Siglo de Oro

June 15, 2017 | Autor: Ingrid Simson | Categoria: Siglo de Oro
Share Embed


Descrição do Produto

Handbuch Spanisch

Sprache, Literatur, Kultur, Geschichte in Spanien und Hispanoamerika Für Studium, Lehre, Praxis

Herausgegeben von

Joachim Born, Robert Folger,

Christopher F. Laferl und Bernhard Pöll

ERICH SCH MIDT VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Weitere Informationen zu diesem Titel finden Sie im Internet unter

ESV.info/9783 503 09875 0

ISBN 978 3 503 09875 0

©

Alle Rechte vorbehalten

Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2012

www.ESV.info

Dieses Papier erfüllt die Frankfurter Forderungen

der Deutschen Bibliothek und der Gesellschaft für das Buch

bezüglich der Alterungsbeständigkeit und entspricht

sowohl den strengen Bestimmungen der US Norm AnsijNiso

Z 39.48-1992 als auch der ISO-Norm 9706

Gesetzt aus der 8/9,5 GaramondITC

Satz: Andreas Quednau, Haan

Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort

1. Einleitung

Heute stellen die neuen Medien und Tech­ nologien ihren "Usern" auf Knopfdruck un­ geheure Informationsbestände zu nahezu allen erdenklichen Wissenssphären bereit. Der "User" erwartet unmittelbar verwert­ bare Informationen zu seiner Fragestellung, seinem Problem oder einer konkreten Auf­ gabe, sieht sich aber allzu oft mit einer mehr oder minder unstrukturierten und hinsicht­ lich ihrer Brauchbarkeit und Verlässlichkeit undifferenzierten Informationsflut konfron­ tiert. In diesem Klima des ungeordneten In­ formationsüberflusses haben Handbücher Konjunktur, denn sie versprechen, kom­ plexe, für den Laien oder gar selbst für den Spezialisten unüberschaubare Themenkom­ plexe aufzubereiten, d. h. handhabbar zu machen. Damit ist der praktische Aspekt zentral, denn der Wert eines Handbuchs bemisst sich weniger an den für die Wissen­ schaft zentralen Kriterien der Innovativität und theoretisch fundierten Kohärenz als am Nutzen, den ein konkreter Benutzer mit einem konkreten Anliegen an es heranträgt. Auch das vorliegende Handbuch verspricht, den Gegenstand "Spanisch" - auf die Auf­ füllung dieses Begriffs kommen wir gleich zu sprechen - in seinen Einzelaspekten Spra­ che, Kultur, Literatur und Geschichte zu­ gleich einführend und umfassend zu er­ schließen. In dieser enzyklopädischen, die wichtigsten mit der Hispanistik verbunde­ nen universitären Disziplinen übergreifen­ den Breite ist das "Handbuch Spanisch" im deutschsprachigen Raum ein Novum. "Spanisch" steht als Chiffre für die Sprachen, Kulturen, Literaturen und die Geschichte der (überwiegend) spanischsprachigen Länder und Regionen in Europa und den Amerikas (las Americas). Auch in dieser gleich­ rangigen Zusammenstellung von Spanien, dem ehemaligen "Mutterland", und Hispano­ amerika, den ehemaligen Kolonien, be­ schreitet das Handbuch Neuland. Es geht also um nicht weniger als die Darstellung wesentlicher Aspekte der "Hispanischen Welt" in 21 Ländern auf drei Kontinenten, eine Welt, die die Heimat von ca. 400 Mio. Menschen ist. Der Anspruch, "umfassend einführend" zu sein, verlangt einen themati­

sehen Rahmen, der es erlaubt, den hoch komplexen Gegenstand "Hispanische Welt" darzustellen oder vielmehr zuerst einmal einzugrenzen. Der gemeinsame Nenner ist das Spanische oder Kastilische, eine der drei "größeren" Sprachen der Iberischen Halb­ insel (neben Katalanisch und Portugiesisch), die sich über die Jahrhunderte zur offiziell anerkannten und politisch durchgesetzten hegemonialen Sprache der hier im Blick­ punkt stehenden Länder entwickelt hat. Diese Perspektive bringt es mit sich, dass das "Handbuch Spanisch" der sprachlichen und mithin kulturellen Vielfalt des munda hispano nicht vollends gerecht werden kann, umfasst diese Welt doch auch "Minder­ heitensprachen und -kulturen" in Spanien (u. a. Baskisch, Galicisch und Katalanisch) und eine Vielzahl indigener Kulturen in den Amerikas mit einer Fülle von Sprachen. Die­ ser bedauerliche doch pragmatisch notwen­ dige Verzicht wird aufgewogen durch die Möglichkeit einer überschaubaren und ko­ härenten Darstellung, in der die Minderhei­ tenkulturen dann wiederum doch als inte­ grale Bestandteile der hispanischen Ge­ schichte und Lebenswelt gebührend berück­ sichtigt werden. Die Betonung des »Spanischen" ist nicht zu­ letzt dem praktischen Aspekt der Gattung Handbuch geschuldet, konkret der pragma­ tischen Ausrichtung auf die Interessen von Studierenden und Lehrenden des Fachs Spanisch an Schulen und Hochschulen und von denjenigen, die sich in Bildungseinrich­ tungen, Verlagsredaktionen, Medien, Wirt­ schaftsunternehmen, transnationalen Mittler­ organisationen etc. mit den historischen und heutigen Gegebenheiten der spanischspra­ chigen Welt beschäftigen. Wie für jede sys­ tematische Überblicksdarstellung gilt auch für das "Handbuch Spanisch", dass es eine Auswahl treffen muss. In diesem Sinne hat das vorliegende Handbuch nicht nur den Anspruch, umfassend einführend, sondern auch umfassend weiterführend zu sein, also zugleich unmittelbar nützliches Wissen be­ reitzustellen und den Lesern Handreichun­ gen und Motivation für eine vertiefende Be­ schäftigung mit den hier behandelten The­ menkomplexen zu bieten.

VIII Arbeit mit literarischen Texten und anderen wortgebundenen Kunstformen wie dem Film bereit. Die Unterteilung in literaturge­ schichtliche Artikel und der Binnenaufbau einer Großzahl dieser Darstellungen der spanischsprachigen Literaturen basieren auf in der Forschung geläufigen, jedoch nicht unstrittigen Epochengrenzen und -begriffen sowie Gattungen. Die individuellen Beiträge haben - wie das Handbuch insgesamt - den Anspruch, zugleich einführend und umfas­ send zu sein. Jeder Artikel bietet eine in sich kohärente Darstellung des Themas und er­ öffnet zugleich Perspektiven auf alternative Entwürfe und Fragestellungen. Wenn auch auf Allgemeinverständlichkeit besonderer Wert gelegt und auf die Diskussion speziel­ ler Probleme weitgehend verzichtet wurde, sollte dennoch nicht der Anspruch aufge­ geben werden, den aktuellen Stand der (deutschsprachigen) Hispanistik widerzu­ spiegeln. Die Geschichte dieser Disziplin im deutschen Sprachraum wurde im vorletzten Kapitel kurz zusammengefasst. Jeder Artikel - ob linguistisch, kultur-/landes­ wissenschaftlich oder literaturwissenschaft­ lich - bietet auch eine Auswahl von wichti­ gen weiterführenden Literaturangaben. Zu­ sätzlich werden in dem mit "Basisbibliogra-

Vorwort phie und Hilfsmittel" überschriebenen ab­ schließenden Beitrag grundlegende Titel und Auswahlbibliographien zu Themen­

feldern und Ressourcen aufgelistet, die von

übergreifendem Interesse für das Studium "des Spanischen" sind.

