Stimmen aus dem KZ Ebensee. KZ memoria scripta. Co-edited with Judith Moser-Kroiss

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Descrição do Produto

Judith Moser-Kroiss/ Andreas Schmoller (Hg.)

Stimmen aus dem KZ Ebensee

Projekt KZ-memoria scripta

Herausgeber Judith Moser-Kroiss Andreas Schmoller Projekt KZ-memoria scripta

Gedruckt mit Unterstützung von Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien Druck Wilk, Bad Ischl Umschlag Andreas Schmoller Umschlagfoto Ansicht des Konzentrationslagers Ebensee, ohne Datum Archiv Zeitgeschichte Museum Ebensee Copyright 2005 by Verein Zeitgeschichte Museum Ebensee Alle Rechte vorbehalten Nachdruck verboten Leider war es nicht in jedem Fall möglich, die Inhaber der Urheberrechte der Texte zu ermitteln. Die Rechteinhaber sind gegebenenfalls gebeten, sich mit dem Verein Zeitgeschichte Museum Ebensee in Verbindung zu setzen.

ISBN 3-9500663-3-0

Inhalt

Vorworte………………………………………………………………………………..

7

Einleitung………………………………………………………………………………

15

Knochenmann…………………………………………………………………………..

27

Kapitel 1: Das Lager erzählen.....................................................................

29

Kapitel 2: Die Ankunft………………………………………………………………

37

Kapitel 3: Das Lager………………………………………………………………….

45

Kapitel 4: Die Arbeit…………………………………………………………………

57

Kapitel 5: Das Leben im Lager…………………………………………………….

77

Kapitel 6: Das Revier…………………………………………………………………

105

Kapitel 7: Das soziale Gefüge im Lager………………………………………….

125

Kapitel 8: Solidarität und Widerstand…………………………………………..

147

Kapitel 9: Die Befreiung……………………………………………………………

177

Kapitel 10: Überleben………………………………………………………………..

209

Biographien……………………………………………………………………………

226

Quellenverzeichnis…………………………………………………………………..

236

EINLEITUNG

Einleitung

Die vorliegende Textsammlung bildet den Auftakt zu einer neuen Publikationsreihe, die der Veröffentlichung von Texten von Überlebenden des Konzentrationslagers Ebensee gewidmet sein wird. Die Reihe wurde von der interdisziplinären Forschungsgruppe „KZ – memoria scripta“ der Universität Salzburg und dem Verein Zeitgeschichte Museum Ebensee & KZ– Gedenkstätte Ebensee gegründet. Die Forschungsgruppe besteht aus RomanistInnen und HistorikerInnen und widmet sich bereits seit einigen Jahren den schriftlichen Überlebendenberichten ehemaliger KZ–Häftlinge des Lagerkomplexes Mauthausen samt seiner Außenlager. Es ist eine im deutschsprachigen Raum wenig bekannte Tatsache, dass sich im Konzentrationslager Mauthausen und damit auch in seinem Außenlager Ebensee eine sehr große Anzahl von Gefangenen aus Frankreich, Italien und Spanien befunden hat.3 Nach der Befreiung im Jahr 1945 haben viele von ihnen – ebenso wie ihre nicht aus den romanischsprachigen Ländern stammenden Leidensgenossen – begonnen, ihre Erfahrungen in schriftlicher Form festzuhalten. Diese Berichte zu sammeln, zu archivieren und einem deutschsprachigen Lesepublikum in Form von Übersetzungen nahe zu bringen, ist eines der Ziele, die sich die Forschungsgruppe gesetzt hat. Das Archiv umfasst derzeit etwa 200 Erinnerungstexte, von denen 10 italienische, 9 französische und 2 spanische Texte, die sich auf Ebensee beziehen, ausgewählt wurden. Während der vorliegende Band einen Querschnitt durch repräsentative Texte von Überlebenden aus den romanischsprachigen Ländern darstellt, sollen in weiterer Folge einzelne Berichte in ihrer Gesamtheit übersetzt und in der Reihe herausgegeben werden. Die Autoren, aus deren Erinnerungstexten hier Ausschnitte abgedruckt sind, stammen einerseits aus verschiedenen Ländern – Italien, Frankreich, Spanien – und sie sind andererseits Repräsentanten der verschiedensten sozialen und beruflichen Gruppen. So beinhaltet die Anthologie z.B. Berichte zweier französischer Häftlingsärzte (François Wetterwald und Gilbert Drey3

S. unten, S. 24f. 17

Einleitung

fus), eines italienischen Geistlichen (Don Sante Bartolai) oder eines aus Spanien stammenden Bergarbeiters (Felipe Martinez–Robles).4 Die wenigsten der hier versammelten Autoren waren früher bereits schriftstellerisch tätig. Kaum einer von ihnen hat mehr als einen Text verfasst. Viele der Autoren schreiben ihre Texte bereits 1945 oder kurz nach der Rückkehr aus dem Lager5, eine große Anzahl an Erinnerungstexten erscheint dann erst viele Jahrzehnte später. Zu den früh publizierten Überlebendenberichten zählen u.a. jene von Gilbert Dreyfus, Maurice Delfieu und François Wetterwald, die bereits 1946 veröffentlicht werden. In den Sechzigerjahren erscheinen vereinzelte Berichte wie z.B. die Erinnerungen von Don Sante Bartolai und Stefano Arcidiacono. Jean–Claude Dumoulin, Mario Carrassi oder Felipe Martinez–Robles zählen zu jenen, die in den Neunzigerjahren am Ende ihres Lebens ihre KZ-Erfahrung schriftlich bezeugen. Sie verleihen häufig der Sorge Ausdruck, dass die Erinnerung an die Konzentrationslager in der folgenden Generation verloren gehen könnte. Neben dem für diese Anthologie wesentlichen Aspekt der dokumentarischen Information über das Konzentrationslager Ebensee in den Texten, die auch bei einem nicht rein geschichtswissenschaftlichen Zugang quellenkritisch zu prüfen sind6, beinhalten die Berichte der Überlebenden aber noch etwas anderes: Jeder einzelne dieser Texte stellt ein ganz persönliches, individuelles Stück Geschichte dar, spricht nicht nur von den dramaturgisch darstellbaren Vorgängen, wie der Arbeit im Stollen, sondern auch vom Kampf gegen den Verlust der Menschlichkeit und der eigenen Persönlichkeit, erzählt von Überlebensstrategien, von der Hoffnung, das Grauen zu überleben. Häufig stellt sich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen 4

Vgl. hierzu auch die biographischen Daten der Autoren, die – so weit bekannt – diesem Band angeschlossen sind: S. 229. 5 In manchen Fällen werden Manuskripte zwar schon in der ersten Zeit nach Kriegsende verfasst, allerdings erst später publiziert. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich und reichen von politischen Ursachen bis hin zu persönlichen und familiären Entscheidungen. 6 So wird beispielsweise das Konzentrationslager Ebensee, das sich tatsächlich in Oberösterreich befunden hat, geographisch mehrfach „im Herzen von Tirol“ angesiedelt; vgl. hierzu das Kapitel „Die Ankunft“. 18

