagerstufen, 19.9.1942. Dieses Schreiben nimmt Bezug auf den genannten Runderlass des Chefs der Sipo und des SD vom 28.8.1940. Die Zuteilung des KL Mauthausen (später Mauthausen – Gusen) erfolgte mit Erlass des Chefs der Sipo und des SD vom 2. Jänner 1941 (AMM A/7/1). Siehe dazu auch: Fabréguet: Mauthausen. S.75-77. 35

Vgl. dazu die Statistiken in: Fabréguet: Mauthausen. S.163 f.

8

systematischen Mordaktionen verschob sich regelmäßig mit der Ankunft jeweils neuer Häftlingsgruppen. Die primären Zielgruppen in jener Phase waren zunächst die politischen Häftlinge aus dem „Reich“, danach Angehörige der polnischen Intelligenz, später die republikanischen Spanier und die sowjetischen Kriegsgefangenen. Durchgängig dem höchsten Vernichtungsdruck ausgesetzt waren jüdische Häftlinge, die erstmals ab 1941 in größerer Zahl – besonders aus den besetzten Niederlanden – nach Mauthausen deportiert wurden. Beinahe alle der bis Ende 1942 nach Mauthausen und Gusen eingelieferten Juden kamen im selben Zeitraum dort zu Tode.36

Töten und Sterben waren in Mauthausen – wie auch in anderen Konzentrationslagern – Phänomene, die beinahe schon zur Banalität des Alltags gehörten. Das Töten war ein zentraler Aspekt des Beziehungsgeflechts innerhalb der Häftlingszwangsgesellschaft ebenso wie der Beziehungen von Häftlingen zur SS. Dort, wo bestimmte Formen von Beziehungen flächendeckend und dominant werden, erhalten deren einzelne Schattierungen erhöhte Signifikanz. Deshalb ist es sinnvoll, die Praxis des Tötens in Konzentrationslagern im allgemeinen zu kategorisieren und die ihr jeweils zu Grunde liegenden Prinzipien herauszuarbeiten. Zunächst gab es in Mauthausen / Gusen das „ganz alltägliche“ Sterben, den bewusst provozierten hinausgezögerten Tod der Häftlinge, welcher der chronischen Unterernährung ebenso

geschuldet

war

wie

den

katastrophalen

hygienischen

Bedingungen

und

grassierenden Seuchen, den täglichen Quälereien, der kräfteraubenden Arbeit, oder den mörderischen Arbeitsumständen.37 Diese im SS-Jargon so genannten natürlichen Todesfälle machten über die Jahre hinweg mit Abstand den größten Anteil aller Todesfälle aus – von in etwa 75% der Gesamtzahl im Jahr 1944 bis zu circa 95% in den Jahren 1939, 1940 und 1943. Insgesamt galten etwa 87% aller Todesfälle in Mauthausen und Gusen als „natürliche“ Todesfälle.38 Die Lager Mauthausen und Gusen, die Lebensumstände, die in ihnen herrschten, waren als solche daraufhin angelegt, die inhaftierten Personen langsam zu vernichten.

36

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.288.

37

Dieses „alltägliche Sterben“ wurde ab März 1943 im Wesentlichen in das sogenannte Sanitätslager

ausgelagert. Dieses übernahm de facto die Funktion eines Sterbelagers für schwer kranke Häftlinge aus dem Hauptlager und all jene, die als arbeitsunfähig aus den verschiedenen Außenlagern nach Mauthausen rücküberstellt wurden. 38

Vgl. die entsprechenden statistischen Auswertungen in Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers

Mauthausen, S.145-148. Es ist darauf hinzuweisen, dass Todesfälle in Folge von Misshandlungen häufig als „natürliche Todesfälle“ getarnt wurden. Häftlinge, die an den Folgen eines Arbeitsunfalls starben, wurden ebenso als an einer „natürlichen Todesursache“ verstorben registriert.

9

Dieser seitens der SS als „natürlich“ gedeutete Prozess des Dahinscheidens der Häftlingsmasse wurde mittels „Sonderaktionen“ häufig „beschleunigt“, um neue Kapazitäten in den Lagern zu schaffen, welche neu aufgefüllt werden konnten.39 In den Jahren 1941 bis 1942 sowie im Jahr 1944 wurden Häftlinge der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen im Rahmen der sogenannten Aktion 14f13 zur Vergasung in das Schloss Hartheim bei Linz überstellt.40 Im Schloss Hartheim waren zuvor in den Jahren 1940 und 1941 mindestens 18.000 behinderte Menschen im Rahmen der „Euthanasieaktion T4“ durch Giftgas erstickt worden.41 Nach der Einstellung der Aktion T4 wurden seine Kapazitäten für die Ermordung zumeist kranker und arbeitsunfähiger Häftlinge aus Mauthausen und Gusen „genutzt“.42 Die Häftlingskontingente für die Todestransporte nach Hartheim stellte die SS unter Mitwirkung einer Ärztekommission der „Organisation T4“ in den Krankenbaracken der beiden Lager unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zusammen. Mit dem Vorwand, Invalide mit einem Transport in ein „Sanatorium“ überstellen zu wollen, brachte es die SS fertig, dass sich die Häftlinge unbewusst zum Teil freiwillig für ihre Vergasung in Hartheim meldeten.43 Insgesamt fielen an die 5.000 Häftlinge aus Mauthausen und Gusen der Vernichtung in Hartheim zum Opfer.44 Ab spätestens Mitte 1942 wurden die Vergasungsaktionen in Hartheim vorübergehend eingestellt. Um die Vernichtung der Kranken und Invaliden dennoch voranzutreiben, verkehrten in den Jahren 1942/43 im Pendelverkehr zwischen den Lagern Mauthausen und

39

Dieses Prinzip, wonach der Tod der Häftlinge in der Sicht der SS nicht herbeigeführt, sondern lediglich

„beschleunigt“ wurde, spiegelt sich in den Verteidigungsstrategien der Täter nach der Befreiung wider in welchen die Vernichtung der Kranken und Arbeitsunfähigen zur „Sterbehilfe“ umdeutet wird. 40

Vgl. Pierre-Serge Choumoff: Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas auf österreichischem Gebiet

1940-1945. Wien, 2000 (= Mauthausen-Studien 1a), S.78. Zwischen 1942 und 1944 wurden auch mindestens 3.200 Häftlinge aus dem KZ Dachau in Hartheim vergast. 41

Vgl. Choumoff, S.44.

42

Neben den Häftlingen aus Mauthausen und Gusen wurden in den Jahren 1942 und 1944 auch mindestens

3.225 Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau nach Hartheim transportiert, um dort vergast zu werden (vgl. Choumoff, S.64-66.). 43

Vgl. Choumoff, S.56f; Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.208; siehe auch:

AMM B/15/14: Veränderungsmeldungen aus dem Konzentrationslager Gusen. Die Überstellung nach Hartheim ist in diesen Listen getarnt als Überstellung nach „KL Dachau/Häftlingssanatorium“. 44

Die in Hartheim vergasten Häftlinge scheinen nicht in den Totenbüchern der KZ Mauthausen und Gusen auf.

Dies entspricht der Logik der SS, wonach mit einer Überstellung nach Hartheim, das nicht zum Lagerkomplex Mauthausen gehörte, der Häftling den Zuständigkeitsbereich des Konzentrationslagers verließ. Die genaue Zahl der in Hartheim Ermordeten ist daher schwer zu ermitteln. Informationen zu den Opfern sind hauptsächlich aus erhalten gebliebenen Veränderungsmeldungen sowie Todesmeldungen zu rekonstruieren (AMM B/12/14, B/15/6, B/15/7, B/15/14, B/15/18). Zudem finden sich im Häftlingszugangsbuch der politischen Abteilung (AMM Y/36) zu zahlreichen Häftlingen Hinweise auf deren Tod im „Erholungslager“.

10

Gusen Lastwagen, auf deren geschlossener Ladefläche Häftlinge während des Transports mittels Kohlenmonoxid bzw. Zyklon B erstickt wurden. Es wird geschätzt, dass mindestens 900 Häftlinge auf diese Weise in beiden Lagern ermordet wurden.45 Im Herbst 1941 wurde in Mauthausen mit dem Bau einer Gaskammer im Untergeschoss zwischen den Gebäuden des Lagergefängnisses und des Krankenreviers begonnen.46 Der Bau der Gaskammer diente zunächst im wesentlichen der rationalisierten Abwicklung von Massenhinrichtungen.

Bis

zu

ihrer

Inbetriebnahme

wurden

Hinrichtungen

von

Einzelpersonen und kleineren Gruppen an der Hinrichtungsstätte gegenüber Block 20, später an der Genickschussecke oder am Galgen im Keller neben dem Krematorium durchgeführt. Solche Exekutionen betrafen nicht nur Häftlinge des Konzentrationslagers sondern wurden von den Zentralstellen im RSHA insbesondere über Personen verhängt, die vermeintlich oder tatsächlich dem politischen Widerstand angehörten.47 Die Opfer wurden direkt zur Exekution in das KZ überstellt und zumeist niemals in die Zwangsgesellschaft der Häftlinge eingegliedert. Diese Hinrichtungen im KZ sind weniger als Kulmination der systemimmanenten Logik des Lagers zu verstehen – was für die Vernichtung der Kranken und Arbeitsunfähigen sehr wohl gilt –, denn als eine Art „Dienstleistung“: Das

45

Choumoff, 149.

46

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.198. Es sind keine Dokumente erhalten,

die den Zeitpunkt des Baus der Gaskammer eindeutig belegen. In verschiedenen Nachkriegsprozessen wurden auf Basis von Aussagen angeklagter SS-Angehöriger sowie überlebender Häftlinge jedoch Details zum Bau und Betrieb der Gaskammer ermittelt: Es handelt sich dabei um den Prozess gegen die Haupttäter des KZ Mauthausen vor dem US-Militärgericht in Dachau 1946, den Strafprozess vor dem Landesgericht Hagen, BRD, gegen den ehemaligen Krematoriumskommandoführer Martin Roth und den ehemaligen stellvertretenden Leiter der Politischen Abteilung, Werner Fassl 1972, sowie um den Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Politischen Abteilung Karl Schulz vor dem Landesgericht Köln, 1964. (vgl. dazu: Choumoff, S.95-115; Florian Freund: Tötungen durch Giftgas in Mauthausen und Gusen. In: Brigitte Bailer-Galanda, Wolfgang Benz, Wolfgang Neugebauer [Hg.]: Wahrheit und „Auschwitzlüge“. Zur Bekämpfung „revisionistischer“ Propaganda. Wien, 1995, S.125-134). In einem Bericht der Verwaltung des KZ Mauthausen (AMM: Tätigkeitsbericht Nr. 2 des Verwaltungsführers Mauthausen) findet sich für 8. Oktober 1941 der Hinweis auf einen Befehl des ReichsführerSS zur Errichtung eines „Sonderbaus“ in Mauthausen. Es ist nicht gesichert, ob es sich dabei um eine Tarnbezeichnung für die Gaskammer handelt. Der Begriff „Sonderbau“ bezog sich herkömmlicherweise auf die Häftlingsbordelle in den KZ, das Bordell in Mauthausen wurde jedoch erst im Sommer 1942 eingerichtet. 47

In einem Runderlass des Reichsführer-SS vom 6. Jänner 1943 wurden die Richtlinien für Exekutionen

festgelegt. Dem gemäß hätten Anordnungen zur Exekution von Chef des Amtes IV im RSHA gezeichnet und an die zuständigen Staatspolizeileitstellen oder Kommandeure der Sipo und des SD weitergegeben zu werden. Zudem wurde festgelegt, dass „die Exekutionen [...] bei deutschen Häftlingen in der Regel im KL [...] das dem Haftort des Delinquenten am nächsten liegt“, zu erfolgen hätten. (AMM P/16/8: Durchführungsbestimmungen für Exekutionen vom 6. Jänner 1943 [Abschrift]). Es wurden dennoch auch viele Häftlinge aus den besetzten Gebieten zur Exekution nach Mauthausen gebracht.