An dieser Stelle wollen wir uns bei unseren

Betreuerinnen vom Erich Schmidt Verlag,

Frau Daniela Langer und Frau Verena Haun bedanken; sie haben uns durch ihre hervor­

ragende Koordination und ihr sorgfältiges Lektorat in einem Maße unterstützt, wie es

ansonsten heute leider kaum mehr üblich ist. Unser Dank gilt zudem den zahlreichen Beiträgerinnern und Beiträgern, deren kon­ struktive Mitarbeit es ermöglichte, unsere Konzeption zu verwirklichen. Bisweilen wussten sie uns auch von klügeren Schwer­ punktsetzungen zu überzeugen. Auf jeden Fall ist es nicht zuletzt ihnen zu verdanken, dass dieses Großprojekt, das sich über meh­ rere Jahre hinzog, im vorgesehenen Zeit­ rahmen und Umfang abgeschlossen werden konnte. J oachim Born & Robert Folger &

Christopher F. Laferl & Bernhard Pöll, Gießen/Utrecht/Salzburg, im Sommer 201 J

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

v

DAS SPANISCHE ALS NATIONALSPRACHE UND ALS WELTSPRACHE

I.

Das Spanische aus synchronischer und diachronischer

Perspektive

1. 2. 3. 4.

6.

Das Spanische als romanische Sprache (Peter Cichon) Das Spanische in seiner historischen Entwicklung (Fernando Sanchez Miret) .... Externe Geschichte des Spanischen in Europa (Ingrid Neumann-Holzschuh) .. .. Externe Geschichte des Spanischen in Übersee (Volker Noll) Das Spanische aus typologischer und historisch-vergleichender Sicht (Martin Haase) Standardsprache, Norm und Normierung (Claudia Polzin-Haumann)

11.

Spanisch in Raum und Gesellschaft

7.

Die Verbreitung des Spanischen in der Welt (Christina Ossenkop) Varietäten des Spanischen: Europa (Carsten Sinner) Varietäten des Spanischen: Rio de la Plata (Argentinien, Uruguay)

(Roberto Bein) Varietäten des Spanischen: Rio de la Plata (Paraguay) Uoachim Born) Varietäten des Spanischen: Andenraum (Alexandra Alvarez & Irma Chumaceiro) ....................................................................................................................... Varietäten des Spanischen: Karibik und Zentralamerika (Hanna RudorfJ) ........... Varietäten des Spanischen: Mexiko (Eva Gugenberger) ................................................ Varietäten des Spanischen: USA und Puerto Rico (Gabriele Knauer) ...................... Judenspanisch (RafaeIArnold) ............................................................................................... Pidgin- und Kreolsprachen auf spanischer Basis (Papiamentu) UohannesKramer) ................................................................................................................... Gesprochenes und geschriebenes Spanisch (WulfOesterreicher) ..... ....................... Sprachkontakte Uutta Langenbacher-Liebgott) ......................................... ......................

5.

8.

9a. 9b. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

3 3 8 18 28

39 44

55 55 62 72

83 89 98 108 116 126







131 137

146

III. Bedeutung und Gebrauch des Spanischen ...... ............................................. 157

18. 19.

Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Spanischen UohannesSchnitzer) .................................................................................................................. Der Unterricht des Spanischen in den deutschsprachigen Ländern (Andre Klump & Aline Willems) ............................. ...............................................................

157 164

DAS SPANISCHE IN SEINER STRUKTUR I.

Aussprache und Rechtschreibung

173

20. 21.

Phonetik und Phonologie des Spanischen (Andreas Dufter) Geschichte der Orthografie des Spanischen (Norbert Ankenbauer)

173 178

x

Inhaltsverzeichnis

II. Wortschatz 22. 23.

24. 25. 26.

27.

Aufbau und Differenzierung des Wortschatzes im Spanischen (Reinhard Kiesler) Etymologie und Wortgeschichte (Dieter Messner) Onomastik des Spanischen (Joachim Born) Semantik des Spanischen ((Jlrich Hoinkes) Die Beschreibung des spanischen Wortschatzes in der modernen einsprachigen Lexikographie (Elmar Schafroth) Non·Standard·Varietäten, ]ugendsprache und Verwandtes (Klaus Zimmermann)

III. Wortbildung und Phraseologie 29.

Grundlagen der spanischen Wortbildung (Franz Rainer) Produktive Wortbildung im Spanischen (Judith Meinschaefer)

30. 31.

Kollokationen und Funktionsverbgefüge (Alberto Bnstos Plaza) Phraseologismen und andere fixierte Ausdrücke (Alberta Zuluaga)

28.

IV. Grammatik 32. Grundbegriffe der Beschreibung des Spanischen auf Satzebene 33.

34. 35. 36.

37. 38.

39. 40. 41. 42.

43. 44.

(Guido Mensching) Wortklassen (Christoph Gabriel) Verb, Valenz, Satzbaupläne (Mariajose Dominguez Vdzquez) Zirkumstanten und Modale Satzadverbiale (Vahram Atayan) Vergleich ausgewählter Strukturen des Spanischen und des Deutschen (Bernhard Pöll) Einzelaspekt: AdjektivsteIlung (Hans-Ingo Radatz) Einzelaspekt: Der präpositionale Akkusativ (Natascha Pomino) Einzelaspekt: Deixis (Konstanzejungbluth) Einzelaspekt: Pronominalsystem (Georg A Kaiser) Einzelaspekt: Modus (Martin Hummel) Einzelaspekt: Tempus und Aspekt (Angela Schrott) Einzelaspekt: Parataxe, Hypotaxe und Konnexion (Philipp Obrist) Einzelaspekt: Wortstellung und Informationsstruktur (Uta Helfrich & Bernhard Pöll)

184

KULTUR- UND LANDESWISSENSCHAFfEN

184

I. 54.

195 199 208 216 226

47.

48. 49 ';0.

51. 52. 53.

55. 56.

Grundlagen der Kultur- und Landeswissenschaften ....................

411 411 418 429

II. Geschichte und Politik der hispanophonen Länder und Großräume Spanien von den Anfängen bis ins Spätmittelalter (Klaus Herbers) .........................

237 237

58.

246

59.

Geschichte Spaniens von den Katholischen Königen bis zu den Napoleonischen Kriegen (Alfred Kohler) .......... .............................................................. Indigene Kulturen vor der Conquista (HansJörg Döhla) ............................................

251 257

60. 61. 62.

263

263 276 281 286

292 302 307 313 318 324 329

334

340

Diskursive Strukturen des Spanischen (Guiomar Elena Ciapuscio) Textfunktionen und Diskurstypen (Paul Danler) Pragmatik und Gesprächsanalyse (Gabriele Berkenbusch) Sprachliche Höflichkeit (im spanisch-deutschen Vergleich) (Kathrin Siebald) . Geschlechtsspezifischer Sprachgebrauch (Marilene GueliAlletti) Sprache und Werbung (Yvette Bürki)

353 364 368 373

Fachsprachen (Jenny Brumme & Hildegard Resinger) Unternehmenskommunikation (Eva Lavric) Nonverbale Kommunikation (Hartwig Kalverkämper)

386 391 397

349

379

63. 64.

65. 66. 67. 68. 69.

Conquista und Kolonialzeit (Arndt Brendecke) ... ........................................................... Spanien im 19. und 20.]ahrhundert (Hedwig Herold-Schmidt) .................................. Geschichte Mexikos und Zentralamerikas (Renate Pieper) .......................................... Die spanische Karibik vom 16. bis zum 21.]ahrhundert (Nikolaus Böttcher) ...... Geschichte Kolumbiens und Venezuelas im 19. und 20. Jahrhundert (Thomas Fischer) .......................................................................................................................... Geschichte der Andenländer (Peru, Ecuador und Bolivien) (Christine Hunefeldt) .................................................................................................................. Geschichte der Länder des Cono Sur (Chile. Argentinien, Uruguay, Paraguay) (Stefan Rinke & Frederik Schulze) ............................... ....................................................... Geschichte der "spanischen" USA: Vom spanischen Kolonialbesitz bis zur hispanoamerikanischen Immigration (Gabriele Pisarz-Ramirez) ......................... Spanien im historisch-politischen Gefüge Europas (Hillard von Th/essen) ......... Politische Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika (Agustfn Corti) .....

