Zoos 2014

October 3, 2017 | Autor: Markus Wild | Categoria: Animal Ethics, Weakness of Will, Reflective Equilibrium, Zoos, Meat and meat consumption
Share Embed


Descrição do Produto

Zoos: Besuchen oder nicht besuchen? Zur Beilegung moralischer Meinungsverschiedenheiten Markus Wild Erscheint in: TIEREthik 2014 (2) This is a draft, please fo not quote! Zusammenfassung Viele Leute gehen gerne in den Zoo, essen gerne Fleisch und vertreten die Ansicht, dass es moralisch legitim ist, Fleisch zu konsumieren und Zoos zu besuchen. Dieser Einstellung steht eine Minderheit gegenüber, die Fleischkonsum und Zoobesuch als moralisch problematisch betrachtet. Wie kann eine solche Meinungsverschiedenheit geschlichtet werden? Auf der Grundlage eines moralpsychologischen Ansatzes wird vorgeschlagen, dass die Methode des Überlegungsgleichgewichts ein vielversprechender Ansatz für die Schlichtung solcher Meinungsverschiedenheiten ist. Dieser Ansatz wird anhand des klassischen Schemas der sog. „Willensschwäche“ durchgeführt. Das Resultat der Anwendung dieses methodischen Ansatzes auf die Frage, ob man in den Zoo gehen soll oder besser nicht, lautet, dass es alles in allem falsch ist Zoos zu besuchen. Schlüsselwörter: Zoo, Fleisch, Überlegungsgleichgewicht, Willensschwäche Zoos: To Visit or Not To Visit On settling moral disputes Markus Wild Summary Many people visit zoos and eat meat, and they believe that consuming meat and attending zoos is morally legitimate. They are opposed by a minority who view meat consumption and zoo visits as morally problematic. How should we settle such a disagreement? Based on an approach from moral psychology, the method of reflective equilibrium appears to be a very promising strategy for settling such disagreements. In applying this method, the classical concept of the 'weakness of will' (akrasia) will be used. As a result of deploying such an argumentative approach to solving the question of whether or not one should visit zoos, it emerges that, all things considered, it is wrong to visit zoos. Key words: zoo, meat, reflective equilibrium, weakness of will (akrasia) 1. Einleitung Viele Leute gehen gerne in den Zoo und ebenso essen viele gerne Fleisch. Das zeigen Besucherzahlen von Zoos bzw. der Zuwachs des Pro-Kopf-Fleischkonsums. Fleischkonsum und Zoobesuch ist für diese Menschen nicht nur schön und wünschenswert, sondern auch moralisch legitim. Dem steht eine Minderheit gegenüber, die Fleischkonsum und Zoobesuch als moralisch problematisch betrachtet. Wie kann eine solche Meinungsverschiedenheit geschlichtet werden? Handelt es sich um unterschiedliche Moralsysteme, die diese divergierenden Urteile informieren? Wohl kaum, denn beide Seiten würden zugeben, dass es moralisch verwerflich ist,  

1

Menschenfleisch zu konsumieren oder Eventbesuche in Zuchthäusern zu machen. Da es sich um eine moralische Meinungsverschiedenheit handelt, können auch subjektive Präferenzen nicht den Ausschlag geben, denn es geht nicht um die Artikulation subjektiver Geschmacksurteile, sondern um Urteile, die intersubjektive Verbindlichkeit fordern. Schließlich kann auch nicht der Umstand entscheidend sein, dass es sich bei der einen Partei um eine Mehrheit, bei der anderen Partei hingegen um eine Minderheit handelt, denn es soll sich um eine Meinungsverschiedenheit handeln, in der Gründe entscheiden sollen. Nun ist aber die Mehrheitsposition in alltäglichen Debatten um die moralische Zulässigkeit von Fleischkonsum oder Zoobesuchen oftmals mit der Ansicht verbunden, dass unterschiedliche Moralsysteme, unterschiedliche subjektive Präferenzen sowie der Umstand, dass sie die Majorität ist, für die Meinungsverschiedenheit ausschlaggebend sind. Der Majoritätsaspekt hat zur Folge, dass die Meinung der Minderheit in der Regel als wenig gewichtig und als beweislastpflichtig betrachtet wird. Dies führt zu einer Situation, in der die Minderheitenposition zwar die Beweislast trägt, diese aber nicht erbringen kann, weil sie qua Minderheit nicht ins Gewicht fällt. Demgegenüber bringt die Mehrheitsposition intuitive moralische Urteile zum Ausdruck, die als solche ins Gewicht fallen und nicht der Beweislastpflicht unterstehen.   Ausgehend von dieser Beobachtung möchte ich zuerst auf die psychologische Grundlage für intuitive moralische Urteile hinweisen und mich für die Methode des Überlegungsgleichgewichts als Vorgehen zur Beilegung moralischer Meinungsverschiedenheiten in der Tierethik stark machen. Zweitens möchte ich zeigen, dass das klassische Schema der Willensschwäche sich als Vorlage für die diskursive Beilegung moralischer Meinungsverschiedenheiten in der Tierethik anbietet. Drittens werde ich dieses Schema auf die Frage anwenden, ob es moralisch zulässig ist, Zoos zu besuchen. Die Antwort wird negativ ausfallen. 2. Grundlagen intuitiver moralischer Urteile und das Überlegungsgleichgewicht Relativismus in Bezug auf Tatsachen und epistemische Rechtfertigungen ist keine philosophisch konsistente Position (Boghossian 2013). Demgegenüber erscheint ein Relativismus in Bezug auf moralische Urteile plausibler. Obschon wir auch stabile moralische Übereinstimmungen finden können, sind moralische Meinungsverschiedenheiten ein verbreitetes Phänomen. Aus philosophischer Sicht stellt sich die Frage, ob sich dieses empirische Phänomen auch unter idealen Bedingungen erhalten würde – Bedingungen unter denen sich die Beteiligten rational und unparteiisch verhalten und über alle relevanten nicht-moralischen Informationen verfügen. Es scheint, dass sowohl die Natur moralischer Urteilsfindung, als auch die Natur der involvierten Subjekte es selbst unter idealisierten Bedingungen als fragwürdig erscheinen lassen, dass moralische Meinungsverschiedenheiten auch unter idealisierten Bedingungen kaum überwunden werden dürften (vgl. Mackie 1977, Loeb 1998). Naturalistisch orientierte Moralpsychologen argumentieren, dass weder die Natur moralischer Urteilsfindung noch die Natur der involvierten Subjekte ausschließlich a priori im Lehnstuhl bestimmt werden können, nötig seien vielmehr empirische Daten aus Anthropologie, Soziologie und Psychologie über die moralische Urteilsfindung.  

