Klänge des Nahostkonflikts

July 7, 2017 | Autor: Adham Hamed | Categoria: Peace and Conflict Studies, Israel/Palestine, Music and Politics, Middle East Politics
Share Embed


Descrição do Produto

18 Blick von außen

Nummer 10 | Samstag, 10. Jänner 2015

Klänge des Nahostkonflikts Die Sprache der Spitzendiplomatie ist nicht genug: Alternative Ausdrucksformen im Nahostkonflikt sind nötig. Von Adham Hamed

D

en großen Frieden im Nahen Osten sucht man seit Jahrzehnten vergebens. Und doch gibt es kleine Räume, in welchen Frieden erfahrbar ist. In einem West-Jerusalemer Kulturzentrum lausche ich den Stimmen junger Musiker, einer bemerkenswerten friedenspolitischen Initiative: Der Jerusalem Youth Chorus ist der einzige Chor der Stadt, der aus israelischen und palästinensischen Sängern besteht. Hier kommen Israelis oft zum ersten Mal in ihrem Leben mit gleichaltrigen Palästinensern ins Gespräch und umgekehrt, obwohl sie in der gleichen Stadt aufgewachsen sind. Außerhalb des Chores sind ihre Lebenswelten meist getrennt. In diesem Konzertsaal aber, inmitten ihrer geteilten und umkämpften Stadt, singen sie von einem Ort, der für sie alle ein Zuhause ist. Nach dem Konzert erzählt mir der 25-jährige Chorleiter Micah Hendler: „Für mich hat der Begriff ‚Zuhause‘ zwei mögliche Bedeutungen: Das ist natürlich Jerusalem, für uns alle, unabhängig von Religion und Nationalität. Zuhause kann aber auch dieser Chor sein.“

Gerechtigkeit versus Sicherheit Wenige Tage später bin ich zu einer Chorprobe eingeladen. Meine Route führt mich durch das besetzte Westjordanland. Zum wiederholten Male werde ich an einem israelischen Checkpoint eine knappe Stunde lang kontrolliert. Der Grund dafür ist offenkundig mein arabischer Name, der für den israelischen Soldaten so gar nicht zu meinem österreichischen Reisepass passen will. Für viele der palästinensischen Sänger sind Situationen wie diese Alltag. Immer wieder sind sie unterschiedlichen Formen von Diskriminierung durch israelische Sicherheitskräfte ausgesetzt – nicht nur an Checkpoints: Am Rande der Probe erzählt mir ein palästinensischer Sänger von der Zerstörung des Hauses seiner Großeltern im Zuge einer israelischen Bodenoffensive. In diesem langen und zermürbenden Konflikt wird er nicht müde, die fortdauernde Ungerechtigkeit der israelischen Expansionspolitik zu verurteilen. Zu tief sind die historischen Wunden der Entwurzelung, als dass er seine Familiengeschichte beim Singen vergessen könnte. Im Gespräch mit einer israelischen Sängerin höre ich eine andere Sicht der Dinge. Für sie sind die Checkpoints eine Notwendigkeit, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten. Sie erzählt mir von heulenden Sirenen, die vor palästinensischem Raketenbeschuss warnen, von Erinnerungen an explodierende Busse während der zweiten Intifada und der absoluten Notwendigkeit, Israel militärisch zu verteidigen – wenn nötig auch mit Präventivschlägen. Zu tief sitzt die Angst, erneut

Die geteilte Stadt Jerusalem. Angehörige beider Seiten leben in getrennten Welten und haben im Nahostkonflikt verschiedene Blickwinkel. stundenlang in Schutzräumen Zuflucht suchen zu müssen. Im Chor hat sie palästinensische Freunde gefunden, sie bezweifelt jedoch, ob das gemeinsame Musizieren zu mehr Sicherheit in Israel beiträgt. Solange nicht alle arabischen Nachbarn Israel als souveränen jüdischen Staat anerkennen, sei Frieden weit entfernt. Der Jerusalem Youth Chorus trifft sich mehrmals in der Woche, auch wenn das politische Umfeld oft alles andere als harmonisch wirkt. Die jüngste Gewaltwelle in der Region ist Ausdruck dieser Dissonanz. Die Gespräche mit den Sängern zeigen deutlich: Zwei unterschiedliche Themen dominieren den Nahostkonflikt. Palästinensischen Rufen nach Gerechtigkeit stehen israelische Bedürfnisse nach Sicherheit gegenüber. Beide Diskurse gehen aneinander vorbei oder prallen aufeinander. Chorleiter Hendler arbeitet mit diesen vermeintlichen Gegensätzen, indem er das kommunikative Potenzial von Musik gezielt für politischen Dialog einsetzt. Oftmals wird er dafür belächelt: Viele Menschen bezweifeln in dieser stark durch das Militär geprägten Gesellschaft, dass Musik

einen Beitrag zur Sicherheit des Staates Israel leisten kann. Ebenso sieht sich der Chor mit dem Vorwurf konfrontiert, das gemeinsame Musizieren verharmlose die israelische Besatzungspolitik und führe zu einer ‚Normalisierung‘ der seit Jahren ungleichen Machtverhältnisse. Beiden Positionen liegen reale Bedürfnisse zu Grunde.