III. Spanien: historisch-systematische Problemfelder und Schlüsse1begriffe 70. 71. 72. 73. 74. 75.

Reconquista und Convivencia (Matthias Maser) Kirche und Staat in Spanien (Walther 1. Bernecker) Siglo de Gro (Ingrid Simson) Atraso de Espafia - Las dos Espafias (Martin Baumeister) Franquismo (BirgitAschmann) Transicion und Demokratie in Spanien (CarIos Collado Seidel)

IV. Lateinamerika: historisch-systematische Problemfelder undSchlüsselbegriffe ...................................................................... 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83.

XI

Cultural Studies / Kulturwissenschaften - Landeswissenschaften ­ Nationalphilologien - Area Studies (Arno Gimber) Sprachen und Politik: Kastilien - Spanien - Hispanoamerika (Joachim Born) .... Kategorien der Identität (Vtttoria Borso) ...........................................................................

57.

DAS SPANISCHE IN DER VERBALEN INTERAKTION 45. 46.

Inhaltsverzeichnis

440 440

445

454

461

469

481

488 493

501

507 517

522

529

537

537 542 551 556

561 566

573

Die Unabhängigkeitsepoche in Hispanoamerika (HansJoachim König) ............. Autoritäre Regime und ihr Erbe (Verena Dolle) .. ................................................... Mestizaje (Christian Büschges) ........................................................................ Sklaverei in Spanisch-Amerika (Michael Zeuske) ... ........................................................

573

579

589

593

Exotismus Uudith Hoffmann) ................................................................................................. Die USA und Lateinamerika (Ursula Prntsch) ................................................................... Lateinamerika und die Globalisierung (Klaus Bodemer) .............................................. Postcolonial Studies und Hispanoamerika (MichaeIRössner) .....................................

599

604

611

619

Inhaltsverzeichnis

XII

V. 84. 85. 86. 87. 8B.

89. 90. 9l. 92. 93. 94.

Kultur und Öffentlichkeit in Spanien und Hispanoamerika .......... Kultur und Politik in Spanien (Walther L. Bernecker) ............................................. Intellektuelle in Kultur und Politik Hispanoamerikas (Susanne Klengel) ............... Die Medienlandschaft in Spanien (Christian von Tschilschke) ................................... Die Medienlandschaft in Hispanoamerika (joachim Michael) Der spanische Film (Klaus Peter Walter) Der hispanoamerikanische Film (Claudia Gronemann) Bildende Kunst und Architektur in Spanien (Margit Kern) Hispanoamerikanische Kunst (Mdrcio Correia Campos) Popularkultur in Spanien (järg Türschmann) Popularkultur in Hispanoamerika (Horst Nitschack) Kulturelle Metropolen (Christopher F La/ert)

625

625

629

634

639

646

653

660

666

670

676

684

Inhaltsverzeichnis

117. Von der Etablierung nationaler Literaturen bis zum modernismo ­ Mexiko und Zentralamerika (Friedhelm schmidt-Welle) 864

118. Von der Romantik bis zum modernismo - Der karibische Raum

119. 120. 12l. 122.

123.

SPANISCHSPRACHIGE LITERATUREN

124.

Literaturtheoretische Grundlagen 95. Literaturtheoretische Fragestellungen (Hanno Ehrlicher) 96. Literaturwissenschaft in Spanien und Hispanoamerika (Andre Otto) 97. Erzähltextanalyse (Claudia Hammerschmidt) 98. Analyse von Gedichten, Lyrik und Liedtexten (Christopher F La/erZ) 99. Dramenanalyse (Cerstin Bauer-Funke) 100. Analyse essayistischer Texte (Christian GrünnageZ) 101. Filmanalyse (järg Dünne & Gesine Hindemith) 102. Medienanalyse (RalffunkeTjürgen)

695

11.

749

749

I.

Vielfalt und Wechse1wirkungen

695

701

707

716

723

730

736

743

(Kuba, Dominikanische Republik, Puerto Rico, Kolumbien, Venezuela)

(Markus Ebenhoch) Von der Romantik bis zum moderntsmo - Der andine Raum

(Ecuador, Peru, BoliVien) (Fernando Nina) Von der Romantik bis zum modernismo - Der Süden des Kontinents

(Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay) (Roland Spiller) Von den Avantgarden bis zur Gegenwart - Mexiko und Zentralamerika

(Claudia Lettner) Von den Avantgarden bis zur Gegenwart - Der karibische Raum

(Kuba, Dominikanische Republik, Puerto Rico, Kolumbien, Venezuela)

(Markus Ebenhoch) Von den Avantgarden bis zur Gegenwart - Der andine Raum

(Ecuador, Peru, Bolivien) (Cornelia sieber) Von den Avantgarden bis zur Gegenwart - Der Süden des Kontinents

(Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay) (Kurt Hahn)

869

874

879

885

895

905

915

FACHWISSENSCHAFfLICHE GRUNDLAGEN 125. Hispanistik in Geschichte und Gegenwart (Man/red Tietz) 126. Basisbibliographie und Hilfsmittel

(joachim Born & Robert Folger & Christopher F La/erl & Bernhard Päll) ........

929

938

ANHANG

103. Die Literaturen der Iberischen Halbinsel (Roger Friedlein) ......................................... 104. Vielfalt und Reichtum der hispanoamerikanischen Literaturen - Ein Überblick

(MichaeIRössner) ........................................................................................................................ 756

105. Latina/o-Literaturen in Nordamerika (Anja Bandau) ................................................... 763

106. Übersetzungen aus dem Spanischen ins Deutsche (Wolfgang Pöckt) ...................... 771

111. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114.

XIII

Kastilische Literatur .......................................................................................................... 779

Die Vorgeschichte der spanischen Literatur im Mittelalter (Robert FoZger) .......... 779

Lyrik des siglo de Oro (Bernhard Teuber) ................................. ....................... 789

Kastilische Erzählliteratur im siglo de Oro (Horst Weich) ........................................ 799

Das kastilische Drama im Siglo de Oro (Wolfram Aichinger) ................................... 808

Kastilische Literatur des 18. Jahrhunderts (lnke Gunia) ............................................ 818

Kastilische Literatur des 19. Jahrhunderts (Karin Peters) ...................................... 824

Kastilische Literatur von 1898 bis 1975 (Cerstin Bauer-Funke) ......................... 831

Spanische Literatur von 1975 bis zur Gegenwart (U/rich Winter) ............................. 841

IV. Hispanoamerikanische Literatur ........................................................................... 852

115. Literatur der Kolonialzeit (Enrique Rodrigues-Moura) ................................................. 852

116. Literatur der Aufklärung und der Unabhängigkeitsepoche in Hispanoamerika

(Heinz Krumpel & Andreas H. Krumpel) ............................................................................ 859

Karten

947

Kartei: Die Verbreitung des Spanischen in der Welt Tabelle zu KarteI: Die Verbreitung des Spanischen in der Welt Tabelle zu KarteI: Die Verbreitung des Spanischen in der Welt Karte 2: Regionen und Provinzen in Spanien Karte 3: Die aktuelle sprachliche Situation in Spanien Karte 4: Die Iberische Halbinsel um 300 v. Chr. Karte 5: Die Iberische Halbinseluffi 900 n. Chr.

947

948

949

950

951

952

953

Sachregister

955

Personenregister

965

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

981

---~---

Spaniens in Zahlen (Anfang des 21. Jh.)