2

In einer klassischen Studie hat der Philosoph Richard Brandt eine Feldstudie bei den Hopi-Indianern im Südwesten der USA vorgenommen (Brandt 1954). Brandt stieß dabei auf moralische Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hopi und der weißen Bevölkerung der USA, die nicht auf außermoralische Informationsdifferenzen oder mangelnde Rationalität usw. zurückzuführen sind. Ein interessantes Beispiel stellt das Tierleid dar. Hopi-Kinder fangen Vögel und machen sie zu „Haustieren“. Sie werden an Schnüre gebunden, mitgenommen und man spielt mit ihnen. Diese Spiele sind recht ruppig und die Vögel überleben sie auf die Dauer nicht. Die Hopi meinen, die Vögel würden müde und stürben, niemand habe dagegen etwas einzuwenden (Brandt 1954, 213). Eine solche Praxis würden wir in aller Regel als grausam beurteilen und deshalb nicht zulassen. Die Hopi glauben weder, dass die Vögel kein Leid erfahren können, noch, dass der Schaden, der ihnen zugefügt wird, kompensiert wird. Die Überzeugungen der Hopis über die Natur der Vögel und ihren kosmischen Ort unterscheiden sich also nicht von denen weißer Amerikaner. Brandt folgert, dass es sich um grundlegend divergierende moralische Einstellungen handelt. Naturalistisch orientierte Philosophem wie John Doris und Stephen Stich haben argumentiert, dass die Sozialpsychologie und die Kognitive Psychologie der letzten Jahrzehnte (Ross und Nisbet 1991, Nisbet und Cohen 1996, Nisbet 2003) Brandts Folgerung unterstützten, dass moralische Einstellungen auch unter idealen Bedingungen nicht immer konvergieren werden (Doris und Stich 2005, 2014; Doris und Plakias 2007). Chandra Sripada und Steven Stich haben ein empirisch fundiertes Modell der moralischen Urteilsfindung entwickelt (Sripada und Stich 2006). Nach diesem Modell sind moralische Urteile weniger durch bewusste moralische Reflexion gesteuert, als vielmehr durch moralische Intuitionen (im psychologischen Sinn). Dies bedeutet, dass sich solche Urteilsfindungen unbewussten, nahezu automatischen und überwiegend emotionsgesteuerten Prozessen verdanken. In Fällen, in denen solche Urteile besonders stark ausfallen (Homosexualität, Inzest, Pädophilie, Veganismus) sind unmittelbar körperliche Reaktionen involviert (Haidt 2001). Die Neurologie legt nahe, dass in moralischen Urteilsfindungen die mit der Verarbeitung affektiver und emotionaler Prozesse assoziierten Areale stärker involviert sind als im Falle kontrollierter Überlegungen (Paxton und Greene 2010). Trotz meiner philosophischen Sympathien für naturalistische Ansätze (Wild 2008, 2012, 2014) bezweifle ich, dass empirische Forschungen festlegen können, dass moralische Meinungsverschiedenheiten auch unter idealen Bedingungen nicht beigelegt werden können. Sie können dies deshalb nicht, weil aus nicht-idealen Bedingungen gewonnene Resultate nur beschränkt Aussagen über ideale Bedingungen zulassen. Empirische Resultate schließen nur bedingt aus, dass Parteilichkeit, Irrationalität und außermoralische Faktoren der Grund für die moralische Meinungsverschiedenheit sind. Und selbst wenn das Modell von Sripada und Stich auf die individuellen moralischen Urteilsfindungen zugrundeliegenden Prozesse zutrifft, bedeutet dies keineswegs, dass diese Prozesse auch kollektiven privaten und öffentlichen Diskussionen über moralische Urteilsfindung zugrunde liegen. An dieser Stelle ist es hilfreich, Debatten von Diskussionen zu unterscheiden: Im Unterschied zu privaten und öffentlichen Debatten, in denen vorrangig Positionen  

3

markiert und Gegner diffamiert werden, handelt es sich bei Diskussionen um ein Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen. Auf der Grundlage dieses Spiels (wenn auch nicht allein auf dieser Grundlage) sind durchaus Revisionen in den Dispositionen möglich, die im Sripada-Stich-Modell beschrieben werden. Trotz dieser Einwände sind die Hinweise auf die psychischen Grundlagen moralischer Meinungsverschiedenheit methodisch wichtig. Die Interaktionen zwischen intuitiven moralischen individuellen Dispositionen, reflexiven öffentlichen Diskussionen und potentiellen Revisionen jener Dispositionen legen es nahe, die Methode des Überlegungsgleichgewichts als adäquate Methode für die ethische Reflexion über moralische Meinungsverschiedenheiten zu betrachten (vgl. Fitzpatrick 2014). Eine moralische Untersuchung stellt einen fortschreitenden und dynamischen Prozess der wechselseitigen Anpassung von moralischen Intuitionen, reflektierten moralischen Urteilen, Moraltheorien sowie außermoralischen Tatsachen, Überzeugungen und Wünschen dar. Das ideale Ziel wäre ein Netz kohärenter Überzeugungen. Diesem Ziel liegt die grundlegende Forderung nach Kohärenz zugrunde. Das Überlegungsgleichgewicht sollte nicht nur im engen Sinne als Kohärenz zwischen moralischen Überzeugungen verstanden werden, sondern auch im weiten Sinne als Kohärenz zwischen moralischen und außermoralischen Überzeugungen. Diesen Punkt gilt es in öffentlichen Diskussionen um moralische Meinungsverschiedenheiten in der Tierethik unbedingt zu beachten. Diese werden nicht nur als ethische Diskurse geführt. Für die Tierethik gilt es aber, die ethischen Aspekte in diesen Diskussionen zu verstärken. Zum Überlegungsgleichgewicht gehört (wie gesagt) die Interaktion zwischen individuellen intuitiven moralischen Urteilen und öffentlichen reflektieren moralischen Urteilen. Individuelle intuitive moralische Urteile müssen als Ausgangspunkt dienen. Doch muss beachtet werden, dass stabile, nichtopportunistische Urteile zum Ausgangspunkt gewählt werden, Urteile mithin, die zu fällen man eine zuverlässige Disposition hat und die sich nicht nach Situation und Erregungszustand wandeln. Zweitens gehört das Sammeln alternativer moralischer Intuitionen, moralischer Prinzipien, von Rechtfertigungsstrategien und außermoralischen Faktoren zum Prozess des Überlegungsgleichgewichts. Drittens erfolgt die Herstellung von systematischer Kohärenz zwischen allen diesen Faktoren. 3. Ein Schema für die Herstellung des Überlegungsgleichgewichts Tierethische Ansätze zu Fragen des Konsums, der Forschung, der Tierhaltung oder des Tierschutzes verfolgen in aller Regel einen uniperspektivischen Top-DownAnsatz. Ausgehend von generellen ethischen Prinzipien werden Folgerungen für bestimmte Anwendungsfelder gezogen und Gegenargumente beiseite geräumt. Gegen dieses genuin philosophische Vorhaben ist im Prinzip nichts einzuwenden. Es trägt zur Schärfung von Begriffen, Argumenten, Fragen und Problemen bei. Vor dem Hintergrund der eben skizzierten methodischen Überlegungen erscheint es aber als sinnvoll einen multiperspektivischen Ansatz des Überlegungsgleichgewichts anzustreben. Gegen Kritik am Zoo, die sich seitens der Tierethik erhebt, wird  