11

Konzentrationslager trat als exekutives Organ von Vorgängen auf, die von externen Stellen verordnet wurden. Das Eintreffen Tausender sowjetischer Kriegsgefangener ab Herbst 1941 stellte – parallel zu auftretenden

Epidemien



die

Vernichtungsmaschinerie

des

Lagers

vor

neue

Herausforderungen und verdeutlicht zugleich die besondere Stellung des KZ Mauthausen / Gusen an der Grenze zwischen Konzentrations- und Vernichtungslager. Bei diesen Gefangenen handelte es sich zum einen um Personen, die relativ willkürlich in den Stalags zur Zwangsarbeit im Konzentrationslager ausgewählt worden waren48, zum anderen um politische Funktionäre, die exekutiert werden sollten und die man zu diesem Zweck nach Mauthausen / Gusen überstellte. Die ersten Vergasungen in Mauthausen – ebenso wie noch davor in Gusen – betrafen daher auch Gruppen sowjetischer Kriegsgefangener. Sie wurden zum

einen

Opfer

offiziell

angeordneter

Exekutionen,

zum

anderen

von

„Säuberungsmaßnahmen“ in den Krankenunterkünften. Die Gaskammer von Mauthausen erfüllte somit eine Art Doppelfunktion: Neben der Rationalisierung von Massenexekutionen diente sie von Beginn an – vermehrt aber in den letzten Monaten vor der Befreiung des Lagers – auch der Vernichtung der Kranken und Arbeitsunfähigen, der „Beschleunigung“ des Sterbens. Die erste Vergasung in der Mauthausener Gaskammer fand im März 1942 statt. Am 24. Oktober 1942 wurde eine in der Folge des Heydrich-Attentats festgenommene Gruppe von Tschechen in der Gaskammer erstickt, darunter befanden sich 133 Frauen und Kinder. Die letzte Vergasung – die Opfer waren 43 Mitglieder einer Oberösterreichischen Widerstandsgruppe – ist für 28. April 1945 belegt. Insgesamt wurden gemäß den Ermittlungen in den unterschiedlichen Gerichtsverfahren mindestens 3.455 Menschen in der Gaskammer von Mauthausen ermordet.49 In Gusen verfügte die SS über keine eigene Gaskammer, jedoch sind auch für dieses Lager durch gerichtliche Ermittlungen mindestens zwei Fälle von Vergasungen von kranken Häftlingen in Unterkunftsbaracken belegt. Nach dem Ausbruch einer Flecktyphusepidemie wurden am 2. März 1942 im Zuge einer Entwesungsaktion durch die Linzer Firma Slupetzky mindestens

162

sowjetische

Kriegsgefangene

Kriegsgefangenenlagers mit Zyklon B erstickt.

50

in

der

Revierbaracke

des

Am 20. April 1945 wurden mehr als 600

schwerkranke Häftlinge im Block 31 des Krankenreviers ebenfalls durch den Einsatz von 48

Vgl. Otto, S.190.

49

Vgl. Choumoff, S.100-122, Freund: Tötungen durch Giftgas, S.127; Maršálek: Die Geschichte des

Konzentrationslagers Mauthausen, S.202f. Im Regelfall wurden im Totenbuch des Standortarztes (AMM Y/46) für die Vergasungsopfer fingierte natürliche Todesursachen vermerkt, weshalb die Ermittlung der genauen Opferzahl nicht möglich ist. Bei den 3.455 handelt es sich um eine Mindestschätzung. 50

Der Firmeninhaber Anton Slupetzky wurde vor dem US Militärtribunal in Dachau angeklagt und 1947 zu fünf

Jahren Haft verurteilt (case no. 000-50-5-31 in: National Archives and Records Administration [NARA]: Record Group 549, Records of Headquarters, U.S. Army Europe, Judge Advocate Division, "Cases Tried," box 342)

12

Zyklon B vergast. Es gibt Hinweise auf weitere Vergasungen in Gusen, doch fehlen dazu entsprechende konkrete Dokumente und Zeugenaussagen.51 Neben dem „alltäglichen Sterben“ und den gezielten Massenvernichtungsaktionen – sei es in Form der Exekution als „Dienstleistung“ oder der „Beschleunigung des Sterbens“ in den Aktionen gegen Kranke und Arbeitsunfähige – gab es so wie in allen anderen Konzentrationslagern auch in Mauthausen / Gusen die stets gegenwärtige Gewalt durch SSBewachung und Funktionshäftlinge. Im Unterschied zu den gezielten Vernichtungsaktionen galt für diese Art der Gewalt das Prinzip der Willkür. Während mit jenen die SS jeweils ein bestimmtes Kalkül verfolgte, folgte diese keinerlei Logik und konnte jederzeit und überall zuschlagen. Ebenso wie Hunger und Krankheit gehörte auch sie zum Alltag im Lager. Auch wenn diese Form der spontanen Gewalt nicht gezielt, sondern willkürlich agierte, war sie im Gesamten ein wohl kalkulierter Bestandteil des Herrschaftsprinzips der SS: Sie verdeutlichte den Häftlingen die für sie geltenden Grenzen, die realen – die Grenzen des Lagers – ebenso wie die symbolische – die Grenzen dessen, was einem Häftling „zustand“. Solche von der SS „spontan“ verübten Morde an Häftlingen wurden später häufig als Erschießungen aufgrund eines Fluchtversuchs oder als Selbstmorde getarnt und als solche sowohl im Totenbuch als auch in der sogenannten Liste unnatürlicher Todesfälle vermerkt.52 In Fällen, in denen Häftlinge von Funktionshäftlingen ermordet wurden – was besonders häufig während der täglichen Appelle oder am Arbeitsplatz passierte –, wurde dies in den Büchern im Regelfall als Selbstmord oder Unfall getarnt, oder als „natürlicher Tod“ vermerkt. Bis April 1940 wurden verstorbene Häftlinge des KZ Mauthausen im Krematorium der Stadt Steyr verbrannt.53 Aufgrund der stark zunehmenden Zahl an Todesfällen wurde im Hauptlager am 5. April 1940 der erste Krematoriumsofen in Betrieb genommen, ein weiterer wurde im Mai 1942 geliefert, und im Sommer 1944 wurde die Kapazität um einen zusätzlichen Doppelmuffel-Ofen erweitert.54 In Gusen ging Ende Jänner 1941 der dortige Krematoriumsofen in Betrieb. Auch die später eingerichteten Außenlager Ebensee und Melk wurden mit Krematoriumsöfen zur Beseitigung der Häftlingsleichen ausgestattet.

51

Vgl. Choumoff, S.123-130.

52

Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen liegen Kopien zweier jeweils unterschiedlicher Bücher

„unnatürlicher Todesfälle“ vor: M/1/9: Fragment eines Buches unnatürlicher Todesfälle für den Zeitraum 1.10.1942 bis 6.4.1945 (1023 Datensätze; Original im ITS Arolsen); M/6/1: Liste unnatürlicher Todesfälle für den Zeitraum 18.8.1938 bis 25.09.1944 (3849 Datensätze; Original ursprünglich aus dem Archiv des Innenministeriums der CSSR). 53

Eine Aufstellung der Einäscherung für diesen Zeitraum befindet sich im Archiv der Stadt Steyr.

54

Vgl. Choumoff, S.93. Choumoff gibt als Datum der Inbetriebnahme des zweiten Mauthausener Ofens Februar

1942 an. Aus dem Bericht des Verwaltungsführers geht jedoch hervor, dass dieser erst am 21. Mai 1942 geliefert wurde (AMM: Tätigkeitsbericht Nr. 2 des Verwaltungsführers Mauthausen).

13

Nach Kriegsbeginn stiegen, wie gesehen, die Häftlingszahlen im Konzentrationslager Mauthausen sprunghaft an, und die Zwangsgesellschaft der Häftlinge internationalisierte sich zunehmend. Auf der anderen Seite begann sich im Reichsgebiet mit dem ins Stocken geratenen Russlandfeldzug ein allgemeiner Arbeitskräftemangel bemerkbar zu machen,55 dem in einer ersten Reaktion mit der Überstellung sowjetischer Kriegsgefangener als „Arbeitsrussen“ in die Konzentrationslager begegnet wurde. Die Arbeitskraft von KZHäftlingen nahm in dieser Phase im gesamten Reich an Bedeutung zu, wodurch politische Motive zum Teil hinter ökonomische Zielsetzungen zurückzutreten und sich die Prinzipien der SS im Umgang mit den Häftlingen aufzuweichen begannen. Dies führte auch in Mauthausen dazu, dass die Gefangenen entgegen den ursprünglichen Absichten außerhalb des Hauptlagers und des wirtschaftlichen Komplexes der SS in privaten oder staatlichen Wirtschaftsunternehmen zur Arbeit eingesetzt wurden. Zur Unterbringung der Häftlinge wurden an Ort und Stelle jeweils neue Lager aufgebaut, die als Außenlager des Stammlagers Mauthausen von diesem abhängig waren. Den Entscheidungsprozessen zum Einsatz von KZ-Häftlingen und der Errichtung von Außenlagern gingen häufig zähe Verhandlungen zwischen der SS und den betreffenden Unternehmen über die genauen Termini der jeweiligen Kooperation, die wirtschaftliche Verantwortung sowie die Verteilung von Investitionen und Gewinnen, voraus.56

55

Zur Frage des Mangels an Arbeitskräften und dem Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter auf österreichischem

Gebiet vgl.: Florian Freund / Bertrand Perz: Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der „Ostmark“. In: Ulrich Herbert [Hg.]: Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen, 1991, S.317-350. 56

Zu welch unterschiedlichen Verhandlungsergebnissen die Interessensgegensätze zwischen SS und den

einzelnen Wirtschaftsunternehmen führen konnten, lässt sich gut am Beispiel des Lagers Gusen veranschaulichen. Die SS betrieb dort drei verschiedene Rüstungskooperationen: mit der Steyr-Daimler-Puch AG, der Messerschmitt GmbH. sowie dem Heereszeugamt Wien. Alle drei Kooperationen beruhten auf unterschiedlichen Vereinbarungsgrundsätzen: Während die Steyr-Daimler-Puch AG das Entgelt für die Häftlingsarbeit – unter Umgehung der DESt – direkt an die Verwaltung des KZ entrichtete und völlig auf eigene Verantwortung produzierte, sah die Kooperation mit der Messerschmidt GmbH vor, dass die wirtschaftliche Verantwortung für die Produktion in Händen der DESt läge, und deren Endprodukte zu Fixpreisen von Messerschmitt angekauft würden. Auch das Heereszeugamt Wien produzierte auf eigene Verantwortung, „mietete“ jedoch die Häftlingsarbeit nicht direkt über die KZ-Verwaltung, sondern über die DESt an, welche somit ohne ihr Zutun an jedem einzelnen „vermieteten“ Häftling mitverdiente. (Vgl.: Kaienburg, S.618f, 637-639.) Im Unterschied zu den übrigen Außenlagern gelang es der SS in Gusen jedoch, ihren ursprünglichen Intentionen entsprechend Wirtschaftsunternehmen in der Nähe von bereits bestehenden Konzentrationslagern anzusiedeln, anstatt an den Standorten der Rüstungsunternehmen neue Lager zu errichten.

14

In der Phase von Mitte 1941 bis Mitte 1943 entstanden im KZ-System Mauthausen zunächst insbesondere zwei bestimmte Typen von Außenlagern57: zum einen Kleinlager, in denen zumeist eine geringe Zahl von Häftlingen in der Verwaltung SS-eigener Einrichtungen arbeiten mussten;58 zum anderen Baulager, in welchen die Häftlinge beim Aufbau strategisch wichtiger Infrastruktur eingesetzt wurden. Das erste Außenlager dieser Art entstand bereits im August 1941 in Vöcklabruck, wo Hunderte vor allem spanische Häftlinge im Straßenbau eingesetzt wurden.59 Das Lager wurde im Mai 1942 wieder aufgelöst und das gesamte Kommando in ein neu eingerichtetes Lager in Ternberg überstellt. Ternberg war eines mehrerer Kraftwerksbauprojekte im Rahmen der energetischen Erschließung der Enns zur Stromversorgung des oberösterreichischen Zentralraums, der als Zentrum für die Rüstungsindustrie etabliert werden sollte. Folgeprojekte waren der Kraftwerksbau in Großraming und Dipoldsau, für welchen die SS in Kooperation mit der „Kraftwerke Oberdonau AG“, einer Tochterfirma der „Reichswerke Hermann Göring“, ebenfalls Häftlinge aus dem KZ Mauthausen heranzog und in eigens eingerichteten Außenlagern unterbrachte.60 Ebenfalls zum Kraftwerksbau wurden Häftlinge in dem im Oktober 1942 eingerichteten Außenlager Passau I61 herangezogen, während im Süden Österreichs, an der heutigen österreichisch-slowenischen

Grenze,

ab

Juni

1943

KZ-Häftlinge

beim

Bau

des

Loiblpasstunnels zur Erschließung einer strategisch wichtigen Nord-Süd-Verbindung eingesetzt wurden.62

57

Zur Typologieiserung der Außenlager des KZ Mauthausen vgl.: Florian Freund: Mauthausen: Zu Strukturen von

Haupt- und Außenlagern. In: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 15 (1999), S.253-272. 58

Dazu sind vor allem die Lager Bretstein, St. Lambrecht, Schloss Lind, Mittersill, St. Aegyd und Schönbrunn zu

zählen. 59

Zum Außenlager Vöcklabruck vgl.: Christian Hawle/Gerhard Kriechbaum/Margret Lehner: Täter und Opfer.