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Überlebens und der damit verbundenen Verantwortung gegenüber denjenigen, die nicht aus dem KZ zurückgekehrt sind. Wenngleich das Lager für manche Überlebende der ausschließliche Erzählgegenstand zu sein scheint und die Frage nach der persönlichen Bewältigung nicht oder kaum explizit reflektiert wird, darf nicht übersehen werden, dass jemand, der selbst im Lager war und deshalb in erster Linie sein persönliches Erleben und Überleben erzählt, gleichzeitig auch immer etwas über sein Ich mitteilt. Die in dieser Anthologie versammelten Texte unterscheiden sich zwar in Bezug auf die Perspektive, aus der berichtet wird, und den Schreibstil voneinander, dennoch gibt es einige Parallelen, denen die HerausgeberInnen insofern Rechnung getragen haben, als diese in den Aufbau des vorliegenden Buches eingeflossen sind. Die wohl wichtigste Gemeinsamkeit der ausgewählten Berichte beruht auf der Tatsache, dass sie alle vor dem Hintergrund der politischen Verfolgung entstanden sind. Auch Häftlinge jüdischer Herkunft wie der Häftlingsarzt Gilbert Dreyfus wurden als politische Häftlinge nach Mauthausen deportiert. Dreyfus war es gelungen, seine jüdische Identität erfolgreich vor den Nationalsozialisten zu verbergen. In seinen Erinnerungen spiegelt sich – wie in nur wenigen anderen der hier versammelten Texte – die jüdische Geschichte der Vernichtung insofern wieder, als er von ankommenden Evakuationstransporten aus den Vernichtungslagern im Osten berichtet. Die vorwiegend politische Erinnerung in den genannten westeuropäischen Ländern ist daher auch im Kontext einer allgemeinen Geschichte des Konzentrationslagers Ebensee zu sehen. Der eigentlichen Anthologie sind daher einige historische Eckdaten vorangestellt, insofern sie nicht aus den einzelnen Kapiteln der Textsammlung hervorgehen.7

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Zur Geschichte des Konzentrationslagers Ebensee existieren folgende Publikationen, an denen sich diese Ausführungen orientieren: Florian Freund, Arbeitslager Zement. Das Konzentrationslager Ebensee und die Raketenrüstung, Wien, Verlag für Gesellschaftskritik. 21991. Verein Widerstandsmuseum (Hg.), Konzentrationslager Ebensee. Ebensee Concentration Camp, Ebensee 22000. Drahomír Bárta, Tagebuch aus dem KZ Ebensee, hg. von Florian Freund und Verena Pawlosky, Wien, Turia + Kant 2005. 19

Einleitung

Die Errichtung des Konzentrationslagers Ebensee begann am 18. November 1943 mit der Überstellung von 63 KZ–Häftlingen aus dem Mauthausen– Außenlager Redl–Zipf nach Ebensee. Inmitten des oberösterreichischen Salzkammergutes sollte ein riesiges unterirdisches Rüstungsprojekt verwirklicht werden, das die Verlegung des Raketenforschungszentrums Peenemünde in Norddeutschland in bombensichere Stollenanlagen vorsah. Auf Grund des akuten Arbeitskräftemangels sollten diese durch den massenhaften Einsatz von KZ–Häftlingen erbaut werden. Das unter der Tarnbezeichnung „Zement“ geführte Außenlager Ebensee ist eines von zahlreichen Beispielen für die kriegswirtschaftlich bedingte Weiterentwicklung des KZ–Systems durch die SS. Ab dem Sommer 1942 entstand im Deutschen Reich ein großes Netz an Außenlagern, in denen KZ–Insassen als Arbeitskraft eine besondere ökonomische Bedeutung zukam. Das 4. Kapitel enthält eine Auswahl an Texten, welche die verschiedenen Formen des Arbeitseinsatzes im Rüstungsprojekt „Zement“ verdeutlichen. Ausgangspunkt für die Einrichtung eines Lagers in Ebensee war wenige Monate zuvor die Bombardierung mehrere Serienwerke der Raketenproduktion, insbesondere der Angriff auf die Heeresanstalt in Peenemünde durch die britischen Alliierten in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943. Die Raketentechnologie – mit der V1 und V2–Waffe – nährte durch die Kriegspropaganda in der letzten Kriegsphase die technologisch und militärisch unbegründete Hoffnung, den Krieg noch gewinnen zu können. Die NS–Führung wollte mit allen Mitteln die Entwicklung der zum Mythos gewordenen „Wunderwaffe“ erreichen und beschloss daraufhin die Verlegung des Rüstungsprojektes in unterirdische Anlagen. In Nordhausen errichteten Häftlinge im neu geschaffenen KZ Dora–Mittelbau Stollenanlagen, die zur Serienproduktion von Raketen genutzt wurden. Getrennt davon sollte eine Forschungsanlage entstehen. Da keine geeigneten bestehenden Stollen ausfindig gemacht werden konnten, entschied man sich für einen Stollenneubau in Ebensee. Die Interkontinentalrakete mit der Bezeichnung A9/10, welche bis in die letzten Kriegswochen als schicksalswendendes Kriegsgerät propagiert wurde, hätte in der – Ende 1943 lediglich am Reißbrett existierenden – 20

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unterirdischen Fabrik unter der wissenschaftlichen Leitung von Wernher von Braun entwickelt werden sollen. Der ursprüngliche Plan musste später auf Grund der Priorität anderer kriegswichtiger Produktionen aufgegeben werden. Fertige Teile der Stollenanlagen wurden ab 4. Februar 1945 im Rahmen des „Geilenberg Programms“ zur Erzeugung von Treibstoff sowie zur Fertigung von Motorteilen für Panzer und LKW der Steyr–Daimler–Puch– und Nibelungenwerke genutzt. Vor diesem kriegswirtschaftlichen Hintergrund entstand mit dem 18. November 1943 das KZ Ebensee. Zu Beginn waren ca. 500 Lagerinsassen in einem provisorisch eingerichteten Lager in der Weberei von Ebensee untergebracht. Neben den Vorbereitungsarbeiten für den Stollenbau mussten sie täglich den Aufbau des Konzentrationslagers voranbringen, in das die Häftlinge Ende Januar 1944 verlegt wurden. Mit der zunehmenden Vergrößerung des Lagers um Holzbaracken stieg auch der Häftlingsstand durch Transporte aus dem Hauptlager Mauthausen. Nach dem vollen Ausbau umfasste das Lager neben 32 Unterkunftsbaracken mehrere Wirtschaftsgebäude, die im Halbkreis um den Appellplatz angelegt wurden, an dem die Inhaftierten mehrmals täglich zum Appell antreten mussten. Anfänglich wurden im Stammlager Mauthausen nur Häftlinge in guter körperlicher Verfassung und in der Regel im Alter von 20–40 Jahren für die Überstellung nach Ebensee ausgesucht. Die Überlebensbedingungen waren unter anderem abhängig von der Zuteilung in Arbeitskommandos, die von den Lagerschreibern zusammengestellt wurden. Die Arbeiten auf der Stollenbaustelle wurden von diversen beauftragten Baufirmen geleitet, an die die SS gewissermaßen die Häftlinge verlieh und dafür von den Firmen ein Entgelt erhielt, das nach der beruflichen Qualifikation und der Arbeitsfähigkeit der Häftlinge bemessen wurde. Zudem war die Zuweisung zu Kommandos von der Stellung in der rassistischen Hierarchie der SS abhängig, sodass insbesondere Juden und slawische Häftlinge in einer besonders schlechten Situation waren. Die SS–Lagerführung wechselte in Ebensee mehrmals. Insgesamt gab es vier Lagerkommandanten. Auf Georg Bachmeier und Anton Bentele folgte Otto Riemer, der besonders zu erwähnen ist. Im Mai 1944 erschoss er in alko21