4

bisweilen eingewendet, sie wähle von vornherein eine zu enge ethische Perspektive, gute Zoos würden übergeordnete Perspektiven im Auge behalten (vgl. Batthyany und Pagan 2014, 15). Diesem Vorbehalt kann mit dem multiperspektivischen Ansatz des Überlegungsgleichgewichts begegnet werden. Betrachten wir zunächst exemplarisch einen solchen Ausgangspunkt für das Thema Fleischkonsum. Wir können mit der weit verbreiteten moralischen Intuition beginnen, der zufolge wir eine andauernde Willensschwäche bei uns als negativ bewerten. Ich möchte den Vorschlag machen, dass wir das traditionelle Schema für Willensschwäche als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Überlegungsgleichgewichts nehmen können. Das begriffliche Schema für Willensschwäche sieht wie folgt aus: Person P handelt willensschwach, wenn 1) 2) 3) 4)

P absichtlich X tut, P glaubt, dass es eine Alternative Y zu X gibt, die P offensteht, P urteilt, dass es alles in allem besser ist Y zu tun als X zu tun. Aber: P hat ein großes Bedürfnis nach X.

Hier ein vertrautes Beispiel des Schemas für Person P mit Suchtdisposition: 1) P raucht absichtlich eine Zigarette, 2) P glaubt, dass sie auch keine Zigarette hätte rauchen können, 3) P urteilt, dass es alles in allem besser ist, keine Zigarette zur rauchen als eine zu rauchen. 4) Aber: P hat ein großes Bedürfnis nach einer Zigarette Hier ein weniger vertrautes Beispiel für Person P mit Gewaltdisposition: 1) P schlägt absichtlich ihr Kind. 2) P glaubt, dass sie ihr Kind auch nicht hätte schlagen können. 3) P urteilt, dass es alles in allem besser ist, ihr Kind nicht zu schlagen als es zu schlagen. 4) Aber: P hat ein großes Bedürfnis ihr Kind zu schlagen. Und schließlich das Schema für Person P mit „Fleischdisposition“: 1) P isst absichtlich Fleisch. 2) P glaubt, dass sie auch fleischlos essen kann. 3) P urteilt, dass es alles in allem besser ist, kein Fleisch zu essen als Fleisch zu essen. 4) Aber: P hat ein großes Bedürfnis nach Fleisch.

 

5

Um die Schritte des Schemas plausibel zu machen, müssten drei Fragen beantwortet werden. Damit wir wissen, wovon die Rede ist, müsste zuerst die Frage beantwortet werden, was Fleisch ist. Zweitens müssten wir die Frage beantworten, ob wir anders handeln können. Und drittens müsste die Frage entschieden werden, ob es alles in allem besser ist kein Fleisch zu essen. Die erste und die zweite Frage lasse ich aus Gründen der Darstellungsökonomie beiseite und wende mich der dritten Frage zu. Gegen Fleischkonsum sprechen die folgenden fünf Gruppen von Gründen: 1. Tierwohl. ein Großteil der Tierhaltung involviert subjektives Leid und objektive Schädigung durch Kontrolle, Verdinglichung, Zucht, Reproduktion, Aufzucht, Mast, Haltung, Transport und Tötung. 2. Wirtschaftsform. Da die Gewinnmargen der Fleischindustrie gering sind, werden Produktionseffizienz (Konzentration der Tierhaltung) und Kostensenkung (Intensivierung der Tierhaltung) zu ökonomischen Geboten. Eine Folge dieses Gebotes sind Gammelfleisch, Hormonfleisch, Falschdeklaration, Futtermittelskandale, Tierseuchen, der Gebrauch von Hormonen und Antibiotika. Außerdem führt das Gebot zur drastischen Reduktion der Artenvielfalt unter den Nutztieren. 3. Gesundheit. Fleischkonsum kann kausal in Verbindung gebracht werden mit gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arteriosklerose, Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Osteoporose, Rheumatische Erkrankungen, Arthrosen, Krebs. 4. Umwelt. Die Tierwirtschaft verursacht mind. 18% der gesamten vom Menschen verursachten Treibhausgase, beteiligt sich massiv an der Zerstörung von Regenwald, an einem überhöhten Energieverbrauch und an der Verschwendung von Wasser. 5. Gerechtigkeit. Menschen und Wiederkäuer sind keine Nahrungskonkurrenten, doch die Nutztierhaltung beansprucht grob 70% des weltweiten Acker- und Weidelandes, damit werden sie zu Nahrungskonkurrenten, was die Ungerechtigkeit der globalen Güterverteilung weiter erhöht. Für den Fleischkonsum werden in der Regel die folgenden Gruppen von Überlegungen ins Feld geführt: Freude, Lust und Geschmack, kulinarische Vielfalt, Tradition und Kultur, Versorgung mit hochwertigem Eisen, Eiweiß und Vitaminen, der Verweis, dass extensive Weidehaltung die meisten der genannten Probleme vermeiden würde, der Verweis auf den Umstand, dass schmerzlose Tötung dem Tierwohl nicht entgegensteht, der Verweis darauf, dass Fleischverzicht ebenfalls zur Reduktion der Diversität der Nutztierrassen führen würde und endlich der Verweis auf die Fleischindustrie als wichtigen Arbeitgeber. Die wohl am weitesten verbreitete Grundlage für das intuitive moralische Urteil beruht auf dem Umstand, dass wir Freude und Geschmack am Fleischkonsum haben und ihn als Teil unserer Kultur betrachten. Anders gesagt, wir finden Fleischkonsum moralisch in Ordnung, weil wir Fleisch konsumieren. Im Rahmen der skizzierten Argumentation kann diese Grundlage jedoch keinen Wert beanspruchen, weil sie das  