Nationalsozialistische Gewalt und Widerstand im Bezirk Vöcklabruck 1938-1945. Eine Dokumentation. Wien et al., 1995. 60

Das Außenlager Großraming wurde im Jänner 1941, das Außenlager Dipoldsau im September 1943

eingerichtet. Zum Einsatz von KZ-Häftlingen in Mauthausen im Kraftwerksbau an der Enns vgl. Florian Freund: Zwangsarbeit beim Bau der Ennskraftwerke. In: Oliver Rathkolb/ Florian Freund [Hg.] NS-Zwangsarbeit in der Elektrizitätswirtschaft der „Ostmark“, 1938-1945. Ennskraftwerke, Kaprun, Draukraftwerke, Ybbs-Persenbeug, Ernsthofen. Wien/Köln/Weimar, 2002, S.27-125. 61

Zum Außenlager Passau I siehe: Elmar W. Eggerer: „Waldwerke“ und „Oberilzmühle“. Die Passauer KZ-

Außenlager und ihr Umfeld. In: Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien, hrsg. von Winfried Becker. Passau, 1999, S. 527-542. 62

Zum Außenlager Loiblpass siehe: Josef Zausnig: Der Loibl-Tunnel. Das vergessene KZ an der Südgrenze

Österreichs. Eine Spurensicherung (=Dissertationen und Abhandlungen des Slowenischen Instituts zur AlpenAdria-Forschung 37). Klagenfurt, 1995; Florian Freund: Was „kostet“ ein KZ-Häftling? Neue Dokumente zur

15

Der Ausbau der Infrastruktur, welcher in Österreich seit 1941 unter Heranziehung der Arbeitskraft von KZ-Häftlingen betrieben wurde, war die Voraussetzung zur Etablierung der „Ostmark“ als Standort wichtiger Industrien, vor allem der Rüstungsindustrie. Angesichts der zunehmenden Luftangriffe auf Industriebetriebe in Deutschland sollten bedeutende Produktionen zunehmend in zunächst noch vor Luftangriffen sichere Gebiete verlagert werden. Im oberösterreichischen Zentralraum um die Städte Linz, Wels und Steyr sowie im Raum Wien entstanden bedeutende Industriezentren mit einem großen Bedarf an Arbeitskräften. Die nach dem „Anschluss“ Österreichs neu gegründete Hütte Linz der „Reichswerke Hermann Göring“ sowie die als deren Tochterunternehmen agierende SteyrDaimler-Puch AG waren die zentralen Industrieunternehmen der Ostmark. Neben ihrer wirtschaftlichen Bedeutung verfügten sie in personis ihrer Generaldirektoren Paul Pleiger bzw. Georg Meindl auch über die notwendigen politischen Beziehungen, um sich den Zugriff auf die Arbeitskraft der Mauthausener KZ-Häftlinge zu sichern.63 Die nach der Übernahme durch die „Reichswerke“ stark in Richtung Rüstungsproduktion expandierende Steyr-Daimler-Puch AG war eines der ersten Rüstungsunternehmen überhaupt, das auf die Arbeitskraft von KZ-Häftlingen zurückgreifen konnte. Bereits im Jahr 1940 gab es erste Kontakte hinsichtlich eines Einsatzes von Häftlingen des KZ-Mauthausen für das Unternehmen.64 Ab Frühjahr 1941 mussten KZ-Häftlinge aus Mauthausen am Aufbau der neuen Steyr-Betriebe arbeiten, im März 1942 wurde schließlich das Außenlager SteyrMünichholz gegründet, das erste Außenlager Mauthausens das für die Rüstungsindustrie eingerichtet wurde. Die Gründung des Lagers erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem der Konkurrenzkampf

zwischen

SS

und

Rüstungsindustrie

um

die

Hoheit

in

der

Rüstungsproduktion eigentlich noch nicht entschieden war.65 Die Expansion des SteyrKonzerns führte neben der Ausweitung des Mutterbetriebes in Steyr – unter anderem stieg man dort auf die Produktion von Flugmotoren um – auch zur Neugründung zahlreicher neuer Betriebe: In Steyr-Münichholz entstand ein Wälzlagerwerk, in St. Valentin mit den „Nibelungenwerken“ eine Panzerfabrik und in Graz ein Werk zur Herstellung von Flugmotorenteilen. Um diese Betriebe mit den nötigen Arbeitskräften, vor allem mit Facharbeitern, zu versorgen, entstanden an Ort und Stelle bis Sommer 1944 nach und nach Geschichte des KZ Loibl-Paß. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes [Hg.]: Jahrbuch 1989. Wien: 1989, S. 31-51. 63

Vgl. dazu: Bertrand Perz: Der Arbeitseinsatz im KZ Mauthausen. In: Ulrich Herbert / Karin Orth / Christof

Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Band 2, Göttingen, 1998, S.535-543. 64

Vgl. Bertrand Perz: Steyr-Münichholz, ein Konzentrationslager der Steyr-Daimler-Puch A.G. Zur Genese der

KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. In: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [Hg.]: Jahrbuch 1989. Wien: 1989, S.53f. 65

Vgl. ebd. S.52.

16

neue jeweils Außenlager des KZ Mauthausen.66 Zudem siedelte die Steyr-Daimler-Puch AG die Produktion von Gewehrteilen im Lager Gusen an, die nach Luftangriffen gegen das Werk in Steyr später noch ausgeweitet wurde. Gegen Kriegsende leisteten etwa 5.000 Häftlinge allein in Gusen Zwangsarbeit für den Steyr-Konzern. Mit der unterirdischen Verlagerung strategisch wichtiger Rüstungsbetriebe ab Anfang 1944 kamen Tausende zusätzlich Häftlinge

für

Steyr-Daimler-Puch

unter

größtenteils

haarsträubenden

Lebens-

und

Arbeitsbedingungen zum Einsatz. Auch der Mutterkonzern, die Reichswerke Hermann Göring, konnten im Rahmen eines Joint Ventures mit der DESt zur Hochofenschlackeverarbeitung in der neu errichtete Hütte Linz auf Häftlinge des KZ Mauthausen zurückgreifen. Am 11. Jänner 1943 werden die ersten Häftlinge in das Arbeitskommando Linz, später Linz I genannt, überstellt. Im Frühjahr 1944 sollten KZ-Häftlinge zusätzlich in der Panzerfertigung eingesetzt werden. Da das Lager Linz I nunmehr für die benötigte große Zahl von Häftlingen zu klein wurde, entschied man sich für die Errichtung eines neuen Lagers, Linz III. Nachdem im Juli 1943 durch einen Bombenangriff das Lager Linz I zerstört worden war, löste man dieses auf und überstellte sämtliche Häftlinge in das Lager Linz III.67 Neben dem oberösterreichischen Zentralraum wurde auch der Großraum Wien zu einem Zentrum der Rüstungsindustrie ausgebaut. Die „Rax-Werke“ in Wiener Neustadt, eine Tochtergesellschaft der Henschel GmbH., stiegen im Jahr 1943 von der Produktion von Tendern auf Rüstungsindustrie um. Seitens des „Sonderausschusses A4“ im Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, der mit dem Auftrag der koordinierten Forcierung der Raketenrüstung eingesetzt worden war, wurde Wiener Neustadt zu einem von zunächst vier Standorten für die Serienfertigung der „A4“-Rakete erwählt. Für den Aufbau des Werks, später auch für die Produktion selbst, wurden ab Juni 1943 Häftlinge des KZ Mauthausen 66

Zum Außenlager Steyr-Münichholz siehe: Bertrand Perz: Steyr-Münichholz, ein Konzentrationslager der Steyr-

Daimler-Puch A.G. Zur Genese der KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. In: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [Hg.]: Jahrbuch 1989. Wien: 1989, S.52-61; zum Außenlager Leibnitz/Graz (auch Aflenz genannt) siehe: Barbara Stelzl: Lager in Graz. Zur Unterbringung ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge 1938-1945. In: Karner, Stefan [Hrsg.]: Graz in der NS-Zeit 1938-1945. Graz: 1998, S. 353-369; sowie: Anita Farkas: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungsbedarf in der Steiermark. Auf den Spuren der Erinnerung an die Konzentrationslager Aflenz, Peggau und Schloß Lind. Klagenfurt, (Diplomarbeit) 2001. Zum Außenlager St. Valentin ist bis heute keine wissenschaftliche Arbeit erschienen. Hinweise auf die Geschichte der Gründung der „Nibelungenwerke“ finden sich in: Bertrand Perz: Projekt Quarz. Die Steyr-DaimlerPuch und das Konzentrationslager Melk. Wien, 1991 (=Industrie, Zwangsarbeit und Konzentrationslager in Österreich 3), S.97-100. 67

Zu den Außenlagern Linz I und Linz III vgl.: Bertrand Perz: KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter der Reichswerke

„Hermann Göring“ in Linz. In: Oliver Rathkolb [Hg.]: NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945. Wien/Köln/Weimar, 2001. Bd. 1: Zwangsarbeit – Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien, S.449-590.

17

eingesetzt und in einem eigens errichteten Außenlager untergebracht. Nach mehreren Bombardierungen und der weitgehenden Zerstörung des Werks im August und November 1943 wurde die Raketenproduktion zentral in unterirdische Anlagen in Nordhausen verlegt. Das Außenlager wurde aufgelöst, die Häftlinge überstellte man größtenteils in das KZ Mittelbau-Dora nahe Nordhausen bzw. in die neu gegründeten Mauthausener Außenlager Redl-Zipf („Schlier“) und Ebensee überstellt. Nachdem es 1944 den Rax-Werken mit der Herstellung

von

Marine-Artillerie-Leichtern

abermals

gelungen

war,

in

die

Rüstungsproduktion einzusteigen, wurde das Außenlager Wiener Neustadt im Juli 1944 erneut mit Häftlings-Zwangsarbeitern aus dem KZ Mauthausen gefüllt.68 An den südlichen Ausläufern von Wien entstanden in Schwechat sowie in Wiener Neudorf wichtige Produktionsstätten für die Luftwaffe. An beiden Orten wurden KZ Häftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt und in eigens errichteten Außenlagern untergebracht. In Schwechat hatten ab Sommer 1942 die Ernst-Heinkel-Werke Teile ihrer Flugzeugproduktion angesiedelt, für die ab August 1943 auch KZ-Häftlinge zum Einsatz kamen. Schwere Bombardierungen im Frühjahr und Sommer 1944 zwangen zur Auflösung des Lagers und zur Verlagerung der Produktion nach Wien Floridsdorf bzw. in unterirdische Anlagen in Hinterbrühl bei Mödling, wo neue Lager gegründet und weiterhin Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.69 In Wiener Neudorf produzierten ab 1941 die „Flugmotorenwerke Ostmark“, ein gemeinsames Unternehmen des Reichsluftfahrtsministeriums und der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke A.G., Flugmotoren. Die persönlichen Beziehungen Georg Meindls, der in Personalunion neben seiner Funktion bei Steyr-Daimler-Puch auch Geschäftsführer der „Flugmotorenwerke Ostmark“ war, ermöglichte es dem Betrieb, auf Häftlinge des KZ Mauthausen zurückzugreifen. Im August 1943 entstand auch hier ein KZAußenlager, das trotz mehrmaliger Bombardierungen und weitreichender Zerstörungen des Werks bis April 1945 weitergeführt wurde.70

Der zunehmende Bedarf an Arbeitskräften für den Bau und den Betrieb rüstungsindustrieller Produktionsanlagen, später für deren unterirdische Verlagerung, bewirkte, dass die Zahl der Häftlinge nach einem der Vernichtungspolitik der SS geschuldeten Rückgang im Jahr 1942 im darauffolgenden Jahr und besonders 1944 stark anstieg. Während sich 1943 der Häftlingsstand im gesamten Mauthausener KZ-System mit mehr als 25.000 Häftlingen zu 68

Zum Außenlager Wiener Neustadt siehe: Florian Freund/Bertrand Perz: Das KZ in der Serbenhalle. Zur

Kriegsindustrie in Wiener Neustadt. Wien: 1987. 69

Zum Außenlager Schwechat-Heidfeld siehe: Adolf Ezsöl: Das KLM-Arbeitslager Wien-Schwechat 2. In:

Schwechater Archivnachrichten. Informationen aus dem historischen Archiv der Stadt Schwechat, 2, 1995. 70

Zum Außenlager Wiener Neudorf siehe: Bertrand Perz: Die Errichtung eines Konzentrationslagers in Wiener

Neudorf. Zum Zusammenhang von Rüstungsexpansion und Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen. In: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands [Hg.]: Jahrbuch 1988. Wien, 1988, S.89-116.