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holisiertem Zustand mindestens acht Häftlinge eines Arbeitskommandos. Als Firmen, die Häftlinge beschäftigt hatten, den Vorfall nach Mauthausen meldeten, wurde Riemer degradiert. Sein Nachfolger, Anton Ganz, war bis zur Befreiung des Lagers Kommandant. Sein brutales Verhalten orientierte sich streng an der raschen Realisierung des Rüstungsprojektes und stand in engem Zusammenhang mit dem rücksichtslosen Antreiben zum Arbeitseinsatz. Eine zentrale Position hatte weiters auch das SS–Personal des Krankenreviers – SS–Lagerarzt Dr. Wilhelm Jobst (bis Mai 1944 Dr. Hans J. Geiger), Sanitätsdienstgrad Gustav Kreindl und Rapportführer Andreas Schilling8 – inne. Sie entschieden, wer von den nicht arbeitsfähigen Insassen im eingerichteten Krankenrevier versorgt wurde. Die medizinischen Aufgaben wurden zudem von Häftlingsärzten erfüllt, deren Möglichkeiten, ihren Häftlingskameraden möglichst lange Ruhe zu verschaffen, jedoch gering waren. An dieser Stelle sei insbesondere auf die Texte der französischen Häftlingsärzte Gilbert Dreyfus und François Wetterwald im Kapitel „Das Revier“ verwiesen. In den so genannten „Schonungsblocks“ konnten sich aufgenommene Häftlinge einige Tage erholen, sofern Chance auf rasche Genesung bestand. Sie konnten zudem von vorübergehend eingeführten Sonderrationen für Kranke profitieren. Gleichzeitig forcierte die SS die Beseitigung jener Kranken, deren Genesung als zu aufwändig und kostspielig erachtet wurde. Schwerkranke wurden häufig für den Rücktransport nach Mauthausen selektiert, was meist den Tod bedeutete. Manche wurden durch Benzininjektionen ermordet, andere ließ man in den Krankenblocks verhungern. Im Frühjahr 1944 ließ die Lagerleitung ein Krematorium errichten, das am 31. Juli 1944 erstmals in Betrieb genommen wurde. Das ursprünglich für 6000–7000 Inhaftierte geplante Lager überfüllte sich ab Jänner 1945 fortlaufend durch Evakuierungstransporte aus Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten. Beispielsweise gelangten am 28. Januar 1945 1999 Häftlinge aus Auschwitz nach Ebensee, nachdem sie in Mauthausen registriert worden waren. Mit einem der schlimmsten Transpor8

Vgl. David Wingeate Pike, Betrifft: KZ Mauthausen. Was die Archive erzählen, Grünbach, Verlag Franz Steinmaßl 2005, S. 31.

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te trafen am 3. März 1945 2059 jüdische Häftlinge aus Wolfsberg, einem Außenlager von Groß–Rosen, ein. Auf Anordnung des Lagerkommandanten Anton Ganz wurde den Juden trotz Schneefalls und Kälte fast zwei Tage lang der Einlass in die schützenden Baracken verweigert. Hunderte kamen dabei ums Leben. Nach der Auflösung der Außenlager Wels, Melk, Amstetten, Leibnitz und St. Valentin kam ein Großteil der dort Inhaftierten nach Ebensee. Mit 18500 Häftlingen erreichte das Lager zu diesem Zeitpunkt seinen Höchststand. In der letzten Phase änderten sich bedingt durch die Räumung anderer Lager die Gegebenheiten in einem zusehends bedrohlicher werdenden Ausmaß, die Ebensee zu einem Evakuierungs- und Sterbelager werden ließen. Die Erinnerungen der Mehrheit der Überlebenden sind geprägt von der Spätphase des Lagers, zumal viele von ihnen zu den aus anderen Lagern Evakuierten zählten. Die völlig überfüllten Schonungsblocks, wobei es eigene Judenblocks gab, dienten in den letzten Monaten zur indirekten Vernichtung der arbeitsunfähigen Häftlinge. Die Sterberate stieg dramatisch an. Allein im April 1945 kamen rund 4500 Menschen ums Leben. Die Kapazität des Verbrennungsofens reichte nicht mehr aus, so dass sich Leichenberge zu stapeln begannen und kurz vor der Befreiung des Lagers im „Revier“ heimlich zwei Massengräber angelegt wurden, in denen 2167 Tote begraben wurden. Betrachtet man die Sterblichkeit nach nationaler Zugehörigkeit, weist Ebensee eine besonders hohe Todesrate der Italiener auf (512 von 955), die vermutlich mit der besonderen Diskriminierung durch die SS zusammenhängt, die Italiener nach dem Sturz Mussolinis als Verräter verachtete. Die Ursache für die außergewöhnlich niedrige Sterblichkeit unter den Spaniern (0,90%) dürfte zum Teil im besonderen Zusammenhalt und der Gruppensolidarität nach jahrelanger KZ–Erfahrung liegen, zumal sich unter den Spaniern besonders viele so genannte Funktionshäftlinge befanden. Im Sinne der von der SS eingerichteten „Häftlingsselbstverwaltung“ hatten sie spezielle Aufgaben, die es ihnen erlaubten, gelegentlich an zusätzliche Nahrung zu kommen und Solidarität mit anderen Häftlingen zu üben. In den Kapiteln

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„Das soziale Gefüge im Lager“ sowie „Solidarität und Widerstand“ wird diese Thematik genauer und differenzierter beleuchtet. Von großer Bedeutung für die Lagergeschichte Ebensees ist die Bildung eines „internationalen Lagerkomitees“ im Frühsommer 1944 durch Drahomír Bárta, Hrvoje Macanovic und Jean Laffitte – von letzterem stammen zahlreiche Texte dieser Sammlung. Neben der Koordinierung der Solidarität und möglicher Widerstandshandlungen im Lager bemühte sich diese Gruppe um die Vorbereitung für die kritische Phase der Befreiung. Zentral war dabei die Kontaktaufnahme mit einer Anzahl von Wehrmachtssoldaten, unter denen sich der Unteroffizier Josef Poltrum befand. Die entstehenden Kontakte nach außen waren entscheidend, als die Befreiung des Lagers unmittelbar bevorstand und das Lagerkomitee mit der Zerstörung des Lagers zu rechnen hatte. Die vom Lagerkommandanten Anton Ganz geplante Sprengung der Stollen, in die zuvor alle Häftlinge durch ein Täuschungsmanöver geschickt werden sollten, konnte verhindert werden. Die Weigerung der durch das Komitee gewarnten Häftlinge, dem Befehl von Ganz Folge zu leisten, bildete die bedeutungsvollste Widerstandshandlung der Häftlinge. Noch am selben Tag zog die SS ab, bevor tags darauf am 6. Mai 1945 das Konzentrationslager Ebensee durch amerikanische Truppen der 3rd Cavalry Group unter dem Befehl von Timothy Brennan befreit wurde. Das umfangreiche Kapitel zur Befreiung des Lagers ergibt durch zahlreiche Berichte von Mitgliedern oder Kontaktpersonen des internationalen Lagerkomitees ein vielschichtiges Bild der Geschehnisse rund um die Befreiung bis zur Repatriierung der Überlebenden. Zwischen 1943 und 1945 wurden insgesamt ca. 27000 männliche Häftlinge aus mehr als 20 europäischen Ländern nach Ebensee deportiert. Etwa 8500 Menschen kamen hier infolge des Arbeitseinsatzes, durch Entkräftung und Hunger, aufgrund von Seuchen und Krankheiten oder durch Gräuelakte ums Leben. Rund ein Drittel der Häftlinge war jüdischer Herkunft, in kleiner Anzahl befanden sich auch Zeugen Jehovas, Roma und Homosexuelle unter den Opfern des KZ Ebensee. Die Mehrheit der Insassen bildete jedoch die Gruppe der so genannten politischen Häftlinge. Zu ihnen zählten mehrheit24