Pfarreien Mit Pfarrer Ohne Pfarrer

Personal (2002) Bischofskonferenz Kardinäle Erzbischöfe Bischöfe Emeriti

2

Diözesen Kathedralen Klöster Museen

15 65

.lli 120

Kongregationen Weibliche Männliche Geistliche Pfarrer Nonnen Mönche Im Ausland Bischöfe im Ausland

295 104 399

Sozialzentren Altenheime Waisenhäuser Kindertagesstätten Resozialisierungseinrichtungen Fürsorgeanstalten Andere

1.797 1.842 3.639

Erziehungszentren Kindergärten Unterrichtsstätten

Finanzierung durch Steuern 1980 44,83 Millionen 1990 85,69 Millionen 2000 128,01 Millionen 2006 144,24 Millionen

Euro Euro Euro Euro

Öffentliche Finanzierung des Fachs Religion (Schuljahr 20041'20022 An .,konzertierten" Privat­ schulen 129 Millionen Euro 388 Millionen Euro An öffentlichen Schulen Kapläne (in Kranken­ häusern, Gefängnissen und Kasernen) 36 Millionen Euro

Iahreszuweisung durch den Staat (bis 2006): 3,5 Milliarden Euro Steuerl2rivilegien bis 2Q06 Befreiung von der Zahlung der Mehrwertsteuer, der Grundsteuer, der Unternehmenssleuer, der Übertragungssteuer, der Steuern auf notarielle Akte. Geschätzte Steuerersl1arnis: 2 Milliarden Euro

107 128 235

-

-

-

876 937 321 365 144 3..Q2 2.948

-

-

(2005): IgJesia y sociedad en Espaiia. Madrid. Cuenca Toribio. Jose Manuel (1985): Relaciones IgJesia-Estado en la Espaiia Contemporänea (1833-1985). Madrid. Diccionario de historia ecJesiästica de Espaiia (1972-197'5).4 Bde. Madrid. Garcia Villoslada, Ricardo (Hg.) 0979­ 1982): Historia de la Iglesia en Espaiia. 6 Bde. Madrid. Hermet, Guy (1980/8 I): Les Catholiques dans l'Espagne Franquiste. 2 Bde. Paris. Lannon, Frances (1987): PriviIege, Per­ secution, and Propheey. The Catholic Church in Spain 1875-1975. Oxford. Mardones, .lose Maria (2004): La indife­ rencia religiosa en Espaiia. Madrid. Tamayo, Juan Jose (2003): Adiös a la cristiandad. La iglesia catölica espaiiola en la democracia. Barcelona. Ynfante, Jesus (1970): La prodigiosa aven­ tura del Opus Dei. Genesis y desarrollo de la Santa Mafia. Paris.

Walther L. Bernecker (Erlangen/Nürnberg)

2.129

.ti21. 7.326

12.202 60.282 72.484

Finanzierung

I

96 103 961 280

Rundfunksender Cope (Bischofskonferenz)

19.837 48585 13.010 15.166 104 96702

. Seminaristen I Mit Hochschulabschluss (seminario mayor) Mit Abitur Arbeitendes Personal In Altenheimen Lehrer an Schulen

Gesundheitszentren Krankenhäuser Ambulanzen und Polikliniken

12.270 10.690 22.960

I

Universitäten Deusto Gesuiten) Navarra (Opus Dei) San Pablo-CEU (ACNP) Comillas (Päpstl. Univ.) Salamanca (PäpstI. Univ.) Murcia (Kath. Univ.) Avila CKath. Univ.) 15 kirchliche Fakultäten 41 theologische Zentren 11 Wohnheime 55 Hochschulfakultäten 72 höhere Anstalten

9. Literatur - Artigues, Daniei (1971): EI Opus Dei en Espaiia 1928-1%2. Su evoluci6n ideol6­ gica y politica de los origenes al intento de dominio. Paris. - Bernecker, Walther L. (1995): Religion in Spanien. Darstellung und Daten zu Ge­ schichte und Gegenwart. Gütersloh. - Callahan, William J. (2003): La Iglesia Cat6lica en Espaiia (1875-2002). Barce­ lona. - Circel Orti, Vicente (2003): Breve historia de la iglesia en Espaiia. Barcelona. - Casanova, Julüin (2001): La Iglesia de Franeo. Madrid.

72. Siglo de Oro I. Siglo de Oro - Begriff einer Epoche Siglo de Oro, Goldenes Zeitalter, bezeichnet in Spanien die klassische Epoche, die das 16. und 17. Jh. umfasst. Diese Zeitperiode kennzeichnet einen kulturellen sowie politi­ schen Höhepunkt der spanischen Geschich­ te (JlArt. S8). mit einer außergewöhnlich reichhaltigen kulturellen Produktion und der größtmöglichen territorialen Ausdehnung des Imperiums weit über die Grenzen Euro­ pas hinaus (JlArt. 60). Der Begriff des Siglo de Oro etablierte sich in Spanien im Laufe des 18. Jh., zunachst zur Bezeichnung des literarischen Schaffens der Epoche, wenngleich schon bald die politisch­ historische Komponente hinzukam. Siglo de Oro ist eine bis in die heutigen Tage popu­ läre Wendung, die jedoch in der Fachlitera­ tur wenig reflektiert erscheint. So finden sich kaum Abhandlungen über Bedeutung und Rezeptionswandel der Epochenbezeich­ nung. Während der Begriff des Goldenen Zeitalters aufgrund der großen Anzahl herausragender Werke für die Literatur (l' Art. 108, I 09, 1 10) und die Künste plau­ sibel erscheint, so ist die Bezeichnung in

kennzeichnen die Epoche doch nicht nur territoriale Ausdehnung und herausragende Machtposition des habsburgischen Welt­ reichs, sondern auch Staatsbankrotte, Nie­ derlagen, Verfolgungen, Vertreibungen und zunehmender Machrverlust. Wenig einheitlich präsentiert sich die zeit­ liche Eingrenzung der Epoche. Während die Historiographie zunächst die Thronbestei­ gung Karls V. 1519 oder auch 1525 - den Zeitpunkt einer konsolidierten Machtposi­ tion des habsburgischen Regenten - als Be­ ginn der politischen Epoche favorisierte (cf. Bennassar 1982), etablierte sich in der neue­ ren Forschung 1492 als entscheidendes Jahr. Mit dem Ende der Reconquista (JlArt. 70) im Januar 1492 war der Machtanspruch der Katholischen Könige besiegelt. Wenig spä­ ter erging das Edikt zur Vertreibung der jüdischen Bevölkerung, das zwangsweise Ausreise oder Konversion festlegte. Gleich­ zeitig war 1492 das Jahr, in dem Christoph Kolumbus in Diensten der spanischen Kro­ ne gen Westen fuhr, um einen Seegang nach Indien zu suchen, eine Reise, die bekannt­ lich zu der Eroberung weiter Teile Amerikas durch die spanische Krone führte. Von kul­ tureller Relevanz ist die ebenfalls 1492 er­ schienene spanische Grammatik von An­ tonio de Nebrija, die erste Grammatik in einer romanischen Volkssprache. Dieser Text dient als Beleg eines ausgeprägten Identitäts­ bewusstseins der kastilischen Elite. Auch wenn sich der Niedergang des spani­ schen Weltreichs im Laufe des 17. Jh. voll­ zieht, so herrscht doch weitgehende Einig­ keit darüber, die historische Epoche 1700 enden zu lassen, dem Todesjahr des letzten Habsburgers auf spanischem Thron. Der kinderlose Karl II. gilt als Symbol des defini­ tiven Endes spanischer Vorherrschaft in Europa, wenngleich dieser Niedergang be­ reits davor, 1648 etwa, mit dem endgültigen Verlust der nördlichen Niederlande einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht hatte. Zu Beginn der kulturell-literarischen Epoche des Siglo de Oro steht das Lesedrama "La Celestina", ein hybrider Text, 1499 zunächst anonym erschienen. Das Werk steht thema­ tisch und diskursiv auf der Schwelle des Mittelalters zur Frühen Neuzeit, wenngleich die Forschung die mittelalterliche Kompo­ nente durchaus unterschiedlich bewertet (JlArt. 107). Das Ende der literarisch-kultu­ rellen Epoche wird traditionell mit dem Tod Pedro Calder6n de la Barcas 1681 verbun­ den, dem bedeutenden Hofdramatiker des

55L

~panien:

historisch-systematische Problem/eider und SChlüsselbegriffe

17. Jh. Diese Position wird zunehmend in Frage gestellt durch die insgesamt wenig geklärte Einbeziehung der hispanoamerika­ nischen Kolonialautoren (l'Art. 115) in die Kultur des Siglo de Oro und deren bedeu­ tendes Wirken gegen Ende des 17. Jh. (Sor Juana Ines de la Cruz, Pedro Peralta Barnuevo u.a.).