18

Jahresende fast verdoppelte, verdreifachte sich dieser Wert im Jahr 1944 erneut auf weit über 70.000 Häftlinge ab September.71 Diese Vervielfachung der Häftlingszahlen ist vor allem auf die Gründung und den Ausbau von Außenlagern für die Rüstungsindustrie zurückzuführen. In den Jahren 1943 und 1944 stieg der Anteil der Häftlinge in den neu gegründeten Außenlagern kontinuierlich an und machte Ende 1944 mehr als die Hälfte des Gesamtstands im System Mauthausen aus.72 Zur gleichen Zeit wurde auch das Zweiglager Gusen zu einem Arbeitslager für die Rüstungsindustrie umfunktioniert. Im Jahr 1944 schwoll dort der Häftlingsstand auf mehr als das Dreifache an und erreichte gegen Jahresende eine Gesamtzahl von mehr als 24.000.73 Der Steinbruchbetrieb nach dem Prinzip der „Vernichtung durch Arbeit“ wurde in Gusen im Verlauf des Jahres 1943 auf ein Minimum zurückgeschraubt,

während

die

Häftlinge

für

die

um

das

Lager

angesiedelten

Rüstungsbetriebe, vor allem die Steyr-Daimler-Puch AG sowie die Messerschmitt GmbH., zum Zwangsarbeitseinsatz gebracht wurden. Das Lager Gusen nahm in dieser Zeit vermehrt den Charakter eines Arbeitsaußenlagers an, was im Jänner 1944 konsequenterweise zur Folge hatte, dass die bis dahin weitgehend selbständige Verwaltung des Lagers aufgegeben und in die zentrale Verwaltung in Mauthausen eingegliedert wurde. Gleichzeitig veränderten sich auch die Funktionen, die dem Hauptlager in dem neu entstehenden Lagersystem zukamen. Das Lager Mauthausen entwickelte sich ab 1943 zum Zentrum dieses Systems und fungierte quasi als Schleuse, durch welche die Häftlinge das KZ-Universum betraten, und als Verteilungszentrum, von welchem aus sie nach den Maßgaben des jeweiligen Arbeitskräftebedarfs auf die einzelnen Außenlager verteilt wurden. Neu eintreffende Gefangene kamen in Mauthausen zunächst für zwei bis drei Wochen – später und bei dringendem Bedarf an Arbeitskräften oft auch nur für eine Woche – in „Quarantäne“.74 Wer die damit verbundenen, häufig tödlichen Initiationsprozeduren überstand, wurde spätestens seit dem Jahr 1943 in der Regel sofort weiter in eines der Außenlager überstellt. In den Außenkommandos der Rüstungsindustrie wurde der jeweilige Bedarf an Arbeitskräften, vor allem an Facharbeitern, in Mauthausen angemeldet. Dort stellte man, je nach „Angebot“, die entsprechenden Häftlingstransporte zusammen. Um den Ausfall an Arbeitskräften aufgrund der ab spätestens Sommer 1944 wieder stark steigenden Todesrate auszugleichen und den zunehmenden Bedarf zu decken, wurden auch Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern systematisch nach Mauthausen überstellt. Dieser systematisierte Austausch von Arbeitskräften innerhalb des gesamten Netzwerks der 71

Vgl. dazu die Statistik in: Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.125-127.

72

Vgl. AMM E/6/11: Rapportbuch; AMM F/2/15: Arbeitsberichte des Arbeitsdienstführers.

73

Vgl. AMM E/6/11: Rapportbuch.

74

Als „Quarantänelager“ dienten in Mauthausen zunächst die Häftlingsbaracken 16 bis 19, ab Frühjahr 1944

übernahm diese Funktion der sogenannte Lagerteil II (Baracken 21 bis 24). (Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.65)

19

nationalsozialistischen Konzentrationslager wurde durch eine elektronisch unterstützte statistische Erfassung aller Häftlingsdaten in den einzelnen Lagern sowie zentral im Wirtschaftsverwaltungshauptamt

(WVHA)

ermöglicht.75

Die

Kriterien,

nach

denen

Personengruppen in Konzentrationslagern inhaftiert und innerhalb des KZ-Systems verschoben wurden, waren also zunehmend ökonomischer, weniger politischer Art. Dies wirkte sich auch auf die Rolle und Funktion des Hauptlagers Mauthausen, so wie aller anderen KZ-Stammlager, aus. Während zum einen die arbeitsfähigen Häftlinge systematisch aus dem Hauptlager in die verschiedenen Außenlager abgezogen wurden, schickte man zum anderen die zur Arbeit untauglich gewordenen, kranken oder verletzen Häftlinge von dort regelmäßig zurück in das Hauptlager. In Mauthausen wurden sie in der Regel in dem seit März 1943 als solches bestehenden „Sanitätslager“ (dem ehemaligen Lager für sowjetische Kriegsgefangene) untergebracht. Das Sanitätslager diente de facto als nichts anderes denn als Sterbelager: die Ernährung dort war rudimentär, die medizinische Versorgung kaum vorhanden und die hygienischen Bedingungen katastrophal. Wer nicht an Krankheiten, Seuchen oder Unterernährung verstarb, lief Gefahr, zum Opfer regelmäßiger Selektionen und mittels Herzinjektionen ermordet oder zur Vergasung nach Hartheim geschickt

zu

werden.

pseudomedizinischen

Zudem

Versuche

rekrutierten bevorzugt

die aus

SS-Ärzte den

die

Reihen

Objekte der

für

ihre

Häftlinge

des

Sanitätslagers.76 Im Frühjahr und Sommer 1944 war zeitweise mehr als die Hälfte aller Häftlinge in Mauthausen im Sanitätslager untergebracht, mit dem Eintreffen der Evakuierungstransporte aus dem Osten erreichte dieses im März 1945 gar einen absoluten Stand von weit über 7.000 zumeist schwer kranken Häftlingen.77

75

Zu dem sogenannten „Hollerith“-System vgl. Edwin Black: IBM und der Holocaust. Die Verstrickung des

Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis. München/Berlin, 2001., besonders das Kapitel „Vernichtung, S.470502. In Mauthausen bestand eine der größten Hollerith-Abteilungen sämtlicher Konzentrationslager. Mittels einer Lochkartei und den notwendigen elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen zur tabellarischen Auswertung wurde in der Abteilung „Arbeitseinsatz“ genau Statistik über der Häftlingspopulation im System Mauthausen geführt. Mit der Einrichtung einer zentralen Statistikstelle im WVHA ab Jänner 1944 wurde zudem die elektronische Häftlingserfassung für das gesamte KZ-System betrieben (vgl. ebd., S.480-486). 76

Es sind für Mauthausen mehrere verschiedene Versuchsreihen an Häftlingen dokumentiert:

Ernährungsversuche des Chefarztes des SS-Hygieneinstitutes DDr. E. G. Schenck in Mauthausen; Impfstofftests von Dr. Karl Gross im Auftrag des SS-Hygieneinstituts; Hormonversuche an elf kastrierten Häftlingen; Läuseversuche unter Dr. E. Wasitzky; TBC-Impfstoffversuche unter der Leitung von Dr. H. Vetter in Gusen. 77

Vgl. AMM E/6/11: Rapportbuch sowie AMM F/2/15: Arbeitsberichte des Arbeitsdienstführers; siehe auch die

entsprechende tabellarische Auswertung in: Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.126f.

20

Die allmähliche Umstellung des Arbeitseinsatzes auf Rüstungsproduktion und der damit einhergehende „Funktionswandel“78 der Konzentrationslager brachte in den Jahren 1943 und 1944

vorläufige

Verbesserungen

für

die

Überlebenschancen

und

allgemeinen

Lebensbedingungen der Häftlinge. Dies lässt sich etwa an der Entwicklung der Todesrate ablesen: Während im Jahr 1942 noch insgesamt mehr als 13.000 Häftlinge starben – genau so viele, wie im selben Jahr neu eingeliefert wurden –, ging die Zahl der Todesfälle im Jahr 1943 auf circa 8.500 zurück – und dies obwohl im gleichen Zeitraum mehr als 21.000 Häftlinge neu hinzukamen. Im Jahr 1944 wuchs die Zahl der Todesfälle zwar auf weit über 18.000 an, dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass einerseits im selben Jahr mehr als 65.000 Häftlinge nach Mauthausen eingeliefert wurden, und andererseits die Todesrate erst im zweiten Halbjahr aufgrund veränderter Voraussetzungen in der Rüstungsindustrie wieder stark in die Höhe schnellte.79 Dass das WVHA selbst größtes Interesse hatte, die Arbeitskraft der Häftlinge nicht nur zu erhalten sondern zu steigern, zeigt sich auch in der Dienstvorschrift Oswald Pohls vom 15. Mai 1943, mit welcher in den Konzentrationslagern Leistungsanreize für

Häftlinge

eingeführt

werden

sollten.

Die

Anweisung

sah

ein

fünfstufiges

Vergünstigungssystem vor, reichend von Hafterleichterung über Verpflegungszulagen, Geldprämien, Tabakwarenbezug bis hin zum Bordellbesuch, der nur „Spitzenkräften“ unter den Häftlingen ermöglicht werden sollte.80 In Mauthausen wurde dieser Anordnung von oberster Stelle schließlich durch einen Sonderbefehl des Kommandanten Ziereis vom 18. November 1943 Rechnung getragen.81 Hans Maršálek schätzt, dass etwa 40% aller Häftlinge 78

Zum Begriff des „Funktionswandels“ siehe: Bernd Weisbrod: Entwicklung und Funktionswandel der

Konzentrationslager 1937/38 bis 1945. Kommentierende Bemerkungen. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Band 1, S.349-360. Zu einer kritischen Diskussion dieses Begriffs siehe: Wolfgang Sofsky: An der Grenze des Sozialen. Perspektiven der KZ-Forschung. In: ebd., Band 2, S.11411169. 79

Im Einzelfall waren die Überlebenschancen und allgemeinen Lebensbedingungen für den Häftling jedoch vor

allem von der Art des Arbeitseinsatzes abhängig, für den er herangezogen wurde. Häftlinge, die unter Dach direkt in der Produktion zu arbeiteten hatten, hatten vergleichsweise bessere Überlebenschancen als etwa solche, die der Witterung ausgesetzt im Bau arbeiten mussten. Zu einer Diskussion des Zusammenhangs von Todesrate und Lebensbedingungen in Mauthausen und seinen Außenlagern vgl.: Bertrand Perz: Der Arbeitseinsatz im KZ Mauthausen. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Band 2, S.545-552. 80

AMM F/8/3: Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge vom 15.5.1943. Die SS

profitierte auch finanziell von dieser Regelung, da die Ausgaben den jeweiligen Betrieben angelastet wurden, in denen die Häftlinge zum Einsatz kamen, und diese die Prämienscheine wiederum von der SS-Verwaltung in den Konzentrationslagern ankaufen mussten. 81

AMM F/8/2: Kommandantur – Sonderbefehl vom 18.11.1943. Für die in Form von Prämienscheinen

ausbezahlten Geldprämien seien demzufolge in Mauthausen und Gusen sowie in den Außenlagern sofort Kantinen einzurichten. Wie sehr es mit dieser Maßnahme das Prinzip des Leistungsanreizes verfolgt wurde, ist daran zu ersehen, dass unter anderem angeordnet wurde, dass „bei Ausgabe der Prämienscheine [...] sämtliche

21

bis Winter 1944/45 entsprechend dieser Weisung Prämienscheine bezogen, deren weiter Ausfolge ab diesem Zeitpunkt aufgrund des Mangels an Lebensmitteln und Rauchwaren eingestellt wurde.82

Dem gesteigerten allgemeinen Bedarf an Arbeitskräften wurde in dieser Phase der forcierten Rüstungsproduktion durch die Einlieferung weiterer Häftlinge Rechnung getragen. Die Gründe für die Neueinweisung bestimmter Gruppen von Deportierten und damit für die Vervielfachung der Häftlingspopulation bewegten sich entlang der Grenze zwischen politischen und ökonomischen Motiven. Als Folge des wachsenden Widerstands in den besetzten Gebieten und den damit verbundenen zunehmenden Repressionsmaßnahmen sowie der Ausweitung des nationalsozialistischen Einflussgebietes wurden insbesondere in den Jahren 1942 bis 1944 Tausende politisch Verfolgte aus verschiedenen Teilen Europas nach Mauthausen deportiert. So gelangten etwa bereits ab Mai 1942 die ersten politischen Häftlinge aus Frankreich – in kleinerer Zahl auch aus Belgien – nach Mauthausen. Größere Gruppen französischer Deportierter, darunter auch mindestens 700 im Rahmen der Aktion „Nacht und Nebel“ verschleppte Personen, wurden ab März 1943 eingeliefert. Insgesamt wurden etwa 9.200 französische Staatsbürger im Konzentrationslager Mauthausen interniert.83 Im Juli 1943 traf in Mauthausen der erste Transport politischer Gefangener aus dem besetzten Jugoslawien ein. Bis Kriegsende wurden insgesamt zumindest 7.400 Bürger dieses Landes nach Mauthausen deportiert. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen im September 1943 wurden auch politische Gefangene aus Italien, insgesamt knapp 7.800, nach Mauthausen eingewiesen.84 Häftlinge des betreffenden Arbeitskommandos zugegen“ zu sein hätten, „damit auf diese Weise die mit Prämienscheinen nicht bedachten Häftlinge für die Folge zu erhöhter Arbeitsleistung angespornt werden.“ 82

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.84f.

83

Die folgenden Zahlen der aus den einzelnen Ländern nach Mauthausen deportierten Personen basieren auf

dem aktuellen Stand der Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Stand: August 2006) in Ergänzung mit AMM B/12/77: Aufstellung des Häftlingsstands Gusen vom 31.1.1944. Zum Teil ergeben sich Abweichungen zu den entsprechenden Angaben in: Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.138. 84

Die Recherche basierend auf der Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Stand August 2006)

und ergänzenden Quellen ergibt eine Gesamtzahl von 6.788 italienischen Häftlingen des KZ Mauthausen, davon 127 Frauen. Nicht berücksichtigt in dieser Zahl ist ein Transport von 990 Personen aus dem Lager Cairo Montenotte, der am 12. Oktober 1943 in Mauthausen und einen Tag später in Gusen eintraf. Die Deportierten stammten aus den nordöstlichen Küstengebieten Italiens bzw. aus den 1941 von Italien besetzten Teilen Sloweniens. Mehr als 200 Angehörige dieses Transports starben in Gusen, knapp 800 wurden zwischen November 1943 bis Jänner 1944 entlassen und zur Zwangsarbeit in der Umgebung von Mauthausen gezwungen bzw. zurück nach Triest deportiert. Viele von ihnen starben jedoch noch nach ihrer Entlassung; vgl.: France Filipič: Slowenen in Mauthausen. Wien 2004 (= Mauthausen-Studien 3), S.164-214.