6

im Schema Fleischdisposition formulierte Problem darstellt. Der Verweis auf das große Bedürfnis nach Fleisch entspräche dem großen Bedürfnis im Schema Suchtdisposition, die Zigarette zu rauchen bzw. im Schema Gewaltdisposition, die Kinder zu schlagen. Diese Bedürfnisse sind aber das jeweilige Problem, das zur Willensschwäche führt und nicht ein Argument für die Disposition. Also können sie auch nicht zu Rechtfertigungszwecken verwendet werden. Betrachten wir nun einen Aspekt aus der ersten Gruppe der Gründe gegen den Fleischkonsum, das Tierwohl. Auch hier können wir wiederum von unseren intuitiven moralischen Urteilen ausgehen. Es ist sicher nicht gewagt zu behaupten, dass wir es im Unterschied zu Hopi-Indianern als grausam betrachten würden, wenn Kinder Vögel als zu misshandelnde Spielzeuge mit sich führten, die aufgrund der Misshandlung verenden. Der Grund für diese Überzeugung liegt darin, dass wir dem Gebot der Leidvermeidung folgen, der Regel also, dass es falsch ist, einem Lebewesen ohne guten Grund Leid zuzufügen. Wer das verneint, steht in der Pflicht, dies zu begründen, nicht umgekehrt. Aus der Sicht des Tierwohls zählen zunächst nur moralische Gründe, weil wir es bei der Leidvermeidung mit einem moralischen Prinzip zu tun haben. Dies bedeutet, dass Willkür, Gewohnheit, Tradition, Arbeitsplätze, Wirtschaftlichkeit an dieser Stelle keine guten Gründe für Leidzufügung sein können (es bedeutet nicht, dass sie nicht an einer anderen Stelle des zu weiten Überlegungsgleichgewichts eine Rolle spielen können). Moralische Gründe für das Zufügen von Leid sind beispielsweise Notwehr oder Notstand, das Wohlergehen des Betroffenen oder der Schutz übergeordneter Interessen. Tieren wird zu Zwecken der Fleischgewinnung Leid und Schaden zugefügt, aber wir haben es dabei weder mit Situationen von Notwehr oder Notstand, dem Wohlergehen der betroffenen Tiere oder dem Schutz übergeordneter Interessen zu tun. Es ist bekannt, dass ein Großsteil der Fleischproduktion nicht ohne Leid oder Schädigungen erfolgen kann. Trotz dieser weithin geteilten Ansicht essen die meisten Leute Fleisch. Dies könnte man als eine Facette der Willensschwäche betrachten, wenn es nicht die Überlegung gäbe, dass dem Tier ja kein Leid geschieht, wenn man es art- und tiergerecht hält und schmerzlos tötet. Dem stimme ich nicht zu. Wir können den gleichen Ausgangspunkt wählen, der unserem intuitiven moralischen Urteil zugrunde liegt, wenn wir Vögel nicht als Spielzeuge für Kinder akzeptieren, nämlich dass es falsch ist einem Lebewesen ohne guten Grund Leid zuzufügen. Warum aber betrachten wir es als falsch, empfindungsfähigen Wesen Leid zuzufügen? Der Grund besteht darin, dass es falsch ist, ein solches Wesen zu schädigen. Leid involviert offensichtlich eine Schädigung des Wesens: wir schädigen es körperlich und diese Schädigung impliziert eine negative Empfindung (Schmerz) oder wir beeinträchtigen es in seiner Bewegungsfreiheit und dies impliziert eine negative Empfindung (Langeweile). Wenn ein empfindungsfähiges Wesen schmerzlos getötet wird, wird ihm dadurch ein Schaden und eine Beeinträchtigung zugefügt, nämlich die irreversible Vernichtung der Chance auf positive Empfindungen. Wenn es also das Gebot der Leidvermeidung gebietet

 

7

empfindungsfähigen Tieren kein Leid anzutun, dann ist es aus denselben Gründen falsch, solche Tiere schmerzlos zu töten. Sicher ist aufgefallen, dass ich das Schema für Willensschwäche in einem heterodoxen Sinn verwende. Für Willensschwäche ist es zentral, dass das Subjekt das Urteil, es wäre alles in allem besser, X nicht zu tun, wirklich teilt, um X wider besseres Wissen doch zu tun. Für den Fleischkonsum gilt jedoch, dass die meisten Personen nicht der Meinung sind, dass es allem in allem besser wäre, kein Fleisch zu essen. Diese Personen leiden also nicht an Willensschwäche im klassischen Sinn. An dieser Stelle müssen wir an das Überlegungsgleichgewicht erinnern. Es stellt eine adäquate Methode zu Beilegung moralischer Meinungsverschiedenheiten dar. Was mithilfe des Schemas für Willensschwäche in ein reflexives Gleichgewicht gebracht werden soll, sind (i) Alternativen zur Handlung X, (ii) Gründe für und wider X und (iii) mein Bedürfnis X zu tun. Das Schema kann somit nicht allein als deskriptives Schema für die Beschreibung der Willensschwäche verwendet werden. Der Grundgedanke lautet: Moralische Meinungsverschiedenheiten können mithilfe des Überlegungsgleichgewichts entschieden werden. Der Schritt (ii) besagt, dass P rational zur Überzeugung gelangen sollte, dass es alles in allem besser ist kein Fleisch zu essen obwohl P ein großes Bedürfnis danach hat. Die Verwendung des Schemas ist normativ. 4. Auf in den Zoo oder weg mit dem Zoo? Das bisher Gesagte soll nun auf Zoo und Aquarium angewendet werden, genauer auf den Besuch von wissenschaftlich geführten Zoos und Aquarien. Zeigt es sich an wissenschaftlich geführten Zoos und Aquarien, dass ihr Besuch Ausdruck von Willensschwäche ist, trifft dies auch auf andere Zoos und Aquarien zu. 4.1. Was ist ein Zoo? Zuerst möchte ich definieren, was ein Zoo ist. Da Zoos Institutionen mit rechtlichem Status sind, darf man einen Ansatz zu einer Antwort in Rechtstexten suchen. Das Schweizer Recht definiert Zoos als „gewerbsmässige Wildtierhaltungen“ und das deutsche Recht ergänzt, dass Zoos Einrichtungen sind, „in denen lebende Arten zwecks Zurschaustellung gehalten werden“. Zweifellos ist eine primäre Funktion dieser Zurschaustellung von Wildtieren die Unterhaltung. Diese Feststellung beinhaltet als solche keine Kritik, sondern konstatiert eine Tatsache. Wichtig ist nun der folgende Punkt: im Unterschied zu Tieren in der Wildnis oder in Reservaten sind Wildtiere in Zoos und Aquarien vollständig versorgt. Die „vollständige Versorgung“ ist ein komplexer Begriff und ich verstehe darunter dreierlei: 1. Verwahrung. Wildtiere in Zoos leben in klar umrissenen, umschlossenen und verschlossenen Gehegen. Sie sind in jenem Sinne des Wortes versorgt, wie man Personen in Anstalten oder Heimen versorgt. Diese Versorgung ist vollständig, weil sie lebenslänglich ist: Wildtiere im Zoo verbringen heute in der Regel ihr  