2. Renaissance und Barock 16. und 17. Jh. entsprechen im europäischen Kontext weitgehend den Epochen von Re­ naissance und Barock. Lange Zeit war Spa· nien eine eigene Renaissance abgesprochen worden oder wurde doch zumindest eine "verspätete Renaissance" konstatiert. Die ak­ tuelle Forschung allerdings weist nach, dass Spanien durchaus an der Renaissancebewe­ gung partizipierte, dabei jedoch einen eige­ nen Weg einschlug. So fand in Spanien kein radikaler Bruch mit dem Mittelalter statt (l' Art. 107). Vielmehr etablierten sich neue Strukturen unter Beibehaltung mittelalter­ licher Traditionen. Von großer Bedeutung ist hier natürlich die besondere kulturelle Disposition des spanischen Mittelalters (l'Art. 57, 70). Bereits früh kam Spanien über Kontakte zu Neapel mit humanistischem Denken in Be­ rührung. Von großem Einfluss waren die Schriften des niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam, die zu einer geisti­ gen Umorientierung in Spanien führten. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit der Antike in Spanien nicht zentral wie in ande­ ren europäischen Ländern. Vielmehr kenn­ zeichnet die spanische Renaissance, wie Hans Ulrich Gumbrecht überzeugend dar· legt, ein ausgeprägter Zug an politischer Re­ flexion sowie an pragmatischem politischem Handeln der Führungselite. Trotz Inquisition und autoritärer Staats­ strukturen unter habsburgischer Herrschaft bestand bis ungefähr zur Hälfte des 16. Jh. eine offensichtlich der Renaissance gezollte Offenheit des politischen Diskurses, was sich z. B. an den Themen der Traktatliteratur ablesen lässt. Dies änderte sich zunehmend im Zuge der Gegenreformation. Das von der Renaissance in den Mittelpunkt allen Den­ kens beförderte Individuum verliert erneut an Bedeutung und tritt zurück in ein wohl­ geordnetes Weltsystem, in dem sich Gott unangetastet in übergeordneter Position fin­ det. Es ist die Epoche der konservativen religiösen Bewegung und des absoluten Herrschers. Das optimistische Lebensgefühl der Renaissance weicht einem Pessimismus,

für den das Wissen um die Vergänglichkeit des Lebens zentral ist. Hinzu kommt, dass sich Spanien unter der Herrschaft Philipps II. verstärkt vom restlichen Europa zu isolie­ ren begann. So verlor das Land beispiels­ weise den Anschluss im naturwissenschaft­ lichen Bereich. Doch auch im Zeitalter des Barock kam es in Spanien nicht zu einem direkten Bruch mit der Renaissance, sondern vielmehr zu einer Vereinnahmung ihrer Themen und Formen, weswegen es nahezu unmöglich ist, im spanischen Kontext eine klare Grenze zwischen den beiden Epochen zu ziehen.

3. HerrSChaftsanspruch und der Ausschluss des Anderen Convivencia (l'Art.70), das Zusammenle­ ben der drei Kulturen von Juden, Mauren und Christen, prägte das Mittelalter in wei­ ten Teilen der Iberischen Halbinsel. Das religiös-kulturelle Miteinander, das unzählige Momente der gegenseitigen Prägung erfuhr, war durch die Reconquista (l'Art.70) ge­ fährdet, mit der über Jh. versucht wurde, die Halbinsel unter christliche Herrschaft zu bringen. Dies gelang 1492 den Katholischen Königen Ferdinand und Isabella, die durch ihre Eheschließung 1469 und die wenige Jahre später erfolgende Thronbesteigung die beiden Königreiche Kastilien und Arag6n zu einem christlichen Machtzentrum verei­ nigt hatten. Die Herrschaft Ferdinands und Isabellas zeigt bereits früh Züge des modernen absolutisti­ schen Staates. Das Herrscherpaar einigte Spanien unter Preisgabe der multikulturel­ len und multireligiösen Gesellschaft auf der Prämisse einer Dominanz der christlichen Religion. Diese Machtkonstellation führte zum weitgehenden Ausschluss aller Anders­ gläubigen aus der spanischen Gesellschaft. Bereits früh wurde die jüdische Bevölke­ rung zu Konversion oder Ausreise gezwun· gen. Die massenhafte Ausreise von Juden, später dann auch von Mauren, hatte neben demographischen vor allem wirtschaftliche Konsequenzen für das Land. Prekär blieb die Situation der conversos, der zum christ­ lichen Glauben Konvertierten. Auch wenn einige conversos wichtige Staatsämter be­ kleideten, so blieb ihre Tätigkeit doch streng von der Inquisition überwacht, einer Kon­ trollinstanz, die 1478 von Ferdinand und Isabella zur Durchführung ihrer eigenen In­ teressen umfunktioniert worden war. Diese Institution sollte sich dann in kurzer Zeit zu einem weitgehend unabhängigen Verwal­

72. SiglO oe Uro

tungsapparat entwickeln, dessen Anliegen

es war, Gegner des spanischen Katholizismus

aufzuspüren und anzuklagen. Bald jedoch

wurde die Frage der Religionszugehörigkeit

zu einer Frage der Abstammung: Das Prin­

zip der limpieza de sangre (Blutreinheit)

erweiterte den Kreis des inneren Feindes

und marginalisierte alle von Konvertiten

abstammenden Bewohner des Landes, die

ihren Status als vorgebliche "Altchristen"

gesellschaftlich nicht behaupten konnten.

Doch nicht nur Andersgläubige wurden vom

christlichen Herrschaftsdogma der Katholi­

schen Könige und ihrer Nachfolger ausge­

grenzt, sondern auch Andersdenkende. Die

spanische katholische Kirche hatte sich zu

einem frühen Zeitpunkt reformiert, wider­

stand dadurch der Glaubensspaltung, wie

sie andere nationale Kirchen erfuhren, und

wurde zu einem wichtigen Instrument der

Gegenreformation. Spanische Kirche und

Inquisition verfolgten gemeinsam jegliche

Abweichung des eng festgelegten Dogmas,

unabhängig davon, ob es sich um humanis­

tische Kreise, Anhimger millenaristischer

oder eschatologischer Sekten, um Mystiker

oder Lutheraner handelte.

Während sich zu Regierungszeiten Karls V.

anfänglich noch eine gewisse Diskursoffen­

heit verzeichnen lässt, z. B. in Diskussionen über die Vernunftbegabung der amerikani­ schen Ureinwohner oder in einer Akzep­ tanz humanistischen Gedankenguts, ändert sich die Situation wesentlich mit Beginn der Herrschaft Philipps II. Dieser baute einen rigiden Verwaltungsapparat auf, der durch das massive Verbot und Wegschließen schriftlicher Zeugnisse die Auseinanderset­ zung mit nicht staatskonformem Gedanken­ gut nahezu unmöglich machte. Diese Politik hatte sich gegen Ende des Jh. etabliert und setzte sich im 17. Jh. unter Philipps Nach­ folgern, Philipp 111. und Philipp fV .. fort.

4. Kultur der Peripherie und multiple Lektüren Bei der Mehrzahl der Kulturschaffenden des Siglo de Oro handelte es sich um Personen, die nicht vom Machtzentrum her agierten, sondern von der Peripherie. So nimmt man an, dass eine große Anzahl der Künstler des 16. und 17. Jh. Familien von conversos ent­ stammte, darunter z. B. Cervantes. Gleich­ falls außerhalb des Machtzentrums agierten die Kulturschaffenden in den spanischen Kolonien, deren koloniale Herkunft sie zu Außenseitern der spanischen Gesellschaft machte.