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lich auch die 1526 Franzosen, 955 Italiener und 222 Spanier, die nach Ebensee deportiert wurden. Die Erinnerungskultur der Überlebenden, die meist in verschiedene Überlebendenorganisationen eingebunden waren, behielt vielfach einen politischen Charakter und betonte das Schicksal der eigenen Nation, wie auch aus der Denkmalkultur in den KZ-Gedenkstätten ersichtlich wird. Dem entsprechend fokussieren auch die Autoren dieser Sammlung meist ausschließlich auf die politische Dimension der Lagererfahrung. Diese Anthologie präsentiert also auf der Basis sprachlicher Auswahlkriterien bisher unbekannte und schwer zugängliche KZ-Literatur, die von einer Shoah-Literatur unterschieden werden muss, in deren Zentrum vor allem die jüdische Geschichte der Vernichtung steht. Während manche Textzeugen den größeren Zusammenhang des Verfolgungssystems reflektieren und somit vom persönlich Erlebten abstrahieren, fehlen in den Erzählungen anderer Überlebender Wahrnehmungen, die über die eigene Opferrolle hinausreichen. Die Besonderheit dieses Textkorpus spiegelt sich auch in der thematischen Ordnung, der die Kapiteleinteilung des vorliegenden Bandes folgt. Dies wird speziell in der Anordnung und Struktur einzelner Kapitel deutlich. Immer wieder kehrende Aspekte in den Texten sind zum Beispiel der erste Eindruck, den das Konzentrationslager Ebensee auf die Neuankömmlinge macht, die zum Teil sehr ausführlichen Beschreibungen der einzelnen Arbeitskommandos, der sozialen und hierarchischen Struktur der Lagergesellschaft, aber auch Überlegungen zur Möglichkeit solidarischen Verhaltens untereinander und – auf einer übergeordneten Ebene – Reflexionen über die jeweilige Motivation, das Erlebte aufzuschreiben. Diesen und einigen weiteren Themen, die bei fast allen Autoren zur Sprache kommen, sind in der Anthologie eigene Kapitel gewidmet. Die jeweils kurzen Einleitungen dienen der Kontextualisierung. Die Textstellen selbst sind so ausgewählt, dass sie im Grunde für sich selbst sprechen und keiner ausführlichen Erläuterungen bedürfen. Somit eignet sich das Buch auch zum didaktischen Einsatz bei Gedenkstättenbesuchen bzw. zu deren Vor- und Nachbereitung im Schulunterricht. Wann immer die Autoren selbst Überschriften für die Textstellen gewählt 25

Einleitung

haben, wurden sie von den HerausgeberInnen bzw. den ÜbersetzerInnen übernommen. Zu anderen Textstellen wurden von den ÜbersetzerInnen Überschriften zur besseren Orientierung der LeserInnen – in eckigen Klammern stehend – eingefügt. Die durchnummerierten Anmerkungen im Fußnotenapparat wurden von den HerausgeberInnen eingefügt. Kursivsetzungen im Text dienen der Kennzeichnung deutscher Ausdrücke im Original. Der Aufbau der Anthologie legt eine Lektüre nach Kapiteln nahe, es empfiehlt sich jedoch unter Zuhilfenahme des Quellenverzeichnisses auch eine Lektüre nach Autoren. Auf diese Weise kann in manchen Fällen der Gesamterzählung des einzelnen Verfassers gefolgt werden. Die Übertragungen wurden von Barbara Kluger, Peter Kuon, Sonja Mayr, Judith Moser–Kroiss, Monika Neuhofer, Gabriele Pflug, Andreas Schmoller und Ursula Wagner–Kuon besorgt. SALZBURG – EBENSEE, AUGUST 2005

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DIE HERAUSGEBER

BIOGRAPHIEN DER AUTOREN79 Joaquim Amat-Piniella (1913-1974) Joaquim Amat-Piniella wird am 22. November 1913 in Manresa (Katalonien) geboren. Bereits als Jugendlicher veröffentlicht er erste journalistische Arbeiten; er macht sich bald einen Namen als Theater-, Film-, Kunst- und Musikkritiker: Für die Tageszeitung El Dia, das Organ der Linken in Manresa, verfasst er zahlreiche Artikel über Politik und Kunst. Er gründet die Avantgarde-Zeitschrift Ara und ist führendes Mitglied der republikanischen Partei Esquerra Republicana de Catalunya. Durch den Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges ist er gezwungen, sein JusStudium zu unterbrechen. Im Juni 1940 wird er von der Deutschen Wehrmacht als Arbeiter der IX. CTE an der Maginot-Linie verhaftet und nach Mauthausen deportiert. Die Jahre danach verbringt er als Gefangener in mehreren Nebenlagern des Konzentrationslagers Mauthausen; die Befreiung erlebt er auf einem Marsch nach Ebensee. Bis 1946 lebt er im Exil in Andorra, wo er auch das Manuskript zu seinem zentralen Werk, dem historischen Roman K. L. Reich, schreibt. Nach seiner Rückkehr nach Spanien im Jahr 1946 ist es zunächst still um Joaquim Amat-Piniella. Als 1962 in Barcelona die Überlebendenorganisation Amical de Mauthausen ins Leben gerufen wird, fungiert er aber als einer der Mitbegründer. Ein Jahr später erscheint eine – zensurierte - spanische Übersetzung von K. L. Reich. Joaquim Amat-Piniella stirbt am 3. August 1974. Posthum erscheinen 1999 der Gedichtband Les Llunyanies (Poemes d´exili), aus dem 2 Texte für die Anthologie entnommen wurden, und 2001 der Roman K. L. Reich in einer unzensurierten Version in katalanischer Sprache, die auf dem Original-Manuskript von 1945 basiert. Seit dem Jahr 2000 wird der Literaturpreis Premi Joaquim Amat-Piniella de Novel.la Històrica vergeben.

Stefano Arcidiacono (1926-?) kommt am 14. März 1926 in Florenz zur Welt. Der Vater stammt aus Sizilien, die Mutter aus Florenz. Arcidiacono wächst in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Die Weigerung des Stiefvaters, Mitglied der faschistischen Partei zu werden, zieht zahlreiche Repressalien nach sich. So wird es dem Vater u. a. unmöglich gemacht, eine feste Arbeit zu finden, und er ist gezwungen, seine Familie als Lumpensammler durchzubringen. Bei dieser Gelegenheit verteilt er auch antifaschistische Flugblätter, von denen sich Stiefsohn Stefano Arcidiacono heimlich eines einsteckt – und darauf vergisst. Diese Leichtfertigkeit wird ihm am 2. März 1944 zum Verhängnis: Als in der Nähe des faschistischen Gewerkschaftsgebäudes ein Bombenattentat verübt wird, befindet sich der Jugendliche zufällig in der Nähe. Verdächtig durch seine bloße Anwesenheit, wird er von der faschistischen Polizei mitgenommen und durchsucht. Die Entdeckung des kompromittierenden Flugblatts hat zur Folge, dass Arcidiacono unter Folter verhört wird. Schließlich fällt der Beschluss, dass 79

Quellen: Archiv Zeitgeschichte Museum Ebensee, Häftlingsdatenbank; Archiv der Amicale de Mauthausen in Paris; Hans Marsalek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien-Linz 31995, 115-119 sowie die jeweiligen autobiographischen Berichte. 226

der noch nicht einmal Achtzehnjährige erschossen werden soll. Arcidiacono teilt im florentinischen Gefängnis in Via Ghibellina eine Zelle mit anderen Todeskandidaten und wird Zeuge von Partisanenhinrichtungen. Wenig später, am 8. März 1944, wendet sich das Blatt für den jungen Mann noch einmal: Er wird nicht exekutiert, sondern der SS übergeben und nach Mauthausen deportiert, wo er am 11. März 1944 eintrifft und die Nummer 56899 erhält. Nach der Quarantäne kommt er am 10. April 1944 in das Außenlager Ebensee, wo er bis zur Befreiung bleibt.