8

gesamtes Leben in den entsprechenden Gehegen. Weil Zoo und Aquarium der Zurschaustellung von Tieren dienen und weil Menschen Zoos und Aquarien besuchen um unterhalten zu werden, muss die Versorgung der Wildtiere natürlich den Wahrnehmungskontakt zu ihnen garantieren. Der Wahrnehmungskontakt ist in erster Linie visuell, die Tiere müssen gesehen werden können. Neben dem visuellen Kontakt gibt es jedoch auch den akustischen und den olfaktorischen Kontakt. 2. Kontrolle. Zweitens werden Wildtiere in dem Sinne versorgt, dass ihnen Nahrung, Schutz und Hilfe vom Zoo gewährleistet werden muss. Versorgen in diesem zweiten Sinn umfasst zunächst die vollständige Kontrolle der normalen Lebensvollzüge der Wildtiere. Die normalen Lebensvollzüge eines (sozialen) Tiers umfassen sechs Aspekte, nämlich (a) Bewegung in einem natürlichen Habitat, (b) Selbsterhaltung, (c) Reproduktion, (d) Genuss der artspezifischen Freuden und die Vermeidung der artspezifischen Leiden, (e) Ausübung artspezifischer Fähigkeiten, (f) artspezifische Ausgestaltung des sozialen Zusammenlebens. Ein natürliches Habitat ist ein Habitat, das eine Tierart aufgrund der Evolution als ökologische Nische bewohnt. Diese sechs Aspekte, die den normalen Lebensvollzug der Mitglieder einer bestimmten Gattung definieren, werden in Zoos vollständig kontrolliert. Zootiere sind auch in dem Sinne versorgt, dass sie in den Genuss von Dienstleistungen kommen, die sie in freier Wildbahn nicht vorfinden würden. Dazu gehören der andauernde Kontakt mit Menschen, die ständige Versorgung mit Nahrung, die Überwachung der körperlichen und psychischen Gesundheit und als Folge davon eine erhöhte Lebenserwartung (Meier 2009, 48-51). Zoos und Aquarien können wir somit definieren als Institutionen, in denen Menschen durch die gewerbemäßige Zurschaustellung von versorgten Wildtieren unterhalten werden (wobei die Versorgung impliziert, dass diese Wildtiere verwahrt und kontrolliert werden). 4.2. Die zentrale Fragestellung Die zentral Frage lautet: Was rechtfertigt die Versorgung von Wildtieren? Damit wir solche Institutionen als gute Institutionen betrachten, müssen bestimmte rechtfertigende Ziele angestrebt werden. Diese rechtfertigenden Ziele sind: (i) Erholung, (ii) Arten- und Naturschutz, (iii) Forschung, (iv) Bildung. Sie rechtfertigen – so das Pro-Zoo-Argument – die gewerbemäßige Zurschaustellung von versorgten Wildtieren zu unserer Unterhaltung (Meier 2009, 30-35). Wir können nun das Schema für Willensschwäche benutzen, um die zentrale Frage einer Antwort zuzuführen. Schema für Person P mit Zoodisposition: 1) P besucht einen Zoo/ ein Aquarium. 2) P glaubt, dass es bessere Alternativen zum Besuch von Zoo/ Aquarium gibt.  

9

3) P urteilt, dass es alles in allem besser ist, nicht in den Zoo/ ins Aquarium zu gehen als in den Zoo/ ins Aquarium zu gehen. 4) Aber: P hat ein großes Bedürfnis in den Zoo/ in das Aquarium zu gehen. Beginnen wir mit dem zweiten Punkt. Die Frage lautet, ob die rechtfertigenden Ziele auch durch Alternativen erreicht werden können. Ich möchte argumentieren, dass es für die rechtfertigenden Ziele von Zoos und Aquarien bessere Alternativen gibt. 4.3. Allgemeine Probleme mit dem Zoo: Alternativen zum Zoo Ich beginne die Argumentation am Beispiel des Meeresaquariums, weil das Argument für Alternativen hier besonders augenfällig wird. Stellen wir uns die folgende Situation S1 vor: Hinter einem riesigen Fenster sehen wir fünf Delfine schwimmen, sie entfernen sich und kommen wieder näher. Wir sehen eine ganz natürlich wirkende Unterwasserwelt. Auf dem Boden des Aquariums bemerken wir eine kleine Maschine, die in unregelmäßigen Abständen ringförmige Luftblasen ausstößt, die langsam im Wasser nach oben schweben. Wir beobachten die Delfine dabei, wie sie mit den Luftringen spielen, indem sie diese verfolgen, umkreisen, mit der Schnauze oder einer Flosse zerstoßen oder durch sie hindurch schwimmen. Nach zwanzig Minuten stellt die Maschine ab und wir gehen weiter. Stellen wir uns nun die Situation S2 vor, wobei die Beschreibung genau gleich lautet, wie im Falle von S1. Der Unterschied zwischen S1 und S2 besteht darin, dass S1 ein reales und S2 ein virtuelles Aquarium repräsentieren. In S1 befinden wir uns in einem Meeresaquarium, das Wasser beinhaltet und Delfine beherbergt, in S2 hingegen vor einer gläsernen Projektionswand, auf der wir eine Live-Aufnahme verfolgen, wobei Wasser und Delfine sich beide draußen im Meer befinden. S2 stellt offenbar eine Alternative zu S1 dar. Warum sollte das virtuelle Aquarium die vier rechtfertigenden Ziele nicht ebenso gut erreichen können wir das reale Aquarium? Anstatt laufend Meerestiere aus dem Meer zu holen und sie in Meeresaquarien zu halten, können umgekehrt wir mithilfe digitaler Übertragungs-, Kommunikations- und Animationstechniken zu diesen Tieren gebracht werden. So können Bildung, Forschung und Naturschutz gefördert werden, ohne dafür Aquarien bauen zu müssen. Der Gedanke eines virtuellen Zugangs zu Tieren dürfte Abwehrreaktionen auslösen. Man fürchtet, dass etwas fehlt, dass ein gemeinsamer Erlebnis- und Begegnungsraum verloren geht, wenn wir nicht das Tier selbst vor uns sehen, sondern lediglich eine Übertragung desselben. Dieser Punkt ist für die Frage der Alternativen zum Zoobesuch zentral: die rechtfertigenden Ziele der Bildung, des Artenschutzes und der Forschung beruhen auf der Prämisse, dass wir im Zoo Wildtieren unter gleichsam natürlichen Bedingungen begegnen können. Diese Prämisse ist jedoch falsch. Um diesen Punkt deutlich zu machen, will ich zuerst zwei semantische Beobachtungen zum Gegensatz von „real“ und „virtuell“ anführen. Im Zusammenhang mit diesem Gegensatz verfällt man erstens leicht dem Irrtum, „real“ mit „authentisch“ gleichzusetzen, „virtuell“ hingegen mit „inauthentisch“. Die Situationen S1 und S2 legen den Irrtum schnell offen. Eine in einem Aquarium  