553 Zensur und Inquisition tangierten Leben und Wirken einer großen Anzahl von Künstlern und Autoren des Siglo de Oro. Jedes zu dru­ ckende Werk musste den selbstständig agie­ renden Zensurbehörden zur Kontrolle vor­ gelegt werden. Während die Zensur jedoch lediglich die Veröffentlichung eines Werkes verhinderte oder dieses nur in einer pur­ gierten Version zuließ, bedeutete die Auf­ merksamkeit der Inquisition oft genug die Bedrohung des Lebens. Der Rahmen des Erlaubten war eng gesteckt, vor allem bei Äußerungen zu religiösen Fragen. So be­ kannte die Mystikerin Teresa von Avila ihre Angst vor der Inquisition. Furcht vor den Inquisitionsbehörden war aller Wahrschein­ lichkeit nach der Grund, warum die mexi­ kanische Nonne Sor Juana Ines de la Cruz ihre kulturelle Tätigkeit einstellte. Eine Reihe von Werken erschien aus Sorge um Zensur und Inquisition anonym. Ein weiterer tragender Zug des Lebens der Kulturschaffenden des Siglo de Oro betrifft deren wirtschaftliche Situation. Weder Schriftsteller, Maler, Dramaturgen oder Mu­ siker konnten von den Erträgen ihrer Kunst leben. Es gab weder Buch- noch Kunstmarkt im heutigen Sinne. So stand im Mittelpunkt der künstlerischen Existenz die Suche nach Mäzenen und Aufträgen. Diese Suche erklärt beispielsweise die Vielzahl an Widmungen aller zur damaligen Zeit veröffentlichten schriftlichen Werke. Begehrt waren Anstel­ lungen am Hof (Calder6n, Diego Velaz­ quez), und auch die Zugehörigkeit zum Kle­ rus ließ auf wirtschaftliche Unterstützung hoffen. Dennoch litten viele der großen Schriftsteller der Epoche Zeit ihres Lebens finanzielle Not, darunter Cervantes und Lope de Vega. Von großer Bedeutung waren da­ her Auftragswerke. Jedoch sind die Aspekte von Mäzenatentum, Auftragsarbeiten und Panegyrik für die spanische Epoche von Renaissance und Barock noch nicht hinrei­ chend erforscht. Offene Kritik an den herrschenden Zustän­ den, am Herrschaftssystem, der Gesellschaft, die Diskussion religiöser Fragen - all dies war den Autoren des Siglo de Oro unmög­ lich. Ein streng arbeitender Kontrollapparat eliminierte Äußerungen, die die Autorität der Herrschenden unterminieren könnten. So war die Mehrzahl der Kulturschaffenden gezwungen, andere Wege und Möglichkei­ ten zu finden, um ihrer Kritik und Perspek­ tive Ausdruck zu verleihen. Dies geschah in den Werken versteckt, durch bestimmte Verfahren und Techniken, Metaphern und

554

Spanten: historisch-systematische Problem/eider und Schlüsselbegriffe

Formen. Die Werke erhalten auf diese Weise eine Mehrdeutigkeit, die zum einen auf der Oberfläche den oftlziellen Diskurs bedient - oft mit Humor zur Tarnung -, zum ande­ ren dann aber versteckt Kritik übt, auf Miss­ stände verweist, Zweifel benennt, eine eigene Perspektive aufzeigt. Eindrucksvoll lässt sich dies bereits am Bei­ spiel des frühen Werks "La Celestina" aut~ zeigen. Als Autor zumindest des größten Teils des Textes gilt heute Fernando de Rojas, vermutlich converso jüdischer Her­ kunft. Im Mittelpunkt des Lesedramas steht die Geschichte von Celestina, einer Kupple­ rin, die mit ihrer Lebensweisheit und ihrem Humor begeistert. Eine genaue Lektüre des Textes fördert jedoch eine äußerst scharfe Kritik der damaligen spanischen Gesell­ schaft zutage, deren Hauptantrieb allein noch Sex und Habgier sind. Auch wenn die christlich-moralistische Weitsicht an der Oberfläche zu dominieren scheint, präsen­ tiert die Textanalyse eine auffällige Dekon­ struktion christlicher Symbole. Hinzu kommt ein tragender Pessimismus des gesamten Werkes. So scheint sich in der "Celestina" der Horizont eines converso zu öffnen, der bis 1499 den endgültigen Untergang seiner ursprünglichen religiösen Heimat erlebt haben dürfte, wie Stephen Gilman in seinem grundlegenden Werk zur "Celestina" über­ zeugend darlegt. Ein gutes Beispiel für Mehrdeutigkeit und multiple Lektüremöglichkeiten liefert der anonym erschienene Schelmenroman "Laza­ rillo de Tormes" aus dem Jahr 1554. Aus der Perspektive eines naiven picaro wird vor­ dergründig auf komische und unterhaltsame Art dessen Leben geschildert. Die Tiefen­ struktur dieser fingierten Autobiographie jedoch liefert eine massive Kritik an der spanischen Gesellschaft und dem Klerus der damaligen Zeit. Die Adelssucht der Spanier wird ebenso der Lächerlichkeit preisgege­ ben wie der Lebensstil des Klerus. Die tiefer­ liegende Bedeutung des Textes erschließt sich dem Leser ausschließlich über die Er­ zählweise und die im Text selbst angelegten Diskrepanzen. .\iehrdeutigkeit, Perspektivenwechsel, eine Reihe von literarischen Reminiszenzen und Innovationen kennzeichnen auch das Meis­ terwerk des Siglo de Oro schlechthin, Cer­ vantes' "Don Quijote ele la Mancha", in zwei Bänden 1605 und 1615 erschienen. Die vordergründig komische Parodie auf die da­ mals populäre Gattung der Ritterromane erweist sich bei eier modernen Lektüre nicht

nur als philosophischer Text, als Reflexion über den Akt des Schreibens, als Ort der Kritik von Geschlechterverhältnissen, son­ dern gleichzeitig und vorrangig als kritische Präsentation der damaligen Gesellschaft. Dieser heute zu Recht als erster moderner Roman bezeichnete Text erreicht durch eine Reihe innovativer Erzählweisen und die Überblendung verschiedener Erzähltradi­ tionen eine Dichte, die bis heute eine große Anzahl verschiedener Lesarten hervorrief. Doch nicht nur Werke von Außenseitern der damaligen spanischen Gesellschaft er­ zeugen multiple Lektüren. Auch Texte und Werke von Kunstschaffenden, die offen­ sichtlich konformistisch und angepasst leb­ ten, weisen eine bisweilen auffällige Mehr­ deutigkeit auf. Dies gilt beispielsweise für die Texte eies Hofdramatikers Pedro Calde­ rön de la Barca, der sich mit theologischen Fragen beschäftigte und neben einer Reihe von comedias und Festspielen vor allem religiöse Fronleichnamsspiele (autos sacra­ mentales) verfasste. Auf andere Weise non­ konformistisch und mehrdeutig präsentie­ ren sich Teile des Werks des Hofmalers Diego Veläzquez. Sein Meisterwerk, "Las meninas" aus dem Jahr 1656, zeigt auf den ersten Blick eine alltägliche Hofszene, die bei genauerem Hinsehen jedoch eine Reihe außergewöhnlicher Perspektiven enthüllt: Während sich der Maler selbst zentral pott­ rätien, erscheint das Herrscherpaar nur noch fern im Spiegel und somit marginal.

5. Von der Volkskultur zur höfischen Festkultur Ein herausragender Zug der Kultur des Stglo de Oro, der wesentlich dafür verantwortlicQ ist, dass man von einer Blütezeit sprecllcq> kann, ist die enorme Fülle an Kultur, jener Zeit geschaffen wurde. Dies die Dichtung ebenso wie für die Architektur, Musik und die anderen Kü Legendär ist die Theatermanie (",Art. 11 die das spanische Publikum gegen Ende 16. Jh. erfasste, so dass der Historiker Antonio Maravall mit Recht men der ersten europäischen MassenkuJ sprach. Comedias, dreiaktige schiedener Thematik, zumeist End und einem genormten Personal. den zunächst in corrales gezeigt, Häusern mit Innenhof. Aufgrund des Erfolges der mehrstündigen Auffüh n ..'"; zu denen Tanz, Zwischenstücke und spiele gehörten, etablierten sich in den großen Städten feste Th.. ~tf"rh:;n.et1.