22

Mit den neu eintreffenden Transporten politisch Verfolgter aus den besetzten Gebieten konnte dennoch der Bedarf an Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie nicht gedeckt werden, weshalb sich die SS den Zugriff weiterer Häftlingsgruppen für den Arbeitseinsatz in den Konzentrationslagern zu sichern suchte. Aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion, insbesondere aus der Ukraine, wurden seit Anfang 1942 arbeitsfähige Personen gewaltsam zur Arbeit in der deutschen Kriegsindustrie abtransportiert.85 Zwangsarbeiter, die aus den „Ostarbeiterlagern“ zu fliehen versuchten, oder der Arbeitsverweigerung bzw. Sabotage bezichtigt wurden, wurden verurteilt und in Konzentrationslager eingewiesen, wo ihre Arbeitkraft unter erschwerten Bedingungen weiter ausgebeutet wurde. Sie sollten vor allem die sowjetischen Kriegsgefangenen ersetzen, die aufgrund der Vernichtungspolitik der SS zu Tausenden in den Konzentrationslagern umgekommen waren. Wie wichtig diese Häftlingsgruppe für die Deckung des Arbeitskräftebedarfs war, zeigt ein Rundschreiben des WVHA, Amtsgruppe D, von Februar 1943 an die Kommandanten aller Konzentrationslager, mit welchem angeordnet wurde, dass sowjetrussische Zivilarbeiter „mit Rücksicht auf die Sicherung der in den Konzentrationslagern laufenden Rüstungsprogramme“ aus diesen nicht mehr zu entlassen seien.86 Über 20.000 sowjetische Zivilisten wurden im KZ Mauthausen inhaftiert, mehr als 6.000 kamen dort zu Tode.87 Ebenfalls aus vornehmlich ökonomischen Erwägungen überstellte man ab November 1942 die sogenannten SV-Häftlinge aus Justizanstalten mehrheitlich im Reich sowie im besetzten Polen. Wie bereits oben gesehen, waren diese Häftlinge von einer der höchsten Sterberaten aller Häftlingsgruppen betroffen.

Parallel zu den strukturellen Veränderungen in der Häftlingspopulation änderte sich auch die Zusammensetzung der Wachmannschaften in Mauthausen und seinen neu entstehenden Außenlagern. Während sich deren Angehörige zunächst vor allem aus Mitgliedern der Allgemeinen SS rekrutierten, kamen mit Fortdauer des Krieges häufig auch zur SS eingezogene „Volksdeutsche“ und „Freiwillige“ aus den besetzten Gebieten in den Konzentrationslagern zum Einsatz. In jenen Lagern, in denen Rüstungsgüter für die Wehrmacht produziert wurden, wurden ab Mitte 1944 schließlich auch Soldaten des jeweiligen

Wehrmachtsteils

zur

Bewachung

herangezogen.88

So

wurden

die

Bewachungsaufgaben in den Lagern Wiener Neudorf, Schwechat, Hinterbrühl, Melk und 85

Zu den zivilen Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion vgl.: Rolf-Dieter Müller: Die Rekrutierung sowjetischer

Zwangsarbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft. In: Europa und der „Reichseinsatz“, S.234-250. 86

AMM P/16/52: Rundschreiben des WVHA, Amtsgruppe D, an die Kommandeure aller Konzentrationslager vom

26.2.1943. 87

Die Zahl der Todesfälle basiert auf der Kalkulation bei Fabréguet: Mauthausen, S.661.

88

Bezüglich der allgemeinen Entscheidung, Wehrmachtsangehörige hinkünftig als Bewachungsorgane in

Konzentrationslagern einzusetzen siehe: Perz: Projekt Quarz. S.235-238.

23

Gusen II im wesentlichen von Angehörigen der Luftwaffe übernommen, während etwa im Außenlager Wiener Neustadt ab Sommer 1944 Marinesoldaten zur Bewachung rekrutiert wurden.

Ab Ende 1943 kam es im KZ-System Mauthausen zu einer erneuten strategischen Umorientierung des Arbeitseinsatzes der Häftlinge. Die schweren Bombardierungen seit Sommer dieses Jahres, von denen zahlreiche bedeutende Rüstungsstandorte der „Ostmark“ und auch mehrere Außenlager des KZ Mauthausen betroffen waren89, machten die Unterbringung wichtiger rüstungsindustrieller Betriebe an bombensicheren Standorten zu einem vorrangigen Anliegen. Das erste und zugleich eines der größten unterirdischen Verlagerungsprojekte im Umfeld des KZ Mauthausen war die Errichtung einer Stollenanlage in Ebensee unter dem Decknamen „Zement“.90 Nachdem die mit der Entwicklung der A4Rakete

betraute

Heeresversuchsanstalt

in

Peenemünde

mehrmals

Ziel

alliierter

Bombenangriffe geworden war, sollte die gesamte Versuchs- und Entwicklungsabteilung nach Ebensee verlegt werden. Die Bauarbeiten wurden von der Amtsgruppe C im WVHA unter Hans Kammler geleitet und unter Heranziehung von Häftlingssklaven aus dem KZ Mauthausen ausgeführt. Das Außenlager Ebensee wurde im November 1943 eröffnet. Der Arbeitseinsatz

der

Häftlinge

im

Stollenbau

war

in

Ebensee

wie

in

anderen

Untertageprojekten mörderisch. Ohne die geringsten Sicherheitsvorkehrungen mussten die Häftlinge täglich acht bis elf Stunden in den Stollen arbeiten. Trotz der forcierten Anstrengungen seitens der SS gegen Kriegsende konnte die Raketenentwicklungsanlage nie wie vorgesehen in den Stollen untergebracht werden. In Ihnen wurden am Ende stattdessen für die Steyr-Daimler-Puch AG Motoren- und Panzerteile hergestellt sowie Anlagen zur Rohölraffinierung untergebracht. In den letzten Monaten seines Bestehens waren im Lager Ebensee bis zu 18.500 Häftlinge inhaftiert. Von den insgesamt etwa 27.000 Häftlingen starben zumindest 8.200 vor Ort, weitere ca. 2.200 kranke und arbeitsunfähige Häftlinge wurden in das Sanitätslager nach Mauthausen rücküberstellt, wo sie zum überwiegenden Teil an den Folgen ihrer Inhaftierung starben oder ermordet wurden.91 Ein weiteres, eng mit Ebensee verbundenes Untertageprojekt wurde in Redl-Zipf unter dem Decknamen „Schlier“ ebenfalls mit Häftlingssklaven aus Mauthausen realisiert. Unter der 89

Am schwersten betroffen waren die Lager Linz I (Bombenangriff am 25. Juli 1944), Wiener Neustadt (mehrere

Bombardierungen im August 1944), Schwechat – Heidfeld (Angriffe seit Frühjahr 1944, die schwersten am 23. April und am 13. Juli), Wiener Neudorf (mehrere Bombardierungen seit Frühsommer 1944, der schwerste am 26. Juli) und Melk (Bombenangriff am 8. Juli 1944). 90

Zum Außenlager Ebensee siehe: Florian Freund: Arbeitslager Zement. Das Konzentrationslager Ebensee und

die Raketenrüstung. Wien, 1989. 91

Vgl. Freund: Arbeitslager Zement, S.319-331.

24

Leitung

von

Hans

Kammler

wurden

dort

Bierbrauereikeller

zur

Erzeugung

von

Raketenbrennstoff und zur Unterbringung eines Brennkammernprüfstands für Raketen von den Häftlingen ausgebaut.92 Mit der Gründung des „Jägerstabs“ im Rüstungsministerium unter Albert Speer und der Ernennung von Hans Kammler zum „Beauftragten für Sonderbauten“ im März 1944 kam es zu einer Zentralisierung der Anstrengungen zur unterirdischen Rüstungsverlagerung auf Reichsebene.93 Die damals bereits in Realisierung befindlichen Projekte „Zement“ und „Schlier“ wurden nachträglich in den zentralen Projektplan mit aufgenommen.94 Zwei weitere zu errichtende Stollenanlagen wurden im Umfeld des KZ Mauthausen mit projektiert: das Projekt „B8“ in St. Georgen an der Gusen sowie das Projekt „B9“ in Melk an der Donau. In Gusen hatte man bereits im Jahr 1944 mit der Errichtung unterirdischer Anlagen zur Unterbringung der Produktion von Steyr-Daimler-Puch und Messerschmitt begonnen. Spätestens mit dem Start des Großprojekts in St. Georgen versandete dieses Bauvorhaben jedoch. Unter dem Decknamen „Bergkristall“ wurde dort seit Jänner 1944 an einem der größten unterirdischen Rüstungsprojekte des gesamten Reiches gearbeitet. Zur Errichtung der Stollenanlagen für die Jagdflugzeugproduktion von Messerschmitt wurden KZ-Häftlinge herangezogen, die in einem unweit des Lagers Gusen eigens errichteten Barackenlager, dem Lager Gusen II, untergebracht wurden. Die Häftlinge mussten die Bauarbeiten ohne Rücksicht auf Leib und Leben verrichten. Zudem waren die Lebensbedingungen im Lager Gusen II so schlecht wie in kaum einem anderen Lager des KZ-Systems Mauthausen. In etwa drei Viertel aller in Gusen zwischen Mai 1944 und April 1945 registrierten Toten stammten aus dem Lager Gusen II.95 Ähnlich katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen waren die Häftlinge im Außenlager Melk ausgeliefert, das im April 1944 gegründet wurde. Sie mussten zur Unterbringung eines Wälzlagerwerks der Steyr-Daimler-Puch AG im Rahmen des sogenannten Projekts „Quarz“

92

Zum Außenlager Redl-Zipf siehe: Günther E. Sturm: Geheimprojekt „Schlier“ 1943-1945. Konzentrationslager

und Rüstungsbetrieb in Redl-Zipf. Diplomarbeit: Wien, 2002; sowie: Paul Le Caër: Ein junger Europäer in Mauthausen 1943-1945. Wien, 2002 (=Mauthausen-Studien 2). 93

Vgl. etwa: Walter Naasner: Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirtschaft 1942-1945. Die

Wirtschaftorganisation der SS, das Amt des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition / Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Boppard am Rhein, 1994 (=Schriften des Bundesarchivs 45), S.320ff. 94

Vgl.: US Holocaust Memorial Museum, RG 10.228 (Goudsmet Collection): Fertigstellungs-Termine der B-

Massnahmen, aufgestellt: Berlin, den 5.12.1944. 95

Vgl.: Christian Dürr / Ralf Lechner / Stefan Wolfinger: Konzentrationslager Gusen 1939 – 1945. Spuren –

Fragmente – Rekonstruktionen. Wien, 2006, S.13-15.

25

Tunnelanlagen errichten.96 Insgesamt etwa 15.000 Häftlinge waren in dem einen Jahr seines Bestehens im Außenlager Melk interniert. An die 5.000 von ihnen starben, weitere knapp 1.500 Kranke und Arbeitsunfähige wurden zum Sterben nach Mauthausen rücküberstellt.97 Neben diesen zentral geplanten unterirdischen Bauprojekten wurden auch andernorts unter Heranziehung von KZ-Häftlingen Rüstungsbetriebe unter Tag verlagert, so die Produktion der Steyr-Daimler-Puch AG in Leibnitz und Peggau und Teile der Flugzeugproduktion der Ernst-Heinkel-Werke in Hinterbrühl und Floridsdorf.

Für den Vortrieb und Ausbau der unterirdischen Stollenanlagen entstand ein riesiger Bedarf an Arbeitskräften.98 Dabei handelte es sich im wesentlichen um unqualifizierte Arbeit unter schwersten Bedingungen und mit hohem Unfallrisiko, die ab Mitte 1944 eine stark steigende Todesrate zur Folge hatte. Im April 1944 genehmigte Hitler persönlich die Selektion von 100.000 Juden als Arbeitskräfte für die unterirdischen Verlagerungsbauten, womit deren Tötung im Rahmen der „Endlösung“ vorübergehend aufgeschoben war. Ab Mitte 1944 wurde Mauthausen infolge dessen erstmals – nach den Transporten niederländischer Juden im Jahr 1941 – wieder Ziellager für größere Transporte jüdischer Häftlinge. Von Ende Mai bis Mitte Juni 1944 wurden in vier Transporten aus dem Konzentrationslager Auschwitz insgesamt 7.500 ungarische Juden nach Mauthausen überstellt.99 Sie waren als Arbeitskräfte für den Stollenbau angefordert worden und wurden kurz nach ihrer Ankunft auf die Außenlager Gusen II, Ebensee und Melk verteilt. Nach der Auflösung des Konzentrationslagers Płaszów bei Krakau kamen am 10. August knapp 4.600 überwiegend polnische jüdische Häftlinge dieses Lagers nach Mauthausen. Sie wurden zum größten Teil auf die Außenlager Gusen und Melk aufgeteilt. Eine kleinere Zahl an Häftlingen dieses Transports überstellte man auch in die Lager Linz III („Reichswerke Hermann Göring“), nach St. Valentin („Nibelungenwerke“) und nach Steyr. Ein weiterer Transport mit 600 hauptsächlich polnischen und ungarischen Juden aus Auschwitz traf am 20. September ein. Diese Häftlinge wurden in der Mehrzahl nach Gusen II überstellt. Die am 19. Oktober aus dem Konzentrationslager Flossenbürg überstellten polnischen Juden wurden praktisch zur Gänze nach Gusen II weitergeschickt. 96

Zum Außenlager Melk siehe: Bertrand Perz: Projekt Quarz. Steyr-Daimler-Puch und das Konzentrationslager

Melk. Wien: 1991. (=Industrie, Zwangsarbeit und Konzentrationslager in Österreich 3). 97

Vgl. die entsprechende Aufstellung in: Perz, Projekt Quarz, S.461.