10

nachgebaute Unterwasserlandschaft, die angelegt worden ist, um Meeresbewohner auf dem Festland zu halten, kann schwerlich als „authentisch“ bezeichnet werden. Dem gegenüber leuchtet es nicht ein, warum man die Live-Aufnahme einer Unterwassersituation als „inauthentisch“ bezeichnen sollte. Man könnte den Spieß geradezu umdrehen und argumentieren, dass die Haltung von Wildtieren in künstlichen Umwelten (Aquarien) „inauthentisch “ ist. Aufnahmen von wildlebenden Tieren hingegen zeigen diese in ihrer natürlichen Umwelt und sind insofern „authentisch“. Kommen wir zur zweiten Beobachtung. Befürwortende Stimmen heben hervor, dass Zoos und Aquarien eine direkte Begegnung mit einem Tier ermöglichen. Die direkte Begegnung mit dem Tier, so wird argumentiert, ist wichtig, weil sie uns näher an die Natur heranbringe, von der wir uns aufgrund des fortschreitenden Zivilisationsprozesses entfernt haben. Es liegt also nahe zu glauben, dass wir in einem realen Aquarium eine direkte und natürliche Begegnung mit einem Wildtier haben können, in einem virtuellen Aquarium hingegen nicht, weil dort die Begegnung indirekt und technisch vermittelt sei. So wird der Ausdruck „real“ mit „direkt“ oder „natürlich“ assoziiert, der Ausdruck „virtuell“ mit „vermittelt“ oder „technisch“. Dieser Assoziation liegt m.E. ein Konglomerat von Irrtümern zugrunde. Zunächst ist die Begegnung mit einem Wildtier in Zoo und Aquarium weder direkt noch natürlich. Diese Einrichtungen stellen keinen natürlichen Lebensraum von Wildtieren dar. Zudem ist die Begegnung nicht direkt, weil der Lebenszyklus der Tiere und die Begegnung mit ihnen vollständig kontrolliert werden. Weiter ist die Direktheit der Begegnung, wenn technische Kommunikationsmittel involviert sind, weniger eine Frage der objektiven Verhältnisse zwischen Objekt und Kommunikationsmittel, als vielmehr eine Frage der etablierten Praxis im Umgang mit digitalen und virtuellen Kommunikationsmitteln. Es ist wahrscheinlich, dass für die kommende Generation digitale Kontakte über den Globus hinweg noch mehr zum Alltag gehören werden als es heute der Fall ist. Auch die digitale Kommunikation baut Erlebnis- und Begegnungsräume auf. Die nächste Generation kann mithilfe einer gut animierten Übertragung von Unterwasserszenen aus dem Meer weitaus intensivere Erlebnisse und tiefere Einsichten in das Leben der Meeresbewohner, ihre Schönheit und ihre Lebensweise erhalten, als es ein Aquarium bieten kann, weil Tiere tatsächlich in der Natur gesehen werden können und nicht nur in einer Nachahmung von Natur. Letztlich liegt der Assoziierung von „Film“ und „indirekt“ oder „vermittelt“ eine falsche Auffassung des filmischen Bildes zugrunde zu liegen. Wer auf einem VideoBildschirm sieht, dass ein Bekannter vor der Tür ist, der sieht auf dem Bildschirm den Bekannten, und nicht bloss ein Bild des Bekannten; wer mit einem Freund in Chile skypt, der sieht auf dem Bildschirm den Freund, nicht nur ein Bild von ihm. Ebenso wie wir durch ein Fernglas den Adler selbst oder im Mikroskop das Pantoffeltierchen selbst sehen und nicht nur Bilder von ihnen. Filmische Übertragungen sind weniger mit Gemälden oder Zeichnungen verwandt als mit optischen Instrumenten wie Ferngläsern oder Mikroskopen. Sie helfen uns besser zu sehen, rücken Unscheinbares in den Blick und bringen Entferntes nahe.

 

11

Die Idee, wir würden im Zoo Wildtieren begegnen, führt zu charakteristischen Fehlschlüssen. Beispielsweise wird im Hinblick auf die Tötung überzähliger Tiere in Zoos darauf verwiesen, dass es auch in der Wildnis vorkomme, dass ein Löwe ein Zebra reisse. Der Vergleich hinkt. Der Unterschied zwischen Gnus und Rentieren, die auf ihren Wanderungen von Raubtieren erbeutet werden, und Zoo-, Nutz- und Haustieren, die in von uns kontrollierten Einrichtungen leben, besteht darin, dass wir für letztere die direkte Verantwortung haben, für erstere hingegen nicht. Zudem hat der Löwe keine Alternativen und kann sein Verhalten nicht unter Prinzipien stellen, wir hingegen können dies und wir haben Alternativen. Die Tötung überzähliger Einzeltiere in Zoohaltungen wird mit dem Verweis auf den Artenschutz gerechtfertigt. Dieser Argumentation liegt die fragwürdige Prämisse zugrunde, dass das Leben eines Individuums zugunsten des Weiterbestehens seiner Art geopfert werden kann. Dabei muss man beachten, dass mit dem Weiterbestehen seiner Art das Weiterbestehen der Art in Zoos gemeint ist. Die Zuchtprogramme wissenschaftlich geführter Zoos dienen nicht in erster Linie dazu, Tiere auszuwildern, sondern dazu Nachwuchs für Zoos zu produzieren. Mit Artenschutz ist die Zucht einer Population gemeint, die von wilden Populationen unabhängig ist. Man könnte soweit gehen und argumentieren, dass wir im Zoo nicht Gorillas oder Elefanten, sondern eine neue, domestizierte Art finden (Keekok 2005). Dies bedeutet, dass das Ziel nicht der Schutz der Art ist, sondern die Erhaltung der Institution des Zoos. Das Ziel des Zoos ist jedoch, wie wir gesehen haben, die gewerbemäßige Zurschaustellung von versorgten – wie wir nun schreiben müssen – „Wildtieren“. Somit wird die Tötung überzähliger Individuen dadurch gerechtfertigt die Institution des Zoos und nicht die wildlebende Population zu erhalten. Beiträge zur Erhaltung wildlebender Populationen sind Nebeneffekte der Zoohaltung. Ich habe gesagt, dass der Beitrag des Zoos zur Erhaltung wildlebender Populationen gering ausfällt. Darüber hinaus müssen Zoos im Hinblick auf die Selektion der Arten, die sich reproduzieren, höchst selektiv sein. Real erfolgt diese Auswahl weniger aufgrund von Expertenmeinung oder Schutzwürdigkeit, als vielmehr aufgrund der Vorlieben der Zoobesucher: Effektvolle Tiere wie Affen, Elefanten, Löwen, Bären oder Flusspferde und natürlich Jungtiere. Somit ist selbst der geringe Beitrag des Zoos zum Artenschutz und zur Biodiversität noch einmal zu relativieren. Tiere in Zoos und Aquarien, so lautet ein weiteres rechtfertigendes Ziel, seien „Botschafter für Tiere draussen“. Sie fördern erstens die Bildung der Besucher und Besucherinnen und motivieren, sich für den Schutz der Tiere einzusetzen. Natürlich stellt sich die Frage, ob man Tiere als Botschafter für andere instrumentalisieren soll. Dennoch könnte man argumentieren, dass insbesondere Kinder im Zoo Tieren leibhaftig begegnen, sich für sie begeistern und Bereitschaft zum Engagement entwickeln. Nur konnte bislang keine Studie zeigen, dass dieser Effekt nachhaltig ist. Im Gegenteil. Jüngst konnte eine im Londoner Zoo durchgeführte Studie über biologische und konservatorische Lerneffekte bei Kinder zwischen 7 und 15 Jahren zeigen, dass Kindern weder auf geführten noch auf nicht geführten Zootouren zeigen, dass diese Lerneffekte sehr gering ausfallen; insbesondere zeigen sich auf den nicht geführten Touren sogar negative Lerneffekte: Wenn wir feststellen, dass wir Tiere in  