72. Siglo de Oro

Das Theater des Siglo de Oro war der Ort, an dem sich alle Stände der Gesellschaft begeg­ neten, da die Aufführungen von Adligen, Handwerkern. Tagelöhnern. Frauen wie Männern besucht wurden. Der heterogenen Zusammenstellung des Publikums entsprach eine Zweiteilung des Personals auf der Bühne in Adel und Dienerschaft. Die Nach­ frage nach comedias war so groß. dass die Dramaturgen kaum mit dem Verfassen von Stücken nachkamen. Als bedeutendster Pro­ duzent von Dramen des Siglo de Oro gilt Lope de Vega, der selbst von 1.500 von ihm verfassten comedias spricht. Ein wesent­ licher Zug seines Theaterschaffens ist die dezidierte Orientierung am Publikumsge­ schmack und nicht an den Regelwerken der Autoritäten. Während das ..Volkstheater" um Lope de Vega und seine Mitstreiter und Rivalen im ersten Drittel des 17. Jh. seinen Höhepunkt erfuhr, etablierte sich vor allem unter Philipp IV. ein höfischer Theaterbetrieb mit prunkvollen Festaufführungen. Philipp m. und sein Nachfolger Philipp IV. tiberließen die Regierungsgeschäfte zunehmend ihren Günstlingen und widmeten sich persön­ lichen Vergnügungen wie der Jagd oder den Künsten. Eine emsige Bautatigkeit. die Ver­ gabtt von unzähligen Auftragen an Musiker, Maler, Dramaturgen sollten die triumphale Macht eines Weltimperiums demonstrieren, das in der Realitat nicht mehr bestand. Zum Symbol dieser opulenten Präsentation von Macht wurde der Palast des Buen Retiro mit einem eigenen Hoftheater. Die Inszenierungen der Palastbühnen waren prunkvoller und aufwändiger gestaltet als die Aufführungen der corrales. Aus Italien wurden die besten Bühnentechniker enga­ giert. Um die Kosten für die prachtvollen Inszenierungen nicht ausufern zu lassen, wurden die Häuser nach ersten Privatauf­ führungen vor König und Ade! für ein zah­ lendes Publikum geöffnet. Dies wiederum führte zum schnellen Niedergang der öffent­ lichen Theaterbühnen.

6. Zur Rezeption des Siglo de Oro Ist unter rein historischer Perspektive der Begriff des Siglo de Oro zur Bezeichnung des 16. und 17. Jh. in Spanien mehr als fragwürdig, so überzeugt doch das kulturelle Argument: die Fulle an Kulturschaffen so­ wie die herausragende Qualitat. Die Rezep­ tion von Begriff und Epoche erfuhr über die jh. einen großen Wandel. variierte je nach

555 Schwerpunkt und speziellen Epocheninte­ ressen. Eine besondere Rolle kommt hierbei den deutschen Romantikern zu, die vor allem Cervantes, Lope de Vega und Calde­ rön für sich entdeckten. Andere Autoren wie G6ngora waren aufgrund ihres exube­ ranten barocken Sprachstils geradezu ver­ pönt und wurden erst wieder von der spa­ nischen Avantgarde des 20. Jh. geschätzt. Das franquistische Spanien (.i'Art.74) favo­ risierte seine eigene Version des Siglo de Oro, in deren direkter Nachfolge es sich gerne sah: streng katholisch, unter Aus­ schluss von Convivencia, Andersgläubigen und Andersdenkenden. Nicht zuletzt ]orge Luis Borges sollte sich in einem Aufsatz über das Meisterwerk des Cervantes gegen die franquistische Reduzierung des mehrstim­ migen Diskurses im "Don Quijote" wehren. Nachwehen dieser Deutungen lassen sich bis heute finden, wenn sich konservative akademische Kreise in Spanien und anders­ wo dagegen sperren, nationale Kulturgüter wie "Celestina" oder "Don Quijote" mit kul­ turellen Prozessen in Verbindung zu brin­ gen, die letztendlich auf der mittelalter­ lichen Convivencia gründen. Intensive Studien der letzten Jahrzehnte zu Geschichte, Gesellschaft und Kultur der Epoche, in Verbindung mit neuen Erkennt­ nissen der postkolonialen Studien, der Gen­ eier-Studien, der Erzählforschung, von Un­ tersuchungen über die Machenschaften der Inquisition und der Bedeutung Amerikas vermochten ein differenziertes Bild einer faszinierenden Epoche zu vermitteln, die wahrscheinlich ihren kulturellen Reichtum von hoher Qualität nicht trotz, sondern eben gerade wegen einer Reihe von Einschrän­ kungen und Ausgrenzungen erlangen konn­ te, mit elenen die Kulturschaffenden sich damals konfrontiert sahen.

7. Literatur - Bataillon, Marce! ("1966): Erasmo y Espaiia. Estudios sobre la historia espiritual del siglo 16. Mexico. Buenos Aires. - Bennassar, Bartolome (1982): Un Siede d'Or espagnol (vers 1525-vers 1648). Paris. - Brown, Jonathan/Elliott John H. (1980): A Palace tür a King. The Buen Retiro and the Court of PhiIip IV. New Haven, Lon­ don. - Diez Borque, Jose Mafia (1996): Teoria, forma y funci6n del tcatro espaiiol de los siglos de oro. Barcelona.

-'-'0

;:,panzen: mSlOrJScn-sysmmanscne rrOOlemJetaer una ;:,cnlusselVegnge

73, Atraso de Espafta - Las dos Espaftas

die mit dem Verdikt des Niedergangs und "Spanienbilder" bezeichnet werden, d. h. um der wachsenden Rückständigkeit bedacht Wahrnehmungen, Darstellungen und Be­ wurden (cf. Baumeister 2007). Im Falle Ita­ wertungen des Landes und seiner Entwick­ liens richtete sich das Augenmerk seit der lung "von außen", durch Reisende und an­ nationalen Einigung in der zweiten Hälfte dere fremde Beobachter, sowie "von innen", des 19. Jh. vornehmlich auf den Süden des in innerspanischen Diskussionen über den Landes, den Mezzogiorno, der als negatives Charakter und das Wesen von Volk und Gegenbild zum zivilisierten. fortschrittlichen Nation. In einer aktuellen kulturwissen­ Norden der Apenninenhalbinsel gezeichnet schaftlichen Terminologie, die wichtige Im­ wurde. Mit der umfassenden Transforma­ pulse durch die Debatte um Edward Saids tion der europaischen Gesellschaften und Orientalismus-Thesen erhalten hat, kann der Ausbildung moderner Nationalstaaten man von Grundmustern des mental map­ seit dem Ende des 18. Jh. verbreitete sich ping, sprechen, von der Konfigurierung die Rede von den ..gespaltenen Nationen": "kognitiver Karten", die Vorstellungen von in Frankreich im Zug der politischen Polari­ der Aufteilung und Wertigkeit geographi· sierung zwischen Anhängern und Gegnern scher Räume als Ausdruck konkreter Inte­ der Revolution. in Großbritannien mit dem ressen und Machtbeziehungen beinhalten. Entstehen der industriellen Klassengesell­ "Rückständigkeit" und die Problematik der schaft, während sich in Ländern mit einer "zwei Spanien" sind zwei Aspekte der These besonders prekären nationalen Einheit wie des spanischen excepcionalismo. Die Be· im postunitären Italien die Bipolarität in viel­ hauptung eines spanischen "Sonderwegs" in f.iltigen, freilich oft auch andernorts anwend­ die europäische Moderne stellt eine spezifi· baren Gegensatzpaaren, wie Nord vs. Süd, sche Variante der Verräumlichung von Ent­ kommunal vs. zentralstaatlich. säkular vs. wicklungs- und Ordnungsmodellen dar, in katholisch, faschistisch vs. antifaschistisch denen Fragen der Vergewisserung über oder kommunistisch vs. antikommunistisch, Grenzen und Eigenschaften Europas sowie variieren lässt (cf. Cacho Viu 1986). der nationalen Selbstverständigung Spaniens zum Ausdruck kommen. Die These vom Son~ 2. Die "schwarze Legende" derweg Spaniens kann sehr unterschied­ Die Spaniendiskurse entwickelten sich in liche, meist negative, Bewertungen impli­ einer ungewöhnlich langen. bis ins Spät­ zieren. Dementsprechend wird die Entwick­ mittelalter und die Renaissance zurück­ lung Spaniens seit der Frühneuzeit in Kate­ reichenden Tradition, für deren negative gorien des Pathologischen, des Defizitären Wertungen um 1900 die bis heute verbreite­ und des Scheiterns - so auch mit dem B6' te Bezeichnung der leyenda negra (JlArt. 68) fund des atraso oder mit dem Bild der das aufkam (cf. Perez 2009). In der Zeit der im­ E,;pafias - von einem vorgeblichen europäi· perialen Expansion des Habsburgerreichs schen "Normalweg" abgehoben. Lange Zeit richtete sich die antispanische Propaganda wurde das Argument des "Sonderwegs" je­ der konkurrierenden Machte vor allem auf doch auch ins Positive gewendet, im Sinn den politisch-religiösen Bereich. Angepran­ einer romantischen Exotisierung, eines pittO:­ Ingrid Simson (Berlin) gert wurden Machtgier. Grausamkeit, Intole­ resken Spanienbildes mit Carmen und Ka&; ranz, Fanatismus und Aberglauben - eine tagnetten, gelegentlich auch in triumphalis' Polemik. die in der Kampagne Wilhe1ms von tischer Manier, indem dem Land eine be­ Oranien gegen Philipp Il. als den "finsteren sondere Rolle und Mission in Europa zug~ 73. Atraso de Espaiia ­ Dämon des Sudens" zum ersten Mal kulmi­ schrieben wurde. So oszillierten die Bewet'! Las dos Espaiias