98

Bertrand Perz schätzt, dass mindestens 60.000 der insgesamt ca. 200.000 Häftlinge des KZ Mauthausen und

etwa 40 % der im Herbst 1944 in Mauthausen und seinen Außenlagern internierten Häftlinge bei Bauvorhaben zur Untertageverlagerung eingesetzt wurden (Vgl. Perz, Arbeitseinsatz, S.543). 99

Die folgenden Zahlen zu Transporten jüdischer Häftlinge basiert auf einer Auswertung der Häftlingsdatenbank

des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vom Stand Juli 2006.

26

Von den über 13.000 im Jahr 1944 nach Mauthausen eingelieferten jüdischen Häftlingen verstarb zumindest die Hälfte vor der Befreiung, knapp 600 davon wurden im Zuge der „Aktion 14f13“ im Schloss Hartheim vergast. Darüber hinaus wurden zumindest 800 Häftlinge nach Auschwitz überstellt, was praktisch einem Todesurteil gleich kam.100 Anfang September 1944 trafen zwei Transporte mit Tausenden politischen Gefangenen aus Polen in Mauthausen ein, die in der Folge der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes in die Konzentrationslager im Reich deportiert wurden. Die genaue Zahl dieser Deportierten bleibt unbekannt, da nur ein Teil von ihnen, ausschließlich männliche Gefangene, längere Zeit in Mauthausen interniert und dort auch registriert wurden.101 Der Rest, darunter auch eine unbekannte Zahl von Frauen102, wurde im Zeltlager Mauthausen103 vorläufig interniert und bald darauf als Zwangsarbeiter hauptsächlich landwirtschaftlichen Betrieben in Oberösterreich zugeteilt.104 Jene Gefangenen, die in Mauthausen verblieben, waren einem besonders hohen Vernichtungsdruck ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass zumindest die Hälfte – besonders in den Außenlagern Gusen und Ebensee – noch vor der Befreiung starb.105 Im September 1944 wurde Mauthausen schließlich auch als Lager für weibliche Häftlinge etabliert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Frauen mit Ausnahme der für das Häftlingsbordell aus Ravensbrück überstellten Sex-Zwangsarbeiterinnen nicht über einen längeren Zeitraum 100

Alle Zahlen laut Häftlingsdatenbank des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vom Stand Juli 2006.

101

Hans Maršálek geht von einer Zahl von 4.689 registrierten Warschauer Deportierten aus, die am 2. bzw. 5.

September 1944 in Mauthausen eintrafen (Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.119). 102

Andreas Baumgartner schätzt die Anzahl der Frauen dieser Transporte auf etwa 400 bis 700. (Andreas

Baumgartner: Die Vergessenen Frauen von Mauthausen. Die weiblichen Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen und ihre Geschichte. Wien, 1997. S.125) 103

Das Mauthausener Zeltlager nördlich des Schutzhaftlagers wurde Anfang August 1944 „in Erwartung einer

größeren Anzahl von Zugängen“ errichtet (AMM: Tätigkeitsbericht Nr. 2 des Verwaltungsführers Mauthausen). Ursprünglich wurden 12 Zelte der Heeresverwaltung Linz aufgestellt (ebd.) und mit einem elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun umgeben. Ab Anfang 1945 wurden dort Tausende Häftlinge verschiedener Evakuierungstransporte, später ungarische Juden von den Süd-Ostwalllagern untergebracht. 104

Vgl. AMM E/1d/7: Rundschreiben des Landrats des Kreises Wels an alle Bürgermeister und den

Gendarmerieposten des Landkreises Wels betreffend Polentransporte über das K.L. Mauthausen, 19.September 1944 (Abschrift); aus diesem Schreiben geht hervor, dass mit diesem Tag insgesamt 2.990 Polen vom KZ Mauthausen auf insgesamt 16 Gemeinden aufgeteilt wurden. Wie es in dem Schreiben heißt, handelte es sich dabei um „deutschfreundliche“ Polen, „die sich unter deutschen Schutz gestellt haben“ und die daher „das für Angehörige des polnischen Volkstums aus dem Generalgouvernement vorgeschriebene ‚P’ nicht zu tragen brauchen.“ Es kann daher geschlossen werden, dass ursprünglich mindestens mehr als 7.600 Personen nach dem Warschauer Aufstand nach Mauthausen deportiert wurden. 105

Häftlingsdatenbank des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vom Stand Juli 2006.

27

in Mauthausen interniert. In der Regel wurden sie eingeliefert, um innerhalb kurzer Zeit ermordet oder in Vernichtungslager weitertransportiert zu werden. Die weiblichen Deportierten aus Warschau wiederum wurden, wie gesehen, nach kurzer Zeit als Zwangsarbeiterinnen aus dem Lager „entlassen“.106 Mit der Übernahme der ursprünglich zum Stammlager Ravensbrück gehörigen Außenlager St. Lambrecht und Mittersill am 15. September 1944 wurde zugleich das Frauenkonzentrationslager Mauthausen eingerichtet.107 Hintergrund dieser Lagergründung war offensichtlich die Absicht, sich in Mauthausen nun auch gezielt Zugriff auf die Arbeitskraft weiblicher Häftlingssklaven für die Kriegsindustrie zu sichern. Als Arbeitskräftereservoir diente dabei zunächst das Konzentrationslager Auschwitz, aus dem Ende September und Anfang November Transporte mit 400 bzw. 500 Häftlingsfrauen in Mauthausen eintrafen. Der erste, sich überwiegend aus politischen Häftlingen aus Polen, Russland und Italien zusammensetzende Transport wurde in das neu gegründete

Frauen-Außenlager

Hirtenberg

weitergeleitet,

wo

die

Frauen

in

der

Munitionsfabrik der Wilhelm-Gustloff-Werke arbeiten mussten. Der zweite Transport bestand ausschließlich aus jüdischen Häftlingen, zu einem großen Teil aus Ungarn, und wurde zum Arbeitseinsatz in der Kunstfaserproduktion für die „Lenzing Zellwolle AG“ direkt in das ebenfalls

neu

eingerichtete

Frauen-Außenlager

Lenzing

geleitet.108

Mit

den

Evakuierungstransporten aus den östlich gelegenen Konzentrationslagern wie Auschwitz, Groß Rosen und Ravensbrück, später auch aus Mittelbau-Dora und Flossenbürg, gelangten weitere weibliche Häftlinge nach Mauthausen.109 Ab Ende Jänner wurden diese Frauen nun

106

Zu den verschiedenen Gruppen weiblicher Deportierter vor Einrichtung des Frauenlagers in Mauthausen

siehe: Baumgartner, Die vergessenen Frauen von Mauthausen, S.92-126. 107

Bei beiden Lagern handelte es sich nach der Typologie von Freund um Kleinlager, in denen Häftlinge in der

Verwaltung SS-eigener Einrichtungen arbeiten mussten. Zum Außenlager St. Lambrecht siehe Dietmar Seiler: Die SS im Benediktinerstift. Aspekte der KZ-Außenlager St. Lambrecht und Schloß Lind. Graz et al., 1994. Zum Außenlager in Mittersill siehe: Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen, S.133-139. 108

Das Kommando Lenzing wurde später mit weiteren knapp 80 Frauen aus einem Anfang 1945 aus Auschwitz

eintreffenden Evakuierungstransport aufgestockt. Zum Außenlager Lenzing siehe auch: Christian Hawle, Gerhard Kriechbaum und Margret Lehner: Täter und Opfer. Nationalsozialistische Gewalt und Widerstand im Bezirk Vöcklabruck 1938-1945. Eine Dokumentation. Wien et al., 1995. 109

Der gegenwärtige Forschungsstand zu den weiblichen Häftlingen des KZ Mauthausen ist noch immer

lückenhaft. Im Frauenzugangsbuch (AMM K/5/6) sind insgesamt 3.077 Frauen registriert. In dieser und weiteren im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vorliegenden Quellen finden sich Daten zu insgesamt 4.075 weiblichen Häftlingen. Da jedoch eine größere Zahl nie offiziell registriert worden sein dürfte, existiert nach wie vor keine gesicherte Gesamtzahl aller Frauen, die durch das KZ-System Mauthausen geschleust wurden. Andreas Baumgartner geht in seiner Arbeit über weibliche Häftlinge des KZ Mauthausen von insgesamt etwa 8.500 aus (Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen. S.7). Eine umfassendes Forschungsprojekt zu den weiblichen Häftlingen des KZ Mauthausen ist derzeit in Kooperation zwischen dem Bundesministerium für

28

auch im Hauptlager, und zwar in den Baracken 16 bis 19, in einer Baracke im Steinbruch Wiener Graben sowie im Zeltlager untergebracht. Bis auf ein Kommando von knapp 500 Frauen aus Ravensbrück, die im nahe Mauthausen gelegenen Bahnhof Amstetten zu Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen herangezogen wurden, setzte man diese Frauen zumeist nicht mehr gezielt in Außenkommandos zur Arbeit ein.110

Am 7. März 1945 erreichte das KZ-System Mauthausen mit insgesamt 84.472 Häftlingen seinen absoluten Höchststand. Im Hauptlager (einschließlich Sanitäts- und Zeltlager) waren zu diesem Zeitpunkt mehr als 19.500 Häftlinge untergebracht, 7.300 davon im Sanitätslager, während man in Gusen insgesamt fast 25.000 Häftlinge zählte. Alle anderen befanden sich zu dieser Zeit in den weiteren Außenlagern.111 Nach den Überstellungen jüdischer Häftlinge für die verschiedenen unterirdischen Verlagerungsprojekte im Jahr 1944 hatte der Häftlingsstand aufgrund mehrerer großer Evakuierungstransporte aus den angesichts der Kriegssituation aufgelassenen Konzentrationslagern im Osten ab Ende Jänner 1945 einen zusätzlichen starken Schub erfahren. Allein aus Auschwitz wurden bis Ende Februar mehr als 9.000 Häftlinge nach Mauthausen überstellt. Dazu kamen Transporte aus den Lagern Groß Rosen, Sachsenhausen, Ravensbrück und Mittelbau-Dora. Insgesamt wurden in der Zeit von Jänner bis Mai knapp 25.000 neu ankommende Häftlinge in Mauthausen registriert.112 Die Überfüllung besonders des Hauptlagers und der Gusener Lager sowie die immer mangelhaftere Versorgung verschlimmerten die Lebenssituation der Häftlinge zusehends. Dass deren Gesamtzahl im Jahr 1945 nicht permanent weiter anstieg, lag lediglich an der in dieser Phase horrend hohen Todesrate. Allein in den gut vier Monaten von Jänner bis zur Befreiung Anfang Mai 1945 dürften in Mauthausen zwischen 40.000 und 45.000 Häftlinge zu Tode gekommen sein.113 Besonders gravierend wurde die Situation, als man ab Ende März

Inneres / Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und dem Institut für Konfliktforschung, Wien, in der Konzeptionsphase. 110

Dieses Aufräumkommando geriet am 20. März in einen alliierten Luftangriff, der mindestens 44 Frauen das

Leben kostete. Nach der Rückkehr des Kommandos nach Mauthausen wehrten sich die Überlebenden in einem einzigartigen Akt des kollektiven Ungehorsams dagegen, erneut nach Amstetten geschickt zu werden. Wohl aufgrund erster Auflösungserscheinungen des Lagerregimes angesichts der absehbaren Kriegsniederlage blieb diese Verweigerung für die Häftlinge ohne weitere Kohnsequenzen. (vgl. Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen, S. 176-178.) 111

Vgl. AMM E/6/11: Rapportbuch.

112

Vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.121f.

113

Fabréguet: Mauthausen, S.163f. Die genaue Zahl ist unklar, weil davon ausgegangen werden muss, dass in

etwa 15.000 bis 20.000 Häftlinge in dieser Zeit verstarben, die niemals im Lager registriert worden waren.