12

Zoos halten müssen, um sie vor dem Aussterben zu bewahren, setzt sich die Einstellung durch, dass diesen Arten in der freien Wildbahn nicht mehr zu helfen ist (Jensen 2014). Studien, die positive Lerneffekte von Zoobesuchen aufweisen wollen (Falk et al. 2007), können keine Nachhaltigkeit der Effekte nachweisen (ibid.) und sind für ihr methodisches Vorgehen stark kritisiert worden (Marino et al. 2010). Ebenso wie Vegetarier nicht unbedingt wegen ihrer Ernährung gesünder sind, sondern weil sie generell gesünder leben, sind manche Kinder einfach deshalb sensibler, weil ihre Eltern sie generell stärker sensibilisieren. Diese Sensibilität kann man auch mit Büchern, Filmen, virtuellen Zoos und Aquarien oder in der Natur entwickeln. Dabei wird auf die unterschwellige Botschaft der Kontrolle verzichtet, die der Zoo vermittelt. Auch die Forschung im Zoo verfolgt einen selbstbezüglichen Zweck. Ein Hauptzweck der Forschung im Zoo besteht darin, herauszufinden, wie man Tiere im Zoo hält. Ohne Zoos bräuchte man jedoch weder diese Art der Forschung noch diese Art der Arterhaltung. Als Fazit können wir festhalten: Es ist nicht nur der Fall, dass Zoos und Aquarien den Zielen, die sie sich setzen, nicht gerecht werden können – Forschung und Arterhaltung haben v.a. institutionserhaltende Effekte und Nachweise für Bildung und Nachhaltigkeit konnten bislang nicht erbracht werden –, sondern auch dass es Alternativen gibt, die diese Ziele besser erreichen können. 4.4. Spezifische ethische Probleme mit dem Zoo: töten und einsperren Betrachten wir nun den dritten Schritt des Schemas für Personen mit „Zoodisposition“. Ich habe in Abschnitt 2 ein Argument dafür vorgebracht, dass es moralisch nicht zulässig ist, empfindungsfähige Tiere zu töten. Wenn Zoos also empfindungsfähige Tiere für die Ernährung ihrer Tiere töten bzw. wenn wie überzählige empfindungsfähige Individuen töten, so ist dies moralisch problematisch. Wie steht es mit der Versorgung – im oben definierten Sinn des Ausdrucks – von Tieren? Wildtiere in Zoo in klar umrissenen, umschlossenen und verschlossenen Gehegen. Sie sind in jenem Sinne des Wortes versorgt, wie man beispielsweise Personen in einer Anstalt oder in einem Heim versorgt oder verwahrt. Insofern wir Tiere vollständig versorgen, schränken wir ihren Bewegungsspielraum massiv ein. Freiheit negativ verstanden ist die Einschränkung des Bewegungsspielraums durch Dritte. Den Tieren wird also in diesem Sinn im Zoo Freiheit entzogen. Freiheitsentzug kann grausam und nicht-grausam sein. Ein deutliches Beispiel für einen grausamen Freiheitentzug wäre die Einsperrung eines Menschen oder Tiers in einem für seinen Körper viel zu kleinen Behältnis. Doch wie soll die Grenz gezogen werden? Grausamkeit könnte man als das die ungerechtfertigte Zufügung von Leid und das Vergnügen an dieser definieren (Bostock 1993, 56). Akzeptieren wir diese Definition, stellt Freiheitsentzug als solcher keine Grausamkeit dar, da sie weder eine ungerechtfertigte Zufügung von Leid noch Vergnügen daran involvieren muss. Doch ist die vorgeschlagene Definition ausreichend? Ich denke nicht. Betrachten wir die beiden folgenden Beispiele: (i) Wir wissen, dass sich eine Person furchtbar quält, weil  

13

sie nicht weiß, wo ihre Kinder sind, ob sie noch leben oder tot sind oder ob ihnen Schlimmes widerfährt; wir aber wissen darüber Bescheid, verraten es der Person jedoch nicht und beobachten weiterhin ihre Pein. Obwohl wir kein Leid zufügen, sondern es einfach nicht beenden, handeln wir doch grausam. (ii) Wir versetzen ein Kleinkind ohne guten Grund in ein Dauerkoma versetzen; das würden wir gleichfalls als grausam empfinden, obwohl wir dem Kleinkind damit kein Leid zufügen (Zamir 2007, 196f.). Unterlassung und Deprivation können auch Formen der Grausamkeit darstellen. Diese werden in der vorgeschlagenen Definition nicht erfasst. Grausamkeit sollte man somit als das die ungerechtfertigte Zufügung von Leid, die dauerhafte, massive Deprivation natürlicher Fähigkeiten sowie die Unterlassung der Beendigung von Leid definieren. Nun stellt die Unterbindung der Bewegungsfreiheit eine Deprivation eines Tiers dar. Dies trifft insbesondere auf größere Lebewesen und Säugetiere zu. Rechnen wir die Deprivation natürlicher Fähigkeiten zur Grausamkeit, dann stellt Freiheitsentzug eine Grausamkeit dar. Insbesondere gilt dies, wenn man die Folgen der Deprivation beachtet: in allen Zoos finden sich stereotype Verhaltensweisen, erworbene Verhaltensstörungen. Das ist mehr als nur Langeweile, die betroffenen Tiere sind in einem geradezu psychiatrischen Sinn beeinträchtigt. Da Zoos Tiere einsperren (was eine Deprivation natürlicher Fähigkeiten darstellt) um Menschen dadurch zu unterhalten, und weil Unterhaltung Vergnügen impliziert, tritt zur Deprivation durch Einsperren noch unser Vergnügen daran hinzu. Allerdings muss man hier exakt sein: Menschen im Zoo empfinden in der Regel kein Vergnügen am Eingesperrtsein des Tiers als vielmehr daran, was durch das Eingesperrtsein möglich gemacht wird, nämlich das Tier zu beobachten und zu betrachten. Der Zweck des Einsperrens ist ja die Zurschaustellung. Positiv wird für die Versorgung von Tieren in Zoos darauf aufmerksam gemacht, dass Tiere im Zoo im Gegensatz zu Tieren in der Wildnis eine medizinische Versorgung genießen und eine höhere Lebenserwartung aufzuweisen haben. Man kann sich nicht nur die Frage stellen, ob diese Vorteile die bereits genannten Nachteile aufwiegen, ebenso darf man in Frage stellen, ob es sich dabei um Vorteile handelt. Zoos stellen nämlich nicht allein medizinische Versorgung zur Verfügung, sondern sind auch eine Quelle neuer Gesundheitsgefährdungen. Auf die psychischen Probleme in der Form von Stereotypien habe ich bereits hingewiesen. Es bestehen aber auch neue Gefahren für die Gesundheit der Tiere. Man stelle sich vor, in einem Altersheim stürbe jemand eines natürlichen Todes. Müsste man das Altersheim schliessen? Natürlich nicht. Was aber würde passieren, wenn in einem Altersheim Menschen wegen verdorbener Lebensmittel oder medizinischem Pfusch sterben würden? Das hätte natürlich rechtliche Konsequenzen. Was aber passiert, wenn ein Gorilla in einem Zoo wegen kontaminierten Futters stirbt, z.B. am Fuchsbandwurm? Man wäscht das Futter und besorgt sich einen neuen Gorilla. Fuchsbandwürmer sind Gefahren für die Gesundheit der Gorillas, denen sie in ihrem natürlichen Habitat nicht begegnen. Bezüglich der längeren Lebenserwartung ist es eine offene Frage, ob länger zu leben in jedem Fall ein Gewinn ist. Vermutlich ist es kein Gewinn, wenn Gebrechen, Krankheiten und soziale Exklusion Folge des verlängerten Lebens sind, was z.B. im Falle von Schimpansen zutreffen kann. Weiterhin stellt sich die Frage, inwiefern ein  