Giovanni Baima Besquet (1918-1946) wird am 22. Oktober 1918 geboren. Er kämpft als Partisan im Untergrund und ist an der Planung und Durchführung diverser Widerstandsaktionen beteiligt, wie etwa Sabotageakte zur Lähmung oder Blockade des Verkehrs, Aktionen, um die Beschlagnahmung landwirtschaftlicher Produkte und Vieh durch Deutsche oder Faschisten zu verhindern, oder die Mobilisierung der Massen in gewagten Aktionen. Giovanni Baima Besquet wird am 17. Oktober 1943 gemeinsam mit Luigi Capriolo in Turin verhaftet und im Gefängnis Nuove Carceri festgehalten. Am 14. Jänner 1944 trifft er in Mauthausen ein (Häftlingsnummer 42274) und wird am 28. Jänner 1944 nach Ebensee verlegt. Es folgen weitere Lagerwechsel: Baima Besquet gelangt nacheinander nach Schlier, Ebensee, Mauthausen und wiederum nach Ebensee, wo er schließlich befreit wird. Die Gefangenschaft hat jedoch seine Gesundheit stark angegriffen: Er verbringt geraume Zeit in Sanatorien zur Tuberkulosebehandlung, erliegt jedoch bereits 1946 der schweren Krankheit, die er sich im KZ zugezogen hat.

Sante Giorgio Bartolai (US-amerikanische Schreibweise: Bartoli, Samuel) (1917-1978) kommt am 12. April 1917 in Highland Park (Illinois, USA) als Kind von Angelo Bartolai und Lucia Manfredini zur Welt, beides Italiener aus S. Anna Pelago. Sein Geburtsort macht ihn zu einem amerikanischen Staatsbürger, was ihm später im Lager zusätzliche Schwierigkeiten einbringen wird. Nach seinem Theologiestudium wird Bartolai Kaplan in der Pfarre Palagano, einem kleinen Dorf bei Modena, und unterstützt nach dem italienischen Frontwechsel am 8. September 1943 den antifaschistischen Widerstand, besonders jenen, der vom katholischen Flügel, der Azione Cattolica, ausgeht. Am 8. März 1944 suchen zwei junge Kriegsdienstverweigerer bei ihm Zuflucht. Am gleichen Tag wird Bartolai zusammen mit anderen Dorfbewohnern verhaftet. Kurz nach dem Abtransport wird der Lastwagen von Partisanen angegriffen, die nur Faschisten im Fahrzeug wähnen. Die Faschisten unterliegen im Gefecht, fünf werden gefangen genommen, zwei von ihnen sind schwer verletzt. Bartolai setzt durch, dass die Gefangenen nicht erschossen werden, und will entgegen aller Warnungen die beiden Verletzten nach Montefiorino zu einem Arzt bringen, wo er erneut in die Hände der Faschisten gerät. Er wird erst in der Kaserne, später im Gefängnis von Modena eingesperrt, kommt dann in die Gefängnisse von Bologna und Castelfranco und wird schließlich in das Transitlager Fossoli verlegt (Häftlingsnummer 1228). Von dort wird er nach Mauthausen deportiert, wo er am 24. Juni 1944 eintrifft und die Häftlingsnummer 76228 zugewiesen bekommt. Später wird er in die Außenlager Großraming und Schlier (Redl-Zipf) überstellt. Am 19. Jänner 1945 kommt er nach Ebensee. Zum Zeitpunkt seiner Befreiung ist er, von 80 auf 38 Kilo abgemagert, dem Tod nahe und wird sofort in ein Ebenseer Kloster (St. Josefshaus) gebracht und gepflegt. Er kehrt am 14. Juli 1945 nach 227

Italien zurück und wird ein Jahr später Pfarrer von Savoniero im Dragone-Tal. Don Sante Bartolai stirbt am 11. Februar 1978.

Roberto Camerani (1925–2005) wird am 9. April 1925 im lombardischen Dorf Triuggio (Brianza) als Sohn eines sozialistischen Bahnhofvorstehers geboren. 1927 zieht die Familie nach Villa Raverio, 1933 nach Monza, 1935 nach Mailand. Da sich der Vater gewissen faschistischen Verhaltensnormen nicht unterwirft, wird er 1933 aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Sein Sohn hingegen wächst mit der faschistischen Ideologie auf. Erst Anfang der 40er Jahre weicht die kindliche Begeisterung für den Faschismus einem kritischen Blick auf die Realität. Die deutsche Besetzung Italiens im September 1943 zwingt die jungen Italiener, sich auf die Seite der nationalsozialistischen-faschistischen Repubblica di Salò oder die des Widerstands zu schlagen. Camerani ist im Begriff, zusammen mit anderen jungen Leuten am Aufbau einer Partisanengruppe zu arbeiten, wird jedoch bereits am 18. Dezember 1943 von der Deutschen Feldpolizei aus dem Haus seiner Familie in Cernusco sul Naviglio bei Mailand abgeholt und ins Mailänder Gefängnis San Vittore gesperrt, zusammen mit fünf anderen, die im Alter zwischen 15 und 23 Jahren sind: Virginio Oriani (gest. in Ebensee), Pierino Colombo (gest. in Gusen I) sowie Quinto Calloni, Angelo Ratti und Ennio Sala. Am 4. März wird Camerani schließlich nach Mauthausen deportiert. Sein Transport besteht aus 100 Leuten – 48 politischen Gefangene und 52 Personen, die an den großen Streiks beteiligt waren. Nach einem Zwischenstopp in einem Lager bei Innsbruck langt Camerani am 13. März 1944 in Mauthausen ein und erhält die Häftlingsnummer 57555. Am 9. April, an seinem 19. Geburtstag, wird er nach Ebensee verlegt. Er befindet sich im Zustand äußerster Erschöpfung, als er schließlich befreit wird: Sein Gewicht beträgt lediglich 35 Kilo. Wenige Wochen später, am 22. Juni 1945, erreicht Camerani seine Heimat wieder. Seit Anfang der 1970er Jahre bis zu seinem Tod im Sommer 2005 tritt er vor Jugendlichen als Zeitzeuge auf, hält Vorträge in Schulen und begleitet Schulklassen auf Gedenkfahrten nach Mauthausen und Ebensee.

Mario Carrassi (1923-1995) kommt am 6. August 1923 in Mailand zur Welt und übernimmt von seiner Familie die antifaschistische Einstellung. Der Student der Ingenieurwissenschaften an der Universität Mailand schließt sich am 8. September 1943 der kommunistischen Untergrundbewegung an. Als Mitglied des universitären CLN (Comitato della Liberazione Nazionale, Nationales Befreiungskomitee, Anm.) wird er erstmals am 12. Februar 1944 in Genua verhaftet und nach sechs Monaten Haft zur Deportation nach Deutschland verurteilt. Es gelingt ihm jedoch, während der Fahrt zu fliehen. Carrassi kehrt zunächst nach Genua zurück. Nach einiger Zeit schließt er sich einer Partisanenbrigade der Division Liguria-Alessandria mit Zentrum in Acquabianca an. Am 17. November 1944 wird er zum zweiten Mal interniert, dieses Mal im Lager Bozen. Von dort wird er nach Mauthausen deportiert, wo er am 19. Dezember 1944 eintrifft und unter dem falschen Namen „Mario Maiolo“ die Häftlingsnummer 114015 erhält. Am 2. Jänner 1945 wird er in das Außenlager Melk überstellt. Nach der Evakuation dieses Lagers am 12. April 1945 kommt Carrassi nach, wo er auch die Befreiung erlebt. Nach dem Krieg ist er als Professor für Statische Mechanik am Institut für Physik an der Universität Genua tätig. Später übernimmt er leitende Funktionen an 228

Universitätsinstituten, im Führungsrat der Italienischen Gesellschaft für Physik und im Verwaltungsrat der Universität. Mario Carrassi stirbt am 12. Dezember 1995.