29

damit begann, mehrere Außenlager aufzulösen und die Häftlinge, zumeist zu Fuß, manchmal auch in Bahn- LKW- oder Schiffstransporten, in das Hauptlager sowie in die Außenlager Gusen, Ebensee und Steyr zu evakuieren.114 14 der mindestens 35 in dieser Zeit noch bestehenden Außenlager wurden zwischen 1. und 23. April 1944 aufgelassen und evakuiert, die Häftlinge des Lagers Redl-Zipf wurden erst Anfang Mai nach Ebensee überstellt.115 Insgesamt dürften damit mehr als 23.000 Häftlinge auf den Weg gebracht worden sein, 116 der Großteil von Ihnen in kräfteraubenden, meist tagelangen Fußmärschen, der vielen Hunderten das Leben kostete.117 Eines der letzten und grausamsten Kapitel in der Geschichte Mauthausens betrifft das Schicksal der ungarisch jüdischen Zwangsarbeiter, die ab Ende März 1945 aus den Lagern an der heutigen österreichisch-ungarischen Grenze angesichts der vorrückenden Roten Armee nach Mauthausen „evakuiert“ wurden. Zehntausende Männer und Frauen waren im November und Dezember 1944 aus Ungarn in den Gau Niederdonau, nach Westungarn und in den Gau Steiermark deportiert worden, um am so genannten „Südostwall“, einem Stellungssystem gegen die Rote Armee, Schanzarbeit zu leisten. Auf den meist tagelangen Fußmärschen erhielten die Häftlinge kaum Verpflegung und mussten im Freien übernachten. Viele starben daher schon am Weg oder wurden von den Begleitmannschaften erschossen. 114

Die Evakuierung der Außenlager dürfte laut Aussage Oswald Pohls vor dem Internationalen Militärtribunal in

Nürnberg auf einen schriftlichen Befehl Himmlers zurückgehen (vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.293, Fußnote 2). 115

Die Angaben zur Gesamtzahl der Mauthausener Außenlager variieren je nach Zählweise. Zumindest ist aber

von insgesamt 45 Außenlagern des KZ Mauthausen zwischen 1941 und 1945 auszugehen. 116

Diese Zahl ergibt sich aus verschiedenen Quellen des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen: B/60/11:

Aufstellung über den Häftlingsstand in den Nebenlagern und Rücküberstellungen ins Hauptlager vom 9.4.1945; B/60/13: Aufstellung von Häftlingsbewegungen vom 11.4.1945; B/30/6: Aufstellungen über verschiedene Evakuierungstransporte aus Melk; E/6/7: Aufstellung über Bewegungen im KL Mauthausen im Monat April 1945; E/6/8a: Aufstellung über den Häftlingsstand im Hauptlager und in allen Nebenlagern vom 30.3.1945; E/6/8b: Aufstellung über den Häftlingsstand im Hauptlager und in allen Nebenlagern vom 20.4.1945. 117

Zwei der schlimmsten Evakuierungsmärsche waren jene aus den Außenlagern Hinterbrühl bzw. Wiener

Neudorf. Am 1. April 1945 verließen insgesamt 1.884 Häftlinge in Fußmärschen das Außenlager Hinterbrühl. 1.624 Häftlinge erreichten am 7. April 1945 Mauthausen. 204 Häftlinge wurden getötet, 56 wurden als vermisst gemeldet. (AMM B/60/11: Aufstellung über den Häftlingsstand in den Nebenlagern und Rücküberstellungen ins Hauptlager vom 9.4.1945; vgl. auch Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.293295). Der Evakuierungsmarsch aus Wiener Neudorf verließ am 2. April 1945 das Lager in Richtung Mauthausen. 39 marschunfähige Häftlinge waren vor Abmarsch ermordet worden. Mindestens 146 Häftlinge wurden am 13 Tage dauernden Fußmarsch von den begleitenden Wachmannschaften erschossen. Von diesem Todesmarsch existiert ein umfassender publizierter Erinnerungsbericht des Überlebenden Rudolf Busch-Waldeck. Siehe: Bertrand Perz: Der Todesmarsch von Wiener Neudorf nach Mauthausen. Eine Dokumentation. In: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands [Hg.], Jahrbuch 1988. Wien, 1988. S.117-137.

30

Als die Kolonnen in Mauthausen ankamen, waren das Schutzhaftlager und auch das Zeltlager bald überfüllt118, weshalb man viele in das für diesen Zweck eigens errichtete Auffanglager Gunskirchen weiter überstellte. Dort brach die Versorgung mit Essen und Wasser zusammen, und neben anderen Krankheiten wütete eine Flecktyphusepidemie. Da die Angehörigen dieser Häftlingsgruppe nie formell in Mauthausen registriert wurden, ist deren genaue Zahl unbekannt. Allgemein wird jedoch von in etwa 20.000 Personen ausgegangen119, von denen vermutlich mindestens 10.000 am Marsch bzw. in Mauthausen oder Gunskirchen verstorben sind.120

Der organisierte Häftlingswiderstand blieb im Konzentrationslager Mauthausen lange Zeit im Wesentlichen auf die Solidarität innerhalb der einzelnen nationalen Kollektive mit vereinzelten Versuchen einer Internationalisierung des Widerstands beschränkt.121 Erst ab Jahreswende 1944/45 und verstärkt in den letzten Wochen der Befreiung kam es zu so

118

Alleine von 3. bis 8. April 1945 wurden mehr als 8.500 jüdische Häftlinge ins Zeltlager überstellt (AMM

B/60/11: Aufstellung über den Häftlingsstand in den Nebenlagern und Rücküberstellungen ins Hauptlager vom 9.4.1945). 119

Vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.122.

120

Vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.148 sowie die Fußnote auf S.149. Zu

den Deportationen Ungarischer Juden in die Lager der „Ostmark“ und den Todesmärschen nach Mauthausen und Gunskirchen siehe auch: Doris Fath-Gottinger: Die ungarischen Juden auf ihrem Todesmarsch in das KZ Gunskirchen. Linz (Dissertation), 2004. 121

Vgl. dazu das Kapitel „Durch Solidarität zur Überwindung der nationalen Gegensätze und zum Widerstand“ in:

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S. 300-320. Die Formen des kollektiven organisierten Widerstands waren wie in anderen Konzentrationslagern auch in Mauthausen vielfältig. Sie reichten von illegalen Zusammenkünften (sei es mit politischem, religiösem oder kulturellem Hintergrund), über den Schutz und die Unterstützung besonders gefährdeter Häftlinge bis hin zur Planung bewaffneter Aktionen. Einen außergewöhnlicher Akt des Widerstandes setzte eine Gruppe spanischer Häftlinge: Der Katalane Francisco Boix war als Häftling im Erkennungsdienst der Politischen Abteilung beschäftigt, der u.a. für die fotografische Dokumentation der Lagervorgänge zuständig war. In dieser Funktion war es ihm möglich, ganze Fotoserien zu verstecken und sie mit Unterstützung spanischer Jugendlicher, die in einem außerhalb des Hauptlagers tätigen Arbeitskommando eingesetzt waren („Kommando Poschacher“), aus dem Lager zu schmuggeln. Dort wurden die Fotos von Anna Pointner, einer Anrainerin des Lagers, bis nach Kriegsende versteckt. Allein dieser einzigartigen Widerstandsaktion ist es zu verdanken, dass heute noch Fotografien aus der aktiven Zeit Lagers Mauthausen erhalten sind. (Zur Rolle von Francisco Boix siehe: Benito Bermejo: Francisco Boix, el fotógrafo de Mauthausen. Fotografías de Francisco Boix y de los archivos capturados a los SS de Mauthausen. Barcelona, 2002. Die fotografische „Sammlung Boix“ liegt heute im Museu d’Història de Catalunya, Barcelona: Fons Amical de Mauthausen; zum Kommando Poschacher siehe: Benito Bermejo / Sandra Checa: Fotografías del Kommando Poschacher (1944). Un grupo de jóvenes españoles prisioneros en el campo nazi de Mauthausen. In: Cuadernos Republicanos, 60/2006 (Madrid), S.51-71.

31

etwas wie einer internationalen Vernetzung des Widerstands. Eine Drehscheibe im Hauptlager war seit Ende 1944 die Lagerschreibstube. Von hier aus wurden sowohl die zusätzliche Versorgung von Häftlingen mit Bekleidung und Lebensmitteln organisiert als auch Vorbereitungen für einen möglichen bewaffneten Aufstand getroffen. Auch in einigen Außenlagern kam es gegen Jahresende 1944 zu internationalen Zusammenschlüssen von Häftlingen und der Bildung von Komitees. In Vorbereitung auf die sich abzeichnende Befreiung des Lagers bildete sich Ende April 1945 im Hauptlager ein Internationales Befreiungskomitee. Das Ziel dieses sich aus Delegierten der einzelnen nationalen Häftlingsgruppen zusammensetzenden illegalen Gremiums war es, den bewaffneten Widerstand angesichts der sich verdichtenden Gerüchte einer von der SS geplanten Massenvernichtung der Häftlinge zu organisieren122 sowie die Organisation des Lagers im Falle eines eintretenden Machtvakuums bei Abzug oder Vertreibung der SS sicherzustellen. Die ersten Auflösungserscheinungen des Lagers wurden sichtbar, als Ende April 1945 basierend auf einer Übereinkunft des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes Carl Jacob Burkhardt mit Ernst Kaltenbrunner mehr als 1.300 französische, belgische und niederländische Häftlinge, darunter knapp 800 Frauen, entlassen und mit drei Konvois des Roten Kreuzes in ihre Heimatländer abtransportiert wurden.123 Zu dieser Zeit rückten bereits die Rote Armee von Osten sowie die 3. US-Armee von Westen her immer schneller in Richtung Mauthausen vor. Am 3. Mai 1945 zog es die SS daher vor, die Lager Gusen und Mauthausen zu verlassen und die Bewachung der Häftlinge an Einheiten der Wiener Feuerschutzpolizei

zu

übertragen.

Am

5.

Mai

vormittags

fuhr

schließlich

ein

Panzerspähwagen der 11th Armored Division der 3. US-Armee zunächst in Gusen, später in 122

Es gibt verschiedene Hinweise auf eine Weisung Himmlers, nach der alle KZ-Häftlinge zu liquidieren wären,

bevor sie den Alliierten in die Hände fallen könnten, deren tatsächliche Existenz jedoch bis heute nicht gesichert ist. (vgl. AMM Sch/3a: Aktenvermerk von Hans Maršálek; AMM Sch/3a/1: Geheime Mitteilung der Supreme Headcuarters Allied Expeditionary Force u.a. betreffend die geplante Vernichtung der Mauthausener KZHäftlinge; für Ebensee siehe: Freund: Arbeitslager Zement, S.408-415) Der Lagerkommandant Ziereis gab bei der Einvernahme nach seiner Wiederergreifung an, er hätte die Weisung Kaltenbrunners gehabt, die Häftlinge aus Gusen in den dortigen Stollen zu ermorden. (vgl. AMM P/18/2 bis P/18/4: Protokoll der Einvernahme des Kommandanten Ziereis, 23./24. Mai 1945). In Mauthausen und einigen Außenlagern versuchte die SS gegen Kriegsende, Geheimnisträger wie etwa die Angehörigen der Krematoriumskommandos systematisch zu beseitigen. (vgl. Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. S.330; die acht Mitglieder des Gusener und drei des Mauthausener Krematoriumskommandos wurden am 2. Mai hingerichtet, insgesamt 9 Personen konnten von Mithäftlingen gerettet werden) 123

Siehe: Comité international de la coix-rouge: L’activité du CICR en faveur des civils détenus dans les camps

de concentration en Allemagne (1939-1945). Genève, 1947. (siehe dazu auch: AMM Sch/4/2); vgl. auch: David W. Pike: Spaniards in the Holocaust. Mauthausen, the Horror on the Danube. London/New York, 2000, S.192203.

32

das Lager Mauthausen ein.124 Die Angehörigen der Feuerschutzpolizei wurden entwaffnet und als Kriegsgefangene abtransportiert. Erst am nächsten Tag wurde seitens der USTruppen eine Verwaltung für die befreiten Lager Gusen und Mauthausen installiert. Zuvor war es besonders in Gusen zu Übergriffen an Funktionshäftlingen gekommen, die viele von ihnen das Leben kosteten. Ein Großteil der Häftlinge hatte zudem das Lager auf der Suche nach Nahrung bereits verlassen. In Mauthausen selbst konnte das Internationale Befreiungskomitee die Ordnung halbwegs aufrecht erhalten. Als letztes Lager des Mauthausener KZ-Systems wurde Ebensee am 6. Mai ebenfalls von US-Truppen befreit, nachdem die dortige Lager-SS am Nachmittag des 5. Mai das Lager verlassen hatten.125 Alleine in der letzten Woche vor der Befreiung waren nach einer Kalkulation von Hans Maršálek noch mehr als 8.000 Häftlinge in den verbliebenen Lagern des Mauthausener KZSystems verstorben.126 Trotz der rasch einsetzenden medizinischen Versorgung durch die amerikanischen Sanitätseinheiten starben auch nach dem 5. Mai noch mindestens 2.200 befreite Häftlinge in den US-Militärlazaretten bzw. verschiedenen Krankenhäusern in Oberösterreich.127 Die Bilanz des siebenjährigen Bestehens des Konzentrationslagers Mauthausen ist düster: Insgesamt sind ca. 200.000 Menschen aus Europa und anderen Teilen der Welt durch das Mauthausener Lagersystem gegangen. Zwischen 95.000 und 100.000 Menschen sind im Haupt- oder einem der Außenlager umgekommen, darunter an die 25.000 jüdische Häftlinge aus verschiedenen Ländern Europas128. Der Großteil der Deportierten stammte aus Polen, Ungarn und der Sowjetunion.