nierte. In der Folge verlagerten sich die An­ tungen Spaniens zwischen zwei Extremen: klagen zunehmend auf den Vorwurf von Es konnte als Verkörperung des - sch'-~'" 1. Einleitung: Europa und das Dekadenz und Niedergang, der auch in ten, verwerflichen wie geheimnisvoll problema de Espafta innerspanischen Reformdebatten aufgegrif­ nierenden - "anderen" Europas oder Die Rede vom "rückständigen Spanien" und fen wurde. Als Hemmnisse für eine weitere als Inbegriff und Essenz des "wahren" die Metapher der "zwei Spanien" stehen in Entwicklung des Landes wurden Faktoren landes erscheinen. enger Verbindung miteinander. Sie lassen wie das Verharren in einer arbeits- bzw. wirt­ Das Paradigma des spanischen excetJciotUJ sich zwei größeren Diskursen zuordnen: den schaftsfeindlichen aristokratischen Mentali­ lismo bildet im europäischen Auseinandersetzungen über das Verhältnis tät, ein parasitäres Verhältnis zu den Kolo­ neswegs einen Einzelfall. Im 17. Spaniens zu Europa (cf. Beneyto Perez 1999) nien sowie der Einfluss der katholischen ein Prozess der Marginalisierung, Abwertl·~ ("'Art.68) sowie den Debatten über das Kirche hervorgehoben. Besonders befördert und Ausgrenzung vormaliger Macht­ sogenannte "Spanienproblem" (cf. Varela wurde die Debatte durch britische und fran­ Kraftzentren im Süden Europas, 1999). In beiden Fällen handelt es sich um zösische Reiseberichte. Im Zeitalter der Auf­ lieh Spaniens und der italienischen Phänomene, die auch mit dem Etikett der

_ Ehrlicher, Hanno (2010): Zwischen Karne­ val und Konversion. Pilger und Picaros in der spanischen Literatur der Frühen Neu­ zeit. München. _ Gilman, Stephen (1972): The Spain of Fernando de Rojas. The Intellectual and Sodal Landscape of "La Celestina". Prince­ ton. _ Goytisolo,]uan (1978): Disidencias. Barce­ lona u. a. _ Gumbrecht, Hans Ulrich (1990): Eine Ge­ schichte der spanischen Literatur, 2 Bde. Frankfurt a. M. _ Kamen, Henry (1985): Inquisition and So­ ciety in Spain in the Sixteenth and Seven­ teenth Centuries. London. - Küpper, ]oachim (1990): Diskurs-Reno­ vatio bei Lope de Vega und Calderon. Un­ tersuchungen zum spanischen Barock­ drama. Mit einer Skizze zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance und Manierismus. Tübingen. - Maravall, Jose Antonio (1990): Teatro y literatura en la sociedad barroca. Barce­ lona. _ Poppenberg, Gerhard (2003): Psyche und Allegorie. Studien zum spanischen auto sacramental von den Anfängen bis zu Calder6n. München. _ Pym, Richard]. (Hg.) (2006): Rhetoric and Reality in Early Modern Spain. London. _ Simson, Ingrid (2001): Das Siglo de Oro. Spanische Literatur, Gesellschaft und Kul­ tur des 16. und 17. Jahrhunderts. Stutt­ gart, Düsseldorf, Leipzig. _ Simson, Ingrid (2003): Amerika in der spanischen Literatur des Siglo de Oro: Be­ richt, Inszenierung, Kritik. Frankfurt a. M.

557 klärung wurden die negativen Stereotypen und Urteile zu Spanien systematisiert, wei­ ter zugespitzt und neu akzentuiert. Bis heute am bekanntesten ist der Artikel zu Spanien aus der Feder des Publizisten Nicolas Masson de Morvilliers im 1782 erschiene­ nen, der Geographie gewidmeten Band der Encyclopedie methodique (in Ausschnitten abgedruckt in: Hinterhäuser 1979, 63-68), der die polemische Frage stellte: "Was ver­ dankt man Spanien? Was hat Spanien seit zwei, vier, zehn Jahrhunderten für Europa geleistet?" Masson sprach Spanien, der ,.igno­ rantesten Nation Europas", einem "peuple enfant". das auf den Status einer unmündi­ gen Kolonie zurückgefallen sei, die Zuge­ hörigkeit zur europäischen Zivilisation ab und kompilierte gängige Argumente und Klischees zur Erklärung des Niedergangs und der Rückständigkeit der ersten führen­ den europäischen Kolonialmacht: die Ver­ treibung von Juden und Mauren, die über­ große Zahl von Klerikern und der Einfluss der Inquisition, ein widriges Klima und die Abwanderung produktiver Bevölkerungs­ teile in die Kolonien. Zur Illustration der barbarischen Zustände im Land verwies er auf aus seiner Sicht verwerfliche Erschei­ nungen in der Volkskultur wie die corrida sowie auf das Darniederliegen von Philoso­ phie und Wissenschaft infolge der Zensur.

3. Bilder der "zwei Spanien" Bereits vor dem Erscheinen von Massons Spanienartikel hatte in den 1770er Jahren eine kleine Gruppe katholischer Theologen ein Bild ihres Landes gezeichnet, das die Spanienkritik der als "falsche Philosophie" und Häresie verworfenen Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrte (cf. Mücke 2008). Ins­ besondere der Vorwurf der Rückständigkeit auf allen Gebieten wurde nun ins Positive gewendet. Spanien bzw. die spanische Mo­ narchie wurden als Bollwerk der "reinen" Religion gegen die aus dem Ausland kom­ menden Bedrohungen gefeiert. Damit wur­ den bereits vor 1789 Grundzüge eines anti­ revolutionären Denkens formuliert und der Gegensatz zwischen Katholizismus und Mo­ derne festgeschrieben. Unter dem Vorzei­ chen der napoleonischen Kriege und der Verfassung von Cädiz von 1812 wurden die Diskurse neu ausgerichtet, das antiaufkläre­ rische Denken in einen religiös begründe­ ten Antiliberalismus transformiert. Die Idee der "zwei Spanien", zweier einander unver­ söhnlich gegenüberstehender Parteien im eigenen Land, war geboren. Die Gegner der

Lihat lebih banyak...

Comentários

Copyright © 2017 DADOSPDF Inc.