14

verlängertes Leben in Versorgung tatsächlich wünschenswert für die Tiere sein kann. Stellt die Versorgung eine Form der Deprivation dar, dann ist nicht einzusehen, warum eine Verlängerung dieses Zustandes im Interesse des Tieres liegen sollte. 5. Schluss Im Falle des Schemas für Personen mit Fleischdisposition lag das Gewicht eindeutig auf dem dritten Schritt, der Frage also, ob es alles in allem nicht besser ist, kein Fleisch zu essen. Im Falle des Schemas für Personen mit Zoodispositionen liegt das Gewicht hingegen auf dem zweiten Schritt, nämlich den besseren Alternativen. Weil es bessere Alternativen für die Erreichung der rechtfertigenden Ziele des Zoos gibt, weil Zoos und Aquarien diese Ziele nicht erreichen, zeigt das Überlegungsgleichgewicht, dass das große Bedürfnis in den Zoo oder ins Aquarium zu gehen kein legitimierender Grund für den Zoobesuch sein kann. Die Neigung Zoos und Aquarien zu besuchen ist somit all things considered ein Ausdruck der Willensschwäche. Willensschwäche mögen wir verzeihlich finden, wenn sie allein das Subjekt der Willensschwäche betrifft (wie im Falle einer „Schokoladendisposition“). Wenn sie hingegen Dritte betrifft, dann ändert sich das Bild. Insbesondere wenn wir mit unserem Verhalten die Gesundheit, die körperliche und psychische Integrität und das Leben Dritter schädigen, können wir Willensschwäche moralisch nicht akzeptieren. Die erwähnten Fälle von Willensschwäche (Gewalt gegen Kinder, Rauchen, Fleischkonsum, Zoobesuch) stellen solche Schädigung dar. Die Gewalt gegen Kinder stellt eine direkte Form der Schädigung dar, weil das willensschwache Subjekt dem Kind direkten Schaden zufügt. Rauchen, Fleischkonsum und Zoobesuch hingegen stellen indirekte Formen der Schädigung dar. Während ein Subjekt im Falle der Kindergewalt die direkte Ursache der Schädigung ist, sind die Subjekte im Falle von Rauchen, Fleischkonsum und Zoobesuch indirekte Ursachen der Schädigung. Die Verbindung bleibt jedoch kausal, weil wir durch den Zoobesuch kausal dazu beitragen, die Institution des Zoos zu erhalten. Diese Art der Ursache nennt man „unterstützende Ursache“ (sustaining cause). Wir unterstützen Zoos durch unseren Besuch. Da aber das Überlegungsgleichgewicht (im Schema der Willensschwäche) zeigt, dass wir Zoos nicht besuchen sollten, spricht dies auch gegen die Institution. Literatur Batthyany, S., Pagan, O. (2014). „Regt sich da jemand auf?“ Interview mit Olivier Pagan. Das Magazin 37, 13-17. Boghossian, P. (2013). Angst vor der Wahrheit. Berlin: Suhrkamp. Brandt, R. B. (1954). Hopi Ethics: A Theoretical Analysis. Chicago: The University of Chicago Press. Bostock, St. St. C. (1993). Zoo and Animal Rights: The Ethics of Keeping Animals. New York: Routledge.

 

15

Doris, J. M., Plakias, A. (2007). How to Argue about Disagreement: Evaluative Diversity and Moral Realism. In: W. Sinnott-Armstrong (ed.). Moral Psychology, Vol. 2: The Cognitive Science of Morality. Cambridge, MA: MIT Press. Doris, J. M., Stich, S. (2005). As a Matter of Fact: Empirical Perspectives on Ethics. In F. Jackson, M. Smith (eds.). The Oxford Handbook of Contemporary Philosophy. Oxford: Oxford University Press. Doris, J., Stich, st. (2014). Moral Psychology: Empirical Approaches. In: Edward N. Zalta (ed.). The Stanford Encyclopedia of Philosophy. URL = . Falk, J. et al. (2007). Why zoos and aquariums matter: assessing the impact of a visit to a zoo or aquarium. Association of Zoos & Aquariums, Silver Spring, MD. Fitzpatrick, S. (2014). Moral Realism, Moral Disagreement, and Moral Psychology. Philosophical Papers 43 (2), 161-190. Haidt, J. (2001). The Emotional Dog and its Rational Tail. A Social Intuitionist Approach to Moral Judgment. Psychology Review, 108, 814-834. Jensen, E. (2014). Evaluating Children’s Conservation Biology Learning at the Zoo. Conservation Biology 28 (4), 1004-1011. Keekok, L. (2005). Zoos. A Philosophical Tour. Houndmills: Palgrave Macmillan. Loeb, Don (1998). Moral Realism and the Argument from Disagreement. Philosophical Studies 90, 281–303. Mackie, J.L. (1977). Ethics: Inventing Right and Wrong. New York: Penguin Books. Marino, L. et al. (2010). Do Zoos and Aquariums Promote Attitude Change in Visitors? A Critical Evaluation of the American Zoo and Aquarium Study. Society and Animals 18, 126-138. Meier, J. (2009). Handbuch Zoo. Moderne Tiergartenbiologie. Bern: Haupt. Nisbett, R. E. (2003). The Geography of Thought: How Asians and Westerners Think Differently … and Why. New York: Free Press. Nisbett, R.E., Cohen, D. (1996). Culture of Honor: The Psychology of Violence in the South. Boulder: Westview Press. Paxton, J. M., Greene, J. D. (2010). Moral Reasoning: Hints and Allegations. Topics in Cognitive Science 2, 511-527. Ross, L., Nisbett, R. E. (1991). The Person and the Situation. Perspectives of Social Psychology. Philadelphia: Temple University Press. Sripada, C. S., Stich, S. (2006). A Framework for the Psychology of Norms. In: P. Wild, M. (2008). Tierphilosophie. Hamburg: Junius. Wild, M. (2012). Tierphilosophie / Replik. Erwägen Wissen Ethik 23 (1), 21-33 / 108131. Wild, M. (2014). Wer den Pavian versteht... Eine naturalistische Perspektive auf Wissen bei Mensch und Tier. Die anthropologische Wende. Studia Philosophica. Bern: Haupt, 105-130. Zamir, T. (2007). The Welfare-based Defense of Zoos. Society and Animals 15, 191201.    

16

 

 

17

Lihat lebih banyak...

Comentários

Copyright © 2017 DADOSPDF Inc.