Gaetano de Martino (1899-1966) kommt am 15. Oktober 1899 in Irsina (Matera) zur Welt. Er ist Rechtsanwalt und militanter Kommunist. Am 16. November 1943 wird er an seinem Wohnort Mailand verhaftet und in das Gefängnis San Vittore gebracht. Gemeinsam mit anderen Rechtsanwälten wie Sergio Dragoni, Franco Ferrante und Piero Girola trifft er am 13. März 1944 in Mauthausen ein (Häftlingsnummer 57596). Am 8. April 1944 wird er – wiederum gemeinsam mit den drei genannten Anwälten – nach Ebensee verlegt, wo er bis zur Befreiung bleibt. Während der Zeit in Ebensee wird er für eine Weile in ein unbekanntes Lager gebracht. Gaetano De Martino stirbt am 6. November 1966.

Maurice Delfieu (1884-1958) ist am 21. Mai 1884 in Arles geboren. Während der Okkupation ist er leitender Postbeamter des P.T.T. im 16. Arrondissement von Paris und leistet von dort aus Widerstand in mehreren Netzen. Delfieu wird am 13. Januar 1944 an seinem Arbeitsplatz verhaftet und bis 24. März 1944 in Fresnes inhaftiert, von wo er zunächst für einige Tage nach Compiègne überstellt und am 3. April 1944 nach Mauthausen deportiert wird. Bei seiner Ankunft in Mauthausen zu Ostern (8. April) erhält er die Häftlingsnummer 62253. Als Sechzigjähriger zählt er zu den ältesten Häftlingen, deren Überlebenschancen gering sind. Er arbeitet in Mauthausen nur einen Tag im Steinbruch, wird dabei zusammengeschlagen und kommt durch Glück in das Krankenrevier. Im Sommer 1944 (24. Juli) wird er mit einem Transport von 670 Häftlingen in das Außenlager Ebensee überstellt und zunächst in Block 19 untergebracht. Er erlebt für kurze Zeit die Schrecken des Blocks 23 und verbringt anschließend lange Zeit im Schonungsblock. Delfieu wird nach der Befreiung aufgrund seiner Schwäche am 26. Mai 1945 mit dem Flugzeug repatriiert. Er stirbt 1958.

Gilbert Dreyfus (1903-1989) Gilbert Dreyfus verwendet ab seinem Eintritt in die Résistance zur Tarnung seiner jüdischen Herkunft das Pseudonym Gilbert Debrise. Er initiiert den Widerstand in St. Tropez, gründet die berühmte „Brigade des Maures“ und übt später seine Widerstandstätigkeit in der gesamten Südzone aus, bevor er durch die Gestapo verhaftet und deportiert wird. Am 8. April 1944 trifft er mit einem großen Transport im KZ Mauthausen ein und erhält die Häftlingsnummer 62238. In Mauthausen ist er schon früh als Assistenz- und dann als Blockarzt im Isolierblock (Block 7) des so genannten Russenlagers tätig, bevor er am 3. Juli desselben Jahres in das Außenlager Ebensee überstellt wird, um im dortigen Revier als Häftlingsarzt eingesetzt zu werden. Dort trifft er auf seinen Landsmann François Wetterwald, der kurz zuvor ebenso als Arzt von Mauthausen nach Ebensee gekommen ist. Einzigartig in der Lagergeschichte dürfte ihre gemeinsame heimliche Abfassung eines Romans im Lager Ebensee sein. Unter dem Titel La vie et la mort du Chevalier de Vanades (Das Leben und Sterben des Chevaliers von Vanades) verfassen sie gegen Ende der Lagerzeit zusammen ein Werk, das während der Französischen Revolution spielt und zahlreiche Gedichte im Stil des 18. Jahrhunderts enthält. Der Roman wird nie veröffentlicht. 229

Nach der KZ-Haft arbeitet Dreyfus als Mediziner in Paris. Er ist Professor für Endokrinologie, genießt in seinem Fachbereich internationales Ansehen und ist zudem Mitglied der Académie de Medecine. Von 1951-1961 ist Dreyfus Präsident der Amicale de Mauthausen.

Jean-Claude Dumoulin (1923-2002) Ab 1940 ist er im Widerstand tätig, zunächst am Gymnasium, dann in den Reihen der Geheimarmee (Armée Secrète) von Marseille, Lyon und Paris. 1943 wird er durch die Gestapo verhaftet und am 3. April 1944 nach Mauthausen deportiert, wo er die Häftlingsnummer 62357 erhält. Er wird in das Nebenlager Melk weitertransportiert, im April 1945 kommt er mit den letzten Evakuationstransporten nach Ebensee. Nach 1945 ist er Journalist für Außenpolitik und u. a. bei den Zeitungen Libération, Tribune des Nations, l’Express tätig. Er verfasst ebenso Adaptionen von Dramatikern der englischen Renaissance. Dumoulin ist Mitglied der Ehrenlegion. 1999 werden seine Lagererinnerungen veröffentlicht. Er stirbt 2002.

Franco Ferrante (1913-1998) wird am 15. Februar 1913 in Lucca geboren und übersiedelt 1924 nach Mailand, wo er bereits als Gymnasiast Opfer faschistischer Verfolgung wird. Als er in Mailand zum Richter bestellt wird, organisiert er zusammen mit einer kleinen Kollegengruppe antifaschistische Propaganda mit dem Ziel, dass Richter keinen Eid mehr auf die Faschistische Partei ablegen müssen. Am 2. März 1944 wird er gemeinsam mit seinen Kollegen Sergio Dragoni und Piero Girola verhaftet, in das Gefängnis San Vittore gebracht und später mit ihnen und dem Rechtsanwalt Gaetano de Martino nach Mauthausen deportiert. Der Transport trifft am 13. März 1944 in Mauthausen ein, Ferrante erhält die Häftlingsnummer 57576. Anschließend wird er in das Außenlager Ebensee gebracht, wo er sich am geheimen Komitee des Lagers beteiligt und der führende Kopf der italienischen Gruppierung wird. Als Häftling bekleidet er die einflussreiche Funktion eines Blockschreibers und kann vielen Menschen helfen. Ferrante bleibt bis zur Befreiung in Ebensee. Nach seiner Rückkehr nach Italien nimmt er wieder seine Tätigkeit am Mailänder sowie am Berufungsgericht auf und arbeitet dort bis zu seiner Pensionierung. 1983 wird er außerordentlicher Ehrenpräsident des Obersten Revisionsgerichts, außerdem Mitglied des Führungsgremiums der A.N.E.D. (Associazione nazionale degli ex-deportati politici nei campi nazisti, Italienischer Verband KZ-Überlebender, Anm.) Mailand und anderer leitender Organe nationaler und internationaler Verbände. Franco Ferrante stirbt am 21. Jänner 1998.