Diplomatie greift zu kurz Vor wenigen Wochen verstarb der palästinensische Minister Siad Abu Ain in Folge eines Zusammenstoßes mit israelischen Soldaten am Rande eines Protestmarschs. Die Gewalt hat daraufhin wieder einmal ein beachtliches Eskalationsniveau erreicht. Wenige Tage später verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution zur Anerkennung Palästinas als souveränen Staat, ein symbolischer und dabei nicht unwichtiger Erfolg für die Palästinenser. Zum Jahreswechsel folgte der politisch weitaus bedeutendere palästinensische Antrag auf Vollmitgliedschaft beim internationalen Strafgerichtshof. Dabei drängt sich dennoch die Frage auf, weshalb die Nahostdiplomatie seit Jahren in ihren

Bemühungen offenkundig so wenig erfolgreich ist. Zunächst mag die über Jahrzehnte gewachsene Liste an Abkommen und Friedensverträgen als Ausdruck durchaus beachtlicher Erfolge der internationalen Spitzendiplomatie erscheinen. Einige der zentralen Fragen, wie etwa jene nach dem künftigen Status von Jerusalem, dem Recht auf Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und dem endgültigen Verlauf einer israelischen Außengrenze, wurden dabei jedoch wiederholt ausgeklammert und auf spätere Friedensgespräche vertagt. Gelegentlich wurden am Ende von Verhandlungsrunden Teillösungen als politische Durchbrüche auf dem Weg zu einer Lösung des Nahostkonflikts gefeiert. Diese entpuppten sich jedoch zumeist nur als Aufschub der nächsten Runde direkter Gewalt.

Utopie der Konfliktlösung Diese Muster gescheiterter Konfliktlösungsansätze hat auch der Tiroler Friedensforscher Wolfgang Dietrich in zahlreichen Konflikten beobachtet. Deshalb lehnt die von ihm geprägte Innsbrucker Schule der Friedensforschung

den Begriff ‚Konfliktlösung‘ ab. Dietrich argumentiert, dass derartige Versuche in der Regel zum Phänomen der „Konflikttransposition“ führen. Das gilt auch für den Nahostkonflikt: Die Spitzendiplomatie verharrt in ihrer stark reglementierten Sprache und Verhandlungslogik. Diese beschränkt sich auf oberflächliches „Konfliktklempnern“. Altbekannte Argumentationsmuster reproduzieren sich selbst und die tieferliegenden persönlichen Bedürfnisse der Akteure bleiben meist unbeachtet. Es ist daher an der Zeit, sich endlich auch im Kontext des Nahostkonflikts von der Utopie einer Lösung zu verabschieden. Es erscheint angebracht, Konflikt und Frieden nicht länger als Gegensätze, sondern als Bestandteile menschlicher Beziehungen zu verstehen. An diesem Punkt setzt die Arbeit des Jerusalem Youth Chorus an: Das Gespür der Musiker für erfahrene Harmonie und Dissonanz wird geschärft und beeinflusst deren gesellschaftliches Handeln. Konflikttransformation bedingt stets auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenseiten und verlangt den Akteuren die Bereitschaft ab, ihren Unsi-

Foto: iStock

cherheiten mit Offenheit zu begegnen. Eine derartige Haltung findet in der Spitzendiplomatie wenig Raum. Im Entdecken der Qualitäten von Harmonie und Dissonanz, nicht nur mit Hilfe standardisierter Abläufe, sondern auch durch gemeinsames kreatives Handeln in Momenten erlebter Konflikte, liegt das vielleicht größte Potenzial zur Transformation des Nahostkonflikts.

Zur Person

Adham Hamed ist Friedens- und Konfliktforscher mit Fokus auf den Nahen Osten und Nordafrika. Er lebt in Kairo und Innsbruck. Er ist Koordinator des Innsbruck Academic Festival of Many Peaces, das im August 2015 erstmals stattfindet. [email protected]

Lihat lebih banyak...

Comentários

Copyright © 2017 DADOSPDF Inc.