Den Angehörigen des SS-Kommandanturstabs, die am 3. Mai gemeinsam mit den Wachmannschaften

geflohen

waren,

gelang

es

zum

Teil

unterzutauchen.

Der

Lagerkommandant Franz Ziereis flüchtete zunächst in die Alpen, wo er drei Wochen später von einer Patrouille der US-Armee in Begleitung ehemaliger Häftlinge angeschossen und festgenommen wurde. Er wurde in ein in Gusen eingerichtetes US-Militärlazarett gebracht und dort von Angehörigen der US-Armee und ehemaligen Häftlingen einvernommen. Am Abend

des

24.

Mai

1945

starb

Ziereis

an

seinen

Schussverletzungen.

Die

Originalniederschrift des Verhörs wurde dem US-Kommandanten übergeben und diente als

124

Vgl. AMM U/1/8: Bericht des Zugführers Albert J. Kosiek über die Befreiung der Konzentrationslager

Mauthausen und Gusen. 125

Zur Befreiung von Ebensee siehe: Freund: Arbeitslager Zement. S.395-445.

126

Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.143.

127

Ebd., S.143.

128

Fabréguet: Mauthausen. S.163f., 661.

33

Beweisstück

in

nachfolgenden

Kriegsverbrecherprozessen.129

Der

Erste

Schutzhaftlagerführer Georg Bachmayer beging Anfang Mai Selbstmord, nachdem er zuerst seine Frau und seine beiden Töchter getötet hatte.130 Auch der Lagerführer von Gusen Fritz Seidler soll sich kurz nach seiner Flucht aus Mauthausen selbst gerichtet haben.131 Einige der Haupttäter aus Mauthausen und seinen Außenlagern wurden gefasst und den amerikanischen Militärbehörden übergeben. Von 29. März bis 13. Mai 1946 fand vor dem General Military Government Court im ehemaligen KZ Dachau der Hauptprozess gegen insgesamt 61 Haupttäter des Konzentrationslagers Mauthausen und mehrerer Außenlager statt.132 Angeklagt waren unter anderem der auch in einigen Außenlagern tätige Zweite Schutzhaftlagerführer

Hans

Altfuldisch,

der

Kommandoführer

des

Mauthausener

Lagergefängnisses Josef Niedermayer, der Rapportführer Andreas Trum, der Gauleiter von Oberdonau August Eigruber, die Standortärzte Friedrich Entress, Eduard Krebsbach und Waldemar Wolter, der Lagerarzt von Ebensee Willy Jobst, der Lagerapotheker Erich Wasitzky sowie die beiden Adjutanten des Lagerkommandanten Viktor Zoller und Adolf Zutter. Über 58 der Angeklagten wurde die Todesstrafe verhängt, die in insgesamt 49 Fällen auch vollstreckt wurde. Der Rest der Angeklagten fasste lebenslange Haftstrafen aus, kam jedoch Anfang der Fünfzigerjahre durchwegs frei.133 Diesem Hauptprozess folgten weitere 60 mit Mauthausen in Zusammenhang stehende Nachfolgeprozesse an US-Militärgerichten, in denen insgesamt weitere 238 Personen angeklagt, 58 zum Tode und 44 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. 21 Personen wurden freigesprochen, der Rest erhielt niedrigere Haftstrafen.134 1945 wurde in Österreich für die Aburteilung nationalsozialistischer Straftaten eine eigene Gerichtsbarkeit – die so genannten „Volksgerichte“ – eingeführt. Bis 1955 wurden in diesem Rahmen zahlreiche Prozesse gegen Täter aus dem KZ Mauthausen und seinen Außenlagern abgehalten.135 Nach 1955 folgte nur noch ein weiterer Strafprozess 129

Die anwesenden ehemaligen Häftlingen führten jeweils eigene Protokolle, sodass mehrere Niederschriften in

Umlauf kamen, die jedoch alle dem Inhalt nach weitestgehend ident sind; vgl. AMM P/18/2 bis P/18/4: Protokoll der Einvernahme des Kommandanten Ziereis, 23./24. Mai 1945. 130

Vgl. AMM P/18/13: Auszug aus der Chronik des Gendarmeriepostens Münzbach.

131

Vgl. David W. Pike: Betrifft: KZ Mauthausen. Was die Archive erzählen. Grünbach, 2005. S.32.

132

Die Prozessakte dieses wie aller Nachfolgeprozesse befinden sich in den National Archives (NARA), College

Park, Maryland, RG 549, Records of Headquarters, U.S. Army Europe (USAREUR), War Crimes Branch, War Crimes Case Files (Cases Tried), 1945-1959. Eine Auswertung der Akten des Hauptprozesses (case file 000-505, USA vs. Hans Altfuldisch et al.) findet sich in: Florian Freund: Der Dachauer Mauthausenprozess. In Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [Hg.]: Jahrbuch 2001. Wien, 2001. S.35-66. 133

Vgl. Freund: Der Dachauer Mauthausenprozess. S.63-65.

134

Vgl. ebd. S.36.

135

Eine vollständige Übersicht über die einzelnen Prozesse und Urteile vor österreichischen Gerichten ist bis

heute ausständig. In Österreich befasst sich seit Jahren die „Forschungsstelle Nachkriegsjustiz“ mit der

34

innerhalb Österreichs, im Zuge dessen der ehemalige Block- und Kommandoführer Johann Vinzenz Gogl trotz zahlreicher gegen ihn vorgebrachter schwer wiegender Anklagepunkte freigesprochen wurde.136 In Deutschland fanden zwischen 1945 und 1997 mindestens 16 Prozesse gegen Täter aus Mauthausen und seinen Nebenlagern statt,137 darunter Prozesse gegen den ehemaligen Lagerführer von Gusen Karl Chmielewski (Ansbach); gegen den ehemaligen Dritten Schutzhaftlagerführer und Lagerführer von Schwechat-Floridsdorf Anton Streitwieser sowie den Chef der Politischen Abteilung in Mauthausen Karl Schulz (Köln); gegen den Kommandoführer des Krematoriums in Mauthausen Martin Roth und den stellvertretenden Leiter der Politischen Abteilung Werner Fassl (Hagen).138

Um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen, hatte die SS Ende April mit der Demontage der technischen Tötungseinrichtungen, der Gaskammer und der Genickschussecke, in Mauthausen begonnen.139 Bereits im Frühjahr 1945 war seitens des WVHA an den Abwehrbeauftragten

in

Mauthausen

der

Befehl

ergangen,

sämtliches

belastende

Aktenmaterial zu vernichten.140 Nicht nur in Mauthausen, auch in den verbliebenen Außenlagern wurden Dokumente eingesammelt und in den Krematorien verbrannt. Unter Einsatz ihres Lebens gelang es dennoch einigen Häftlingen, viele wichtige Lagerdokumente vor

der

Vernichtung

zu

bewahren.

Zum

einen

wurden

diese

später

den

Untersuchungsbeamten der US-Armee als Beweisstücke übergeben, zum anderen wurde

Aufarbeitung von Prozessen gegen NS-Täter (siehe: www.nachkriegsjustiz.at). Zum aktuellen Forschungsstand siehe: Winfried R. Garscha: Mauthausen und die Justiz (I). Ein Recherchebericht zur Ahndung von Verbrechen im KZ Mauthausen durch österreichische, deutsche und alliierte Gerichte. In ”Justiz und Erinnerung” 5(2002), S.611; Winfried R. Garscha: Mauthausen und die Justiz (II). Zur Ahndung von Morden und Misshandlungen außerhalb des KZ Mauthausen sowie von Verbrechen in KZ-Nebenlagern durch österreichische Gerichte. In ”Justiz und Erinnerung” 6(2002), S.12-18; Konstantin Putz: Mauthausen und die Justiz (III). Der Ort Mauthausen im Spiegelbild der Linzer Volksgerichtsakten. Eine Materialsammlung. In: Justiz und Erinnerung 7 (2003), S.1226. 136

Die Prozessakten finden sich im Landesgericht für Strafsachen Wien: LG Linz 18 Vr 485/64 sowie LG Wien 20

Vr 3625/75. 137

Die Angaben beruhen auf den laufenden Forschungen von C. F. Rüter und D. W. de Mildt an der Universität

Amsterdam (siehe: http://www1.jur.uva.nl/junsv/). 138

Chmielewski und Streitwieser wurden jeweils zu lebenslanger Haft, Schulz zu 15, Roth zu sieben und Fassl zu

sechseinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. 139

Diese Informationen beruhen auf verschiedenen Zeugenaussagen; vgl.: Florian Freund / Betrand Perz / Karl

Stuhlpfarrer: Historische Überreste von Tötungseinrichtungen im KZ Mauthausen. In: Zeitgeschichte 22 (1995) Heft 9/10, S.306f. Die demontierten Teile der Gaskammer wurden jedoch nicht zerstört, manche davon befinden sich heute in der Gedenkstätte Theresienstadt, andere sind verschollen geblieben (vgl. ebd. S.310-313). 140

AMM P/18/6: Abschrift schriftlichen Erklärung des Adjutanten Adolf Zutter vom 2. August 1945.

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einiges Material auch von Häftlingen in ihre jeweiligen Heimatländer mitgenommen. So stehen wir heute vor der Situation, dass die wichtigsten Quellenbestände zu Mauthausen und seinen Außenlagern über die ganze Welt verstreut sind. Die Totenbücher des Standortarztes dienten als Beweisstücke im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg. Sie befinden sich heute ebenso wie das in der Politischen Abteilung geführte Häftlingszugangsbuch in den National Archives and Records Administration (NARA) in College Park, Maryland, in den USA.141 Neben den vollständigen Akten der Dachauer Militärprozesse und den Foto- und Filmdokumentationen der US Signal Corps aus den befreiten Lagern befinden sich dort weitere beschlagnahmte Lagerdokumente wie vereinzelte Häftlingspersonalkarten und eine Aufstellung entlassener und überstellter Häftlinge. Große Bestände wichtiger Lagerdokumente finden sich heute auch in verschiedenen polnischen Archiven wieder. Im Instytut Pamięci Narodowej (IPN) in Warschau liegen zahlreiche Häftlingslisten aus Mauthausen und seinen Außenlagern auf, reichend von Transport- und Zugangslisten über Todesmeldungen bis zu verschiedenen Standlisten. Im Museum Auschwitz wiederum findet sich unter anderem eine vollständige Sammlung von Häftlingspersonalkarten polnischer Häftlinge aus Mauthausen. Ein weiterer großer Bestand an Mauthausener Häftlingspersonalkarten lagert in den Archiven von Yad Vashem in Jerusalem. Viele originale Lagerdokumente landeten auch in Archiven in Frankreich. In den Archives Nationales in Fontainebleu liegen etwa das in der Schutzhaftlagerführung geführte Häftlingszugangsbuch, eine Sammlung von Veränderungsmeldungen und Transportlisten in die Außenlager sowie eine von den Alliierten zusammengestellte und nach Nationalitäten geordnete Liste befreiter Häftlinge. Ein in der Poststelle geführtes Standbuch wird heute wiederum im Tschechischen Nationalarchiv in Prag aufbewahrt. Die wichtigste aus der Zeit des Bestehens des Lagers stammende fotografische Sammlung ist im Museu d’Història de Catalunya in Barcelona zu finden. Die nach wie vor weitgehend unbekannte und vermutlich größte Sammlung von Dokumenten zu Mauthausen befindet sich im Archiv des International Tracing Service (ITS) des Roten Kreuzes in Bad Arolsen, Deutschland. Obwohl in den Sechziger Jahren Fragmente dieser Bestände für das Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen selektiv reproduziert wurden, fehlt aufgrund des bis vor kurzem sehr restriktiven Zugangs zum Archiv des ITS nach wie vor ein vollständiger Überblick. In den Sechzigerjahren entstand in Zusammenhang mit den Vorbereitungen für die Einrichtung eines Museums in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen ein Archiv, in dem 141

NARA, RG 238, World War II War Crimes Records. Beide Quellen existieren auch als Mikrofilmpublikationen

der NARA: A3355, rolls 154-155 (Zugangsbuch) sowie rolls 156-160 (Totenbuch).

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Dokumente in Zusammenhang mit der Geschichte des Lagers gesammelt und aufbewahrt wurden. Federführend war dabei Hans Maršálek, der von 1943 bis 1945 selbst Häftling in Mauthausen war. Er nützte seine Kontakte zu Mithäftlingen, die er in seiner Funktion als Zweiter

Lagerschreiber

aufbauen

konnte,

um

jenen

Grundbestand

an

Quellen

zusammenzutragen, die heute nach wie vor den Kern des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im Bundesministerium für Inneres in Wien bilden. Seither wird dort systematisch versucht, die wichtigsten Quellen als Originale oder Kopien in das Archiv zu bringen und so Grundlagen für die weitere Erforschung der Geschichte des KZ Mauthausen und seiner Außenlager zu schaffen.

37

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