Homère Fonteneau (1922-?) ist am 28. März 1922 in Charentes geboren. Er wird am 15. Juni 1943 aufgrund des Zwangsarbeitergesetzes des Vichy-Regimes (S.T.O./Service du Travail Obligatoire) vom 16. Februar 1943 in Angoulême verhaftet. Auf der Zugfahrt Richtung Deutschland wird er jedoch durch die Gestapo am 16. Juni 1943 in Paris verhaftet und im Pariser Gefängnis Fort de Romainville interniert. Vom Lager Royallieu in Compiègne wird Fonteneau am 26. Juni 1943 nach Buchenwald deportiert, wo er ca. 6 Monate inhaftiert ist und im Arbeitskommando D.A.W. (Deutsche Ausrüstungswerke) eingesetzt wird. Im Jänner 1944 erfolgt die Deportation nach Lublin in das KZ Maidanek (Häftlingsnummer 8.159). Er arbeitet in einer 230

Holzfabrik und wird in einem kleinen Arbeitslager am Rande von Lublin untergebracht. Am 15. Juni 1944 erfolgt seine Verlegung nach Pulawy (westlich von Lublin), bevor er aufgrund der Einnahme des Lagers Majdanek am 22. Juli 1944 durch die Rote Armee ins jüdische Ghetto von Radom geschleppt wird. Nach einem Weitermarsch kommt Fonteneau am 29. Juli 1944 nach Tomaszow, von wo er wiederum weiter nach Auschwitz verschleppt wird (Häftlingsnummer 190782). Die Evakuation von Auschwitz im Januar 1945 angesichts der naherückenden Roten Armee führt Fonteneau schließlich nach Mauthausen (25. Januar 1945, Häftlingsnummer 116702). Nach wenigen Tagen wird er ins Nebenlager Melk verlegt, bevor durch die Evakuierung des Lagers Melk am 15. April 1945 Ebensee die letzte Station seiner Deportation wird. Drei Wochen später erlebt er dort die endgültige Befreiung aus den Konzentrationslagern. Über sein Leben nach der Befreiung ist nichts bekannt.

Roger Gouffault (geb. 1924) ist am 23. April 1924 als Zwillingsbruder von Pierre Gouffault in Paris geboren. Er erlernt den Tischlerberuf. Mit 17 Jahren wird er Mitglied der Widerstandsformation F.T.P. (Franctireurs et Partisans/ Freischärler und Partisanen, Anm.). Er ist zunächst verantwortlich für den Transport von Waffen, bevor er selbst Sprengstoff herstellt. Am 13.12.1942 wird er zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder von der Brigade Spéciale 2 verhaftet. Nach acht Monaten Haft im Gefängnis Fresnes wird er am 25. August 1943 zunächst für wenige Tage im Lager Neue Bremm inhaftiert und anschließend nach Mauthausen deportiert (Häftlingsnummer 34534). Im Steinbruch ist er als Bohrer tätig. Kurz nach der Errichtung des Außenlagers Ebensee kommt Gouffault mit einem der ersten Transporte am 12. Januar 1944 nach Ebensee und ist dort am Aufbau des Lagers beteiligt. Durch die Herstellung eines Schachspiels für einen SS-Mann wird er in die Tischlerei aufgenommen, wo er u.a. ein Esszimmer für den Lagerkommandanten Anton Ganz tischlert. Nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner arbeitet er mit Jean Laffitte zusammen und ist als Sekretär für die Repatriierungen zuständig. Nach der Rückkehr nach Paris heiratet er die Tochter eines spanischen Häftlingskameraden und zieht nach Brive-la-Gaillarde (Corrèze), wo er sich beruflich selbstständig macht. Er baut einen Familienbetrieb auf, der sich auf die Sonderanfertigung von Maschinenteilen spezialisiert und weltweit Geschäftsbeziehungen zu namhaften Firmen pflegt. Seit 1951 organisiert Gouffault zudem Gedenkreisen an die Orte des NS-Terrors in Österreich. 1972 tritt er als Zeuge im Prozess gegen den Lagerkommandanten Anton Ganz auf.

Jean Laffitte (1910-2004) wird am 24. März 1910 in Agnac (Lot-et-Garonne) geboren. Er ist vor der Deportation von Beruf Konditor. 1933 tritt er der Kommunistischen Partei bei. Er gerät im Juni 1940 in Kriegsgefangenschaft, aus der er im Dezember 1940 fliehen kann. Innerhalb der illegalen Führung der Partei nimmt er am Aufbau der ersten Widerstandsgruppen der FTP in der Region Paris teil. Im Mai 1942 wird er von der französischen Polizei verhaftet, wenig vorher seine erste Frau, die 1943 in Auschwitz umkommt. Nach der Haft in den Gefängnissen La Santé, Fresnes und Romainville wird er am 1. April 1943 nach Mauthausen deportiert. (Häftlingsnummer 25519). Nach elf Monaten (9. März 1944) erfolgt die Überstellung in das Außenlager Ebensee. Laffitte gehört neben Drahomír Bárta und Hrvoje Macanovic 231

zu den Führern des sich im Mai 1944 formierenden illegalen internationalen Lagerkomitees. Besondere Bedeutung hatten vor der Befreiung des Lagers seine Kontakte zu der so genannten Poltrumgruppe. Nach 1945 heiratet Jean Laffitte die aus Ravensbrück zurückgekehrte Georgette Cadras. Er verfasst mehrere Bücher über die Kriegsjahre und die Deportation: Ceux qui vivent (1947) (dt. Die Lebenden, 1950), Nous retournerons cueillir les jonquilles (1948) (dt. Wir werden wieder Schlüsselblumen pflücken, 1951), La pendaison (1983). Von 1949-1956 ist er Generalsekretär des Weltfriedensrates. Neben verschiedenen Funktionen in der kommunistischen Partei widmet sich Jean Laffitte der Erinnerungsarbeit innerhalb der Amicale de Mauthausen, deren Vize-Präsident er lange Zeit ist. Jean Laffitte stirbt am 16.Oktober 2004 in Agnac.

Felipe Martinez-Robles (geb. 1916) am 26. Oktober 1916 in Raismes (Nord) geboren. Seine spanischen Eltern waren nach Frankreich emigriert, um dort Arbeit zu finden. 1936 geht Martinez in sein Heimatland zurück, um auf Seiten der Internationalen Brigaden für das republikanische Spanien zu kämpfen. Er nimmt an den Schlachten um Madrid, am Guadalajara und in Brunete in Aragonien teil. 1939 kehrt er nach Frankreich zurück und nimmt seine Arbeit als Bergarbeiter in den Minen wieder auf. Am 13. September 1941 wird er im Zuge der Streiks der Minenarbeiter verhaftet und in Loos-lez-Lille und dann im Gefängnis Saint-Gilles (Brüssel) inhaftiert. Im Juni 1942 wird er in das KZ Mauthausen deportiert. Ein Jahr später, am 9. März 1944, kommt Martinez nach Ebensee. Er zählt in Ebensee zu der kleinen Gruppe von spanischen Häftlingen, die untereinander sehr gut organisiert waren. Die letzten sieben Monate arbeitet er in der Weberei des Lagers. Nach seiner Befreiung kehrt er nach Nordfrankreich zurück und schon im September 1945 tritt er wieder zum Dienst in den Minen an. Felipe Martinez lebt heute mit seiner Frau, die er 1946 heiratete, in Lille.

Nedo Nencioni (geb. 1927) wird am 23. Dezember 1927 in Livorno geboren und besucht vier Jahre lang die Volksschule. Als französische Bomber die Wohnung seiner Eltern mitsamt allem Hab und Gut dem Erdboden gleichmachen, übersiedelt die Familie in die Toskana, wo sie zuerst bei einem Onkel Nencionis in Empoli Zuflucht nimmt, später in einer öffentlichen Schule im nahen Vorort Pontorme unterkommt. In Empoli findet der Vater Arbeit in der Glaserei Taddei, der Sohn wird als Glaserlehrling in der Firma Cesa aufgenommen. Die beiden beteiligen sich an einem der immer zahlreicher auftretenden Streiks und werden in der Folge mit 111 weiteren Personen am 8. März 1944 bei einer Razzia der Exekutive der Repubblica di Salò festgenommen, nach Florenz gebracht und kurz darauf deportiert. Der Transport trifft am 11. März 1944 in Mauthausen ein. Der 16-jährige Nedo Nencioni erhält die Häftlingsnummer 57302, sein Vater die Nummer 57301. Am 25. März 1944 wird er nach Ebensee, im November nach Wels II verlegt und dabei von seinem Vater getrennt. Er sieht ihn erst im April 1945 wieder, als er nach Ebensee zurückgebracht wird. Der Vater erlebt jedoch die unmittelbar bevorstehende Befreiung nicht mehr. Nedo Nencioni selbst wiegt nach 40 Tagen in amerikanischer Pflege nur 32 Kilo, als er am 18. Juni 1945 nach Italien zurückkehrt. Nach dem Krieg setzt er seine Glaserlehre fort und bringt es bis zum Meisterbrief. Bis heute tritt er unermüdlich als Zeitzeuge auf.

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Pierre Saint-Macary (geb. 1920) ist am 18. November 1920 geboren. Ab 1942 ist er als Mitglied der ORA (Organisation de Résistance de l’Armée) im Widerstand tätig. 1943 gerät er in Haft und wird in mehrere Gefängnisse überstellt. Über das Internierungslager Compiègne wird Saint-Macary am 3. April 1944 nach Mauthausen deportiert (Häftlingsnummer 63125). Nach kurzer Zeit (am 21. April) erfolgt seine Überstellung in das Außenlager Melk. Im April 1945 wird er nach Ebensee evakuiert. Zwischen 1945 und 1977 ist Saint–Macary Offizier der Marineinfanterie, General des Reservebataillons und in Frankreich und Übersee (Indochina) im Dienst. Von 1977-1983 ist er Sonderbeauftragter der nationalen Stiftung für Politikwissenschaften (Fondation nationale des Sciences Politiques). In den folgenden Jahren (1983-1987) leitet er das Militärmuseum. In der Organisation Amicale de Mauthausen hat er verschiedene Funktionen inne, von 1998-2000 ist er ihr Präsident. Pierre Saint-Macary lebt heute in Boulogne.

Italo Tibaldi (geb. 1927) wird am 16. Mai 1927 in Pinerolo bei Turin geboren. Er schließt sich bereits als Schüler den Partisanen an und wird Kommandant der Einheit der II. Alpinen Division von Giustizia e Libertà (Gerechtigkeit und Freiheit), einer linksliberalen Antifaschismusbewegung, die bereits 1929 gegründet worden war. Der 16-jährige Tibaldi wird am 9. Jänner 1944 festgenommen, im Turiner Gefängnis Le Nuove inhaftiert und wenig später nach Mauthausen deportiert, wo er am 14. Jänner 1944 eintrifft (Häftlingsnummer 42307). Nach der Quarantäne wird er am 28. Jänner 1944 in das Außenlager Ebensee überstellt. Er kehrt am 20. Juni 1945 nach Italien zurück, wo er Gemeindebeamter in Turin wird. Seit den 50er Jahren sammelt er die Namen und Daten der italienischen Deportierten, um eine Rekonstruktion der Häftlingstransporte aus Italien zu ermöglichen. Heute zählt er zu den wichtigsten Förderern der italienischen Deportationsforschung. Seine Publikation Compagni di viaggio aus dem Jahr 1994 liefert Eckdaten zu den Deportationstransporten aus Italien. Er ist Mitglied des Exekutivausschusses der ANED und nicht zuletzt zuständig für die Forschung. Im Internationalen Mauthausenkomitee vertritt er zusammen mit Gianfranco Maris Italien. Italo Tibaldi lebt heute in Vico Canavese bei Turin, einer Ortschaft, der er bereits als Bürgermeister vorstand.

Paul Tillard (1914-1966) wird am 30. September 1914 in Angôuleme geboren. Er arbeitet als Journalist und veröffentlicht 1938 seinen ersten Roman On se bat dans la ville, der die Februaraufstände 1934 in Österreich zum Thema hat. Nach der Okkupation ist er in den kommunistischen Widerstandgruppen FTP aktiv. Am 27. August 1942 wird er durch die Polizei des Vichy-Regimes verhaftet, der Gestapo ausgeliefert und zum Tod verurteilt. Nach einer Haft im Pariser Gefängnis „La Santé“ wird er Ende 1942 im Fort von Romainville interniert. Am 1. April 1943 erfolgt im Zuge der Aktion „Nacht und Nebel“ (wie Jean Laffitte) seine Deportation nach Mauthausen, wo er am 3. April 1943 ankommt (Häftlingsnummer 25672). Am 9. März 1944 führt ihn eine Verlegung ins Außenlager Ebensee. Nach einer Kopfverletzung wird Tillard am Vorabend der Befreiung des KZ Ebensee am 5. Mai 1945 von den französischen Ärzten Gilbert Dreyfus und François Wetterwald im Lager operiert. Nach der Befreiung arbeitet er wieder als Journalist und unternimmt viele Reisen 233

z.B. nach China, wo er fast ein Jahr als Korrespondent der Zeitung Humanité verbringt. Der daraus hervorgehende Roman Le montreur de marionettes (1956) (dt. Der Puppenspieler von Peking) führt zum Ausschluss aus der Kommunistischen Partei. Weitere Veröffentlichungen: Les combattants da la nuit (1947) (dt. Nacht über Paris, 1957), L’Outrage (1958), Les triomphants (1953) (dt. Die Triumphierenden, 1955), La Rançon des purs (1960), Ma cousine Amélie (1962), Les Amants d’Altéa (1964) und Le Pain des temps maudits (1965). Er stirbt am 27. Juli 1966.

François Wetterwald (1911-1993) kommt am 29. März 1911 in Tunis zur Welt. Als ausgebildeter Arzt ist er 1940 an der Kriegsfront tätig. Am 2. Januar 1941 scheitert sein Versuch, nach England zu flüchten, um sich der dortigen Widerstandsbewegung anzuschließen. Er wird für kurze Zeit in Haft genommen. Er begründet später das Freischärlerkorps Vengeance (‚Rache‘), ein großes Widerstandsnetz in der okkupierten Nordzone Frankreichs, in dem er vor allem Trainingslager für Widerstandskämpfer organisiert. Am 15. Januar 1944 wird er in Paris verhaftet. Nach dem Gefängnisaufenthalt in Compiègne erfolgt am 6. April 1944 seine Deportation nach Mauthausen, wo er am 8. April 1944 mit der Matrikelnummer 63329 registriert wird. Nach kurzem Aufenthalt wird er als Häftlingsarzt am 10. Mai 1944 ins Außenlager Ebensee überstellt. Im dortigen Krankenrevier übernimmt er unter schwierigsten Umständen chirurgische Aufgaben. Bis zur Befreiung führt er Aufzeichnungen über 682 Operationen, die er während der Lagerzeit in Ebensee durchführt. Er schreibt noch im Lager seine Erinnerungen nieder, die 1946 veröffentlicht werden. Wetterwald stirbt 1993.

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ÜBERSETZUNGEN

Barbara Kluger:

Maurice Delfieu, Homère Fonteneau, Roger Gouffault, Paul Tillard Peter Kuon: Franco Ferrante, Jean Laffitte, Roberto Camerani Sonja Mayr: Stefano Arcidiacono, Mario Carrassi, Gaetano de Martino Judith Moser–Kroiss: Felipe Martinez, Joaquim Amat-Piniella Monika Neuhofer: François Wetterwald Gabriele Pflug: Sante, Bartolai, Giovanni Besquet Baima, Nedo Nencioni, Italo Tibaldi Andreas Schmoller: Gilbert Dreyfus, Jean-Claude Dumoulin, Pierre Saint Macary Ursula Wagner–Kuon: Jean Laffitte, Franco Ferrante

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